Unsere Infrastruktur könnte besser sein!

Ohne Corona war schon seit Jahren erkennbar, dass die Politik das Innovative, das Kreative für das Allheilmittel zur Bewältigung der Zukunft hält. Die Strategie hat zudem den Vorteil, dass vom Glanz des Innovativen und Kreativen immer auch ein Teil für die Politik abfällt. Wer sich nicht für das innovative Segment stark macht, hat politisch schon vor dem Start verloren.

» weiterlesen


Nun ist das Verhängnisvolle, dass alle (oder doch die meisten) Innovationen, wenn sie wirksam werden sollen, auf ein hohes Maß an vorgehaltener öffentlicher Infrastruktur angewiesen sind: Das schönste Automobil nutzt nichts, wenn es keine intakten Straßen gibt. Das Geschäftsmodell „Amazon“ setzt ein intaktes Straßennetz voraus. Das Predigen vom Ausbau eines öffentlichen Nah – und Fernverkehr nützt wenig, wenn nicht ein intaktes und funktionsfähiges Gleisnetz zur Verfügung steht. Die digitale Kommunikation oder das neueste Smartphone ist nichts wert, wenn keine entsprechende Netzkapazität zur Verfügung steht.

Infrastruktur im Sinne von Hardware

Wir haben es über die letzten 150 Jahre meist erfolgreich so gehalten, dass die Infrastruktur im Wesentlichen von den öffentlichen Händen finanziert und erhalten wird. Solange die öffentliche Hand diese Aufgabe ernst nimmt, sind wir damit in der Regel gut gefahren.

Viele können und wollen nicht verstehen, dass dabei die Ökonomie im Rahmen der Infrastruktur eine andere ist als die der kommerziellen Wirtschaft. Die kommerzielle Wirtschaft glaubt, ohne größere Schäden der Gemeinschaft kurzfristige Gewinne maximieren zu können. Die Infrastruktur ist nicht auf Gewinne angewiesen – sie muss die Gemeinschaftsleistung „Versorgung der Gesellschaft“ langfristig so effizient als möglich bereitstellen. Es geht um das ältere Moment des „klugen Haushaltens“ und der Versorgung der Gemeinschaft. Was eine kommerziell verstandene Infrastruktur ggfs. an Gewinnen erwirtschaften könnte, würde im nationalen System letztlich der kommerziellen Wirtschaft als Gewinnpotential fehlen. Die Erwartung, man könne aus dem System stufenweise zweimal Gewinn herauspressen, ist absolut überzogen. Irgendwer muss die erwirtschafteten Gewinne auch noch bezahlen können.

Wir können seit etwa 30 – 40 Jahren beobachten, dass sich hier eine Veränderung einschleicht, die aus meiner Sicht fatal in eine komplett falsche Richtung läuft. Mit den Privatisierungsversuchen bei der Bahn mit der systematischen Zerstörung ihres Zukunftspotenzials, mit der Beeinflussung des kommunalen Wohnungsmarktes und Unterstützung der Immobilienblase durch der Privatisierung von öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften mit ihren riesigen kommunalen Wohnungsbeständen, der Versuch, das Autobahnnetz meistbietend auszulagern (zu verpachten), wobei die geplante (und glücklicherweise gescheiterte) Maut eine Rendite versprechen sollte. Zum Glück wurde das Projekt mit den falschen Argumenten („Ausländermaut“) ausgerufen und damit ist die Privatisierung per Gericht zumindest vorerst gestoppt, bis auch die dazugehörigen Politiker entsorgt sind. Und es gäbe zahllose vergleichbare Projekte…

Weil der Investitionsmarkt auf dem Felde der Privatwirtschaft kaum mehr schnelle Gewinnaussichten bei überschaubarem Risiko bereithält, konzentrieren sich einige Investoren auf das Feld der Infrastruktur, die von den anonymen Steuerzahlern finanziert und auf – und ausgebaut wurde. Die Infrastruktur wird vom Gemeinwesen aufgebaut und über Steuern finanziert und steht deshalb der Allgemeinheit i.d.R. zur freien Verfügung. Immer dort, wo in jüngerer Zeit versucht wurde, Infrastrukturprojekte privat aufzuziehen, scheitern die Projekte letztlich, weil Privatinvestoren keine Interesse an einer „Versorgung“ breiter Bevölkerungsschichten haben – das widerspricht ihrem elementaren Profit-Interesse – , sie wollen sich nur die rentablen „Rosinen“ für ihr Geschäft herauspicken. Durch Private kann z.B. ein Netz aufgebaut werden, aber dort, wo in der Fläche keine Rendite zu erwarten ist, gibt es dann eben kein oder nur ein minderwertiges Netz. Die Begründung ist einfach und wird in unseren Zeiten von der Politik offensichtlich als plausibel akzeptiert: Wo keine Rendite, da auch kein Netz. Versorgung sieht aber anders aus. Das gilt für Telekommunikation, für Bahnanschlüsse, und zahllose andere Beispiele…

Aber die Gemeinschaft oder Gesellschaft lebt nicht von den „Rosinen, sondern von der Versorgung aller ohne privatwirtschaftlich orientierte Einschränkungen. Mit einer „Versorgung“ lassen sich keine kapitalistischen Erfolge veranstalten, ohne den Gedanken einer Versorgung Schritt für Schritt systematisch kaputt zu fahren. Die Gesellschaft verliert dabei stets wesentliche Stabilisatoren, weil ein paar clevere Geschäftsleute meist mit Unterstützung der Politik sich „innovativ“ und „kreativ“ auf Kosten der Gemeinschaft bereichern.

Der Nachteil der Infrastruktur liegt darin, dass Infrastruktur wie alle Güter in die Jahre kommt und auch technisch veralten kann und folglich erhalten werden muss. Das ist aber nicht sexy, sondern mühsam und kostet Geld. Die einfache kommerzielle Rechnung unserer Privatwirtschaft ist die der Rentabilität, die oft strikt, eng und einseitig angewendet wird. Neu erscheint billiger und macht politisch mehr her. Nachhaltig ist das in keinem Fall, weil der monetäre Wertmaßstab i.d.R. viel zu eng gefasst ist und dem umfassenden Sachverhalt einer Versorgung durch Infrastruktur nicht gerecht wird. Da es bei Infrastruktur nicht darum gehen kann, dass etwas abgerissen und dann wieder „modern“ aufgebaut wird, damit man wieder (maximale) Rendite erzielen kann, sondern es darum geht, etwas Bestehendes und Sinnvolles so lange als es „vernünftig“ erscheint, zu erhalten. Rendite ist ohne Frage ein gültiger Maßstab, aber nicht notwendig ein Maßstab der Vernunft! Bestenfalls ein enger kommerzieller Maßstab für die kurzfristige Gier, die regelmäßig die Ressourcenverschwendung weiter beflügelt.

Infrastruktur im Sinne von Software

Das war und ist in ganz groben Umrissen die Seite der Hardware. Je weiter die Digitalisierung Einzug in unser tägliches Leben hält, desto wichtiger wird die Frage der infrastrukturellen Software. Hier geht es nicht um die Netze und ihre Betreiber. Das ist im Grunde durch die Hardware erfasst. Hier geht es um die Frage der Inhalte und Methoden. Inwieweit ist die Struktur der öffentlichen Verwaltung inzwischen von der Digitalisierung betroffen bzw. was ist die Antwort der Exekutive auf die Digitalisierung?

Hierüber sind die Einblicke sehr dürftig, wenn man sich auf die Medien stützt. Aber die teilweise erschreckenden Defizite, die sich im Rahmen von Corona beiläufig erkennen lassen, geben Anlass zur Vermutung, dass hier riesiger Nachholbedarf besteht.

Die Corona-App war ja gut gemeint, aber die Risikogruppe der über 65 –jährigen ist, nach 10 oder 15 Jahren der Tyrannei durch das beruflich zu nutzende Smartphone, froh und glücklich, endlich frei zu sein, sich dieser Tyrannei entspannt entziehen zu können. Und dann kommen ein paar kreative „Knechte des Tyrannen“ und schlagen vor, bei dieser Altersgruppe über die Kontakte anhand des Smartphones bestimmen zu wollen, wer ein Ansteckungsrisiko hat. Das ist ein schlechtes Beispiel von Theorie und Praxis oder von technischer Möglichkeit und gelebter Praxis. Das „Ding“ ist dann auch still und leise in der Versenkung verschwunden, hat aber bestimmt richtig viel Geld gekostet.

