USA und Brexit: Ich würde es gerne besser verstehen wollen….

Es gibt eine Reihe von Politiker, die scheinen aus der Zeit gefallen zu sein. Für mich gilt das für Donald Trump und Boris Johnson. Für beide Gestalten kann ich wenig Sympathie entwickeln und das ist schon sehr positiv ausgedrückt. Es gibt noch mehr von dieser Sorte: Herrn Orban in Ungarn, Herrn Kaczynski in Polen, um nur die anzusprechen, bei denen wir noch von demokratischen Systemen sprechen können.

» weiterlesen

Ich sehe deren Agieren und stehe fassungslos davor, dass diese Leute offensichtlich über eine Anhängerschaft verfügen, die diese Eskapaden entweder dulden oder sogar für gut befinden. Sollte ich hier auf einem völlig falschen Informationsstand sein?

Man könnte jetzt den Weg des Mainstreams gehen und die betreffenden Politiker als Harlekine mit psychischen Defekten darstellen und im Grunde versuchen, deren Persönlichkeit im öffentlichen Licht zu demontieren. Was nützt das, wenn die SZ wöchentlich versucht die Person Trump oder auch Johnson als „Idioten“ darzustellen. Diese Leute sind gewählt und die Frage muss doch heißen, was bewegt große Teile der amerikanischen Bevölkerung bzw. der britischen Wählerschaft, solche Typen und deren offensichtlich merkwürdiges Verhältnis zur Wahrheit zu unterstützen. Oder fehlt es da an wichtigen Informationen?

Ich habe vor vielen Jahren einige Monate in USA gelebt und ich hatte später beruflich viel mit Briten zu tun. Aufgrund dieser durchaus positiven Erfahrung beobachte ich das „Spiel“ in USA und Großbritannien mit großen Zweifeln, ob mein Bild von USA und von GB noch stimmt, je gestimmt hat und ich frage mich, was sich offensichtlich damals meinem Blick entzogen hat? Die politischen Hampelmänner werden am Ende Episode sein, aber was sie aus der ‚Büchse der Pandora‘ entweichen ließen, wird die nachfolgenden Generationen noch lange beschäftigen.

Wenn man Trumps Vorgehensweise verstehen will, muss man m.E. erkennen, dass Trump in den USA ganz gezielt jene Amerikaner anspricht, die sich noch nie für Politik interessiert haben. Offensichtlich gibt es in den USA so etwas wie eine Dreiteilung der Gesellschaft: die Geldelite, einen sogenannten Mittelstand und eine große Zahl von Menschen, deren täglicher Kampf ums Überleben weder eine sinnvolle Ausbildung noch eine Fortbildung zugelassen haben. Letztere kamen in den vergangenen Legislaturperioden aufgrund ihrer Unauffälligkeit in der politischen Wahrnehmung überhaupt nicht vor. Die Teilung des Landes in Geldelite und Mittelstand einerseits und dem Rest andererseits könnte auch die Sprachlosigkeit und das Verständigungsdefizit erklären. Die einen sind das Amerika, das sich auf der Weltbühne präsentiert und der „Rest“ wurde auch innenpolitisch wie „Rest“ behandelt. Rückblickend muss ich feststellen: ich kam in USA offensichtlich mit dem so definierten „Rest“ nie in Berührung. In unseren Büros in New York in den 80iger Jahren gab es keine schwarzen Funktionsträger, der einzige Schwarze, der regelmäßig auftauchte, war der Schuhputzer. Kontakte zu Nicht-Weißen ergaben sich nicht und ich habe mich offen gestanden auch nicht getraut, hier einen Schritt von mir aus in diese Richtung zu unternehmen.

Nun hat ein Wahlstratege offensichtlich dieses politische Defizit erkannt und Trump als Mitglied der Geldelite hat die Strategie aufgegriffen und sich zu Eigen gemacht. Er wendet sie gnadenlos konsequent an, wobei er keinerlei Empathie vermitteln kann. Er hat seinen sprachlichen Ausdruck umgestellt, seine Wahlkampfreden auf den Horizont seiner neuen Ziel-Wählerschaft ausgerichtet. Er greift damit in einen Stimmentopf, auf den die Demokraten nicht vorbereitet waren und die sich immer noch schwertun, in diesen Kreisen mit ihrer eher elitären Ausdrucksweise Menschen ansprechen zu können.

