Die Vereinten Nationen (UN) haben sich 2015 auf 17 Ziele (Sustainable Development Goals – SDG) für eine nachhaltige Entwicklung geeinigt (Einzelheiten hierzu siehe: https:\\sdg-portal.de). Man kann sich vorstellen, wie viel Verhandlungsgeschick und politisch unverbindliche Formulierungen eingesetzt werden mussten, um diese Gremien-Ziele verabschieden zu können.
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Dabei ist die Formulierung solcher Ziele nur der Anfang, weil zur Umsetzung keine oder nur sehr geringe Anforderungen formuliert wurden. In diesem Fall haben sich die Mitglieder der UN als einzige Begrenzung einen Realisierungszeitraum bis 2030 gegeben. Diese 15 Jahre sind angesichts der politischen und bürokratischen „Mühlen“ m.E. eine kaum einlösbare Herausforderung.
Ziele sind auf der politischen Ebene globale Absichtserklärungen. Die 17 Ziele der SDGs sind auf der UN-Ebene qualitative Umschreibungen von künftig wünschenswerten Zuständen. Die Bundesregierung hat erkannt, dass sie auf Bundesebene bestenfalls unterstützen kann, weil unser föderaler Verwaltungsaufbau viele Entscheidungen auf nachgeordnete Einrichtungen übertragen hat. Der zweite Gesichtspunkt liegt darin, dass durch die föderale Struktur auch das Handeln bei den Ländern, Landkreisen (Regionen) und Kommunen liegt. Der Bundeseinfluss beschränkt sich auf den „goldenen Zügel“ (auf die Finanzen). Je näher aber die Ziele der SDGs an die gesellschaftliche Realität heranrücken, umso abstrakter bleiben die Zielvorstellungen.
Es fällt dem unvoreingenommenen Leser auf, dass hier im Wesentlichen die Ziele aus der Perspektive des Menschen formuliert sind. Der Ansatz ist m.E. strikt anthropozentrisch aufgebaut. Alle geplanten Maßnahmen zur Nachhaltigkeit sind ausschließlich aus der Perspektive des Menschen begründet. Die selbstkritische Frage, ob unsere anthropozentrischen Erwartungen auch von unserer Lebensgrundlage, dem Planeten Erde, künftig erfüllt werden kann, kommt den Gestaltern der 17 Ziele offensichtlich nicht in den Sinn. Man könnte auch sagen, sie machen die Rechnung „ohne den Wirt“.
Man könnte dadurch irritiert sein, dass es sich bei den SDGs um sogenannte „nachhaltige“ Entwicklungsziele handelt. Was soll der Begriff ‚nachhaltig‘ in dem Zusammenhang? Die Nachhaltigkeit ist ein eigenständiges Basisziele des Klimawandels und – so mein Verständnis – Nachhaltigkeit ist eine Aussage zu einer Maßnahme (und nicht zu einem Ziel), die die Eigenschaft der Langfristigkeit. die Umweltverträglichkeit für die Biosphäre und damit eine gewisse Zukunftsfähigkeit der betreffenden Maßnahme beschreibt.
Mit dem SDG-Ziel Nr. 1 (keine Armut) als auch mit Nr. 2 (keinen Hunger) ist keine Maßnahme verbunden. Was soll da dann nachhaltig sein? Hier stimmt m. E. die Denk-Grammatik nicht. Wenn ‚nachhaltig keine Armut‘ als Ziel verfolgt wird, was drückt diese Aussage denn aus? Soll das heißen, dass wir künftig die Vermeidung von Armut und Hunger nicht nur sporadisch, gewissermaßen nach tagespolitischer Lage, sondern als Ziele kontinuierlich und ohne ‚Wenn und Aber‘ zur Grundlage des politischen Handelns machen? Das wäre vielleicht wünschenswert, aber ist das realistisch und umsetzbar? Es ist schon überaus schwierig, den Begriff der Nachhaltigkeit im Rahmen der Klimawende inhaltlich so zu fixieren, dass ihm eine Bedeutung zukommen kann und die drohende Bedeutungslosigkeit verhindert wird. Man täte gut daran, bei den „Sustainable Development Goals“ in der deutschen Übersetzung nicht von ‚nachhaltigen‘, sondern von ‚zukunftsfähigen‘ Entwicklungszielen zu sprechen. Das würde im Übrigen der Übersetzung des englischen Wortes ‚sustainable‘ auch nicht widersprechen.
Ein konkreter Austausch über die SDGs und über die Zielerreichung der ggfs. getroffenen Maßnahmen ist nur zu erreichen, wenn die aktuelle Ausgangssituation der Kommune, des Landkreises und des Landes und letztlich der ganzen Republik nach einheitlichen Kriterien beschrieben wird. um eine ausreichende Vergleichbarkeit auf den verschiedenen Ebenen sicherzustellen.
Das ‚Handwerkszeug‘ für die Beurteilung der Vergleichbarkeit wurde 2022 vorgestellt, nachdem von den ursprünglichen 15 Jahren Umsetzungsspielraum (bis 2030) also 7 Jahre vergangen waren. Die Bertelsmann-Stiftung hat in Zusammenarbeit mit einer großen Zahl von Wissenschaftlern Indikatoren zusammengestellt, die die Ziele inhaltlich füllen, systematisieren, um dann Aussagen über die Zielerreichung auf den einzelnen Ebenen zu ermöglichen. Ergänzt werden diese Indikatoren durch Hinweise auf die statistischen Quellen, aus denen sich die jeweiligen Indikatoren-Ausprägungen speisen lassen.
Die 17 Ziele sind jeweils für sich betrachtet und aus der menschlichen Perspektive ohne viel Erklärung einleuchtend. Aber in ihrer Vernetzung erfassen die Ziele, ohne Prioritäten zu setzen, ein etwas anderes „Weltbild“ als wir es noch heute pflegen. Wir sind daran gewöhnt, dass z.B. der einseitige Vorrang der Ökonomie oder die ökonomische Sichtweise in der Regel nicht in Frage gestellt wird. Die Auswirkungen dieser einseitigen Herangehensweise auf andere Ziele der Gesellschaft werden i.d.R. nicht weiter untersucht.
Die Operationalisierung der SDGs durch Indikatoren, die die relative „Unverbindlichkeit“ des groben Ziels auf verbindliche Kategorien herunterbricht, bildet den Netzcharakter der Folgeauswirkungen deutlich besser ab. Ehemals einseitig definierte Entscheidungen werden komplexer und anspruchsvoller definiert werden müssen, weil auch die ggfs. negativen Auswirkungen auf die anderen Ziele klarer gefasst und auch durch Veränderungen der Indikatorenwerte belegt werden können. Der Netzwerk- oder Systemgedanke könnte dadurch unterstützt werden.
Die Autoren der Studie haben bei ihrer Arbeit festgestellt, dass zu bestimmten Sachverhalten keine Daten verfügbar sind. Sie haben deshalb die Indikatoren in einen Typ I und einen Typ II unterschieden. Für den Indikator des Typ I gibt es (nach Ansicht der Bearbeiter) ausreichend aussagekräftige Daten. Für die Indikatoren vom Typ II kann diese Feststellung nicht getroffen werden. Offensichtlich hat hier die neue, erweiterte Sicht auf die Dinge aufzeigen können, dass wir auf einer Reihe von Aufgabenfeld (noch) ziemlich „blind“ sind.
Ein weiterer Aspekt der Studie könnte auch darin gesehen werden, dass es – zumindest mir – unwahrscheinlich vorkommt, dass alle Ziele ausschließlich monokausale Bezüge zu ihren Indikatoren unterhalten. Mit anderen Worten: es wird Indikatoren geben, die Beiträge für unterschiedliche Ziele liefern; im Rückschluss könnte dadurch deutlich werden, dass zwischen den isoliert dargestellten Zielen offensichtlich Verbindungen bestehen und diese Verbindungen Hinweise auf positive oder negative Rückkopplungen liefern können. Das Erkenntnisse um das Beziehungsnetz zwischen den Zielen und ihren Indikatoren könnte von großem Nutzen sein.
Das SDG-Portal bietet auf Basis der Indikatoren die Möglichkeit von Vergleichen zwischen den Kommunen, Landkreisen, (Regionen) und Ländern der Bundesrepublik, die aufgrund der Indikatoren sehr weit differenziert werden können. Solange man sicherstellen kann, dass man nicht „Äpfel mit Birnen“ vergleicht, sollte das ein Anreiz sein, regelmäßig die Defizite im Bereich der Zielerreichung zu identifizieren und zum politischen Thema zu machen.
Aufgrund der identifizierbaren Schwachstellen lassen sich die notwendige Maßnahmen gestalten, sofern der politische Wille dafür vorhanden ist. Faule Ausreden sind politisch schwieriger aufrecht zu erhalten, weil das öffentlich verfügbare Datenmaterial hoffentlich eine nachweislich ‚reale‘ Wirklichkeit abbilden kann und das Geraune im politischen Raum über „Hören-Sagen“, „Meinen“ und „Vermuten“ kann ein Stück weit durch Fakten zurückgedrängt werden.
Auf der anderen Seite werden die Daten natürlich auch dazu verwendet werden, um Partikularinteressen schärfer artikulieren und begründen zu können. Der Informationspool bietet dann die Möglichkeit, solchen Partikularinteressen erfolgreich zu kontern. Der Gewinn an „Realität“ wird hoffentlich nicht durch die steigende Komplexität der Argumente blockiert.
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