Was ist bloß los mit der Ökonomie?

Catherine Hoffmanns Artikel (SZ, 14.10.2016) bietet wenig Ansatz zur Kritik. Er bewegt sich strikt auf theoretisch–vergleichender Ebene, in dem sie die verschiedenen Theorieansätze gegeneinanderstellt, ohne ihre Umsetzungschancen so  recht zu gewichten. Das eigentliche, aber nicht angesprochene Problem ist doch die Tatsache, dass das kleine schwache Pflänzchen der Heterodoxie gegen den Mainstream der gegenwärtigen Ökonomie nicht ‚anstinken‘ noch politischen Einfluss gewinnen kann.

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Es gilt in der Ökonomie schon lange nicht mehr das bessere Argument, sondern die höhere Medienpräsenz. Es ist nachvollziehbar, dass dauernde Kritik auch den verbohrtesten Mainstream-Ökonomen irgendwann berührt, aber falsche (oder zumindest unvollständige) Theorien sterben immer erst mit ihren Protagonisten. Und diese Protagonisten haben sich gegenwärtig durch ihren gewaltigen Einfluss auf die herrschenden Ökonomieverhältnisse weitgehend gegen jegliche Einwände immun gemacht.

Hinzu kommt, dass die Institutionen und deren Vertreter, die die Ökonomie heute im Alltag konkret umsetzen, noch von einem Lehrbuchwissen vor etwa 20-30 Jahren leben, gepaart mit den einprägsamen, aber weitgehend falschen Versprechungen des Neoliberalismus, die ihnen jeden Tag durch zahllose Lobbyeinrichtungen auf ihrem jeweiligen Handlungsumfeld ins Ohr geflüstert werden. Es ist anzunehmen, dass eine Mehrheit dieser Ökonomen den Stand der Ökonomie repräsentiert, den sie mit Ende ihres Studiums zur Kenntnis genommen hatte. Für eine andere Sichtweise ist in den gewinnorientierten Gehirnen kein Platz mehr, denn ihre Zeit der Aufnahmefähigkeit von neuer Erkenntnis haben sie gedanklich abgeschlossen. Aber nicht, weil sie ‚verblödet‘ wären, sondern weil das Umfeld, indem sie zwischenzeitlich tätig sind, solche grundsätzlichen Gedanken zeitlich nicht mehr zulässt bzw. sogar mit Karriererücksetzungen bedroht.

Wenden Sie doch bitte einmal das wesentliche Grundprinzip der kapitalistischen Ökonomie auf die Teilnehmer des Ökonomie-Spiels selber an: Der orthodoxe Ökonom muss feststellen, er vertritt möglicherweise eine falsche Theorie, aber erstens stimmt seine persönliche „Kasse“ und zweitens vertrauen die Leute ihm unverändert. Was ist sein Risiko, diese Position zu verschlechtern? Dass morgen jemand auftaucht und strikt nachweisen kann, dass das, was er und andere vorgeben zu wissen, auf Annahmen beruht, die nicht zielführend oder möglicherwiese sogar falsch sind? Das ist höchst unwahrscheinlich. Und dann bleibt immer noch die Möglichkeit einer langatmigen Rückwärtsverteidigung (siehe den Fall Piketty und die Reaktionen des Mainstream), für die aber keiner Interesse zeigen wird, weil sie auf einem fachlich zu hohen Niveau stattfindet. Das sind dann die einsamen Rufer in der Wüste.

Die wichtige Frage, ob diese Einstellung ethisch richtig und/oder gesellschaftlich-wissenschaftlich vertretbar ist, dem Gedanken einer offenen Gesellschaft entspricht , kennt der Ökonom als solcher nicht, weil die Ökonomie zu dieser Fragestellung keine Aussagen trifft. Man sagt auch, sie sei (zumindest auf diesem Auge) blind.

Das einzige, was der Mainstream fürchten muss, sind Wirtschaftskrisen, die wie die Finanzkrise 2008 gnadenlos deutlich machen, dass die wissenschaftliche Ökonomie bis auf wenige Ausnahmen schlichtweg versagt hat. Aber auch das ist vom Risikogesichtspunkt her zu ertragen, weil sich die „Schande“ auf viele Schultern verteilt und damit nicht so weh tut. Leider zieht die Gesellschaft daraus regelmäßig keine Konsequenzen, um diese Ökonomen dahin zu schubsen, wo sie kein Unheil mehr anrichten können. Stattdessen ducken sich die Herren für ein paar Monate, tauchen dann auf wie Phönix aus der Asche, schütteln sich kurz und dürfen weitermachen, als ob nichts geschehen wäre (siehe Banken, Gutachter u.ä.).

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