Wer sich etwas intensiver mit der Klimakrise befasst, kann feststellen, dass sowohl die Politik als auch viele der damit befassten Organisationen und Einrichtungen die Lösungsansätze zur Klimakrise schwerpunktmäßig auf dem Feld der Technologie suchen. Der große Vorteil dieser Herangehensweise besteht wohl darin, dass man den von der Klimakrise Betroffenen nicht klar machen muss, dass sie ihr Verhalten ändern oder gar einschränken müssten.
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Die Erwartung von Verhaltensänderung wird von vielen Betroffenen als Drohung empfundenen und die Verfechter des „Weiter so“ haben sich auf die Verzichtvokabel als wirksame Waffe eingeschossen. „Verzicht“ soll über den technologischen Ansatz vermieden werden können. Die Frage ist nur, wird die Technologie in der Lage sein, das Problem zu lösen oder ist nicht der Anspruch auf eine rein technologische Lösung wesentlicher Teil des Problems?
Wer das komplexe Problem der Klimakrise lösen will, steht m.E. vor mindestens zwei Lösungsalternativen, die in den Köpfen der meisten Menschen unterschiedlicher nicht sein könnten:
1. Die Politik favorisiert den Weg des geringsten Widerstandes und ist bemüht, sich alle Wege so lange als möglich offen zu halten, um ihre Wähler nicht zu verprellen. Die logische Folgerung dieser Haltung ist der Weg über die Technologie. Man kann die Vorgehensweise auch als Führen eines „Stellvertreterkrieges“ bezeichnen. Man muss selbst nichts tun und kann immer auf die noch ausstehenden Ergebnisse der Technologie verweisen. Mit der Technologie kann unverändert das Bruttoinlandsprodukt gesteigert werden und es kann ungehemmt die Geschichte vom angeblich steigenden Wohlstand erzählt werden. Das sieht aus wie eine „Win-Win-Situation“. Alle Erkenntnisse, die deutlich machen, dass wir damit geradewegs auf eine Wand zufahren, werden durch falsch verstandenen Optimismus übertüncht: ‚Es ist noch immer gut gegangen‘ oder ‚die Menschheit hat immer eine Lösung gefunden‘. Wenn man so denkt, blendet man das Leid und den Verlust an Menschenleben künftiger Generationen aus, die wir – nach allem, was wir wissen – durch unsere heutige Blindheit oder Unentschiedenheit auslösen werden.
2. Auf der anderen Seite ändert ein wachsender Teil der Bevölkerung, der sich durch die Klimakrise direkt angesprochen fühlt, freiwillig sein Verhalten, um durch diese persönlichen Maßnahmen ein Beispiel zu setzen, wie das inzwischen sich immer klarer abzeichnende „Desaster“ abzuwenden wäre. Die Anwendung von Technologie ist dabei nicht ausgeschlossen, spielt aber keine zielführende Rolle. Der Ansatz fußt auf der Erkenntnis, das nicht die Um- oder Mitwelt via Technologie geändert werden muss, sondern wir als Menschheit müssen unsere Perspektive und unser Verhalten ändern, die letztlich den Raubbau angestrebt und zugelassen haben. Es ist leider der Weg, den die meisten Menschen fürchten wie der Teufel das Weihwasser, weil sie aus ihren eingefahrenen Gewohnheiten herauskommen müssten, sie mit neuen Zusammenhängen konfrontiert werden und die absehbaren Veränderungen lösen Verunsicherung und wohl auch vielfach Existenzangst aus1.
Gemessen an dem gewaltigen finanziellen Aufwand und an den m.E. recht geringen Erfolgsaussichten der von Technologie getriebenen Alternative ist im Vergleich der Aufwand der zweiten Alternative im Grunde materiell und finanziell als gering einzuschätzen. Es geht in erster Linie um eine Haltung der Genügsamkeit bzw. Suffizienz, um die herrschende Überproduktion und die damit verbundene Verschwendung einzudämmen. Dazu braucht es im ersten Schritt keine (neue) Technologie, sondern den Mut, die gewohnten handlungsleitenden Motive zu ändern. Und hierzu fehlt es uns an sozialer Kompetenz und insbesondere an Selbstvertrauen, um in der Lage zu sein, die verständliche Verunsicherung einer Mehrheit der Bürger aufzufangen.
