Wer hier die Erwartung hegt, dass im Folgenden ein Euro-Betrag entwickelt wird, hat die Frage missverstanden. Das ist keine quantitative Frage. Die Frage richtet sich an uns, an unseren Umgang mit und unsere Wertschätzung dessen, was wir umgangssprachlich als „Natur“ bezeichnen. Schon der Begriff „Umwelt“ drückt aus, dass wir, die Anwender des Begriffs, exponiert in der Mitte oder außerhalb stehen und nicht Teil dessen sein wollen, was wir gewöhnlich mit ‚Umwelt‘ bezeichnen.
» weiterlesen
Wenn wir von Natur sprechen, meinen wir etwas, das nur schwer abgrenzbar ist. Meistens bezeichnen wir damit etwas, zu dem wir uns nicht zugehörig fühlen – es ist das Andere. Was könnte nun „Natur“ sein? Unberührte Wildnis zählt sicherlich dazu, aber das ist zu eng. Natur ist allgemeine Lebensgrundlage, nicht nur der menschlichen Spezies. Ohne Natur, d.h. ohne Lebensgrundlage könnte sich kein Leben entfalten. Wenn wir also Natur zerstören, zerstören wir im Allgemeinen auch Teile unserer Lebensgrundlage und oft auch ungefragt die unserer irdischen Mitbewohner (Säugetiere, Vögel, Insekten, usw.). Nun ist die Natur keine heile Welt und wir sollten auch nicht versuchen, sie nach unseren Heilsvorstellungen zu formen. Dazu verstehen wir viel zu wenig von dem Phänomen „Natur“.
Zwischen dem Menschen und der Natur besteht in der gegenwärtigen Wahrnehmung eine Hierarchie: der Mensch fühlt sich überlegen und versteht die Natur als etwas Inferiores, als etwas, was dazu da ist, primär den menschlichen Nutzenerwartungen zu dienen. Deutlicher könnte man auch von einem Ausbeutungsverhältnis zwischen Mensch und Natur sprechen.
Dieses Verhalten zeigen nicht alle Teile der Weltbevölkerung. Indigene Bewohner von Nord- und Südamerika und Australien kennen dieses Ausbeutungsverhältnis nicht. Sie nutzen die Natur, aber kommunizieren respekt- und rücksichtsvoll mit der Natur auf Augenhöhe, auf gleicher Ebene. Der Grund könnte in den unterschiedlichen Weltbildern liegen, die deren Haltung bestimmen. Indigene Individuen sprechen gerne von der „Mutter Erde“ und drücken damit mythisch aus, dass sie sich und alle anderen Lebewesen gleichberechtigt auf eine gemeinsame Wurzel zurückführen lassen.
Unsere Zivilisation kennt den Begriff „Mutter Erde“ als anthropogene Metapher nicht. Wir „Zivilisierten“ beziehen unser Weltbild aus der Kosmogonie des Alten Testaments (1 Moses 1,29), in der ein Schöpfer (an der Hierarchiespitze ganz oben) die Menschen (nachgeordnet, aber dem Gotte ähnlich) schafft und zusätzlich den „Rest“ (die Natur) hinzufügt. Zudem gibt der Schöpfer den Menschen die Botschaft mit auf den Weg: „Macht euch die Erde untertan!“. Das sieht die Theologie möglicherweise differenzierter, aber so haben es die „zivilisierten“ Monotheisten als „Kinder Gottes“ im Wortsinne verstanden und über die Jahrhunderte in die Realität umgesetzt. Auch hier fällt auf, dass das Bild einer Familie strapaziert wird, aber die Familie besteht nicht mit Mutter Erde einem engen materiellen Verwandten, sondern sie wird mit Hilfe eines weit entfernten väterlichen Geistwesens verkörpert. Jahrtausende war dessen Aufforderung zur Unterjochung der Welt relativ harmlos, weil die Technologie (das „Waffenarsenal“) für große Veränderungen fehlte. Erst die Entwicklung von neuen Technologien in Zusammenarbeit mit der kapitalistischen Wirtschaftsform schuf eine Grundlage, die dazu führt, dass wir über die weitere Entwicklung des Menschen uns ernsthafte Gedanken machen müssen.
