Die Unternehmensbewertung hat durch den Ansatz des “Shareholder’s Value“ als Dreh- und Angelpunkt der einseitig kapitalbezogenen Sichtweise des Neoliberalismus auf das Kapital, verbunden mit einem Verständnis von Unternehmen als eine handelbare Ware (Commoditiy), eine unglaubliche Renaissance erfahren. Parallel wird aber deutlich, dass die Versuche, die Folgen der Finanzkrise aufzufangen, zu einem Kapitalangebot geführt haben, das die Zinsen gegen Null sinken lassen. Das hat ganz konkrete Auswirkungen:
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1. Das Kalkül und seine Folgen
Die finanzmathematische Formel für die gegenwärtig gültige Form der Unternehmensbewertung kann unter der Annahme, dass N gegen Unendlich strebt, auf die mathematische Kurzformel:
„(nachhaltiger Ertrag eines Unternehmens) / (langfristig gültiger Zinssatz) = Unternehmenswert“
gebracht werden. Dabei reduziert sich die Zahl der Variablen auf den Unternehmensertrag (vor oder nach Finanzierung, vor und nach Steuern) und einen sogenannt „marktbestimmten“ langfristigen Zinssatz (vor und nach Steuern). Marktbestimmt soll hierbei den Eindruck vermitteln, dass diese Variable der Willkür der Beteiligten entzogen ist, vergleichbar mit einer Naturkonstante in der Physik.
Nun müssen wir aber feststellen, dass sich seit mindestens 10 Jahren Schritt für Schritt eine Zinssituation einstellt hat, die in der überschaubaren Vergangenheit nicht vorstellbar war. Da im Kapitalismus das Kapital grundsätzlich als knapp angesehen wird, war es nicht vorstellbar, dass dieser Zustand einmal zu Ende gehen könnte und der Markt politisch gewollt mit so viel Kapital überschwemmt wird, dass der aktuelle Zins gegen Null tendiert. Da dieser Zustand auch noch einige Jahre anhalten dürfte, weil die Politik sich wegen der hohen Verschuldung keine steigenden Zinsen leisten kann, wird auch der langfristige Zins der Unternehmensbewertung davon tangiert. Er sinkt seit Jahren – mit der Folge, dass mit der oben angeführten Formel die errechneten Unternehmenswerte steigen, ohne dass sich an der Unternehmenssubstanz etwas ändert. Wenn der langfristige Zins dann einmal gegen Null tendiert, wachsen die errechneten Unternehmenswerte über alle Grenzen. Welch‘ ein ökonomischer Unsinn!
Was sind die Gründe für eine solche Entwicklung der Unternehmenswerte? Wir müssen feststellen, dass die Politik ein Verfahren ausgesetzt hat, das dem Kapitalismus systemeigen ist: Wenn Schulden nicht mehr bezahlt werden können, dann fällt die Forderung aus. Die Dynamik des Kapitalismus lebt mit davon, dass Forderungsausfälle, die dem System inhärent sind, zu Schuldschnitten führen. Diese konstituierende ‚Verfahrensweise‘ des Kapitalismus haben Europa und die USA ausgesetzt und damit eine Geldschwemme ausgelöst, weil der regulierende Teil zur Liquidität (der allfällige Schuldenschnitt) aufgehoben wurde. Mit anderen Worten: Wäre die Politik dem Pfad der kapitalistisch-ökonomischen ‚Tugend‘ gefolgt und hätte uneinbringliche Forderung (natürlich unter konjunkturellen ‚Schmerzen‘) abgeschrieben, wäre das Kapital unverändert knapp und damit wäre ein Zins fällig, der auch dem früherer Dekaden vergleichbar wäre – und damit wäre auch zu erwarten, dass das Unternehmensbewertungs-Kalkül Zahlen liefert, die man nicht von vornherein als völlig ‚übertrieben‘ oder ‚aus dem Ruder gelaufen‘ disqualifizieren müsste.
Es ist nicht zu erwarten, dass die Politik die Geldschwemme eindämmt, weil dann das Ausmaß der wirtschaftlichen Krise von 2008 für jedermann offensichtlich würde. Die Schulden, die die Staaten aufgehäuft haben, um die Banken auf Kosten des Steuerzahlers zu retten, würden bei steigenden Zinsen die öffentlichen Haushalte explodieren lassen. Die Resorption der Wirtschaftskrise von 2008 würde schlagartig rückgängig gemacht und der konjunkturelle Fall ins Bodenlose wäre nicht ausgeschlossen.
Was bedeutet das für die Unternehmensbewertung? Das Unternehmensbewertungs-Kalkül führt nur dann zu hinreichend erklärbaren Ergebnissen, wenn unterstellt werden kann, dass der Zins über den Markt nicht manipulierbar sei. Nun ist der aktuelle Zins politisch hochgradig manipuliert, also ist einem wesentlichen Teil des Kalküls die Grundlage entzogen. Die Ergebnisse der Unternehmensbewertung der nächsten Jahre sind also nicht mehr markttechnisch, sondern nur noch als Folge der Beredsamkeit und Argumentationskunst der Gutachter erklärbar. Von offizieller Seite wird uns vermittelt, dass Inflation kein Thema sei, eher scheinen wir mit der Frage der Deflation zu kämpfen – aber die strikte Anwendung des Unternehmensbewertungskalküls unter der Bedingung sinkender Zinsen wird die Unternehmenswerte grenzenlos inflationieren lassen.
