Wann wird man je verstehen….?

Friday for Future als auch die Generationen Stiftung werfen uns als Gesellschaft vor, wir hätten seit fast 50 Jahren (seit dem Club of Rome) Kenntnis über die verheerende Wirkung unserer Wirtschafts- und Lebensweise gehabt. Das hat mich veranlasst, noch einmal in Ausschnitten in einem populärwissenschaftlichen Bestseller aus dem Jahre 1982 nachzulesen und muss leider feststellen, der Vorwurf ist absolut berechtigt.

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Der studierte Physiker und heutige Ökologe Fritjof Capra brachte 1982 seine fünfhundertseitige „Wendezeit – Bausteine für ein neues Weltbild“ heraus. Das Buch wurde in deutscher Sprache 1983 in 5. Auflage vorgestellt und wird heute noch in einer Ausgabe aus 2016 verkauft. Die Vereinnahmung des Buches im Rahmen der New Age Bewegung ist mir nicht so recht nachvollziehbar.

In seinem Buch wird im Analyseteil nicht nur eine vehemente Kritik der Wirtschaftswissenschaften (S. 203ff), sondern auch die verhängnisvollen Folgen des unbegrenzten Wachstums beschrieben. Damals galt Capra für viele als Paradiesvogel, heute müssen wir feststellen, dass seine Kritik ins Schwarze getroffen hat. Im Folgenden zitiere ich einige Absätze, beginnend mit Seite 234:

Der größte Teil des wirtschaftlichen Denkens unserer Zeit (1982!) beruht auf der Idee des undifferenzierten Wachstums. Auf dem Gedanken, dass Wachstum hinderlich, ungesund oder krankhaft sein kann, kommt man gar nicht. Wir brauchen daher dringend eine Differenzierung und Qualifizierung des Wachstumsbegriffs. Wachstum muss von der übermäßigen Produktion und vom übertriebenen Konsum im privaten Bereich in die Bereiche der öffentlichen Dienstleistungen kanalisiert werden, (…).

In den meisten Industriegesellschaften gibt es drei eng zusammenhängende Dimensionen des Wachstums – wirtschaftlich, technologisch und institutionell. Andauerndes wirtschaftliches Wachstum wird praktisch von allen Volkswirten als Dogma akzeptiert. Mit Keynes sind sie des Glaubens, das wäre der einzige Weg sicherzustellen, dass der materielle Reichtum zu den Armen durchsickert. Dabei ist schon lange nachgewiesen, wie unrealistisch dieses Wachstumsmodell des „Durchsickerns“ ist. Denn hohe Wachstumsraten tragen nicht nur wenig zur Linderung der dringenden sozialen und menschlichen Probleme bei; in vielen Ländern werden sie von wachsender Arbeitslosigkeit und allgemeiner Verschlechterung der sozialen Verhältnisse begleitet.

(…) Die Unternehmen geben unglaublich viel Geld für Werbung aus, um das gegenwärtige Konsummodell aufrecht zu erhalten. Viele der auf diese Weise konsumierten Waren sind unnötig, verschwenderisch und oft direkt schädlich. Der Preis, den wir für diese exzessive kulturelle Angewohnheit zahlen, besteht in der stetigen Verschlechterung der wirklichen Lebensqualität – der Luft, die wir atmen, der Nahrung, die wir essen, der Umwelt, in der wir leben und der gesellschaftlichen Beziehungen, die das Gewebe unseres Lebens bilden. Diese Kosten eines verschwenderischen Überkonsums wurden schon vor mehreren Jahrzehnten gut dokumentiert und sind seither noch gestiegen.

Die ernsteste Konsequenz des anhaltenden Wirtschaftswachstums ist die Erschöpfung der Bodenschätze unseres Planeten. Das Tempo dieser Ausbeutung wurde schon in den frühen fünfziger Jahren mit mathematischer Genauigkeit von dem Geologen M. King Hubbert vorausgesagt, (…). Inzwischen  hat die Geschichte Hubberts Voraussagen bis in die letzten Einzelheiten bestätigt, (…).

Um eine schnelle Erschöpfung unserer Rohstoffe  zu verlangsamen, müssen wir nicht nur die Idee anhaltenden wirtschaftlichen Wachstums aufgeben, sondern auch den weltweiten Bevölkerungszuwachs unter Kontrollen bringen. (…) Die Vorschläge reichen da von Erziehung und freiwilliger Familienplanung bis zum Zwang durch gesetzliche Mittel oder brutale Gewalt. Die meisten dieser Vorschläge sehen das Problem als rein biologisches Phänomen, das nur mit Fruchtbarkeit und Empfängnisverhütung zu tun hat. Die Demographen in aller Welt haben jedoch inzwischen schlüssige Beweise dafür zusammengetragen, dass das Bevölkerungswachstum ebenso sehr, wenn nicht mehr, von mächtigen sozialen Faktoren beeinflusst wird. Nach diesen Forschungsergebnissen wird die Zuwachsrate von einem komplexen Zusammenspiel biologischer, sozialer und psychologischer Kräfte  beeinflusst. (…) Indem (..) die Besserung der Lebensbedingungen immer weitere Fortschritte machte und die Sterberate fiel, begann auch die Geburtenrate zu sinken, womit das Bevölkerungswachstum zurückging. (…) Der wirksamste Weg zur Kontrolle des Bevölkerungswachstums wäre, den Völkern der Dritten Welt zu einem Lebensstandard zu verhelfen, das sie dazu bringt, ihre Fruchtbarkeit freiwillig zu begrenzen. Das würde eine globale Umverteilung des Wohlstands erfordern. (…)

In unserer Kultur ist wirtschaftliches Wachstum untrennbar mit technologischem Wachstum verbunden. Individuen und Institutionen werden hypnotisiert von den Wundern der modernen Technologie und werden dadurch zu dem Glauben verleitet, für jedes Problem gebe es eine technologische Lösung. Ob es sich um ein politisches, psychologisches oder ökologisches Problem handelt – die erste Reaktion, fast automatisch, ist, seine Lösung durch irgendeine neue Technologie finden zu wollen. Der Vergeudung von Energie begegnet man mit Kernkraft (1982!), fehlende politische Einsicht wird ausgeglichen durch den Bau von noch mehr Raketen oder Bomben, und die Vergiftung unser natürlichen Umwelt hilft man ab durch Entwicklung spezieller Technologien, die ihrerseits die Umwelt in einer Weise beeinflussen, von der wir noch nicht wissen, welche Auswirkungen sie schließlich haben wird. Bei der Suche nach technologischen Lösungen für alle Probleme schieben wir diese gewöhnlich in unserem Ökosystem hin und her, und sehr oft sind die Nebenwirkungen der „Lösung“ schädlicher als das ursprüngliche Problem.“

Das mag genügen, um zu erkennen, dass wir in den letzten Jahrzehnten uns nur im Kreis gedreht haben – Capra sagte 1982, was Sache ist, aber wir sind einer Lösung nicht einen Schritt näher gekommen. Also ist die Tatsache, dass der jüngeren Generation allmählich der Kragen platzt, durchaus verständlich. Man muss sie unterstützen, denn es muss sich etwas ändern, wenn es gut werden soll.

Die Fußnoten zu Capra’s Ausführungen habe ich mir erlaubt wegzulassen. Jede der Aussagen von Capra ist mit zahlreichen Hinweisen weiterführender Literatur versehen.

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