Folgende Erzählung macht die Runde: Ein Investor kauft ein etwa 40 Jahre altes 19-stöckiges Hochhaus in einer westdeutschen Großstadt mit dem Ziel, es abzureißen und neu (unter dem Schlagwort: modern) aufzubauen. Das klingt für ökonomische Ohren ganz normal, aber ist es das wirklich?
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Der Bau des 19-stöckigen Hochhauses vor rd. 40 Jahren war auf eine Lebensdauer von 100 Jahren ausgelegt und hat dabei lt. Gutachten überschlägig etwa 52.000 t CO2 verursacht. Wirtschaftlich betrachtet ist das Gebäude unabhängig von der geplanten baulichen Lebensdauer steuerlich nach 40 Jahren (mit 2,5% Abschreibung p.a.) abgeschrieben. Das Gebäude steht mit einem Euro in den Büchern des Eigentümers. Es steht nach der halben möglichen Lebensdauer vermutlich eine Generalsanierung an, um das Haus wieder auf einen zeitgemäßen Standard zu bringen. Dabei hat man 40 Jahre lang den Karren erhaltungstechnisch mehr oder weniger laufen lassen und hat der Gewinnmaximierung gehuldigt. Diese Vorgehensweise gilt u.U. unter einer rein wirtschaftlichen Prämisse als begründbar.
Wenn wir uns bewusst von der rein finanzwirtschaftlichen Betrachtungsweise dieses Gebäudes lösen und wir den Maßstab der Bewertung verbreitern, stoßen wir aus mehr ganzheitlicher Betrachtung schnell auf Ungereimtheiten. Beim Bau vor 40 Jahren wurden 52.000 t CO2 im Wesentlichen durch die Zementproduktion freigesetzt. Diese Last hat nach damaligem Verständnis die Gesellschaft als unvermeidlich akzeptiert unter der Prämisse, dass das Gebäude auch etwa 100 Jahre genutzt werden kann. Diese Prämisse wird durch den geplanten Abbruch des 40 Jahre alten Gebäudes aufgehoben. 31.200 t CO2 (= 60%) wurden einer fragwürdigen wirtschaftlichen Betrachtungsweise „geopfert“.
Da der Investor einen Neubau vergleichbarer Größe plant, dürfen wir durchaus davon ausgehen, dass wiederum ca. 52.000 t CO2 entstehen. Ob dann dieser Bau immer noch unter der Prämisse einer Nutzungsdauer von 100 Jahren erstellt wird, erscheint angesichts der verwendeten Materialien und dem angeblichen technischen Fortschritt sehr fraglich. Der Neubau hat dann eine CO2-Last von etwa 83.000 t CO2. Es wäre also umso wichtiger, die 100 Jahre künftig auch weitgehend auszuschöpfen.
Was bedeutet das? CO2 wird aufgrund des Zertifikatehandels zunehmend aus der externalen Ecke der Ökonomie in den Fokus gestellt. Gegenwärtig ist der Preis noch niedrig und ist kaum spürbar. Wir müssen aber davon ausgehen, dass der Preis über die Lebensdauer des Gebäudes gewaltig steigen wird: Gehen wir der einfacheren Rechnung halber im Mittel von 200 Euro pro t CO2 aus, so entstehen durch den vorzeitigen vorgenommenen Abbruch und durch den (dadurch zwangsläufig ausgelösten) Neubau etwa Zusatzkosten in der Größe von 16,6 Mio. Euro, die in der Kalkulation des Investors nirgendwo auftauchen, weil dieses Problem der Gemeinschaft übertragen wird.
Wir stellen dabei fest, dass die wirtschaftliche Maxime des Investors mit der gesamtwirtschaftlichen (gesellschaftlichen) Maxime kollidiert. Die Gesellschaft hat erkannt, dass der CO2-Ausstoß reduziert werden sollte und große Teile unserer CO2-Produktion entfallen dabei auf die Bau- und Bauzulieferbranche. Der Investor beruft sich auf die angebliche wirtschaftliche Rationalität und arbeitet mit jeder Faser seines wirtschaftlichen Handelns dagegen. Das nennt man auch die Tyrannei der kleinen Entscheidungen, die laufend die gesamtwirtschaftlich sinnvollen und notwendigen Entscheidungen egoistisch unterlaufen.
Lässt sich das Problem auch anders lösen? Der Investor verzichtet z.B. auf einen Abriss und entscheidet sich für eine Generalsanierung. Wir haben unverändert den CO2 – Anteil, der auf die künftigen 60 Jahre entfällt und rechnen bei der Generalsanierung mit einem zusätzlichen CO2-Verbrauch, der – geschätzt – bei einem Drittel der Kosten eines Neubaus liegen würde: 31.200 t + (52.000/3) t = rd. 48.530 t CO2 statt 83.000 t CO2. Die Einsparung auf Basis der CO2 – Betrachtung beliefe sich bei gleichem Preis auf 6,9 Mio. Euro.
Und vergessen wir nicht: Neben der CO2-Belastung entfällt auch teilweise die Entsorgung des Betons als Sondermüll, die Trennung von Beton und Stahlarmierung, die Zerkleinerung zu Beton-Schüttgut und weitere Maßnahmen, die sich aus die Erhaltung des Altbaus kostenreduzierend auswirken.
Ergänzend kann man anführen, dass Sand und Kies inzwischen zu recht knappen Gütern geworden sind. Ökonomisch merkt man das noch nicht, aber die Ressource Sand und Kies wird stärker ausgebeutet, als sie sich über die Jahrtausende bildet. Der „Peak Sand u. Kies“ ist überschritten. Wenn wir anfangen müssen, Sand und Kies, statt durch die Natur kostenfrei zur Verfügung gestellt zu bekommen, durch Technik herstellen zu müssen, dann wird diese Entwicklung dem Bauen mit Beton die wirtschaftliche Grundlage entziehen.
Es zeigt sich in einfachen Worten: Wenn man das wirtschaftliche Kalkül sinnvoll erweitert, werden die so selbstsicher daher kommenden finanzwirtschaftlichen Entscheidungen überaus fragwürdig. Der dabei ausgewiesene individuelle kurzfristige Erfolg dieser Maßnahmen wird privatisiert und die langfristigen externen Kosten der Allgemeinheit auferlegt. Und das muss sich ändern!
Das Ziel muss sein, die für ein Objekt aufgewendete Menge an CO2 so sinnvoll als möglich zu nutzen. Dabei muss die Sanierungsalternative grundsätzlich Vorrang vor der Möglichkeit eines Abrisses haben. Ein Abriss des Objektes muss sich nicht nur finanzwirtschaftlich rechnen. Die Vorteilhaftigkeit eines Abrisses muss auch nach einem (ökologisch) breiter angelegten Maßstab nachgewiesen werden.
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