Von der Krise her denken!

In der Krise gewinnt man Erkenntnisse, für die in „guten Zeiten“ keine Zeit übrig bleibt. Wenn Corona eine Krise darstellt (und viele nehmen es so wahr), dann ist jetzt die „richtige Zeit“ sich über ein paar einfache Zusammenhänge klar zu werden. Krisen sind unvermeidbar, egal wie hart sie den Einzelnen treffen. Sie sind unvermeidbar, weil wir im Alltagsleben so tun als gäbe es nur Fortschritt, der in so etwas wie „Schneller, weiter, höher“ seinen allgegenwärtigen Ausdruck findet. Wenn das dann nicht mehr klappt, dann gilt der Rückschlag sofort als Krise.

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Die extrem optimistische Fortschritts-Haltung ist im Grund nicht nachvollziehbar, weil nichts in dieser Welt fortwährend wächst. Sogar die Bäume stellen ihr Längenwachstum irgendwann ein, weil die Versorgung eines zu hohen Baumes zu viel Energie kostet und keine weiteren Standortvorteile mehr bringt. Nur die Ökonomen glauben es besser zu wissen und machen aus dem „Schneller, weiter, höher“ ein quasi-religiöses Dogma. Wenn dann doch ein Rückschlag als „schwarzer Schwan“ über die ökonomische Gemeinde hereinbricht, muss das eine Geißel des Markt-Gottes sein. Jeder Vernünftige würde sich fragen, ob da nicht der eine oder andere Denkfehler dahinter steckt.

Solange wir es beim Denken belassen, sind uns keine erkennbaren Grenzen gesetzt. Sobald wir glauben, das Gedachte in die Tat umzusetzen, unterliegen wir den physikalischen Gesetzen und damit den Grenzen, die uns das System setzt, in dem wir leben.

Das ist die gängige Argumentationskette unserer Erzählungen zur Ökonomie. Jetzt haben wir aber mit Eintritt des Corona-Virus ein weiteres Problem: Zum Schutz von Menschenleben wurde von der Politik ein Shut-down verfügt! Wesentliche Teile der globalen und der nationalen Wirtschaft ruhen. Neue nationale Entscheidungen fallen am 15. April gegen Abend.

Die Politik hat sich für einen demokratisch verfassten Staat in einem recht kurzen Prozess durchgerungen, den ‚Shut-down‘ zu beschließen. Er wurde ohne das in der Politik übliche Wenn und Aber entschieden und so kommuniziert, dass die Mehrzahl der Bürger der Entscheidung gefolgt ist. Ob die Entscheidungen in allen Punkten richtig und angemessen waren, werden wir erst in einige Jahren beurteilen können. Wir werden dann auch erkennen, was es bedeutet hat, Verfassungsregeln zumindest temporär außer Kraft zu setzen. Dann wird das aber der Schnee von gestern sein und wir haben uns mit der neu entstandenen Situation zu befassen.

Der disruptive Einschnitt, den wir gegenwärtig erleben und den viele Medien tagtäglich als „krisenhaft“ beschreiben, wird vermutlich so grundsätzlich sein, dass wir nach der „Krise“ nicht davon ausgehen können, dass wir wieder auf dem Niveau aufsetzen können, auf dem der „Shut-down“ eingeleitet wurde. Wir kämpfen m.E. mit zwei (voneinander unabhängigen) Problemen: Die Wirtschaftsentwicklung war schon im 2. Halbjahr 2019 rückläufig und die Wirtschaftsrealisten erwarteten einen Einbruch. In dieser Situation hat der Corona-Virus in Europa zusätzliche Maßnahmen ausgelöst, die den erwarteten Konjunktureinbruch möglicherweise zu einer Rezessionserwartung vertieft haben.