Um seine Strategie aufgehen lassen zu können, muss Trump den diffusen „Rest“ der Wählerschaft durch hochgradig nationalistische bzw. ggfs. rassistische Parolen hinter sich bringen. Er spaltet damit den „Rest“ auf in „Nichtwähler“ und „Follower“. Die Konsequenz ist eine systematische Vertiefung und Spaltung der Wählerschaft in jene, auf die er sein Interesse richtet, die sich angenommen fühlen und jene eher elitären Kreise, die Trumps Strategie eher abstößt. Für die „Nichtwähler“ interessieren sich jetzt (hoffentlich nicht zu spät) die Demokraten. Viele Republikaner fühlen sich unwohl, müssen aber erkennen, dass diese Strategie gewisse Vorteile für sie und ihren Machterhalt mit sich bringt. Trump zählt zur Geldelite, aber er hat seinen Wahlkampf so aufgebaut, dass dieser Sachverhalt in den Hintergrund tritt. Seine Steuerzickereien machen es deutlich: er ist wirtschaftlich nicht so erfolgreich wie er glauben machen will, aber auch das lässt ihn vermutlich in den Augen seiner Anhänger nur gewinnen. Trump baut seinen Wahlkampf auf einer bewussten und vorsätzlichen Spaltung der amerikanischen Gesellschaft auf. Dabei spielt Wahrheit keine Rolle. Dabei ist nicht so sicher, dass er die amerikanische Gesellschaft nur in zwei Teile zerlegt oder nicht gar komplett paralysiert. Seine „Proud Boys“ warten nur auf ein Zeichen ihres „Meisters“. Demokratie sieht m.E. anders aus. Und was geschieht nach der Wahl? Eine Wahl ist eine Zäsur, aber nicht das Ende der Geschichte!

Boris Johnson, der sich als „Mr. Brexit“ verkauft hat, verfolgt eine etwas andere Strategie, die aber im Ergebnis nicht viel von Trumps Ansatz abweicht. Die britische Gesellschaft ist auch gespalten. Die Jüngeren, die ihre Ausbildung und Entwicklung im Rahmen der EU erlebten, Auslandserfahrung machen konnten, sind, so mein Eindruck, europafreundlich eingestellt. Welche Gesellschaftsschichten konnte Boris Johnson dann mit seinem Brexit (–klamauk) ansprechen? Vermutlich die älteren und insbesondere jene, die noch dem vergangenen Glanz des „Commonwealth“ nachtrauern. Denkbar ist auch die deutlich neoliberalere Haltung vieler Britten, die mit dem kontinentalen Verständnis von Wirtschaftspolitik kollidiert. Man hatte es vielleicht satt parlamentarisch gegen die kontinentale Mehrheit anzukämpfen, wenn man sein Heil im Neoliberalismus sieht.

Die deutschen Medien hämmern auf Johnson ein, aber ich kenne keine ernst zu nehmende Analyse, warum ausgerechnet dieser Mann sich mit seiner Alternative durchgesetzt hat und halten kann. Es muss doch unter den Britten eine nicht zu unterschätzende Gruppe geben, die den Halbwahrheiten und Verdrehungen (hier steht Johnson dem amerikanischen Präsidenten in Nichts nach) Glauben schenken. Und was erwarten sich die Konservativen von der Maßnahme?

Labour scheint bezüglich Brexit auch nicht so richtig in Opposition zu sein, weil auch Labour vermutlich einen nicht unerheblichen Teil jener Briten zu ihren Anhängern zählt, die noch in Erinnerung an die glorreichen Zeiten leben oder das Gefühl pflegen, vom Kontinent gegängelt zu werden.

Glauben die Britten wirklich, dass sie aus der EU herauskommen, die EU-Rosinen mitnehmen dürfen und 26 Staaten der EU schauen zu, wie sie sich das Leben zu Lasten der EU ‚vergolden‘? Ihre Privilegien waren in der kontinentalen EU schon immer umstritten. Die Eigenschaft „to be a member of the EU“ muss doch für die verbleibenden 26 Staaten unverändert Vorteile haben. GB kann doch nicht nach einem Brexit (egal ob und wie verhandelt) weiter für sich in Anspruch nehmen, künftig die Rosinen nutzen zu dürfen und bei den Umlagen der EU dann aber nicht mehr dabei sein zu müssen.

