Verantwortungseigentum – eine Wende im politischen Diskurs?

Das Wort ‚Verantwortungseigentum‘ verbindet zwei ideologiebeladene Begriffe: einmal das Eigentum, das nahezu uneingeschränkt Grundlage unserer Wirtschaftsweise ist und zum anderen den Begriff der Verantwortung, dessen Definition und Inhalt deshalb fragwürdig ist, weil jeder darunter etwas anderes versteht oder verstehen will. Die Aussage „Verantwortungseigentum“ weist den Leser auch sofort auf seinen Gegenspieler: Es müssen offensichtlich und nicht nur vereinzelt verantwortungslose Eigentumsverwendungen existieren, sonst macht die Wortschöpfung keinen Sinn. Da sie politisch einigen Wirbel ausgelöst hat, scheint man damit einen wunden Punkt getroffen zu haben.

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Es geht mir im Folgenden nicht um die rechtstechnische Seite, die den Begriff Verantwortungseigentum in einem Gesetzesentwurf zur „GmbH mit gebundenem Vermögen“ konkretisiert hat. Die Initiatoren hatten eine Stiftung Verantwortungseigentum gegründet und sind im Jahr 2020 mit einem ersten, von Fachleuten entwickelten, Gesetzesentwurf an die Öffentlichkeit getreten. Die Medien haben diesen Vorgang aber kaum aufgegriffen. Die inhaltlichen Diskussionen haben dann im Mai 2021 zu einer überarbeiteten Version des Entwurfes geführt, die im Internet verfügbar ist. Der neue Entwurf hat möglicherweise wegen des Wahlkampfes die nötige mediale Beachtung gefunden.

Für mich als Beobachter der Wirtschaftsszene ist es viel überraschender, feststellen zu können, dass plötzlich (wieder) Begriffe erfolgreich zur Diskussion gestellt werden, die leider Jahrzehnte durch komplett andere Vorstellungen überdeckt waren:

Eigentum ist und war die „heilige Kuh“ des Kapitalismus. Kapitalismus ohne das Rechtsinstitut des Eigentums ist m.E. nicht denkbar. Zwar sagt unsere Verfassung in Art. 14,II GG, dass „Eigentum verpflichtet und sein Gebrauch zugleich dem Wohle der Allgemeinheit dienen (soll)“, aber unsere reale, dem Kapitalismus zugewandte Wirtschaftsauffassung hat diesen Gesetzesauftrag in den letzten Jahrzehnten gerne und leichtfüßig übergangen. Jede Einschränkung des Eigentumsgedanken wurde weit von sich gewiesen. Mit Eigentum als Ausdruck einer absoluten Herrschaft über Dinge kann jeder verfahren, wie es ihm beliebt; auch zum Nachteil der Allgemeinheit, denn es bräuchte eine gewichtige Institution, die aufsteht und sich traut, vor dem Verfassungsgericht gegen den Missbrauch der ‚geheiligten‘ Eigentumsrechte zu klagen. Der Wortlaut des Grundgesetzes ist so allgemein gefasst, dass eine juristisch notwendige Präzision schwerfällt. Ich kenne keinen Fall, bei dem das Verfassungsgericht auf der Sozialbindungsnorm des Art. 14, II GG Eigentumsverwendungen nachhaltig eingeschränkt hätte.

Verantwortung, so meint man, sei eigentlich ein Wort aus einer fernen Vergangenheit. Das Merkwürdige ist, dass das Wort im 20-bändigen Meyers Konversationslexikon von 1921 keine Erwähnung findet. Auch im dreibändigen Dudenlexikon aus den 1970er Jahren findet sich hierzu kein Hinweis. Die englische Sprache kennt nur das Wort „responsibility“ (Verantwortlichkeit, Haftung). Erst in der deutschen Wikipedia taucht das Wort Verantwortung auf und die Erklärungen hierzu sind so schwurbelig (Zugriff Mai 2021), dass man nach dem Lesen mehr Fragen hat als vorher. (bei einem erneuten Zugriff am 30.9. erschien ein neuer Artikel)