In solchen Situationen treten immer die „Meister des öffentlichen Orakels“ in Aktion. Jeder Experte wird gefragt und jeder muss sich in diesen Tagen durch eine intelligente Antwort hervortun – aber über Wissen verfügt keiner, egal wie gespreizt er seine Meinung kund tut. Die Basis fehlt, die gewöhnlich Verwendung findet, um in ruhigen (kontinuierlichen) Zeiten die Entwicklung unter gewissen Voraussetzungen beschreiben zu können. Alle Modelle, die letztlich auf der Annahme der Kontinuität aufgebaut sind, lassen ggfs. Schwankungsbreiten der Variablen zu, aber je stärker die Schwankungsbreite desto unsicherer die Ergebnisse. „Man würde nicht so schnell auf Vorhersagen hereinfallen, wenn man darauf aufmerksam gemacht würde, dass in den semitischen Sprachen Vorhersage und „Prophezeiung“ mit demselben Wort bezeichnet werden.“ (N. N. Taleb)

Die vorliegende Situation ist alles andere als kontinuierlich; sie ist disruptiv und die Verwerfungen sind so tief, dass sich auch die Strukturen des Systems ändern und niemand kann heute vorhersagen, wie sich die künftigen Strukturen aussehen werden.

Die Gutachten sprießen wie Pilze aus dem Boden und werfen mit Zahlen um sich, über die man sich das Lachen verkneifen muss. Keiner traut sich zuzugeben, dass das alles Kaffeesatz-Leserei ist. Denken Sie bitte an die letzten großen Krisen und die vielen Gutachten mit noch mehr Zahlensalat. Am Ende, als wieder eine kontinuierlichere Entwicklung einsetzte, konnte man feststellen: Die Abweichungen in den unterschiedlichen Gutachten waren horrend. Nicht eine Prognose war in der Lage, eine letztlich durch die tatsächliche Entwicklung bestätigte Zahl zu produzieren. Nach der Finanzkrise 2008/2009 hatte es den „Meistern des öffentlichen Orakels“ für wenigstens 90 – 100 Tage die Sprache verschlagen, um dann wieder verschämt aus der Deckung zu kommen. Heute hängen wir wieder an den Lippen der gleichen „Meister“, deren Methodik sich in nichts geändert hat. Warum sollten die Ergebnisse besser bzw. treffsicherer sein? Und die Ausgangssituation ist nicht ein Zusammenbruch im Bankensektor, sondern ein Shut-down der gesamten Wirtschaftstätigkeit. Es gibt hierzu nicht einmal vernünftig verwertbare Erfahrungen.

Lassen Sie sich nicht von den Durchschnittszahlen an der Nase herumführen! Was sagt denn ein Rückgang der Wirtschaftsleistung von 5,7% oder über 10% in Deutschland für Sie oder über ihren Arbeitgeber aus? Was können Sie für Ihre Situation daraus lernen? Nichts, außer Panikmache! Wenn Sie oder ihr Arbeitgeber den Shut-down überstehen, ist viel gewonnen. Wenn Sie oder er den Shut-down aufgrund der Branche oder der Eigenart des Geschäftes sogar gut überstehen, haben Sie so oder so kein Grund zur Klage. Dann ist es Ihnen hoffentlich „wurscht“, ob die Wirtschaftsleistung überhaupt und wenn ja, wieviel eingebrochen ist. Für Sie ist das ein guter Start.

Und auch für jene, die nicht das Glück haben, in der Krise zu gewinnen: Sie sind nicht der Durchschnitt, Sie sind ein Individuum und sie müssen sich mit den konkreten Bedingungen ihrer Situation auseinander setzen. Da helfen Zahlen wie minus 5,7 oder gar minus 10% auch nicht weiter- sie demoralisieren, ohne irgendeinen Lösungsweg aufzuweisen. Also kann es Ihnen auch „wurscht“ sein!