Wenn wir also umgangssprachlich von ‚Naturschutz‘ sprechen, müssten wir darunter im Grunde Schutz der Lebensgrundlage des Menschen verstehen. So wird Naturschutz gegenwärtig aber nicht wahrgenommen. Der Naturschutz gilt primär dem Artenschutz und relativ kleinräumigen Biotopen. Die „Natur“ als Lebensgrundlage ist den meisten Menschen nicht im Bewusstsein und löst keinen Schutzreflex aus. Natürlich freuen wir uns, wenn wir den Gesang eines Vogels (noch) wahrnehmen können, aber das geschieht i.d.R. nicht selbstlos. Der Gedanke, dass die ‚Natur‘ ausschließlich zur Befriedigung unserer ökonomischen oder individuellen Bedürfnisse besteht, hat sich in die Köpfe der Menschen tief eingegraben. Wir weisen der sogenannten ‚Natur‘ einen Zweck zu und zementieren die Haltung, die sich aus unserem alten Weltbild entwickelt hat. Die Vorstellung, dass das, was wir Natur nennen, diesen Zweck gar nicht erfüllt, wird gern übersehen. Das Leben will leben, wie es Albert Schweitzer einmal ausgedrückt hat und ist als Leben dem Leben des Menschen nicht hierarchisch untergeordnet. Diese Herabsetzung des nichtmenschlichen Lebens ist nicht sinnvoll zu begründen. Wir haben die Fähigkeit verloren, mit allem Leben auf Augenhöhe zu kommunizieren und das gesamte „Bild“ zu sehen und daraus zu lernen.
Selbst die Tatsache, dass wir von der Natur leben (was viele vergessen, weil der Strom aus der Steckdose kommt und die Pizza von „Aldi“) kann diese Aussage nicht einschränken. Die Natur kennt Fressen und Gefressen werden, kennt auch Kooperation und Wettbewerb. Aber das Leben, das wir oft leichtfertig zerstören, um unsere Bedürfnisse zu befriedigen, sollte uns Respekt abfordern, der sich im Umgang mit dem Leben ausdrückt. Unsere Ernährung besteht nicht aus Proteinen, Kohlenhydraten und Ballaststoffen. Sie besteht primär aus der Zerstörung von anderem Leben. Keine Pflanze, kein Tier hat im Rahmen der Evolution den alleinigen Zweck der menschlichen Nahrung zu dienen.
Wir müssen uns über eins klar werden: Nicht die Natur oder was wir darunter verstehen wollen, droht kaputt zu gehen. Die Natur gewinnt letztlich immer, denn sie hat unendlich viel Zeit. Wir, die Menschen, sind das fragile Moment in dem System. Wir benötigen, um unser relativ kurzes Leben zu fristen, ein bestimmtes Umfeld und wenn wir die Elastizität des Systems Erde überdehnen, wird die Spezies Mensch einfach verschwinden, jedoch nicht „Mutter Erde“ (um den mythologischen Begriff nochmals aufzugreifen): Sie wird sich noch viele Millionen Jahre einfach weiterdrehen. Mit anderen Worten: richtig verstandene Erhaltung unserer Umwelt dient letztlich der Erhaltung des Menschen als Art oder Gattung!
Uns will als Spezies niemand an den Kragen, außer wir tun es selbst. Wir, die Gattung Mensch, sind der ‚Natur‘ absolut gleichgültig – wir sind nur eine Art von vielen Tausenden. Die ‚Natur‘ bietet uns zwar einen Lebensraum, aber darum kümmern müssen wir uns selber. Die Grenzen der Elastizität unseres Lebensraumes setzen uns auch klare Handlungsgrenzen. Streng genommen ist auch diese Aussage falsch, weil die ‚Natur‘ nichts ‚bietet‘ noch etwas ‚setzt‘. Erst das Netz der Beziehungen setzt wechselseitige Grenzen und unsere altvorderen Artgenossen haben uns in einem Prozess von Kooperation und Konkurrenz auf diesem Planeten in diesem Netz des Lebens einen Platz geschaffen. Heute meinen wir, dass wir mehr beanspruchen dürfen als uns möglicherweise zusteht. Wir verheizen gegenwärtig die Zukunft unserer Enkel. Wir glauben, herrschen zu können ohne die Netze des Lebens und deren Nachhaltigkeitsgrenzen beachten zu müssen. Wir verstehen sie vielfach nicht einmal. Das könnte sich auf längere Sicht als fataler Irrglaube erweisen.
» weniger zeigen