Könnte es sein, dass dieses oft benutzte ‚gewichtige‘ Wort „Verantwortung“ gar keinen Inhalt hat? Was meint man denn mit Verantwortung? Man meint vermutlich den Sachverhalt, den das Wort „Verantwortlichkeit“ erschöpfend umschreibt! Man sagt gerne, dass er oder sie Verantwortung hat oder trägt. Aber was hat oder trägt man konkret? Kenner des Zen würden empfehlen: Wenn du Verantwortung trägst, dass stell sie bitte vor mir ab. Das führt den Begriff ins Absurde oder ins Leere und da gehört er m.E. auch hin.

Dann bleibt als Konkretisierung der Verantwortung nur Verantwortlichkeit. Und dieser Begriff findet sich dann sowohl bei Meyers‘ als auch im Dudenlexikon. Offensichtlich bewegen wir uns dann wieder auf ‚festem‘ Grund. Und Verantwortlichkeit ist schlicht Zurechenbarkeit. Wenn jemand eine Aufgabe übernimmt, dann wird er verantwortlich gemacht. Und wenn es fair geschieht, weiß er, wem er verantwortlich ist, wo seine Verantwortlichkeit sachlich beginnt und wo sie endet. Und in der Aussage ist auch die Erwartung enthalten, dass der Verantwortliche weiß, für was er verantwortlich ist. Und über dem Ganzen schwebt die Tatsache, dass man für Fehlverhalten ggfs. auch verantwortlich gemacht werden kann.

Was ist daran neu oder anders als bisher? Eigentum verpflichtet – sagt Art 14, II GG, mit Eigentum ist eine Verpflichtung oder sagen wir eine Verantwortlichkeit verbunden, die sich aus dem Wohl der Allgemeinheit ableiten lässt. Die Sache darf ich nicht einfach nur egoistisch als mein Eigentum ansehen und damit verfahren, wie ich will, sondern muss neuerdings anerkennen, dass Eigentum eine Klasse für sich ist, dass es eine Sache ist, deren Wert auch darin besteht, dass es möglichst lange bestehen bzw. erhalten bleiben soll. Es soll nicht Spielball kurzfristig wechselnder Interessen sein. Die Dauerhaftigkeit ist ein gewichtiger Teil der Nachhaltigkeit.

Wie war das bisher? Bei der Frage nach der Verantwortlichkeit wurde im ökonomischen Denken und Handeln auf den „Markt“ und auf die Devise der „kurzfristigen Gewinnmaximierung“ verwiesen. Das Handeln erfolgt marktrational und ist damit auf Kurzfristigkeit, einfachster Logik und völliger Verantwortungslosigkeit gegenüber den Marktteilnehmern aufgebaut. Ein marktlogisches Handeln kümmert sich nicht um die eventuell dysfunktionalen Folgen des momentan durch die Marktlogik hervorgebrachten Handelns. Solange der Handelnde sein Verhalten der Marktideologie unterwirft, ist er alle Verantwortlichkeit los. Solange er systematisch die kurzfristige Gewinnmaximierung verfolgte, wurde ihm signalisiert, du bist auf der richtigen Spur. Solange du einseitig den „shareholder‘s value“ für deine Aktionäre zur Richtschnur deines Handelns machst, bist du der ‚Held des Tages‘. Auf die Idee, dass dieses neoliberale Handlungsmuster u.U. verantwortungslos sein könnte, wären die Personen nie gekommen, es sei denn, sie hätten immer schon Zweifel an der Marktideologie gehabt. Aber man kommt i.d.R. nicht in die oberen Etagen der Wirtschaft, wenn man an dem Sinn seines wirtschaftlichen Handelns zweifelt. Dafür sorgt schon der Wettbewerb unter den vielen Kandidaten, die das gleiche Ziel verfolgen. Nachdenklichkeit ist im täglichen Wirtschaftsleben kein Erfolgsfaktor.

Das neue Konzept soll in erster Linie für den Mittelstand gelten, weil es für die börsenorientierte Finanzwirtschaft noch nicht denkbar ist. Die gegenwärtige Struktur der Finanzwirtschaft ist, so könnte man meinen, das glatte Gegenteil, weil die neue Gesellschaftsform der GmbH die Fungibilität von Gesellschaften einerseits und von Gesellschaftsanteilen andererseits grundsätzlich einschränkt bzw. darauf zielt, einen Handel mit Anteilen weitgehend zu unterbinden. Die neue Gesellschaftsform weist u.a. folgende Eigenschaften aus:

  • Anteile können nicht frei vererbt werden, sondern die Weitergabe benötigt die Zustimmung  der anderen Gesellschafter;
  • Im Grundsatz gilt: es können nur natürliche Personen Gesellschafter werden.
  • Wenn man als Gesellschafter ausscheidet, bekommt man so viel heraus, wie man ursprünglich als Einlage gezahlt hat, ähnlich wie bei Genossenschaften.
  • Gewinne werden reinvestiert oder gespendet, nicht ausgeschüttet. Wird die Gesellschaft aufgelöst, wird das Kapital gespendet oder geht an andere Gesellschaften des neuen Modells.
  • Investments sind weiter möglich, aber (nur) als Verträge. Investoren werden nicht primär Gesellschafter, sondern können sich nur schuldrechtlich oder vertraglich beteiligen über Genussrechte oder Nachrangdarlehen. Damit gilt auch: sie können (oder müssen, VF) irgendwann wieder aussteigen. (Übernahmen durch „Heuschrecken“ sind ausgeschlossen).
  • Gewinnabhängige Investmentvergütungen sind begrenzt und die Marktüblichkeit muss sichergestellt sein. Das Unternehmen darf nicht über Finanzierungsinstrumente oder Vertragskonstruktionen ausgenommen werden.
  • Gleiches gilt für Gehälter von Geschäftsführern oder Anreizprogramme. Sie müssen einem Drittvergleich standhalten[1].

Wer sich damit detaillierter auseinandersetzen will, kann im Internet die Stiftungsseite (https://stiftung-verantwortungseigentum.de/) aufrufen. Dort sind auch alle Gesetzesentwürfe erfasst und ausreichend kommentiert.

Für mich als Beobachter ist entscheidend, dass sich offensichtlich eine beachtliche Zahl von wirtschaftlich Interessierten durch diese neue auf Verantwortlichkeit gerichtete Sicht auf die Wirtschaft angesprochen fühlen. Eine Allensbach-Umfrage kommt zu dem Ergebnis, dass 72% der mittelständischen Familienunternehmen diese neue Rechtsform befürworten. Das ist für mich ein konkret gefasster Anfang zur Transformation unserer Wirtschaftsweise zu mehr Nachhaltigkeit. Aber zugegeben, es ist noch ein weiter Weg!

Klimawandel oder besser Klimakrise ist ein Thema, das lt. Medienberichten die Union gerne aus dem Wahlkampf heraushalten will. Es hat mir aber den Anschein, dass genau das Thema den Wahlkampf und insbesondere seinen Ausgang bestimmen wird. Wie das dann aussehen kann, haben wir an den jüngsten, wenig qualifizierten Äußerungen von Friedrich Merz erleben können. Es wird wohl eine ziemlich schmutzige Schlacht mit offenem Ausgang und vielen persönlichen Beschädigungen auf allen Seiten. Dabei wäre es viel sinnvoller, nach vorne zu blicken und problemorientiert zu handeln.

Wir leben gerade (Mai 2021) in einer Zeit des beginnenden Wahlkampfs und es wird nach wenigen Äußerungen der politischen „Granden“ offensichtlich, dass sich schon jetzt mindestens zwei gegensätzliche Lager „eingraben“: Die Grünen und die SPD sind angetan und fühlen sich durch das Konzept in ihrem Handeln bestätigt und die Union und die FDP wursteln lieber weiter wie bisher und warten auf die große Erleuchtung, wenn ihr Wahlkampfprogramm dann irgendwann herauskommt.


[1] Vgl. SZ vom 05.05.2021, S. 9

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