Wenn ein Rechtsanwalt oder ein Wirtschaftsprüfer jederzeit Homeoffice (im Prinzip weltweit) möglich machen kann, so stellt sich die Frage, ob gleiches in der Verwaltung möglich ist oder wäre. Die Industrie ist von der Regierung dringend aufgefordert, im Rahmen von Corona ihren Arbeitnehmern „Homeoffice“ zu ermöglichen. Was ist mit den Beschäftigten der öffentlichen Verwaltungen? Man hört wenig bis nichts mit Ausnahme der Schulen, die keinen systematischen Zugang, keine fachliche Unterstützung haben, sondern weitgehend auf die Selbsthilfe der Lehrer angewiesen sind und fortwährend mit überlasteten Netzservern zu kämpfen haben.

Nun ist es nicht so, dass die Digitalisierung bei den kommerziellen Großunternehmen schon angekommen wäre. Es gibt ganze Branchen, die diesen Ansatz aus finanziellen und anderen Gründen verschlafen haben. Die Landschaft ist hier sehr heterogen. Und wenn man sich mit Vertretern der Wirtschaft unterhält, gibt es dort gewaltige Unterschiede, insbesondere müssen oft Systeme zusammengeführt werden, die ganz unterschiedliche digitale „Zeitalter“ repräsentieren und auf sehr unterschiedlichen Technikniveaus arbeiten. Deshalb würde es nicht verwunderlich sein, wenn auch die öffentliche Verwaltung hier Defizite in mindestens vergleichbarer Größe aufweisen würde.

Setzen Sie sich mal in eine Gerichtsverhandlung und beobachten Sie die beteiligten Parteien und deren elektronische Ausstattung: Der Richter hat i.d.R. eine dicke Papierakte und dicke Gesetzesbücher oder gar Kommentare vor sich, der Protokollführer hat inzwischen wohl durchgängig einen Anschluss an ein (meist schon in die Jahre gekommenes) Schreibsystem, der Staatsanwalt bemüht sich, es etwas schlanker zu machen und der Rechtsanwalt hat sein Laptop dabei und hat dort alles versammelt, was er für die Verhandlung benötigt, samt Kommentaren und Unterlagen (Akten). Darüber hinaus kann er eine VPN-Verbindung mit seinem Büro eröffnen und hat den vollen Zugriff auf alle seine Ressourcen.

Haben Sie einmal den Aktentransport in der öffentlichen Verwaltung beobachten können? Diese Karren, auf denen zentnerschwer Akten aus unterschiedlichsten Verfahren von Zimmer zu Zimmer bzw. ins Archiv oder in die Wiedervorlage transportiert werden, weil sie nach einer gewissen Frist (die wird von alters her durch Reitermarkierungen an den Akten dargestellt) wieder vorgelegt werden müssen. Das hat man im Wesentlichen wohl schon vor 50 oder 100 Jahren so gemacht. Da ist nach oben so unendlich viel Luft. Wie will man diesem Anachronismus sinnvoll und zeitnah Herr werden?

Wenn ich in meiner Kommune auf das Amt gehe, so kann ich im Bürgerbüro feststellen, dass hier mit gewissen Einschränkungen erfolgreich digital gearbeitet wird. Das ist ein kleiner, relativ überschaubarer Bereich. Ob dieser Bereich auch mit dem ganzen Haus und ggfs. mit der Region (Landratsamt) vernetzt ist, ist bei den kurzen Besuchen von mir nicht zu beurteilen.

Corona hat uns vor neue Aufgaben gestellt. Dabei wurde deutlich, dass es offensichtlich respektable Insellösungen gibt, aber von einer Vernetzung kann man wohl nicht sprechen. Die Gesundheitsämter, so mein Eindruck, melden ihre Corona-Zahlen per Telefon, Email oder Fax an das Zentralinstitut RKI. Ich würde mich nicht wundern, wenn jeden Morgen in der Früh (eine Stunde vor Dienstbeginn) der RKI-Sachbearbeiter sich durch den Wust von Meldungen durchwurstelt, den Taschenrechner zückt und dann den 7-Tage –Inzidenzwert ermittelt (hoffentlich hat er sich nicht vertippt?!). Ich hoffe, dieses erschreckende Bild gibt es nur in meiner Phantasie.

Wir hören zwar immer von der großen digitalen Initiative der Bundesregierung und der Länder– mein Eindruck ist der, dass diese Aufforderung für alle gilt, nur nicht für das eigene Haus (für die Exekutive). Da diese Digitalisierung richtig Geld kostet, müssten dafür namhafte Beträge im Haushalt eingestellt sein. Aus der öffentlichen Diskussion gibt es hier nichts zu vermelden. Hat das möglicherweise Methode?

