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Ein etwas anderer Ansatz (III): mit dem Risiko tanzen?

Die Frage nach der Zukunft unserer kommenden Generationen wird gegenwärtig, so mein Eindruck, aus zwei Blickwinkeln oder Perspektiven beleuchtet. Die eine Perspektive beurteilt das Problem aus der Sicht der Produktion bzw. des Ressourcenverbrauchs. Die Aussagen zu dieser Perspektive sind klar und eindeutig. Die andere Perspektive nähert sich der Frage über Begriffe wie Klimaneutralität (bis 2045 oder früher), Nachhaltigkeit, Energiewende u.v.a.. Dieser Ansatz ist m.E. hochgradig Technologie lastig. Man hat nicht den Eindruck, dass die Vertreter der jeweiligen Perspektive von der gleichen Problemlage sprechen bzw. die gleichen Ziele verfolgen.

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Im Folgenden möchte ich versuchen die Perspektiven auf einem relativ abstrakten Niveau in seinen unmittelbaren erkennbaren Zusammenhängen gegenüberzustellen.

Grundlage

Beginnen wir mit der Problembeurteilung aus der Sicht des Ressourcenverbrauchs. Ausgangspunkt ist eine einfache und klare Aussage: Global gesehen verbrauchen wir (die Menschen) mit unserer Lebensweise (im Durchschnitt) etwa 1,7 Planeten[1]. Wir haben aber nur einen Planeten zur Verfügung. Die sich dieser Gegenüberstellung aufdrängende Lösungsstrategie lautet schlicht: Wir müssen alles tun, um innerhalb weniger Jahrzehnte unseren Verbrauch so zu reduzieren, dass sich der Verbrauch und das verfügbare Potenzial unserer Erde „die Waage halten“ können

Bei der Aussage fällt auf, dass sie offensichtlich mengenorientiert (und nicht wie üblich geldorientiert) ist. Das Problem, vor dem wir stehen, wird schlicht und ohne Schnörkel auf seine reale Basis zurückgeführt. Es ist ähnlich aufgebaut, wie der „Footprint“, der sich nicht auf einen Geldbetrag festnageln lässt, sondern deutlich macht, wieviel Hektar Ackerboden pro Einwohner notwendig sind, um unseren gegenwärtigen Verbrauch in Deutschland oder in Europa zu befriedigen. Dem steht eine Ackerfläche pro Person gegenüber, die unsere Erde verkraften könnte. Dieser Ansatz entzieht sich auf diese Weise elegant dem alles dominierenden ökonomisch monetären Ansatz.

Die andere Perspektive verweigert sich dem direkten Bezug und bringt lieber einen ‚Stellvertreter‘ ins Spiel: Man sagt nicht, dass wir unseren Verbrauch reduzieren müssen, sondern man erklärt dem staunenden Publikum, dass mit unserem Lebensstil zu viel CO2 in die Luft geblasen wird, dass sich deshalb das Klima zu verändern droht bzw. schon verändert hat. Man weist weiterhin darauf hin, dass wir nachhaltig wirtschaften sollen (was immer das heißen mag) und man diskutiert auch schon lange über die geplante Energiewende, bis dann der Einmarsch der Russen in die Ukraine und der verfügte Gaslieferstopp unserer abstrakten Diskussion ein Ende setzte und uns (und Europa) zum Handeln zwang.

Dabei bleibt die Frage offen, ob die Maßnahmen zur Bekämpfung der Klimakrise in der Lage sind, das eigentliche Problem (die Reduktion unseres Verbrauchs) zu lösen? Plakativ ausgedrückt nützt es wenig, wenn wir unseren CO2-Ausstoß auf eine Klimaneutralität durch neue technische Verfahren und ökonomische Anreize versuchen herunter zu fahren, aber gleichzeitig auf dem Verbrauchsniveau von 1,7 Planeten (oder inzwischen gar mehr) verharren. Wir haben nur Zeit und Chancen verloren und viel Geld verbrannt, das uns an anderer Stelle fehlen wird. Vergleichbares gilt für die Nachhaltigkeit. Sie nützt uns wenig, wenn wir nicht unseren Verbrauch senken. Wir müssen mit dem einen verfügbaren Planeten nachhaltig umgehen. Auf der Ebene eines Verbrauchs von 1,7 Planeten erscheint die Nachhaltigkeit sinnlos. Und der Technologie lastige Ansatz krankt insbesondere daran, dass jede Realisierung von neuer Technologie zur besseren ‚Beherrschung‘ der Klimakrise den Ressourcenverbrauch automatisch erhöht (ein sogenannter Rebound-Effekt).

Konsequenzen

Der Fokus auf dem Ressourcenverbrauch führt durch den Footprint-Ansatz auf den Kern des Problems. Er ist aber dem Publikum nur schwer zu vermitteln. Nach rd. 200 Jahren technologischer und ökonomischer Entwicklungsrekorde im Rahmen des kapitalistischen Systems erscheint es nicht opportun, festzustellen: „wir haben uns durch unseren Erfolg selbst in ernsthafte Schwierigkeiten gebracht. Wir müssen nicht nur aufhören, vorwärts zu stürmen, wir müssen sogar zurück auf einen Punkt, der rd. 40% unter dem heutigen Ansatz liegt.“ Angesichts unserer Wohlstandskonditionierung, bei der eine Maskenpflicht schon auf erheblichen Widerstand stößt, wird es klar, dass ein solches Ansinnen zwar nötig und sinnvoll wäre, aber politisch nicht durchsetzbar ist. Dabei ist das große Hindernis, dass wir die Defizite des übermäßigen Verbrauchs zu Anfang noch gar nicht so recht spüren.

Niko Paech hat in einem Interview auf die Frage, wie denn der Übergang von unserer Wachstumsideologie auf eine von ihm vertretende Postwachstumsökonomie erfolgen könnte, einen amerikanischen Kollegen zitiert: entweder „by design“ oder „by desaster“. Er hat dabei nur die Bandbreite des Geschehens umrissen und hat sich nicht auf die eine oder andere Form festlegen lassen.

Wir sind betroffen, wenn das „desaster“ z.B. im Ahrtal zuschlägt, aber es ist für viele Menschen nicht so recht nachvollziehbar, dass das alles nur der Anfang ist. Das Desaster kommt nicht über uns wie eine biblische Apokalypse. Die Veränderung hat schon vor Jahrzehnten in kleinen Schritten eingesetzt, sonst wäre es den Verfassern der „Grenzen des Wachstums“ 1972 nicht möglich gewesen, ihr Gutachten so treffsicher und radikal zu entwickeln.

Wir haben aufgrund der fehlenden politischen Durchsetzungsmöglichkeit offiziell keine Krise des Ressourcenverbrauchs, stattdessen eine Klimakrise, also eine Stellvertreter-Krise. Es klingt viel netter und verbindlicher und ist für jedermann dank des ausführlichen täglichen Wetterberichtes mehr oder weniger persönlich anhand von Trockenheit, Starkregen, Windhosen, Wasserknappheit, u.s.w. spürbar und damit in Teilen nachvollziehbar. Aber durch die Namensänderung des Projektes ging der übermäßige Ressourcenverbrauch als Problemwahrnehmung beim Publikum verloren.

Wenn wir unverändert den übermäßigen Ressourcenverbrauch im Fokus hätten, so müssten wir unsere Wirtschaftsleistung innerhalb eines sehr überschaubaren Zeitraums um ca. 40 % reduzieren. Ich bin mir ziemlich sicher, dass nach Realisierung einer solchen Reduktion unserer Wirtschaftsleistung das Thema „Klimakrise“ keine erwähnenswerte Bedeutung mehr hätte. Stattdessen starren wir heute auf die CO2 – Entwicklung und müssen feststellen, es läuft nicht in die gewünschte Richtung. Stattdessen steigt die CO2-Konzentration unverändert heftig. Diese Erkenntnis lässt mindestens zwei Überlegungen zu:

  1. Die Erwartungen in die Wirkungsweise der CO2-Maßnahmen werden nicht erfüllt, weil die Instrumente nicht die richtigen sind oder weil eine strikte Anwendung der Instrumente am politischen Willen scheitert.
  2. Der übermäßige Ressourcenverbrauch müsste durch Tonnen oder eine sonstige eindeutige Mengenangabe dargestellt werden. Durch den Transmissionsriemen CO2 gibt es zusätzliche Einflussgrößen, die die Unmittelbarkeit der Messung aufheben. Es fängt bei der Monetarisierung der CO2-Zertifikate an. Das lenkt systematisch vom Problem ab und verwirrt das geschätzte Publikum (was möglicherweise beabsichtigt ist).

Zurück zur Verbrauchsreduktion: Die angeführten rd. 40% Reduktion erscheinen notwendig, um den Verbrauch von ca. 1,7 Planeten auf einen Planeten zurückzuführen. Das ist zugegeben eine „Milchmädchenrechnung“, aber sie vermittelt ein Bild von der Bedeutung dieses Schrittes und von der Wucht der erforderlichen Maßnahme. Gleichzeitig wird es dem Leser vielleicht möglich, zu erkennen, dass die bisher eingeleiteten Maßnahmen angesichts der Wucht der Problemstellung etwas kleinkariert daher kommen. Man kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass hier nicht ehrlich nach einer ‚angemessen richtigen‘ Lösung des Problems gesucht wird. Die auseinanderstrebenden Interessen der Beteiligten dominieren den Ansatz. Der kleinste gemeinsame Nenner ist Grundlage der ‚Zusammenarbeit‘.

Die Wirtschaftswissenschaften kennen zwar Firmenzusammenbrüche und kollabierende Volkswirtschaften. Das Problem tritt auf wie ein ‚Schwarzer Schwan‘ (N. Taleb) und die Wirtschaftswissenschaften hoffen dann, den Zusammenbruch auffangen bzw. den Wiederaufbau unterstützen zu können. Aber mit Vorsatz die Wirtschaftsleistung einer globalen Volkswirtschaft um 40% möglichst geordnet herunterzufahren, steht in keinem Lehrbuch. Damit hat sich die Ökonomie in den letzten 200 Jahren mit Sicherheit nie befasst. Wir betreten damit komplettes Neuland.

Schon die Frage, ob es sinnvoll ist, weiterhin Wachstum zu produzieren, gilt als Verrat am orthodoxen ökonomischen Glaubensbekenntnis. Man strebt ständig zu den Sternen. Der letzte, der sich m.E. dezidiert mit dem Ende des Wachstumswahns befasste, war John Maynard Keynes, wobei er davon träumte, dass dann, wenn alle in einem angemessenen Wohlstand lebten, die Wochenarbeitszeit stark zurück gehen könnte. Er hat aber nicht mit der Gier und der chrematistischen Haltung (der Lehre vom Reichwerden) vieler der Beteiligten gerechnet.

Es gibt Ansätze für die Diskussion einer Wirtschaftsform, die ein gewisses Gleichgewicht einzuhalten in der Lage wäre (Steady-State-Economy). Aber diese Erkenntnisse hätten erst dann Erfolg, wenn wir die besagten 40% Reduktion realisiert haben. Wir wären dann auf einem Zustandsniveau, das Niko Paech im Rahmen der Postwachstumsökonomie in seinen Büchern zugrunde legt.

Mit anderen Worten: Nicht nur Wachstum ist keine Option mehr. Wir müssen als logische Folgerung aus der Erkenntnis einer deutlichen Übernutzung unserer Ressourcen unsere Wirtschaftstätigkeit herunterfahren. Aber es gibt m.W. keinen Plan, noch Teile, noch einen Ansatz eines solchen Plans. Alles, was wir wissen und diskutieren, setzt zu einem Zeitpunkt auf, nachdem die Reduktion schon erfolgt ist. Mit anderen Worten: die Wahrscheinlichkeit, dass die anstehende Transformation „by design“ erfolgt, ist mangels notwendiger Kenntnisse und Erfahrungen äußerst gering.

Das klingt pessimistisch, ist es aber nicht. Ich würde es bodenlos realistisch nennen. Richtig ist, wir stehen vor großen Herausforderungen, die wir zu kennen glauben und in Grenzen einschätzen können, aber aus politischen Gründen nicht lösen können. Aber glauben Sie nicht, dass der Weg hin zu unserem Wohlstand „by design“ erfolgte? Das übersteigt meine Vorstellungskraft. Die meisten Ereignisse, die uns als Problem treffen, geschehen nicht „by design“. Die Erwartung ist fatal, dass die Dinge einem Plan folgen oder durch ein Design gesteuert werden könne. Die meisten Veränderungen erfolgen disruptiv (by desaster). Es kommt darauf an, sie als solche möglichst frühzeitig zu erkennen, sich vorbereitet zu zeigen, um dann, wenn der „Schwarze Schwan“ gelandet ist, vernünftig mit kühlem Verstand zu handeln. Der Tanz mit dem Risiko endet nie. Es bleibt spannend!!


[1] Wie diese Zahl ermittelt wird, ob sie „richtig“ ermittelt wurde, ist dabei zweitrangig. Sie beschreibt den Zustand einer gnadenlosen Übernutzung des Planeten Erde auf die richtige und eindeutige Weise.

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Gesellschaftliche Transformationsszenarien

Der Ton wird rauer. Das Unvermögen der Politik in den Fragen der Transformation wird von Tag zu Tag deutlicher. Es liegt aber nicht nur an der Politik. Auch die Wissenschaft (soweit ich sie überblicke) rennt einem Traum hinterher und glaubt, im letzten Moment noch die große technologische „Erlösung“ zu entdecken, die es dem durch die Wachstumsideologie verwöhnten Bürger ermöglicht, unbehelligt das „Weiter so“ zu zelebrieren.

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 Eine einfache Reduzierung unseres Verbrauchs scheint offensichtlich keine Option zu sein, obwohl die Reduktion der mit Abstand direkteste Lösungsbeitrag sein könnte. Dem steht die (nachvollziehbare) Sorge der Politik gegenüber, durch die Propagierung einer Reduktion der Lebensverhältnisse die Gunst der Wähler zu verlieren.

Die Wissenschaft hat sich auch deshalb der Transformation in erster Linie technologisch genähert, indem sie intensiv technologische Wege der Vermeidung und Umgehung gesucht hat. Und das tut sie nach meinen Erkenntnissen auch heute noch. Wir sind durch unsere technologischen Erfolge der Vergangenheit so „rammdösig“ auf Technologie fixiert, dass wir die nicht mit der Technologie verbundenen Ansätze einer Umsetzung völlig vernachlässigen. Der Weg der „Befreiung vom Überfluss“ (Niko Paech) wird gar nicht ins Kalkül gezogen, weil wir uns damit auf die Ebene einer gesellschaftlichen Problemlösung begeben würden. Und davor schrecken sowohl die Politik als auch die Wissenschaft zurück, als ob dieser Lösungsansatz „des Teufels“ wäre.

Dabei stelle ich nicht die Umsetzung der Technologie in Frage, sondern stelle mir die Frage, wie können wir die Gehirne und Herzen der Bürger für die Umsetzung der Transformation gewinnen? Was nützt uns die tollste Technologie, die uns den Eindruck vermittelt, wir müssen nur zwei Knöpfe drücken und dann ist der „Klimaspuk“ vorbei, wenn das Problem darin liegt, die Menschen erstmal von der Illusion zu befreien, man könne das Problem mit den berühmten „zwei Knöpfen“ tatsächlich lösen.

Das Problem gilt als hochkomplex und man beschäftigt sich bei der Technologiesuche auch auf einem hoffentlich angemessenen hohen Komplexitätsniveau, aber der große ‚Knackpunkt‘ ist doch die komplexe gesellschaftliche Umsetzung, die nur erfolgreich sein kann, wenn die Bürger die Transformation positiv aufnehmen bzw. die Veränderung mit Leben erfüllen.

Die Wissenschaft hat in der Zwischenzeit schrittweise jene Felder identifiziert, auf denen der technologische Wandel stattfinden muss oder sollte. Stichworte sind[1]:

  • Energiewende
  • Wärme und Wohnwende
  • Ernährungswende
  • Mobilitätswende
  • Industrie – und Konsumwende

Dieser Reihe von Gesichtspunkten ist aus der technischen Perspektive wenig hinzuzufügen. Aber die Frage, wie der Wandel in die Wege geleitet werden könnte, ist dadurch noch mit keinem Wort angesprochen. Wir wissen viel über die Ziele (das ist am Unverfänglichsten) und verfügen über beachtliche Informationen über die technischen Mittel der Transformationsmöglichkeiten. Wir haben aber offensichtlich keine tiefergehende Vorstellung von den gesellschaftlichen Problemen und deren potenziellen Überwindung.

Wir sollten uns deshalb einen Augenblick Zeit nehmen und uns den „Gegner“ – das herrschende Wirtschafts- und Lebensmodell des Kapitalismus – ein wenig genauer ansehen. Das Modell hat uns in den letzten Jahrzehnten eine Reihe von großen Vorteilen vermittelt. Aber seit über 50 Jahren(!) wissen wir, dass dieses Modell auf längere Sicht nicht mehr lebensfähig sein wird.

Lassen wir alle technologischen Überlegungen beiseite und fragen uns, wie hat es dieses Modell geschafft, so erfolgreich zu werden? Wie war es möglich, dass ein Wirtschaftssystem unser Handeln und Denken so stark beeinflusst, dass wir trotzdem dieses System „cum grano salis“ mehrheitlich unterstützen?

Eine Antwort könnte uns die Systemtheorie geben: Unser obsoletes Wirtschaftssystem bringt eine Vielzahl von Menschen (als Elemente eines Systems) unter einer Zielvorstellung (einer oder mehrerer Funktionen) zusammen. Die meisten Menschen bringen sich in das System als Individuen ein und entwickeln unter dem Systemziel etwas Gemeinsames, was die Systemtheorie als „Emergenz“ bezeichnet: Es entwickeln sich in sozialen Systemen unter dem Gesichtspunkt der Selbststeuerung (Autopoiesis) Regeln, Rituale, Verhaltensweisen und Teilsysteme, die dann, wenn wir das System nur als eine Anhäufung von Individuen betrachten würden, so gar nicht möglich wäre. Die Idee des Systems ist also mehr als die Summe seiner Teile! (Wer sich hiermit beschäftigen will, den möchte ich auf die Systemtheorie[2] verweisen.)

Mit anderen Worten: Eine gelingende Transformation muss es sich zum Ziel setzen, eine ‚neue‘ Emergenz zu schaffen oder die alte, bestehende so zu verändern, dass die veränderte Emergenz (die neuen Regeln und Verhaltensweisen) den gewünschten neuen Zustand fixieren. Das muss das Ziel der (nicht technischen) Maßnahmen zur Transformation sein.

Wie hat es das alte, bestehende System geschafft, dass eine breite Mehrheit das System noch unterstützt, obwohl den meisten klar sein müsste, dass dieses System am Ende nicht für die Zukunft geschaffen ist? Oder systemisch ausgedrückt: Durch welche Maßnahmen kann die bestehende „Emergenz“ des Kapitalismus aufrechterhalten werden?

Hierzu müssen wir uns über ein paar Zusammenhänge klar werden: das bestehende System mit seiner Wachstumsideologie unternimmt ständig große finanzielle Anstrengungen, um seine Emergenz aufrecht zu erhalten. Es gibt in dem bestehenden System ein Subsystem, das jeden Tag und jede Stunde sehr subtil und dezentral die herrschende Wachstumsideologie propagiert. Das Subsystem kann man recht gut mit dem Begriff ‚Marketing‘ umschreiben. Das Subsystem sendet uns täglich oder stündlich unaufgefordert Botschaften, wie wir, was wir und in welchem Umfang konsumieren sollen, um das Wirtschaftssystem am Laufen zu halten.

Im politischen Raum würde man diese Einflussnahme als Propaganda bezeichnen, als den ständigen Versuch, unsere Gehirne und Emotionen für die Ideologie des Wachstums mit ihrem ‚Mehr, Weiter und Höher‘ zu gewinnen. Für uns ist das (erstaunlicher Weise) aber keine Propaganda mehr – wir sind offensichtlich so daran gewöhnt (brain washed), dass wir den Vorgang zwar als lästig empfinden, aber als völlig normal und ‚unvermeidbar‘ einstufen.

Man könnte die Frage stellen, ob diese als ‚Propaganda‘ bezeichnete Vorgehensweise tatsächlich Wirkung zeigt, weil wir die Beeinflussung im täglichen Leben i.d.R. nicht mehr wahrnehmen. Eine einfache Überlegung gibt einen klaren Hinweis: In Deutschland werden jedes Jahr von den Unternehmen viele Milliarden Euro für Maßnahmen des Marketings ausgegeben. Wenn dieser Aufwand keine angemessene Wirkung zeitigen würde, müssten wir an der ökonomische Rationalität der unternehmerischen Entscheidungen zweifeln. Die Unternehmen betreiben Marketing, weil sie erkannt haben, dass Marketing einer der größten ‚Treiber‘ für die von ihnen bewusst oder unbewusst vertretende Wachstumsideologie ist.

Die Erkenntnisse der Wissenschaft geben uns nun seit vielen Jahren deutliche Hinweise, dass die Wachstumsideologie ein Ende finden muss – Wachstum muss durch Nachhaltigkeit ersetzt werden. Es hat aber wenig Sinn, gegen den ständigen Einfluss der Wachstumsideologie zu kämpfen, solange wir die Wachstumspropaganda nicht deutlich schwächen oder gar weitgehend unterbinden können.

Im Wettstreit der wohlfinanzierten Wachstumsideologie mit dem Nachhaltigkeitsprinzip bleibt die Nachhaltigkeit allein aus finanziellen Gründen auf der Strecke. Immer wenn wir uns (mal) mit dem Gedanken der Nachhaltigkeit befassen, hat die Wachstumspropaganda schon viel tausendfach zugeschlagen. Hirn und Emotion der Menschen gehören offensichtlich (noch lange) nicht der Nachhaltigkeit, sondern eher dem schnellen Massenkonsum und der fixen Idee des Wachstums.

Wenn die Nachhaltigkeit sich durchsetzen soll, müssen wir einen Weg finden, die Wachstumspropaganda deutlich zu schwächen und eine eigenständige Nachhaltigkeitspropaganda neu aufsetzen. Das ist unter den gegebenen Bedingungen ein Kampf ‚David gegen Goliath‘. Die Chancen für David (für die Nachhaltigkeit) stehen nach aller Erwartung extrem schlecht, es sei denn, wir finden einen ‚Triggerpoint‘, an dem wir die Wachstumspropaganda empfindlich treffen können.

Der Vorschlag hierzu liegt darin, dass künftig (mit einer kurzen Übergangsfrist) die Aufwendungen der Unternehmen für Marketing (also für die täglich auf uns niederprasselnde Wachstumspropaganda) steuerlich ohne Wenn und Aber als nicht mehr abzugsfähig gestaltet werden. Das heißt konkret, dass die vielen Milliarden Marketingaufwand in voller Höhe zu versteuern sind. Die steuerlichen Gewinne erhöhen sich im ersten Schritt (und damit auch das Steueraufkommen, aus dem vermutlich auch die Nachhaltigkeitspropaganda finanziert werden muss). Wenn dann, wie von den Unternehmen erwartet, die Umsätze aufgrund geringerer Marketingaufwendungen sinken würden, werden auch die steuerlichen Gewinne wieder rückläufig sein.

(Kleine Anmerkung: Sollte sich zeigen, dass die Umsätze ähnlich wie bei der Einführung der Nichtabzugsfähigkeit von Schmiergeldern in der 1990er Jahren gar nicht sinken, bleiben die erhöhten steuerlichen Gewinne im Wesentlichen unverändert und die Ausgaben für Marketing der vergangenen Jahrzehnte würden sich im Nachhinein als schlichte Fehlallokation erweisen. Vermutlich liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen.)

Mit der Nichtabzugsfähigkeit der verkaufsbezogenen Marketingaufwendungen[3] würden sich alle Marketingprojekte nach heutigen Steuersätzen um etwa 40% verteuern. Marketing wird dadurch zu einem ‚Luxus‘ und nur dort eingesetzt, wo mit sehr großer Wahrscheinlichkeit ein Erfolg der Wachstumspropaganda zu erwarten ist. Vieles andere wird aus Kostenerwägungen unterlassen. Die Stärke der finanziellen Basis der Wachstumspropaganda wäre damit gebrochen. Und das entspräche dem Ziel der Maßnahme. (Es gibt dabei noch viele offene Fragen, die in diesem Rahmen nicht abschließend diskutiert werden können.)

Erst jetzt aber hat es einen Sinn, systematisch eine Nachhaltigkeitspropaganda aufzubauen, weil zumindest ein stückweit ‚Waffengleichheit‘ zwischen der alten Wachstumspropaganda und der neu zufassenden Nachhaltigkeitspropaganda herrscht. Letztere gilt es aufzubauen und zu etablieren und die bestehende muss in ihrer Wirkung beständig zurückgedrängt werden.

Die Erwartung, dass unser Wirtschaftssystem Träger der neuen Nachhaltigkeitspropaganda werden könnte, wäre m.E. absolut naiv. Da sich angesichts des Problems der Klimakrise auch ein verstärktes Verständnis von einer wissensbasierten Gesellschaft durchsetzt, wäre zu überlegen, den Träger der neuen Nachhaltigkeitspropaganda bei der Wissenschaft anzusiedeln, um zu vermeiden, dass die Propaganda all zu leicht für parteipolitische Zwecke Verwendung findet. Im Wissenschaftssystem sollte das Wissen um die Nachhaltigkeit am ehesten versammelt sein, so dass auch die Trägerschaft für die Kommunikation über Nachhaltigkeitspropaganda sinnvollerweise dort angesiedelt werden sollte. Propaganda ist bestimmt kein genuines Geschäft der Wissenschaften, also wäre es nötig, dort eine Agentur (eine Institution) zu schaffen, die die Nachhaltigkeitspropaganda z.B. unter der Aufsicht eines Wissenschaftsrates formuliert und vorantreibt. Dabei sollten die propagandistischen Botschaften vielleicht etwas mehr werblichen Pep erhalten als in Kreisen der Wissenschaft üblich ist.

Die Nachhaltigkeitspropaganda muss letztlich argumentativ alle Register ziehen, um Hirn und Herz möglichst vieler, aber nicht notwendig der meisten Menschen gewinnen können. Mehrheiten sind nicht notwendig die Voraussetzung, um Nachhaltigkeit zu forcieren. Der Nachahmungseffekt als Massenphänomen darf hier nicht unterschätzt werden.

Der vorliegende Vorschlag wäre m.E. die Skizze für einen völlig neuen Ansatz. Die Nachhaltigkeit würde nach zwischenzeitlich anerkannten und kommunizierten Notwendigkeiten propagiert werden. Damit wäre die Definitionsgewalt, was wir in der jeweiligen Situation unter „nachhaltig“ verstehen sollten, dem unmittelbaren Einfluss der Politik entzogen. Politik könnte einwenden, argumentieren. kommentieren, auch entscheiden, aber die Definitionshoheit der Nachhaltigkeit läge für die Allgemeinheit (und damit auch für die Wirtschaft) bei der Wissenschaft und wäre der Politik ein Stück weit entzogen. Ob die Vorstellung einer wissensbasierten Gesellschaft von der Politik unter diesen Voraussetzungen geteilt wird, bleibt abzuwarten. Wenn wir dem Wissen eine verstärkte Rolle in unserer Gesellschaft bereitstellen wollen (und das käme mit dem Begriff einer wissensbasierten Gesellschaft letztlich zum Ausdruck), dann hat das auch Folgen für die Bedeutung der Politik und deren Entscheidungsfindungen.

Dazu müssen wir aber eine Nachhaltigkeitspropaganda schaffen, aufgrund deren hoffentlich breiter Akzeptanz sich die Emergenz des Systems verändert. Damit wird  auch die Politik in ihrem Handeln ein Stück weit festgelegt. Vereinfacht ausgedrückt sollte die Politik „dem Volk auf Maul schauen“ und das „emergente Maul“ wird zu einem gehörigen Teil durch die angestrebte Nachhaltigkeitspropaganda argumentativ geformt. Und damit schließt sich der Kreis.


[1] Miosga, Manfred, Kommunen auf dem Weg in die Nachhaltigkeit; Vortragsmanuskript FFB, Mai 2022

[2]  Willke, Helmut, Systemtheorie I – III, u.a. 2014

[3] Auch die neue Nachhaltigkeitspropaganda kann unter den Begriff des Marketings i.w.S. erfasst werden. Es ist deshalb wichtig, nur umsatz- und imagebezogenes Marketing als nicht abzugsfähig zu deklarieren. ‚Nicht-gewerbliches Marketing‘ wäre folglich unverändert steuerlich abzugsfähig.


[*] Eine Reaktion auf eine Studie der Heinrich Böll Stiftung und Konzeptwerk Neue Ökonomie (HG): „A Societal Transformation Scenario for Staying Below 1,5° C“, 2020

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