Um die notwendige Veränderung der Motivlage besser verständlich zu machen, sollten wir uns mit der gegenwärtig gültigen Motivlage befassen, damit wir die anzustrebten Veränderungen besser verstehen. Die gegenwärtig geltende Motivlage gibt vor, die freie Entfaltung und die Selbstbestimmung des Menschen hoch zu halten, aber gleichzeitig werden wir durch eine riesige Marketing-Industrie in unserer Selbstbestimmung nahezu permanent in einer Weise bedrängt, dass deutlich wird, dass das Wirtschaftssystem an der freiheitlichen Entfaltung und einer irgendwie gearteten Selbstbestimmung überhaupt kein Interesse hat. Deren Interesse konzentriert sich ausschließlich darauf, uns mit zweifelhaften Methoden zu guten Konsumenten zu ‚erziehen‘. Dieses Verhalten tolerieren wir leider widerspruchslos, weil wir es schon seit Jahrzehnten so gewohnt sind.
Nun müssen wir feststellen, dass diese „Indoktrination“ offensichtlich nicht mehr durchzuhalten ist, weil Wachstum nicht mehr als die Lösung aller ökonomischen Probleme angesehen werden kann. Dieser Komplex läuft u.a. unter der Überschrift „Klimakrise“. Mit anderen Worten, die Handlungsmotive, die uns über das Wachstum in die Krise geführt haben, werden keine Lösungsbeitrag liefern können, obwohl Wachstum uns ehemals eine goldene Zukunft und Wohlstand versprochen haben. Auf mittlere Sicht müssen wir einen anderen Weg finden. Gegenwärtig wird viel Kapital ‚verbraten‘, um eine technologische Lösung im Rahmen des politisch angenehmen Stellvertreter-Effektes zu finden. Inzwischen sind wir mehr als zwanzig Jahre weiter und müssen feststellen, dass das Grundproblem eines überdimensionalen Ressourcenverbrauchs unverändert unser Denken beherrscht.
Wäre es nicht an der Zeit, sich zu fragen, ob der technologische Ansatz überhaupt in der Lage ist, das Problem zu lösen? Müssen wir nicht am anderen Ende dieser Prozesse ansetzen und uns fragen, ob und wie wir die Motivlage in den westlichen Gesellschaften so verändern können, das Wachstum als Ausdruck eines „Schneller, Weiter, Höher“ und eventuell auch der allumfassende Gedanke der Konkurrenz als Ausdruck der systematischen Vereinzelung und des Gegeneinanders aufgegeben werden kann. Eine veränderte Motivlage würde neue Denk- und Handlungsräume eröffnen. Dazu müssen wir aber die gegenwärtig herrschende Motivlage vorurteilsfrei analysieren und sie mit ihren Vorteilen (die eine Zeitlang zweifelsohne überwogen), und ganz besonders mit den Nachteilen erkennen , die sich in den letzten fünfzig Jahren als gewaltige Defizite aufgetürmt haben.
Dirk Steffens, Wissenschaftsjournalist, hat in seinem Fernsehbeitrag „GEO-Story – Eat it“ den komplexen Zusammenhang auf eine (sehr) einfache Aussage reduziert: Wenn wir (der globale Norden) es schaffen, zehn Prozent weniger Nahrungsmittel wegzuwerfen, würde sich die Welternährungslage in den nächsten Jahrzehnten deutlich entspannen. Ohne die Durchführbarkeit dieser Aussage zu bewerten, ist dieser Vorschlag zweifelsohne ein Beitrag zu dem, was man im Allgemeinen unter dem Begriff Genügsamkeit oder Suffizienz versteht. Er richtet sich gegen jenes „Schneller, Weiter, Höher“, denn weniger wegwerfen bedeutet im Klartext weniger und damit kontrollierter konsumieren.
Vor diesem Hintergrund ergeben sich für mich zwei parallele Ansätze für die Veränderung der Motivlage: Die Suffizienz könnte die Grundlage für eine neue Motivlage darstellen. Um sie der breiteren Öffentlichkeit schmackhaft zu machen, muss dieses Handlungsmotiv von Seiten der Politik als erstrebenswertes Ziel begründet und ‚vermarktet‘ werden. Parallel müsste man die weitere Penetrierung der alten Motivlage durch die Wirtschaft deutlich verteuern. Die Marketingmaßnahmen, die darauf ausgerichtet sind, den Konsumismus zu fördern, müssten kostenintensiver werden. Hierbei wäre es denkbar, die steuerliche Abzugsfähigkeit dieser ‚unerwünschten Propaganda‘ aufzuheben. Die Folge wäre, dass Marketing zum Zwecke der ständigen Konsumsteigerung bis zu 45% teurer wird. Zudem würde das Konsummarketing unter dem ständigen Druck der hoffentlich gut gemachten Marketingmaßnahmen für die neue Motivlage der Suffizienz stehen. Dieses Vorgehen wird die Wirksamkeit des Konsummarketings relativieren. Die Finanzmittel, die durch diese steuerliche Maßnahme den öffentlichen Kassen zufließen, könnte man in die Finanzierung der forcierte Verbreitung der neuen Motivlage einsetzen. Ich bin mir sicher, dass für diesen Zweck erhebliche Summen zur Verfügung stehen würden.
Ich kann mir aber gut den entsetzten Aufschrei derer vorstellen, die stets die Freiheit und Selbstbestimmung des Menschen als Folge möglicher Manipulation in Gefahr sehen. Aber solange diese Damen und Herren offensichtlich keine Probleme mit der ideologischen Indoktrination des Bürgers durch das Wirtschaftsmarketing erkennen wollen, sollten sie auch zulassen können, dass in einer schwierigen Situation die legitimierte Vertretung unseres Gemeinwesen sich der Erkenntnisse des Marketings als eines akzeptablen Mittels zur Umsetzung bedient.
Dieser Ansatz zeigt eine Entwicklung auf, die man im laufenden Prozess noch steuern und ggfs. verbessern kann. Statt der Vorstellung von unbegrenztem Wachstum und dem alles umfassenden Wettbewerb würde das Ziel eine gute Versorgung sein. Statt quantitativ „Geiz ist geil“, einer Schnäppchenorgie, der Forcierung des industriellen Durchsatzes und dem Wachsen der Müllberge, wird das Leitmotiv ‚Versorgung‘ Wert auf Lebensdauer, Reparaturfähigkeit, Müllvermeidung, also deutlich den Wert auf Qualität legen. Gewinnmaximierung wird kein Ziel mehr sein können, Gewinnerzielung wird jedoch ein anzustrebendes Ziel bleiben.
Dieser Wandel ist ein anspruchsvolles Wirtschaftsprogramm. Die simplen Regeln des alten Systems müssen Schritt für Schritt durch neue Regeln ersetzt werden. Das neue System ist nach wie vor ein Marktsystem, dem aber die Treiber ‚Wachstum‘ und ‚grenzenlose Konkurrenz‘ fehlen werden.
Als Folge werden wir z.B. die Abschreibungssätze neu festlegen müssen: wenn ein im Grunde langlebiges Wirtschaftsgut durch eine willkürliche Regel auf 25 Jahre abgeschrieben werden kann, müssen wir uns nicht wundern, wenn dieses im finanzwirtschaftlichen Sinne ‚verbrauchte‘ Wirtschaftsgut auch nach 25 Jahren entsorgt wird, obwohl es vermutlich technisch ohne Probleme mit etwas Erhaltungsaufwand über eine doppelte oder gar dreifache Lebensdauer verfügen könnte. Das jüngst verabschiedete EU-Recht auf Reparatur wird hier wichtige Beiträge leisten können.
Wenn wir Wachstum als ein Ausdruck von Gier und Konkurrenz als Ausdruck einer ständigen Konfrontation, einer Haltung des menschlichen Gegeneinanders verstehen, wird erkennbar, dass zwei der wesentlichen Treiber des bestehenden Wirtschaftssystem offiziell in Frage stehen würden. Wir würden mit der Änderung der Motivlage Schritt für Schritt den einseitigen Druck aus dem System nehmen. Da es sich dabei nicht um einen Bruch, sondern um einen längeren Prozess handelt, besteht die Möglichkeit, auf den Prozess über die Zeit Einfluss zu nehmen und gegebenenfalls Korrekturen vorzunehmen. Die einzige Entwicklung, die ausgeschlossen wird, ist der Weg zurück zu einem System, das die menschliche Gesellschaft ‚gegen die Wand fährt‘.
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1Dabei ist ‚Verzicht‘ oder ‚Entsagung‘ nichts Ungewöhnliches oder Abartiges. (vgl. eine m.E. gelungene Rezension von Gustav Seibt (SZ v. 25/26.11.2023) zu Ottfried Höffe, Die hohe Kunst des Verzichts, München 2023). Die Fülle des Lebens ist ohne Verzicht nicht denkbar.
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