Ohne sich mit exakten Zahlen zu belasten: der Brexit wird die Mitglieder der EU weniger tangieren als Großbritannien selbst – der Ausfall oder die Erschwerung von Handelsbeziehungen (wegen Zöllen u.ä.) treffen die 26 Staaten der EU jeweils nur marginal. Der Ausfall konzentriert sich in Großbritannien auf ein Land und eine Ökonomie und wird dort mit aller Härte durchschlagen. Die Zölle werden das interne Preisniveau schlagartig anheben. Die EU-Staaten können im Rahmen der EU (ohne Zusatzkosten) schnell und relativ leicht Alternativen zu ihren künftig besteuerten Zulieferungen aus GB finden. Wie das in einen britischen Erfolg gedreht werden soll, entzieht sich meinem Vorstellungsvermögen.

Zudem ist das Land Großbritannien kein zentralisiertes Staatsgebilde – Schottland und ggfs. auch Wales, nicht zu vergessen Nordirland, könnten sich die Folgen des Brexit über den Hebel des politischen Wohlverhaltens von London (England) ‚vergolden‘ lassen. Johnsons Politik hat nicht nur den selbst gewählten Gegner EU, sondern unterliegt auch im Innern harten politischen Bedingungen. Meine Sorge ist, dass Johnson das dezidierte Ziel hat, im Rahmen seiner neoliberalen Haltung ein Dumping mit einer absoluten Unterbietung aller sozialen und regulatorischer Maßnahmen zu betreiben. Er hat dabei möglicherweise die Hoffnung, über einen Wettbewerbsvorteil das kontinentale Europa zwingen zu können, die bisher geltenden Regeln zu seinen Gunsten aufzuweichen.

Michel Barnier, der EU-Verhandlungsführer, hat dieses Ziel durch seine strikte und vermutlich harte Verhandlung zu vermeiden versucht. So wie es jetzt aussieht, sind die Erwartungen von GB und der EU aufgrund der Dumping-Gefahr so festgefahren, dass eine Einigung gegenwärtig nicht denkbar erscheint. Für Johnson gibt es als Alternativen nur den harten Brexit oder einen durch seine starken Sprüche frühzeitig zum Ausdruck gebrachte Ablehnung eines für ihn nicht genehmen Verhandlungsergebnisses. Beide Alternativen laufen m. E. zum nationalen Nachteil der Briten.

Johnson braucht eine Begründung für den absehbaren Einbruch des Lebensstandards in Großbritannien und wird ihn als Folge der „unversöhnlichen“ Haltung der EU seinen Wählern präsentieren ohne seine ‚unverschämten‘ Forderungen und völlig überzogenen Erwartungen auch nur mit einem Wort zu erwähnen.

Wenn ich mir vorstelle, dass Johnson eine so weitreichende Entscheidung über das Wohl und Wehe großer Teile der britischen Bevölkerung trifft, wo ist dann der vernehmbare Aufschrei der möglicherweise Benachteiligten? Oder ist das Problem so komplex, dass sich die Briten hier überfordert fühlen? Der Finanzplatz London wird fein rauskommen. Es werden zahllose Regulierungen fallen. Aber was ist mit den anderen Landesteilen? Dort herrschen nach meinen Informationen, die ich über meine ehemaligen britischen Kollegen erhalten konnte, alles andere als ein Boom. In Großbritannien scheinen die Bedürfnisse des Großraums London die Bedürfnisse in den anderen Regionen zu überdecken bzw. zu verdrängen. Wenn sich Großbritannien nur auf den Großraum London beschränken würde, wäre das Vorgehen von Johnson im Rahmen des Brexit nachvollziehbar. Aber das ist nur ein Bruchteil vom Ganzen und auf dem flachen englischen Land gelten andere Regeln als im Großraum London.

Es ist ja nicht mehr lange hin, dann können wir die „Endspiele“ (vielleicht auch ein Chaos) in USA und in GB hautnah beobachten! Vielleicht lernen wir auch etwas daraus! Vielleicht sollte man sich ernsthaft fragen, ob wir, das kontinentale Europa, in der Lage sind,  derartig chaotische Entscheidungsfindungen zu vermeiden?

» weniger zeigen

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert