Wunschdenken oder Realität? Beides scheint wichtig!

Gegenwärtig bewegt mich ein Wissenschaftsprojekt, das bei der WBGU unter dem Namen „The Great Transformation“ entwickelt wird. Als eine Art Grundlage kann man den Flagship Report (Hauptgutachten) „A Social Contract for Sustainability“ ansehen, in dem versucht wird, die Basis für die weiteren Arbeiten und Berichte zu legen. Der Report ist aus 2011 und die deutsche Fassung als Buch ist leider nicht mehr verfügbar. Stattdessen besteht eine PDF-Datei mit einer deutschen Übersetzung.

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Im Kapital 1 werden die Fakten einer Welt in der Transformation zusammengetragen und kommentiert. Im Kapitel 2 wird der sich abzeichnende Wertewandel angesprochen, der schon vor Jahrzehnten eingesetzt hat, aber eben noch nicht zum Durchbruch gekommen ist. Das 3. Kapitel versucht dann ein heuristisches Konzept für das weitere Vorgehen zu entwickeln und greift dabei sinnvoller Weise auf Erkenntnisse aus der Menschheitsgeschichte zurück. In einem 4. Kapitel wird die Machbarkeit diskutiert, und im 5. Kapitel wird die Steuerbarkeit der Prozesse ventiliert.

Aus den Erkenntnissen der jüngsten Vergangenheit tun sich dementsprechend im 3. Kapitel vier Felder auf, die wie folgt umrissen werden:

  • Die Energiebasis muss sich grundsätzlich ändern. Der Prozess führt zu einer radikal veränderten Wirtschaftsstruktur.
  • Das ‚Zeit Regime‘, das heute durch Kurzfristigkeit gekennzeichnet werden kann, muss sich zu einer langfristigen Perspektive verändern.
  • Unsere Infrastruktur muss ‚decarbonisiert“ werden, um die Folgen des Klimawandel aufzufangen.
  • Die Transformation wird zu einem sozialen Wandel und zu Veränderungen der Machtverteilung führen, wobei die potenziellen Verlierer heute ihre Macht und ihren Einfluss ausspielen werden, um die notwendigen Prozess zu blockieren.

Der bisherige (historische) Wandel war ein Wandel ohne Intention. Der anstehende Wandel muss bewusst eingeleitet  und gesteuert werden. Wir haben die Wahl zwischen den Extrempunkten eines geordneten Wandels (by design) oder einem disruptiven Wandel (by desaster) (Niko Paech).

Der angestrebte Wandel muss global gedacht werden und erfordert eine beispiellose globale Zusammenarbeit.

Die führenden Prinzipien der sozialen Entwicklung, die sogenannten Narrative, werden einer radikalen Veränderung unterzogen werden müssen.

Alle diese stark gekürzten Ausführungen sind detailliert diskutiert und sind inspirierend zu lesen.

Es folgen in dem Bericht dann Beispiele aus verschiedenen Epochen der jüngeren Vergangenheit, die unterschiedlichen Kategorien von Lösungsansätzen zugeordnet werden: Visionen als Teile von Utopien, Krisenbewältigung, dem Wissen über die systemischen Zusammenhänge und der Frage nach den Auswirkungen der Technologie.

Bei einem dieser Beispiele bin ich hängen geblieben, weil sich die Aussagen des Berichtes aus 2011 mit den Erkenntnissen von Thomas Piketty aus 2020 hinsichtlich des gleichen Sachverhalts widersprechen. Es geht um den Prozess um die Abschaffung der Sklaverei.

So wie der Prozess im Bericht dargestellt wird, entspricht er dem gängigen Narrativ (und ich hatte diese Auffassung bisher auch geteilt). Es fällt nur auf, dass für einen wissenschaftlichen Text sich plötzlich die Zitierweise ändert und der Tonfall eher erzählerisch auftritt. Das Narrativ stellt, vereinfacht ausgedrückt, fest: Sklaverei ist unmenschlich und aus der Erkenntnis heraus wurde sie Schritt für Schritt von den aufgeklärten Menschen gegen die „bösen“ Sklavenhalter durchgesetzt. Die letzte Verurteilung der Sklaverei erfolgte wohl 1948 im Rahmen der Menschenrechtserklärung.

Zur Abschaffung der Sklaverei

Ich will nicht in Abrede stellen, dass es diese im Narrativ dargestellte Initiative gegeben hat. Ich bezweifele jedoch, dass diese Initiative in der Lage war, die Sklavenhaltung zu unterbinden. Der Grund liegt für mich in den Ausführungen von Thomas Piketty, der in seinem Werk „Kapital und Ideologie“ (2020) unter dem Kapitel Sklavenhaltergesellschaften (S. 263 ff.) deutlich macht, dass diese hehre Betrachtung der aufgeklärten europäischen Elite hinsichtlich der Abschaffung der Sklaverei wohl gar nicht stimmt.

Die Abschaffung der Sklaverei war eine indirekte Folge der industriellen Revolution. Sklaven wurden zur Arbeit gepresst. Ihre Arbeitsproduktivität war verständlicherweise gering. Deshalb wurden zahllose Sklaven herbeigeschafft. Sklaven wurden dabei nicht als Menschen wahrgenommen, Sklaven waren Sachen. Sachen waren auch die Zugtiere der damaligen Zeit und Zugtiere wurden, wenn ihre Leistungsfähigkeit abnahm, dem Schlachter zugeführt. Ob das auch für alte Sklaven galt, möchte ich ernsthaft bezweifeln. Festzuhalten bleibt aber die Tatsache, dass das Töten eines Sklaven rechtstechnisch kein Mord sein konnte. Eine „Sache“ kann man nicht ermorden. Es würde deswegen im Fall der Fälle i.d.R. auch niemand zur Rechenschaft gezogen.

Parallel zur Sklaverei hatte sich die Lohnarbeit entwickelt. Lohnarbeiter hatten zwar nicht zwangsläufig ein besseres Los als Sklaven, sie waren aber durch ihre Existenznot und den in Aussicht gestellten Lohn deutlich produktivere Arbeitskräfte als Sklaven. Eine Altersversorgung (wie möglicherweise bei den langjährigen gedienten Sklaven nicht unüblich) entfiel bei den Lohnarbeitern. Der Arbeitskontrakt sah eine Altersversorgung nicht vor. Als Folge verlieren die Sklavenhalter Schritt für Schritt ihr Interesse an ihren Sklaven, weil schlechtbezahlte Arbeiter mittelfristig wirtschaftlich die bessere Lösung darstellten.

Piketty beschreibt dann wie in England und Frankreich die Sklavenhalterei ihr Ende fand. Die Sklavenhalter hatten gegen Ende des Booms der Sklaverei zahllose Menschen, die ihr Eigentum waren und ernährt werden mussten. Sie stellten unter den wirtschaftlichen Bedingungen kein echtes Vermögen mehr dar. Das Vermögen war eher lästig. Dann hat das englische Parlament sich bereit erklärt, möglicherweise auf der Grundlage einer aufgeklärten Haltung der Politiker, den „armen“ englischen Sklavenhaltern ihren lästigen (wirtschaftlich wertlosen) Besitz abzukaufen. Der Preis lag über dem Markt. Viele Familien des heutigen Oberhauses zehren wohl noch heute von diesem Deal. Man kann insoweit von einer sozialen Komponente sprechen als der Preis pro Sklave weit über dem tatsächlichen  Wert von Sklaven lag. Die Sklaven wurden also Gegenstand eines Deals, den die britischen Steuerzahler (dazu zählten nicht die Sklavenhalter, die aufgrund von Privilegien von den meisten Steuern befreit waren) aufbringen mussten. Wenn ich mich richtig entsinne, verbrauchte das Parlament bei diesem Deal etwa 2/3 ihres Jahresbudgets. Damit gehörten die Sklaven formal der englischen Regierung und die liess nun die in den Kolonien ansässigen Sklaven entschädigungslos in die Armut „frei“.

Ähnlich lief es in Frankreich. Haiti z.B. konnte sich gegen Zahlungen die „Freiheit“ erkaufen. Die letzte Rate aus diesem Deal wurde um 1950 von Haiti beglichen. Man kann dann verstehen, warum Haiti immer noch nicht zu einem angemessenen Wohlstand gefunden hat.

Nun ist die Frage, ob die westliche Welt ihr Narrativ von den edlen Menschen, die die Sklaverei abgeschafft haben, nicht umschreiben sollte, zumindest sollte das Narrativ um die dunkle Seite der ganzen Geschichte ergänzt werden.

Einführung des unbedingten Grundeinkommens

Es gibt aus der Gegenwart einen ähnlichen Vorgang, den sozial verantwortungsbewusste Menschen in Leben gerufen haben. Es geht um das bedingtungslose Grundeinkommen. Jeder Bürger dieses Landes soll unabhängig von seiner Bedürftigkeit ein Grundeinkommen erhalten. Das Ziel des Grundeinkommens soll ein freier und weitgehend unabhängiger Bürger sein, der nicht deshalb arbeitet, weil er ein Einkommen braucht, um leben zu können, sondern er arbeitet zusätzlich , weil sein Selbstgefühl gestärkt wird und weil die Arbeit, die er übernimmt, ihn von der Sache her interessiert.

Die grundlegende Idee ist relativ alt. Milton Friedman, ein neoliberaler Ökonom, wollte sie aus wirtschaftlichen Gründen einführen und scheiterte dann in den 1980iger Jahren  am amerikanischen Senat, der diese Idee ablehnte. In Europa wurde die Idee ebenfalls lange abgelehnt: zu teuer, nicht finanzierbar, die Leute legen sich auf die faule Haut, oder sind nur noch betrunken usw. – alles nicht verifizierte stereotype Einwendungen, die üblichen Bedenken. Keines dieser Argumente ist wirklich stichhaltig verifiziert.

Nun werden auf einmal die Auswirkungen der Digitalisierung erkennbar und viele disruptive Veränderungen könnten in unserer Wirtschaftsstruktur zum Tragen kommen. Es gibt Untersuchungen, dass bis zu 50% der Arbeitskräfte sich neuen Aufgaben zuwenden müssen, d.h. sie werden zeitweise oder dauerhaft arbeitslos. Unter sozialen Gesichtspunkten ist das für die Politik ein erschreckendes Szenario. Aber das hat auch Rückwirkungen auf die Wirtschaft: Unsere Wirtschaft kann in ihrer gegenwärtigen Struktur nur dann überleben, wenn sie es schafft, dass die von der Produzentenseite bereitgestellten Warenströme auch von den ‚Massen‘ konsumiert werden. Wenn aber bis zu 50% der Arbeitnehmerschaft durch Veränderungen des Arbeitsplatzes deutliche Einkommenseinbußen erfahren, kann diese „Bedingung“ nicht mehr erfüllt werden. Das ist für die Wirtschaft eine existentiell offene Flanke, die es rechtzeitig zu schließen gilt.

Deshalb diskutiert man in den oberen Kreisen unserer Wirtschaft u.a. auch das bedingungslose Grundeinkommen, aber nicht aus sozialer Fairness, sondern aus schlichter Sorge um die künftige nationale Kaufkraft und damit für den Fortbestand der bestehenden Wirtschaftsstruktur.

Was ich damit zum Ausdruck bringen will, ist ein Zwiespalt, ähnlich dem der Sklaverei: Der gute Wille allein bewegt die Gemüter, wird von der Politik aufgegriffen, aber umgesetzt wird die Sache ggfs. von denen, die aus der Idee ein Geschäftsmodell machen können. Sollten wir eines schönen Tages ein bedingttungsloses Grundeinkommen einführen, wird die Politik das soziale Narrativ pflegen und penetrieren. Die Wirtschaft wird sich die Hände reiben, weil sie eine Reihe von Unannehmlichkeiten eines gewaltigen Umbruchs möglicherweise verhindern konnte. Ob das im Hinblick auf die Nachhaltigkeit vor Vorteil ist, bleibt abzuwarten.

Die hier dargestellten Zusammenhänge können letztlich auch strategisch genutzt werden, um eine große Transformation voranzubringen, indem man ein begründet soziales Anliegen in einem allgemeinen Narrativ penetriert, man aber auf einer anderen politischen Ebene den Widerständigen gewisse wirtschaftliche Vorteile zukommen lässt und ihnen den „Schneid abkauft“. Denken Sie doch nur an den Braunkohleausstieg. 20.000 Arbeitsplätze stehen im Feuer und 40 Mrd. Euro lassen wir uns das Geschäft kosten. Es ist kein schönes und erst recht kein sauberes Spiel, aber das alltägliche Spiel nennt man Politik.

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