Dabei ist schleierhaft, wie diese Schnapszahlen zu Stande kommen. Wenn nichts mehr geht, dann werden die alten vier Grundrechenarten herangezogen. Die tägliche Wirtschaftsleistung in Deutschland (vor dem Einbruch) wird in Beziehung gesetzt, wieviel Tage der Shut-down dauern soll. Dann kann man einen relevanten Ausfall an Wirtschaftsleistung ermitteln, multipliziert diese Zahl mit einer geschätzten Produktivitätszahl (z.B. 40%, denn der Shut-down fährt ja nicht auf Null) und erhält dann den erwarteten geschätzten Verlust an Wirtschaftsleistung durch den Shut-down. Jetzt wird dieser Verlust zur denkbar möglichen Wirtschaftsleistung in Bezug gesetzt und man erhält eine Prozentzahl, z.B. 5,7% oder ca. 10 % in Abhängigkeit von der Dauer des Shut-downs. Diese Methoden-Darstellung erhebt nicht den Anspruch, die gelieferten Zahlen herzuleiten, sie dienen nur der Demonstration einer Ermittlung, weil wesentlich andere Grundlagen gegenwärtig gar nicht zur Verfügung stehen und die Anwendung von viel Mathematik zwar Eindruck schindet, aber das Ergebnis kaum verbessern kann.

Der vorgestellte „Ansatz“ hat einen viel schlimmeren Fehler: es ist die unhaltbare Annahme, dass in diesem Fall das beliebte „ceteris paribus“ (alles andere bleibt gleich) der Ökonomie gelten könne. Wir sind uns einig, wir haben eine Krise. Wir können also nicht vereinfachend davon ausgehen, dass die Strukturen erhalten bleiben. Die obige Rechnung unterstellt aber implizit die Erwartung, dass wir auf den alten Strukturen aufbauen können. Das ist ein „fehlgeleiteter Optimismus“ und trägt der krisenhaften Entwicklung in keiner Weise Rechnung.

Die disruptive Veränderung führt uns in aller Deutlichkeit vor Augen, dass unsere Wirtschaft es verlernt hat, den Gedanken einer Versorgung der Bevölkerung aufrecht zu erhalten. Das Ziel wirtschaftlichen Handelns ist von alters her in erster Linie die Versorgung. Vieles, was keinen hohen Profit abzuwerfen verspricht, aber für unsere Versorgung unverzichtbar wäre, haben wir aus unserer Perspektive in die globalen Randgebiete verdrängt. Viele Medikamente können wir nicht mehr herstellen, medizinisches Verbrauchsmaterial kommt von weit her, u.v.m. Mit jedem Abschieben von Wirtschaftsleistung in die Globalisierung verlieren wir Know-how und praktische Fähigkeiten, die uns in Krisenfällen vor unlösbare Probleme stellen werden. Profit dient nicht der Versorgung, sondern dient nur der Befriedigung der Gier weniger. Wir müssen schmerzhaft erkennen, dass die gewinnoptimale Verteilung von Krankenhäusern den Konzernen dient, aber eine flächendeckende Versorgung der Menschen dabei verloren geht. Die Kostenbrille ist die sehr einseitige Sicht der Gewinnmaximierung ohne jeden sozialen Auftrag. Eine Grundversorgung hat deshalb nichts in den Händen privater Investoren zu suchen. Grundversorgung ist eine ganz wichtige Aufgabe der öffentlichen Hand, sie aufzugeben kommt auf mittlere Sicht einem politischen Harakiri gleich. Denn die nächste Krise kommt bestimmt!

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Ein Gedanke zu „Von der Krise her denken!

  1. Auf den Punkt gebracht. Danke für diesen Beitrag. Wenn ein Land nicht einmal mehr seine eigenen landwirtschaftlichen Produkte ernten, bzw. notwendige Dinge wie Arzneimittel, Schutzmaterialien, etc. selbst herstellen kann/will, wird das erschreckende Ausmaß unserer gewinnoptimierten „Globalisierung“ sicht- und erlebbar.

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