Es wäre doch sinnvoll und wünschenswert, wenn es im Rahmen der Bundesrepublik eine gemeinsam geteilte, ggfs. veröffentlichte Idee zu einer Struktur gäbe, die frei von föderalem Eigensinn die Grundlinien einer zweckmäßigen, nachhaltigen digitalen Struktur bestimmt, die als Minimum oder Basis zu verstehen ist. Nur im Rahmen dieser Struktur dürfen die föderalen und kommunalen Eigensinnigkeiten ergänzend hinzugefügt blühen und gedeihen, aber wenn man sie wegschneiden würde, darf der vorgegebenen Grundstruktur nichts Wesentliches fehlen. Die Grundstruktur muss auch die einheitliche „Systemsprache“ und das Systemniveau („Steinzeit“ oder „Cloud“) vorgeben, in der in der exekutiven Verwaltung künftig kommuniziert werden soll.

Ob es hierfür vorgefertigte, ggfs. modulare Systeme gibt, erscheint mir fraglich. Deshalb muss ggfs. die Exekutive eine eigene, effektive Organisation aufbauen. Und die gibt es seit den 1970iger Jahren zumindest in Bayern. Über deren Arbeit berichten die Gazetten, wenn überhaupt, wohl nur dann, wenn sich große Fehlentwicklungen ergeben würden. Die Arbeit dieser Einrichtung scheint so abgeschirmt, dass man über Unzulänglichkeiten wohl nur nach innen schimpfen darf. Die Aufgabe ist so groß, dass ich mir nicht vorstellen kann, dass hier nicht laufend massive Probleme auftreten – nur werden sie politisch gezielt unter der Decke gehalten. Dabei handelt es sich auch hier um eine wichtige, die Funktionsfähigkeit des gesamten Gemeinwesens betreffende Infrastruktur und etwas mehr Öffentlichkeit könnte den „Muff von fünfzig Jahren“ vielleicht etwas lichten. Transparenz sieht anders aus, obwohl hier vermutlich enorme Summen vergraben sind. Denken Sie nur an die Corona-App – gut gemeint ist nicht immer gut gemacht.

Auf der Website des Bundesinnenministeriums finden wir stolze Hinweise auf so etwas wie E-Government. Wenn man dann die Überschriften des neuen Gesetzes liest, kann man nicht umhin, festzustellen: Das ist kein großer Wurf, keine Strategie für die nächsten Jahrzehnte, sondern elektronisches Klein-klein ohne Perspektive und ohne jede Idee für die kommenden Jahre. Glaubt denn die Bundesregierung bzw. deren Exekutive, dass sie mit Verwaltungsmethoden des letzten Jahrhunderts mit der Entwicklung in der Wirtschaft und der Gesellschaft insgesamt wird mithalten können? Wo sind die „E-exekutives for future“? Wird da nicht etwas Grundlegendes verschlafen? Wenn man mehr Zugang zu validen Informationen hätte, wäre das Thema für interessierte Journalisten ein gefundenes Fressen, um der Exekutive das Laufen zu lehren!

Die Durchführung der Aufgaben sollte sich aber nicht – wie leider üblich – als Folge von Ausschreibungen am Billigsten und an der schnellsten (meist schlampigen) Realisierung orientieren, sondern sicherstellen, dass hier Nachhaltigkeit, Kreativität und Invention möglich wird. Die Einrichtung soll kein Geld verdienen, sondern soll schlicht die Versorgung der Exekutive mit einer digitalen Infrastruktur für die nächsten Jahrzehnte sicherstellen, an die auch die Wirtschaft ggfs. andocken kann. Das ist eigentlich eine Jahrhundertaufgabe und braucht Expertise, die aufgrund der Größe der Aufgabe nicht an jeder Ecke zur Verfügung steht: Ganz bestimmt nicht auf der billigen Seite eines administrierten Marktes. „Schnäppchen“ wären der grundlegend falsche Ansatz. Wenn Minister Scheuer sich an die üblichen Regeln gehalten hätte, würden uns jetzt hier nicht eine halbe Milliarde Euro fehlen. Dafür hätte man viel Digitalisierung im öffentlichen Raum realisieren können.

» weniger zeigen

Schreiben Sie einen Kommentar

Ihre E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert