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Klimawandel und das ‚liebe Geld‘

Klimawandel ist leider angesichts anderer drängender Herausforderungen etwas in den Hintergrund getreten. Vielfach reicht auch nicht die vorhandene Perspektive, um zu erkennen, dass die Klimakrise sehr umfassend unser Leben schon beeinflusst bzw. künftig beeinflussen wird, egal wie viel andere Aspekte unseres Zusammenlebens sich zeitweise in den Vordergrund schieben werden. Einen Gesichtspunkt des Klimawandels vermisse ich aber ganz besonders: den Gesichtspunkt der Finanzen.

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Dabei geht es nicht um die Schuldenbremse oder andere eher kleinkarierter Regulierungen, sondern um den Versuch einer Bewertung alternativer Lösungsszenarien. Ganz grob gestrickt gibt es nach meiner Auffassung nur zwei realistische Szenarien: das konservative, verharrende Szenario des „Augen zu und weiter so“ und als Alternative den Ansatz einer Transformation, wobei ich den Beinahmen „groß“ vorsichtshalber weglasse. Sollte der Ansatz in seinen wesentlichen Gesichtspunkten gelingen, können wir ihn immer noch rückblickend mit diesem Attribut versehen.

Das verharrende, als konservativ etikettierte Szenario lebt von der Hoffnung, dass der Klimawandel nur ein vorübergehendes Phänomen ist und der ‚Markt‘ das Problem auf die eine oder andere Art zu lösen in der Lage ist. Das Missverständnis besteht darin, dass der Markt immer in Symbiose zum Staat und seinen Institutionen steht. Nur der Staat ist in der Lage, die Voraussetzungen zu schaffen, die ein funktionierender Markt benötigt: Rechtssicherheit, Durchsetzung von Regeln, Regelung des Eigentums, Gerichtsbarkeit im Falle von Konflikten u.v.m..

Die alternative Forderung nach einer Transformation ist noch mehr als der Ansatz des „weiter so“ auf den Staat und seine funktionierenden Institutionen angewiesen, weil hier aktiv ein bewusster Wandel vollzogen werden soll und es schwer fällt, zu erkennen, ob unsere politischen Strukturen absehbar die Schubkraft vereinen können, ein solches Projekt an den Start zu bringen, geschweige denn auch durchzuhalten. Die Transformation wäre keine Frage einer Legislaturperiode oder einer bestimmten Partei, eher könnte man von einer Generstionenaufgabe sprechen.

Um diese Herausforderung nachvollziehbar zu machen, gehe ich nicht darauf ein, was wir im einzelnen alles verändern müssen oder sollten, sondern frage mich, was wird geschehen, wenn wir das Schadenereignis „Ahrtal“ (13.7. – 16.7.2021, auch als „Sturzflut Bernd“ bezeichnet) als Beispiel zu Grunde legen. Dieser Großschaden hat Kosten von 40 Mrd. Euro ausgelöst. Der Wiederaufbau ist heute nach etwa 3 Jahren immer noch nicht abgeschlossen. Und in Mai/Juni 2024 setzen Starkregenfälle einmal das Saarland und dann große Teile Süddeutschlands unter Wasser. Und jüngst auch die südlichen Teile der Schweiz Die dabei auftretende Schadenhöhe ist noch nicht seriös abschätzbar, weil es sich nicht nur um realisierte Wasserschäden handelt, sondern auch um Folgeschäden (Ernteschäden, Infrastrukturschäden u.v.m.).

Das konservative Szenario lebt von der Hoffnung, dass diese Schäden nur vorübergehend sind und dass wir (die Gesellschaft und Wirtschaft) damit umgehen können, ohne ernsthaften Schaden zu nehmen. Diese Annahme ist äußerst fragwürdig, weil die Schadenhäufigkeit seit rd. 30 Jahren „Fahrt aufnimmt“. Ein Rückgang der Schadenhäufigkeit ist nicht zu erwarten. Das Absurde der Situation liegt darin, dass unser politischer Wohlstandbarometer den Schaden gar nicht wahrnimmt. Stattdessen wird der Wiederaufbau der Zerstörung als weiteres Wachstum erfasst und stützt damit die scheinbare Vorteilhaftigkeit der Alternative „weiter so“. Die Tatsache, dass in diesem Fall der Maßstab absolut ungeeignet ist, wird gerne übersehen.

Die konservative Hoffnung ist also trügerisch. Die Großschadenereignisse nehmen weltweit zu. Die Beschleunigung der Schadeneintritte bereitet der Versicherungswirtschaft ernsthafte Sorgen. Die international agierende Sachversicherungsbranche lebt (anders als die Politik) davon, die Großschadenshäufigkeiten hinsichtlich der Schadenerwartungswerte (Schadenhöhe x Eintrittswahrscheinlichkeit) möglichst präzise zu antizipieren, um im Falle des Schadeneintritts in der Lage zu sein, die versicherten Schäden auch finanziell bedienen zu können. Für sie ist jede Fehleinschätzung der bestehenden Großrisiken bestandsgefährdend. Man kann davon ausgehen, dass hinter dieser Sorge ein reales, wissenschaftlich belegtes Risiko steckt, das die Branche in vollem Umfang und uneingeschränkt anerkennt. Damit ist die Wirtschaft der Politik, insbesondere deren Vertreter vom rechtsradikalen Rand, in der Erkenntnis der Sachlage meilenweit voraus. Wenn also die Wirtschaft unter Einsatz von Kapital sich auf ein wachsendes Problem versucht einzustellen, wäre es eigentlich an der Zeit, auch politisch das Reden durch Handeln zu ersetzen.

Die Statistiken der letzten 30 Jahre zeigen eine Zunahme der Häufigkeit von großen Schadenereignissen. Die Schadenerwartung zwingt die Sachversicherer eine ausreichende Vorsorge zu betreiben. Die Prämien werden steigen, weil die Höhe und die Zahl der Schäden zunimmt. Die Versicherer werden ihre Kunden verpflichten müssen, künftig auf eigene Kosten Schadenvorkehrungen und -vermeidung zu betreiben. In meinem Heimatort habe ich noch nie so viele „vollgelaufene“ Keller erlebt. Aus jedem zweiten Neubau wurden enorme Grundwassermengen abgepumpt. Die Kanalisation war stellenweise nicht in der Lage (lange nach dem Regenfall) das abgepumpte Wasser aufzunehmen.

Was bedeuten die Schadensphänomene von zuviel Wasser, zuviel Hitze und Dürre für die absehbare Zukunft? Das Ahrtal kämpft nach drei Jahren immer noch mit der Bürokratie und mit fehlenden Handwerkern. Stellen wir uns vor, dass solche Großschäden nicht mehr nur alle 10 Jahre in Deutschland auftreten, sondern alle fünf Jahre, dann alle drei Jahre, denn wir produzieren weiterhin munter CO2 und Methan und andere „Kostbarkeiten“, die die Wetterereignisse vor sich hertreiben. Anfänglich bleibt es punktuell, mal im Norden, mal im Süden der Republik, dann sowohl als auch und dann nahezu gleichzeitig. Und viele Schäden werden nicht versichert sein. Deutschland wird sich dann von einer Exportnation in eine „Reparaturnation“ wandeln. Die Schäden werden soviel Arbeitskapazitäten binden, dass wir über kurz oder lang die Schadenaufarbeitung zeitlich werden strecken müssen. Die Schadensfälle laufen damit unweigerlich ineinander und kumulieren sich in ihrem Aufwand. Das eine Ereignis ist noch nicht „verdaut“, da gibt es schon ein neues Schadenereignis.

Was bedeutet das für unsere Wirtschaft? Der Arbeitskräftemangel wird sich weiter verschärfen. Die Handwerksberufe werden möglicherweise eine neue Blüte erfahren, denn wer soll die Reparaturen sonst durchführen? Die Industrie ist darauf nicht eingestellt. Ihr allgemeiner Fokus liegt auf dem Verkauf von Neuware, und nicht auf der Reparaturdienstleistung. Die ständigen Reparaturen werden teuer werden, weil die Arbeitskräfte knapp sind. Das Einkommen, dass in der Vergangenheit reichlich in den Konsum floss, wird jetzt zwangsläufig in Reparaturen investiert. Bei dem damit verbundenen Rückgang des Konsums werden große Teile unserer Wirtschaft kurzarbeiten müssen. Denken wir an die Gastronomie oder an die Touristik, denken wir an Kultur und sogenannte Events. Wir laufen, ob wir wollen oder nicht, in eine uns vom Klimawandel aufgezwungene Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft, bei der sich die konservativen Vertreter des „Weiter so“ verwundert die Augen reiben werden: „Das haben wir so nicht gewollt!“ Sie können dann nur hoffen, dass das Erinnerungsvermögen ihrer Wählerklientel deutliche Mängel aufweist. Das, was mit dem ‚konservativen‘ Ansatz auf jeden Fall vermieden werden sollte, nämlich bewusst eine tiefgreifende Transformation von Wirtschaft und Gesellschaft auszulösen, muss dann als gescheitert bezeichnet werden. Wir haben dann genau jenen Zustand erreicht, den der ‚konservative‘ Ansatz auf jeden Fall vermeiden wollte.

Wir müssen davon ausgehen, dass die große Anzahl von Reparaturen erhebliches Kapital binden werden, der Konsum mangels verfügbarem Einkommen erheblich zurückgefahren wird, als Folge sinkt der Wohlstand. Es ergibt sich das Paradoxon, dass das Wachstum aufgrund der Reparaturen zunimmt, aber der Wohlstand der Bevölkerung m.E. deutlich sinkt. Diese Entwicklung könnte zur Folge haben, dass vermutlich der CO2– und der Methanausstoß drastisch abnehmen. Diese Entwicklung wäre nicht auf Deutschland beschränkt und könnte dazu führen, dass der Klimawandel eingebremst wird. Ob damit sichergestellt werden kann, dass die bis dahin eingetretenen Kipp-Punkte für die Klimaentwicklung rückgängig gemacht werden können, erscheint zweifelhaft. Diese Prozesse sind i.d.R. nicht reversibel.

Die Entwicklung dieser Vorgänge und ihre Folgen kann man nur mit einem großer Maß an Unsicherheit in eine Zeitfolge setzen. Es kann sein, dass die beschriebene Entwicklung aufgrund der Trägheit der Beteiligten und dem schwer einzugrenzenden Risikoverlauf eine exponentielle Entwicklung nimmt und damit der Verlauf des Geschehens auf der Seite des Klimawandels nicht mehr kalkulierbar sein wird. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass die gesellschaftlichen Veränderungen eine Entwicklung nehmen, die man mit dem konservativen Slogan „weiter so“ gerade ausschließen wollte. Die staatlichen Institutionen könnten zusammenbrechen.

Die Kosten für die ständig notwendigen Reparaturen werden überproportional ansteigen und werden den Wohlstand in Frage stellen. Der Klimawandel hätte dabei eine ähnliche Auswirkung auf die Wirtschaft wie eine kriegerische Auseinandersetzung: Alle Kraft konzentriert sich auf die Schadenbegrenzung bzw. die Reparaturen. Aber mit dem Klimawandel ist nicht zu verhandeln. Das Spiel geht so lange, bis die Wirtschaftsleistung sinkt. Bis dahin verschärfen wir mit jedem Jahr des Wachstums die Klimakrise. Die laufenden Reparaturaufwendungen werden gewaltige Kapitalbeträge binden, die für alternative Projekte nicht mehr zur Verfügung stehen werden. Auch dadurch wird die Wirtschaftsleistung tendenziell sinken. Wo soll bei sinkender Wirtschaftsleistung das Einkommen herkommen, mit dem die ständig neuen Reparaturen bezahlt werden sollen? Das ist ähnlich einer Kriegswirtschaft: Wir werden mehr Schulden machen müssen. Auf längere Sicht wird diese Entwicklung das Vertrauen in unsere Währung bestimmt nicht stärken.

Das hier grob umrissene Szenario hat in ähnlicher Form, aber auf anderer Grundlage, vor 22 Jahren eine Gruppe von Wissenschaftlern um Paul Raskin1 entwickelt, wobei sich dieser Kreis noch auf wesentlich mehr Hypothesen stützen musste. Die Ausführungen sind breiter angelegt, es wird allgemeiner argumentiert, sie sind aber im Ergebnis m.E. vergleichbar.

Wenden wir uns der Alternative zu, die unter dem Begriff der Transformation behandelt wird. Die Wissenschaft weiß in groben Zügen und mit einem zugegeben weiten Unsicherheitsbereich, wie diese Transformation vollzogen werden könnte. Was eindeutig fehlt, sind Politiker, denen wir diese Mammutaufgabe zutrauen können und eine Bevölkerung, die die Notwendigkeit einer Transformation erkennt und gewillt ist, diese Transformation zu unterstützen. Was wäre die Chance, die sich mit der Transformation verbinden ließe: Man hätte eine Möglichkeit, den Prozess zeitlich deutlich zu verkürzen bzw. in Teilen auch zu steuern.

Wie ist das zu verstehen? Solange wir weiterhin das „Weiter so“ praktizieren, werden aufgrund der Erwärmung der Atmosphäre die Schadenereignisse sowohl in ihrer Häufigkeit als auch in ihrer Mächtigkeit zunehmen. Das wird erst dann ein Ende finden, wenn global die Wirtschaftstätigkeit durch die Schäden soweit reduziert wird, dass wir im Grunde auf ein Niveau kommen, das der Atmosphäre die Möglichkeit bietet, ein neues dynamisches Gleichgewicht zu entwickeln. Diese Prozesse sind globale Prozesse, die zu ihrer Stabilisierung oft Jahrzehnte oder auch Jahrhunderte benötigen. Man kann auch überschlägig abschätzen, was uns die Alternative „Weiter so“ kosten wird. Es wird möglich sein, sich zu fragen, ob nicht die Forcierung der Transformation für die Menschheit die deutlich günstigere Alternative ist. Die Frage dabei bleibt, ob wir es stemmen, neben den ‚Reparaturleistungen‘ auch noch eine strukturelle Umbauleistung (eine reale Transformation) voranzubringen.

Je länger wir uns nicht trauen zu handeln, desto größer wird die später notwendige Anstrengung sein, ohne je die Garantie zu haben, dass es gelingt. Man kann m.E. keine seriöse Aussage treffen, in wieweit dieser Planet dann noch im heutigen Sinne bewohnbar sein wird. Aber je länger der Reduktionsprozess dauern wird, desto heißer wird die Erdoberfläche sein.

Die angestrebte Transformation wird diese Tendenz nicht grundsätzlich ändern können, hätte aber die Chance den Anpassungsprozess zeitlich deutlich zu verkürzen. Je schneller wir die Reduktion auf ein verträgliches Maß einleiten können, desto weniger Schäden werden wir zu reparieren haben und desto weniger „Desaster“ werden wir akzeptieren müssen.
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1Paul Raskin et al., Great Transition – Umbrüche und Übergänge auf dem Weg zu einer planetarischen Gesellschaft, Deutsche Fassung (2002) – HG der dt. Ausgabe: Hessische Landesstiftung der Heinrich-Böll-Stiftung e.V. (HGDÖ), S.33 – 35 u. S. 37 – 39

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