Es zeichnet sich immer deutlicher ab, dass eine funktionierende Infrastruktur für das Gemeinwesen (Kommune, Land oder Staat) eine mindestens gleichgroße Bedeutung für den Wohlstand besitzt als die meisten Unternehmen zusammengenommen. Diese recht steile These lässt sich recht einfach plausibel machen: Denkt euch alle die tollen Dax-Unternehmen ohne unsere Infrastruktur. Da bleibt schlagartig nicht mehr so viel Glanz. Was damit zum Ausdruck kommt, ist die hochgradige Abhängigkeit unserer realen und virtuellen Wirtschaft von einer funktionsfähigen Infrastruktur.
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Infrastruktur ist aber kein Begriff der Ökonomie. Kein Lehrbuch verliert hierzu mehr als ein paar dürre Worte. Es ist aber für jeden Interessierten erkennbar, dass die Infrastruktur einer Volkswirtschaft einen wesentlichen, vielleicht sogar den wesentlichsten Beitrag zum Wohlstand leistet. Stellen Sie sich vor, die Energieversorgung bricht zusammen, die Wasserversorgung setzt aus oder die Verkehrssysteme kollabieren. Infrastruktur ist ein wesentlicher Erfolgsfaktor für Wohlstand und für wirtschaftlichen Erfolg.
Wenn wir aber von Infrastruktur sprechen, sprechen wir nicht von großartigen Unternehme(r)n – wir sprechen von einer außergewöhnlichen Leistung unseres Gemeinwesens. Infrastruktur wurde und wird noch immer über Steuergelder bereitgestellt; kein Infrastrukturprojekt, das der Allgemeinheit dient, wurde von der ‚Wirtschaft‘ bereitgestellt. Es ist die Leistung des Gemeinwesens für ihre Mitglieder, wobei sich die Infrastruktur dadurch auszeichnet, dass die Leistung vielfach unentgeltlich und prinzipiell für alle bereitgestellt wird.
‚Unentgeltlich‘ deshalb, weil die Finanzierung mehrheitlich über Steuern oder öffentliche Schulden erfolgt. Erst in jüngster Zeit wird versucht, diesen alten Grundsatz zu ökonomisieren und entgeltlich darzustellen (Lkw-Maut, Dobrints Versuch der Einführung einer Pkw-Maut), weil die politisch gewollte Verarmung der öffentlichen Haushalte ein verändertes Finanzierungsverfahren erfordert. Man muss sich aber klar darüber sein, dass damit ein Monopol, also eine Wirtschaftsform, die keinen Markt toleriert, auf einen Quasi-Markt übertragen wird. Das gibt größte Verzerrungen und widerspricht im Grund unserer bisherigen Wirtschaftsform.
Noch vor wenigen Jahrzehnten wurden Infrastrukturmaßnahmen ausschließlich durch das Gemeinwesen als Träger der Maßnahme errichtet. Das Gemeinwesen beauftragte Unternehmen mit der Durchführung und Umsetzung. Die Vorgehensweise setzt Know-how bei der öffentlichen Hand voraus, um die technische Durchführung der jeweiligen Maßnahme sachgerecht kontrollieren und beurteilen zu können. Auf diese Kapazitäten glaubte man im Rahmen der Verschlankung der öffentlichen Hände Schritt für Schritt verzichten zu können. Stattdessen meinen die beteiligten Juristen, dass man diese Problematik am grünen Tisch über Verträge so gestalten kann, dass am Ende ein Werk geschaffen wird, das den hohen Qualitätsanforderungen einer Infrastruktur (hohe Lebensdauer, geringe Reparaturanfälligkeit) gerecht wird. Die technische Objektbegleitung vor Ort wird auf ein Minimum herabgeschraubt. Es gibt oft keine enge prozessbegleitende technische Kontrolle von Seiten des Auftragsgebers mehr. Großprojekte dieser Art lassen sich im Detail nicht am grünen Tisch entscheiden. Es muss Kompetenz vor Ort erreichbar sein. Fehlt sie, schlägt das ausführende Unternehmen den einfachsten und bequemsten (meist auch billigsten) Lösungsweg ein.
Schauen Sie sich den Berliner Flughafen an. Haben Sie von vergleichbaren Problemen beim Bau des Frankfurter Flughafens oder des Münchner Flughafens gehört? Hat sich seit dieser Zeit das Problem so stark gewandelt, dass dieses Desaster in Berlin unvermeidlich wurde? – Ich behaupte: Es gibt bei der öffentlichen Hand keine Fachkräfte mehr, die eine solche Aufgabe strukturieren, die notwendigen Kontrollen aufbauen und dann die Beauftragung der Maßnahme sinnvoll durchführen können. Das Gemeinwesen baut nie selbst, es nimmt immer Unternehmen unter Vertrag. Dazu braucht es im Gemeinwesen erfahrene Ingenieure, die solche Aufgaben stemmen können – da reichen keine pfiffigen Juristen, auch keine griffelspitzenden Ökonomen, die jede Ausschreibung dann ‚billigst‘ vergeben müssen.
Infrastrukturmaßnahmen sind ähnlich zu beurteilen wie Maßnahmen der Forstwirtschaft, auf die die Formulierung des Nachhaltigkeitsprinzips zurückgeht. Infrastrukturmaßnahmen unterliegen keinem Markt mit seiner intendierten Kurzatmigkeit und kurzsichtigen Profitabilität, weil derartige Maßnahmen nur alle zwei oder drei Generationen anfallen und die sogenannte Rentierlichkeit in ganz anderen Dimensionen laufen als sich das Vertreter einer kurzfristig orientierten Marktökonomie vorstellen können. Infrastruktur schafft die Voraussetzungen, dass nachfolgend Markt stattfinden kann.
Schauen Sie sich die Elbphilharmonie an: Was wurde da gezetert wegen aktueller Budgetüberschreitungen. Sie hat – so mein Informationsstand – fast das Doppelte des ursprünglich veranschlagten Betrages gekostet. Und was ist heute: es ist ein Wahrzeichen Hamburgs und ein Publikumsmagnet und ein Schwerpunkt der Hamburger Kulturszene. Der Besucherstrom ist gigantisch und über die Finanzierungen redet keiner mehr. Es gibt Dinge, die entziehen sich einer rein ökonomischen Betrachtungsweise.
Toll Collect war und ist ein ökonomisiertes Infrastrukturprojekt – oder was sonst? Wie kann man Projekte von der Größe ausschließlich im Vertrauen auf kleingedruckte Verträge einfach aus der öffentlichen Hand geben und keiner straffen öffentlichen Controllingstrategie unterwerfen? Dafür fehlen aber die Leute. Man konnte bei der Vergabe den Eindruck gewinnen: „Gott sei Dank, wir haben ein Konsortium gefunden, das uns von allen Problemen freistellt“. Dass dieses Konsortium aus ‚Kapitalgeiern‘ bestehen könnte, dass es (den Meldungen zufolge) Abrechnungsbetrug gegeben hat, scheint den Akteuren der öffentlichen Hand unvorstellbar gewesen zu sein. . Wie kann man eine solche Aufgabe mit einem solchen Finanz-Volumen – auch wenn sie einfach aussieht – außer Haus geben, ohne sich intensive Gedanken zu machen, wie dieses Konglomerat eng kontrolliert wird und wer hier das ‚Sagen‘ hat.
Die öffentliche Hand hat offensichtlich zugelassen, dass Toll Collect als ein privatrechtliches Unternehmen geführt wird. Die Eigentumsrechte liegen bzw. lagen bei dem Konsortium. Die Einsichtsrechte der öffentlichen Hand beschränkten sich demnach wahrscheinlich auf die eines aktienrechtlichen Aufsichtsrates. Ansonsten hat man nur die schmalen Rechte eines Kunden. Das reicht doch nicht, wenn es sich um ein jährliches Umsatzvolumen von 7 Mrd. Euro handelt und der größte Teil der 7 Mrd. Euro Gelder der öffentlichen Hand sind. Toll Collect verwaltet nur „treuhänderisch“ für die öffentliche Hand dieses Mauterhebungsverfahren. Der Bund muss sich aber aus rechtlichen Gründen raushalten; (er hat dummerweise keine Eigentumsrechte an der Firma). Was für eine bescheuerte Konstruktion!
Toll Collect als privatrechtliche Firma kann der öffentlichen Hand den Zugang zu den Unterlagen verweigern. Es geht um große Summen. Aber die öffentliche Hand hat keine Möglichkeit, wirkliche Einsichts- und Prüfungsrechte geltend zu machen. Jetzt ist jedoch ein hübscher ‚Lapsus‘ passiert: Der alte Vertrag mit den Eigentümern von Toll Collect läuft vertragsgemäß aus und ein neuer Vertrag ist noch nicht fertig verhandelt. Es entsteht dadurch eine Lücke von wenigen Monaten, in den die Eigentumsrechte an Toll Collect jemandem zustehen müssen. Aber es steht noch kein neuer Kapitalgeber zur Verfügung. Also muss (wie so oft) die öffentliche Hand einspringen. Sie wird also kurzfristig Eigentümerin und hätte jetzt die Möglichkeit, all die Untersuchungen durchzuführen, auf die sie vorher keinen Zugriff hatte. Das Dumme ist nur, es gibt leider juristische Möglichkeiten, dass sich die bisher beteiligten Aktionärs-Unternehmen, für alle Fälle, für die noch keine Verjährung eingetreten ist, einen ‚Persilschein‘ (Freistellung von jeder Haftung) ausstellen lassen. Es bleibt die Frage, wie hart traut sich die öffentliche Hand hier verhandeln?
Es wäre ernsthaft zu überlegen, ob nicht Toll Collect künftig im Eigentum der öffentlichen Hand bleibt. Dem neuen Konsortium wird nur das Recht übertragen, Verwaltungsdienstleistung für das Unternehmen anzubieten. Was bedeutet das? Das Unternehmen bleibt unverändert ein privates Unternehmen, das sich aber zu hundert Prozent im Eigentum der öffentlichen Hand befindet. Die Verwaltung des Unternehmens übernimmt gegen Gebühr ein Serviceunternehmen (ohne irgendwelche Eigentumsrechte geltend machen zu können). Aus der Eigentümerstellung lassen sich dann weitgehende Rechte zur Einsichtnahme und Kontrolle ableiten. Das Geld und die damit verbundene Informationen kommen zu hundert Prozent bei Toll Collect (und insbesondere seinem Eigentümer) an und stehen damit quasi von Anfang an unter Aufsicht der öffentlichen Hand. Das Service-Unternehmen ist Dienstleister und stellt monatliche Rechnung an Toll Collect, um seine erbrachten Leistungen abzurechnen. Entspricht die Leistung des Serviceunternehmens nicht den Erwartungen des Eigentümers, hat er die Möglichkeit, den Service zu kündigen und den Anbieter auszutauschen. Es kommt im real existierenden Kapitalismus darauf an, immer eine Position anzustreben, die dem Unternehmer (in diesem Fall der öffentlichen Hand) die uneingeschränkte Macht gibt, im Rahmen der Gesetze frei zu handeln und sich um Gottes willen nicht abhängig zu machen (wie das bei der alten Struktur der Fall war).
Die Wirtschaft hat entdeckt, dass man mit Infrastruktur leicht viel Geld verdienen kann und drängt mit Nachdruck in dieses Geschäftsfeld. Das Ziel ist letztendlich die Übernahme dieses lukrativen Feldes. Gegenwärtig gibt man sich moderat und übt sich in „partnerschaftlichem“ Verhalten (PPP = Private Public Partnership). Man argumentiert, dass man der öffentlichen Verwaltung ‚lästige‘ Aufgaben abnehmen will. Man vermittelt den Eindruck, private Unternehmen könnten das effizienter. Und man nutzt den privaten Status des Vertragsverhältnisses, um eine vollständige Intransparenz über die Geschäftsentwicklung aufzubauen. Diese angestrebte Intransparenz lässt man sich auch noch vertraglich absichern.
Parallel wird durch politisch gewollten Entzug von Finanzmitteln der Kostendruck in der Verwaltung erhöht. Einige Kommunen sehen sich gezwungen, auf solche dubiosen Angebote einzugehen. Es wird dabei aber vergessen, dass die öffentliche Hand ein Monopol aus der Hand gibt, das nur der öffentlichen Hand zustehen kann, weil sie keine Gewinnerzielungsabsicht verfolgt und dem Grundsatz der Gleichbehandlung verpflichtet ist. Beides ist mit einem privaten Unternehmen nicht zu erreichen. Egal, was die private Seite erzählt, das Ziel ist und bleibt, das Monopol zu ‚melken‘, sonst verhält sich der private Unternehmer regelwidrig.
Infrastruktur ist m.E. die wesentlichste Komponente, die Wirtschaftssysteme erfolgreich macht. Bezahlt wird die Infrastruktur immer noch schwerpunktmäßig von den vielen Lohnempfängern, die keine oder nur wenige Möglichkeiten haben, ihre Steuerlast zu umgehen. Das sehen viele Unternehmer natürlich anders, aber es ist Fakt. Trotzdem kann die öffentliche Hand eine Form finden, wie sie in gewissen Grenzen Private mitspielen lässt. Sie muss aber immer darauf bestehen, sich die Unabhängigkeit der Entscheidungen (schlicht ausgedrückt: die Macht) zu erhalten. Das Feld ist so lukrativ, dass bei entsprechender Verhandlungsführung die privaten Anbieter einlenken werden. Das muss die öffentliche Hand begreifen lernen, um auf Augenhöhe mit der gleichen Rigorosität um den Machterhalt erfolgreich zu verhandeln.
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