Man muss sich die Zinsreagibilität vor Augen führen, die Zinssätzen in der Nähe von Null aufweisen. Schon eine Veränderung von nur 0,1% auf einem Zinsniveau von 3% löst eine rechnerische Steigerung des Unternehmenswertes im Umfang von 3,44% aus. Alle weiteren Zinsreduzierungen in Richtung Null werden sich auf den Unternehmenswert expotenziell auswirken. Ob das von den Käufern von Beteiligungen und Aktienpaketen toleriert wird, bleibt offen: Die Verkäufer werden sich sicherlich nicht sträuben. Ob aber die Käufer auf das Kalkül der Unternehmensbewertung überhaupt noch einsteigen, bleibt abzuwarten. Die ersten Gerichtsprozesse wegen inakzeptabler Bewertung werden nicht lange auf sich warten lassen.
2. Management und Anleger
Das Management nimmt mit stillschweigendem Bezug auf den Neoliberalismus in den höheren Etagen für sich in Anspruch, den Unternehmenswert Jahr für Jahr steigern zu wollen. Grundlage und Messlatte dieser Aussage ist das Konzept des Shareholder’s Value, einer Methode, wo nach der Wert des Unternehmens jährlich (oder auch unterjährig) aufgrund des Unternehmensbewertungskalküls bewertet wird. Steigt der Unternehmenswert, sind die Boni der Vorstände und Aufsichtsräte gesichert, fallen sie, müssen andere Argumente der Rechtfertigung gefunden werden. Dier gegenwärtige Niedrigzinssituation garantiert dem Management Zuwächse des Shareholder’s Value, die sich allein aus der Mathematik des angewendeten Kalküls ergeben.
Wenn wir jedoch feststellen, dass das Bewertungskalkül systemimmanent bei fallenden Zinsen, die gegen Null tendieren, stets überhöhte Unternehmenswerte generiert, so kommt das Verfahren doch dem Wunsche nach „nachweisbarem“ Erfolg auf Vorstandsebene sehr entgegen, wenn der Unternehmenswert dank sinkender Zinsen dauernd steigt – egal, ob durch realwirtschaftliche Leistung oder durch regelmäßige Zinssenkungen. Das Problem ist nur, dass dann, wenn die Zinswende kommt, dieses Verfahren, dem auch die Börse folgt, für die folgenden Jahre das Management und den Anlegern vor große Probleme stellen wird. Ich gehe mal davon aus, dass dann das Konzept des Shareholder’s Value wieder so schnell in der Versenkung verschwinden wird wie es vor Jahren quasi aus dem Nichts aufgetaucht ist und als der „einzig richtige“ Maßstab gefeiert wurde, der über alle Zweifel erhaben sei.
VF – 20.11.2011
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Der Kaufinteressent wird seine Unternehmensbewertung mit einem Zinssatz anfertigen, der sich – auch – an alternativen Kapitalanlagen orientiert. Deshalb werden Unternehmen – jeweils gleich hohe nachhaltig erzielbare Gewinne unterstellt – in Niedrigzinsphasen berechtigterweise höher bewertet als in Hochzinsphasen. Wie die Manager den Unternehmenswert berechnen, um ihre Boni in schwindelerregende Höhen zu treiben, mögen die Herren mit ihren Aufsichtsräten ausdiskutieren. Und die Aktionäre müssten die Aufsichtsräte einmal fragen, warum der Martkmechanismus bei der Preisfindung für Vorstandsvergütungen nicht funktioniert.
Lieber Raph,
Du hast prinzipiell recht, wenn Du den individuellen Kaufprozess betrachtetst , aber was ist mit den vielen Gutachten, die nach IdW Standard 1 abgewickelt werden. Was für den Gutachter gilt, gilt auch für den „Shareholder’s Value“, der ja öffentlich zu mindest nachvollziehbar sein muss oder sollte. Diesen Fall greife ich auf. Die Transaktionen, die im nicht öffentlichen, d.h. privatwirtschaftlichen Umfeld stattfinden, sind hiervon nicht betroffen, weil das Preisfindungsverfahren Privatsache ist und aus meiner Erfahrung sowie so nach anderen Kriterien abläuft.
Gruß
Volker
Lieber Volker,
das finde ich mal ne gute Idee, und Du füllst sie auch noch unglaublich werthaltig. Ich staune, wie Du als Mann der Wirtschaft Dich so kritisch zu den globalen Entwicklungen äußern kannst. Ja, in Rente, wenn die Abhängigkeiten abgelegt sind, kann man wieder frei denken und sogar handeln.
Zum Neoliberalismus kommt ja noch der Neokolonialismus dazu, der sich durch ein humanitäres Mäntelchen tarnt: das sind doch Arbeitsplätze, die würden sonst verhungern … Ursache für die riesige Flüchtlingsbewegung/Völkerwanderung, die die Welt verändern wird, wenn wir sie nicht verändern, d.h. eine gerechte Weltwirtschaftsordnung erschaffen. Ich sehe da allerdings schwarz. Die Natur wird´s letztendlich richten.
Ich werde Dein Buch kaufen und wünsche Dir viel Erfolg mit Deinem Blog, ich werde ein treuer Leser sein!
Herzliche Grüße! Rolf
Lieber Rolf,
Du bist der erste, der sich übers Internet meldet. Da auch noch positiv ist, empfinde ich das als einen guten Start. Meine Bekannten und Freunde kennen das Projekt ja schon und begleiten es kritisch. Hauptskritikpunkt ist gegenwärtig meine Ausdrucksweise – viel zu hochgestochen. Ich gelobe Besserung. Es würde mich freuen, wenn Du dran bleiben würdest.
Gruß
Volker