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Die Qual der Wahl

Die Ampel-Koalition hatte richtig erkannt, dass sich wohl eine Zeitenwende ankündigt. Das diese Zeitenwende nur sehr bedingt gelungen ist, hat viele Gründe. Wegen einem dieser Gründe werden wir im Februar 2025 wählen und die Parteien haben für die nächsten vier Jahre (und leider nicht darüber hinaus) ihre Vorhaben ausformuliert. Man könnte den Eindruck gewinnen, sie hätten in den letzten dreißig Jahren den Zustand der Bundesrepublik nicht mitverantwortet und die „Zeitenwende“ noch immer nicht kapiert. Sie haben scheinbar nichts oder nur wenig dazugelernt.

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Was der allgemeine Tenor der Parteiprogramme als Politikmix aufscheinen lässt, lässt sich am besten mit dem Begriff “Politik als Dienstleistung“ umreißen. Was aber nötig wäre, wäre eine politisch-demokratische „Politik der Führung“. Das ist in einer Demokratie deutlich schwieriger als nur eine „Dienstleistung“ bereit zu halten, die immer nur dann zum Zuge kommt, wenn der Karren droht, im Dreck stecken zu bleiben. Den Rest überlässt man lieber dem „Marktgott“, der es dann richten soll.

Intellektuell völlig daneben ist der angestrengte Dualismus „Staat vs. Markt“ oder noch krasser „Staat vs. Freiheit“, eine verhängnisvoll dumme Entwicklung. Man trennt hier etwas, was nicht zu trennen ist. Eine erfolgreiche Gesellschaft versteht es, Staat und Wirtschaft in einen sinnvollen Ausgleich zu bringen.

Was ist die Aufgabe des Staates? Neben vielem anderen ist es seine Aufgabe Infrastruktur vorzuhalten, weil sie den wirtschaftlichen und privaten Aktivitäten eine gesicherte Grundlage zu bieten hat. Ohne ausreichende Infrastruktur ist jede wirtschaftliche Aktivität und jedes komplexeres Geschäftsmodell obsolet. Haben wir eine vernünftige Infrastruktur, die diesem Anspruch gerecht wird? Ich würde das verneinen, weil wir ein Defizit in der Digitalisierung haben, in der Energieversorgung und bei der Bürokratisierung. Zur Infrastruktur gehört auch die Lösung der Renten- und Pflegeproblematik, unsere maroden Straßen und Brücken, nicht zuletzt auch der Wiederaufbau der von der Politik vor etwa dreißig Jahren bewusst kaputt sanierten Bundesbahn.

Die Pläne der Parteien sehen große Ausgaben vor, aber nicht für Infrastruktur, sondern für Steuersenkungen. Angesichts des Aufgabenüberhangs in Bezug auf die Infrastruktur fragt man sich natürlich, wo das Geld für die offenen Wunden der Infrastruktur herkommen soll, wenn riesige Geschenke in Form von Steuersenkungen gemacht werden. Nach meinem Kenntnisstand hat keine der Parteien zu diesem Phänomen ein ehrliches Wort verloren. Das Geheimnis wird erst nach der Wahl gelüftet.

Wir haben eine Zeitenwende. Das haben m.E. sowohl Teile der Politik als auch der Wirtschaft erkannt und auch verstanden. Die Populisten in der Politik tun so, als gelte das nicht für sie. Sie leben auf einem andere Stern, der einer Scheibe gleicht! Die Programme der sogenannten Alt-Parteien tun so, als ob es diese Zeitenwende und deren Konsequenzen nicht gäbe. Daraus ergibt sich die Qual der Wahl.

Alle Blicke richten sich gegenwärtig auf die Automobilindustrie, die zu spät die falschen Maßnahmen ergriffen hat. Neben den Details hat diese Industrie m.E. ihre ureigensten Ziele verraten: Das Ziel der Automobilindustrie ist es, einen wesentlichen Beitrag zur Mobilität zu leisten. Stattdessen hat sich diese Industrie den Profit zum alleinigen Leitstern erkoren und hat versucht, jene Produkte zu produzieren, die den maximalen Profit versprachen und haben dabei die Funktion der Mobilität aus den Augen verloren. Das haben andere einfach besser gemacht. Jetzt stehen tausende von Arbeitsplätzen zur Disposition und die politischen Wahlangebote einer große Zahl von Parteien beschränkt sich im Wesentlichen auf Steuersenkungen für Mittelstand und Wirtschaft. Was ist mit der Erhaltung der Kaufkraft? Man kann nicht nur dank Steuersenkungen billiger produzieren wollen, man muss auch dafür sorgen, dass Einkommen generiert werden, die es zulassen, die Produkte zu kaufen. Insbesondere, wenn aufgrund mangelnder Wettbewerbsfähigkeit das Ausweichen in den Export schwieriger wird.

Der Bürokratieabbau wird seit Jahrzehnten diskutiert. Trotzdem haben sich seit dem Jahr 2000 die Bauvorschriften lt. einer Aussage eines Betroffenen vervierfacht, auch deshalb, weil jedes Land in Deutschland glaubt, seine eigenen Vorschriften entwickeln zu müssen. Aber das Bauen ist nicht 16-mal anders in dieser Republik. Setzt Euch zusammen, bestimmt einen sinnvollen Standard und der ist von allen Ländern (ohne Ausnahmen) zu realisieren! Sonderregelungen sind möglich, aber nur, wenn sie mit dem Bundesausschuss abgestimmt, vereinheitlicht und genehmigt werden.

Es fällt anlässlich der „Dry January“-Kampanie auf, dass in der Öffentlichkeit verstärkt darauf gedrungen wird, den Alkoholkonsum in der Getränkewirtschaft massiv zurückzudrängen. In der öffentliche Community wird rauf und runter zu Recht darauf hingewiesen, wie gefährlich der Alkoholkonsum leider generell eingestuft werden muss. Dagegen laufen die Hersteller Sturm, weil sich alkoholfreier Wein und Sekt aufgrund seiner geschmacklichen Schwäche nur schlecht vermarkten lässt. Bei Bier läuft es gegenwärtig offensichtlich besser. Alkoholfreie Biersorten wurden vielfach zu isotonen „Sportgetränken“.

Es gibt einen Dreiteiler in der ARD-Mediathek, der einerseits die Gesundheitskosten anführt, die der Alkohol auslöst und wie die Hersteller über Lobbyarbeit in der EU sicherzustellen versuchen, dass sich möglichst wenig ändert. Und die Gesundheitskosten sind gigantisch im Vergleich zum wirtschaftlichen Erfolg alkoholischer Getränke. Alkohol ist eine Droge und er muss auch als solche in der Öffentlichkeit erkannt werden. Man sucht auch dieses Problem mangels Lösungsansätzen wahrscheinlich vergeblich in den Parteiprogrammen.

Die Babyboomer gehen oder sind schon teilweise in Rente. Die Zahl der alten Mitbürger wird absehbar in den nächsten Jahren sprunghaft ansteigen. Die Rentenlast als auch die unweigerlich ansteigende Pflegelast bringen die Systeme an ihre Grenzen. Hat irgend eine Partei einen Vorschlag, wie das gelöst werden könnte, oder wo gibt es einen Hinweis, dass dieses Problem zur Lösung ansteht. Eher Fehlanszeige!?

Aber es werden gewaltige finanzielle Zusagen in Form von Steuererleichterungen in Aussicht gestellt, Wie soll das finanziell funktionieren? Was passiert, wenn die Populisten, wie immer wieder betont, es fertig bringen, Tausende oder gar Millionen sogenannter Migranten „abzuschieben“? Es fehlen uns schon heute Tausende von Arbeitnehmern, um den bestehenden Personalbedarf in Handwerk und Industrie zu decken.

Was bleibt, ist die Qual der Wahl, denn die „bunten“ Parteiprogramme umschiffen im großen Bogen die wirklichen Probleme unseres Landes und malen ein optimistisches Bild in falschen Farben. Das wird ein böses Erwachen geben. Deshalb ist es wichtig, wählen zu gehen. Wir können nur auf die Problemlösungsfähigkeiten der Parteien hoffen, wenn die Realität die „schönen“ Programme einholt haben werden.

Hans-Joachim Schellnhuber, Klimafolgenforscher (im SZ-Magazin vom 10. Januar) schließt in einem Beitrag über Klimawandel mit den Worten: „Schauen Sie zurück auf die 1930er Jahre. Geschichte kann schiefgehen. Es gab eine Zeit, als die Menschen entschieden, nicht auf die Fakten, nicht auf die Vernunft zu hören, sondern auf extreme Ideologien zu setzen. Deshalb sollte jeder sich Mühe geben, zwischen Wahrheit und Lüge zu unterscheiden. Auch wenn es manchmal schmerzvoll, ja demütigend ist.“

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