Transformation – ja, aber wie?

Viele Artikel, die ich im Rahmen der Transformationsdiskussion gelesen habe, befassen sich mit den Fragen, was wir mit Blick auf Klimakrise in unserem Verhalten und unserem Handeln alles ändern sollten. Je länger ich mich mit diesen Fragen beschäftige, desto unzufriedener werde ich. Es fehlen mir wissenschaftlich begründete Aussagen zu dem sozialen Aspekt der Transformation, wie wir all diese Erkenntnisse einer breiten Bevölkerung vermitteln wollen.

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Dabei gehe ich davon aus, dass es gilt, die Unterstützung einer möglichst breiten Bevölkerungsschicht für dieses existenzielle Transformations-Projekt zu gewinnen.

Dabei dürfen wir nicht davon ausgehen, dass sich alle Welt für die Fragen interessieren, die gegenwärtig von wenigen Politikern und von einen relativ kleinen Kreis von Wissenschaftlern bearbeiten werden. Wir müssen feststellen, dass die Erkenntnis der negativen Umweltveränderungen bei vielen Menschen eher Unmut oder Angst auslösen denn Interesse an einer Zusammenarbeit zur Beseitigung der Probleme. Diese Emotionen führen auch bei einem großen Teil der Bevölkerung zur Verdrängung der Problemstellung. Im schlimmsten Fall verweigern sich (zum Glück nur kleine Teile) der Bevölkerung und sprechen von Manipulation, Freiheitsberaubung, Krieg gegen das eigene Volk und ähnlichem Unsinn.

Ich fühle mich bei diesen Diskussionen oft ins Mittelalter katapultiert, weil die Sichtweise so bar jeden Wissens und jeder Erkenntnis ist. Man fragt sich, ob diese Menschen keine Schulbildung erfahren haben, weil sie die einfachsten Grundlagen des Physik- oder Chemieunterricht in den Wind schlagen. Sie „glauben“ etwas, das vor dreihundert Jahren nicht verwunderlich wäre, weil damals die meisten Bürger kaum lesen und schreiben konnten, geschweige denn über eine hinreichende Schulbildung verfügten.

Unser Wissen über die Zusammenhänge ist seit der Aufklärung gewaltig angewachsen. Wir brauchen nicht mehr zu glauben, wir wissen über viele Sachverhalte heute recht genau Bescheid. Was die Menschen aber verunsichert, ist m.E. die Tatsache, dass wir viele Dinge wissen, aber gleichzeitig auch erkennen müssen, dass es einfache und „knackige“ (eineindeutige) Lösungen nur noch sehr selten gibt. Sie bilden die absolute Ausnahme.

Die alten Lösungen sahen gut aus, weil sie nie über ihren selbst definierten Tellerrand hinausschauten und die Schäden jenseits des Tellerrandes, die sie anrichteten, gar nicht wahrgenommen wurden; es waren lineare Detaillösungen, die die mit den Aktivitäten verbundene Kollateralschäden stets als irrelevant zur Seite schoben. Unsere heutigen Problemstrukturen sind durch die Jahrzehnte lang vernachlässigten (angeblich irrelevanten) Kollateralschäden gekennzeichnet und sie holen uns jetzt ein; eine simple „lineare“ Lösung wie ehemals muss als ausgeschlossen gelten.

Die Probleme prasseln von allen Seiten auf uns ein und wir müssen statt Einzelfalllösungen endlich systemische Lösungsansätze suchen. Sie sind aber hochkomplex und verschließen sich deshalb einer einfachen linearen und lokalen Behandlung. Zudem ist diese Problemkategorie einem Publikum, das immer noch auf  die „knackigen“ Lösungen hofft und von der Politik darin oft auch bestärkt wird, nur schwer zu vermitteln.

Neben der Problemlage ist auch die Frage nach dem Ziel kritisch. Wir haben uns an eine Metrik gewöhnt, die unserem linearen Denken entspricht. Wir stellen aber zunehmend fest, dass wir aufgrund der fehlerhaften Metrik Zielen hinterher laufen, die weder nachhaltig noch „Sinn-voll“ sind. Durch eine Änderung der Metrik werden die Ziele aber komplexer und sind gegenwärtig nicht in einer schlichten Zahl oder einem (Container-)Begriff plakativ darzustellen. Im Prinzip sind wir gegenwärtig als Gesellschaft ein Stück weit orientierungslos, weil die alten Ziele nicht mehr „funktionieren“ und neuen gesellschaftlichen Ziele auf breiter Basis noch nicht (für jedermann) erkennbar institutionalisiert sind.

Wenn wir also Projekte aufsetzen wollen, um eine Transformation herbeizuführen, haben wir eine Gruppe Wissenschaftler, die eine Menge über die notwendigen Prozesse weiß, aber sich nicht trauen darf (weil nicht legitimiert), neue Ziele festzulegen. Die Gruppe, die über die Legitimation der Politik verfügen würde, traut sich auch nicht, weil in der Konkurrenzdemokratie jede Partei zu jeder Zeit bemüht ist, Fehler der „anderen“ zu identifizieren, statt einen sinnvollen mehrheitlichen Diskurs über die Grenzen der Parteien hinweg zuführen, der sich nicht wieder am kleinsten gemeinsamen Nenner orientiert, sondern die generationsübergreifenden Probleme lösen soll.

Wie soll der Problemzusammenhang in die Bürgerschaft getragen werden, wenn die Wissenschaftler unter sich bleiben und die Politik mindestens so kurzfristig ‚tickt‘ wie die Wirtschaft? Wie soll dann eine langfristige globale Problematik einer Lösung zugeführt werden? Auf dem Felde der öffentlichen Information und des Narrativs kann ich nur eine Figur ausmachen: Maja Göpel. Sie tourt durch Deutschland und versucht sich in einer relativ verständlichen Sprache den Bürgern zu nähern und den von ihr vertretenden Perspektivwechsel in ein Narrativ zu packen, um den „Souverän“ (das Wahlvolk) in kleinen Schritten für die Sache der Transformation zu gewinnen.

Und was muss sie dabei für Beschimpfungen und unqualifizierte Äußerungen zur Kenntnis nehmen, für deren Verursacher die Feststellung mangelnder Urteilskraft (Kant) hochgradig geschmeichelt ist. Es ist doch sinnlos, großartige materielle und institutionelle Veränderungen aufzuzählen und zu propagieren oder zu fordern, wenn wir nicht sicherstellen können, dass der gesellschaftliche Konsens ausreicht, diese weitreichenden (und ggfs. auch guten) Ideen mit bürgerlicher Zustimmung umsetzen zu können. Außer Maja Göpel ist mir in der ‚Community‘ bisher niemand aufgefallen, der sich dieser Aufgabe so intensiv widmet. Die meisten Teilnehmer der ‚Community‘ sitzen in ihrem Elfenbeinturm, wo doch Kommunikation so wichtig wäre. Namhafte Politiker findet man hier sowieso nicht. Das Eisen ist politisch viel zu heiß und Politiker folgen gewöhnlich einer kurzfristigen Parteiräson oder dem Fraktionszwang. Die Wirtschaft redet wenigstens von Agilität, Parteien haben für ihre Organisation in diesem Sinne noch kein Rezept gefunden.

Wir sind gewohnt, Projekte über Ziel-Mittel-Relationen zu realisieren. Nun stehen wir vor der Frage, was machen wir mit einem Transformationsprojekt, für das kein klares Ziel bestimmt ist und bei dem die Mittel gegenwärtig in vielleicht nötige, aber oft dubiose Anpassungsleistungen an den Klimawandel fließen. Wenn aber Ziel und Mittel nicht definiert werden können, welche respektable Persönlichkeit des öffentlichen Lebens wäre denn bereit, seinen guten Namen für ein solches Projekt zu riskieren. Das Desaster ist doch vorprogrammiert! Da kann man nur verlieren!

Was heißt das für die Transformationsgeschäft? Angenommen, wir hätten  das Transformationsprojekt definiert, bleibt doch die Frage, wie arbeiten Wissenschaft und Projektbeteiligte zusammen? Wie schaffen wir es, eine ausreichende Mehrheit der Bürger zu begeistern, die dem Ergebnis des Projektes letztlich auch zustimmt? Wir sind offensichtlich nicht in der Lage, ein Projekt dieser Größenordnung und Brisanz im Rahmen unserer gewohnten Institutionen auf die Beine zu stellen.

Umso wichtiger sind m.E. in diesem Prozess neue Beteiligungsformen, die einerseits den bestehenden schwerfälligen Institutionen Beine machen und andererseits in der Lage sind, jene Wählerschichten zu aktivieren, um die sich die alten Institutionen nicht mehr kümmern wollen. Das Spektrum gilt wohl als zu dispers, zu mühselig, zu widerspenstig, zu inhomogen. Diese Wählergruppe würde die Parteien aufgrund ihrer Inhomogenität und Vielfalt vor große interne Akzeptanzprobleme stellen. Deshalb müssen wir andere Wege der Beteiligung (im Grund also neue Institutionen) finden und zulassen.

Gibt es eine weitere Alternative? Wenn wir von einem Projekt sprechen, unterscheiden wir gewöhnlich drei Kategorien: die Ausgangslage, das Ziel und die Mittel. Die Zielformulierung, so haben wir festgestellt, ist gegenwärtig kaum mehrheitsfähig. Der Einsatz der Mittel braucht ein Ziel; ohne Ziel keine Mittel. Es bleibt die Ausgangslage übrig. Über sie gibt es die meisten Informationen und über die gegenwärtige Situation gibt es deshalb auf Grund der verfügbaren Fakten ein gewisses Erschrecken, aber auch die einfacheren, faktenbasierten Diskussionen. Man weiß, von was man redet: Kein falscher Optimismus, keine “Hockey-Sticks“ für das Morgen. Hier scheint das Problembewusstsein den meisten der Beteiligten klar vor Augen zu stehen.

Unser westliches Denken ist in dieser Situation ziemlich hilflos. Da wir schon mehrfach über die Notwendigkeit eines Perspektivwechsels philosophiert haben, gäbe es einen alten Denkansatz, den die buddhistische Philosophie vor 2.500 Jahren entwickelte. Um den Vorteil dieses Ansatzes nutzen zu können, müssten wir unser strammes zukunftsorientiertes Denken in Ziel und Mittel zurückstellen. Wir müssen uns auf die Ausgangssituation konzentrieren und akzeptieren, dass „sie ist, wie sie ist“! Diese Feststellung setzt voraus, dass wir die Ausgangssituation dann eingehend analysieren, um ideologische, einseitige und fehlerhafte Wahrnehmungen (die sogenannte „Verblendung“) durch Achtsamkeit ausschließen bzw. auf ein Minimum reduzieren zu können.

Als Folge haben wir dadurch eine Grundlage, um die Situation und die maßgeblichen Aktivitäten, die sie geschaffen haben, dahingehend zu bewerten, welche der Aktivitäten für die Situation als „unheilsam“ (es fällt mir kein moderneres Wort dafür ein) zu klassifizieren sind. Und für die als „unheilsam“ erkannten Aktivitäten gilt das schlichte Ziel, sie mit sofortiger Wirkung konsequent zu unterlassen. Mit jedem Schritt wird etwas „Unheilsames“ aus der Situation eliminiert und die Situation damit ständig schrittweise zum Besseren gewendet.

Die beschriebene Vorgehensweise ist im westlichen Sinne eine sogenannte Stückwerkstechnik, aber sie kann auch dann, wenn keine großen Ziele unser Verhalten lenken, zu einem Zustand führen, der deutlich besser sein wird als nichts zu tun, weil man sich auf Ziele und Mittel nicht verständigen kann. Die Bestimmung des „Unheilsamen“ gilt nicht für das gesamte Projekt, sondern nur für die aktuelle Situation. Wichtig ist die Erkenntnis, dass das „Unheilsame“ eine Qualität darstellt, die es zu vermeiden gilt. Damit ist dem gängigen allgegenwärtigen ökonomischen Denken eine wesentliche Grundlage entzogen, weil unser Verständnis von Ökonomie rein quantitativ orientiert ist.

Diese Vorgehensweise stellt auch nicht alles auf einmal in Frage, sondern nimmt sich inkremental einzelne Sachverhalte vor. Im Hinblick auf die Notwendigkeit, die Bürgerschaft bei dem Transformationsprozess abzuholen und mitzunehmen, erscheint diese fernöstliche Strategie, auf unsere Verhältnisse übertragen, von großem Vorteil, weil die jeweiligen Schritte aus einem Ist-Zustand heraus erfolgen (und damit auch für die Betroffenen) konkret und überschaubar bleiben. Der weitere Vorteil liegt darin, dass in den Fällen, in denen die nationale oder globale Ebene nicht mitzieht oder sich nicht einig ist, trotzdem im Sinne einer Verbesserung der jeweiligen Situation gehandelt werden kann. Wir müssen nur darauf achten, dass die Fehler, die zum Problem geführt haben, nicht wiederholt werden. Es bleibt auch immer die Gefahr, dass scheinbar simple lineare Lösungen sich vordrängen. Aber wir haben ja die schlechten Erfahrungen der Vergangenheit und hoffentlich genügend „Watchdogs“ in Gestalt der NGOs und ähnlicher Institutionen, die aufpassen, wenn wir uns vom Ist-Zustand ausgehend schrittweise wirklich an die Verbesserung machen.

Das ist sicher nicht der große Coup und auch nicht der gewünschte Befreiungsschlag, aber es ist ein gangbarer Weg, solange sich die Politik (seit über 50 Jahre) nicht um die Erkenntnisse der Wissenschaft schert, auch kein gemeinsames Transformationsnarrativ zu produzieren in der Lage ist, vielleicht auch insgesamt einfach ratlos ist und unverändert der alten Devise anhängt: Augen zu und durch! Mit der fragwürdigen Hoffnung: wenn wir wieder die Augen aufmachen, war das alles nur ein böser Traum? Die Strategie war noch nie erfolgreich! Das ist die schlechteste aller denkbaren Alternativen.

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