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Wo liegen die Konfliktpotenziale?

Es scheint bei der Mehrzahl der Bürger angekommen zu sein, dass wir tatsächlich vor einer „Zeitenwende“ stehen. Viele aber glauben immer noch an das „Weiter So“, weil sie es sich in der Bequemlichkeit eingerichtet haben. Und schimpfen auf die Regierung, weil sich so viele Veränderungen abzeichnen, deren Tragweite sie so gar nicht verstehen (wollen). Dabei ist der offensichtliche Krieg in der Ukraine nur ein (schlimmer) Mosaikstein im Rahmen der zahllosen anstehenden Veränderungen.

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Die Kurzsichtigkeit vieler Bürger wird auch daran deutlich, dass immer, wenn von einer Transformation die Rede ist, die Vorstellung auftaucht, dass statt Kapitalismus die alte Leier Verwendung findet, dass nun Sozialismus oder Kommunismus drohe. Dabei ist den Damen und Herren gar nicht bewusst, dass der Kapitalismus im Laufe seiner kurzen Geschichte auch geographisch eine Vielzahl von unterschiedlichen Formen entwickelt hat. DEN Kapitalismus gibt es nicht! Der Kapitalismus folgt einer evolutionären Entwicklung. Er kennt keine Blaupause, keinen Plan. Im Rückblick lassen sich Elemente identifizieren, die so etwas wie eine Charakteristik des Kapitalismus beschreiben. Das ist aber nicht das Ende der Geschichte.

Eine der ersten Zumutungen, die der Bürger zu verdauen hat, ist die Tatsache, dass sowohl unsere Gesellschaft als auch unser Wirtschaftssystem nicht aus sich selbst heraus bestehen können. Wir sind an eine funktionierende Biosphäre gebunden und sind Teil dieses globalen Systems, dem wir nicht entrinnen können. Damit fällt unsere Vormachtstellung weg, die wir uns seit biblischen Zeiten eingebildet haben – macht euch die Welt untertan.

Jahrtausende war dieser Imperativ darstellbar, aber die wachsende Bevölkerungszahl und unsere Ansprüche haben den Planeten an seine absoluten Grenzen geführt. Dabei war bis vor 250 Jahren diese Entwicklung nicht vorhersehbar. Wir haben unsere heutige Vormachtstellung als Spezies erst in den letzten 200 Jahren schrittweise eingenommen, als wir begonnen haben, mit hohem technologischem Anspruch den Planeten egoistisch ausschließlich auf unsere Bedürfnisse hin auszubeuten. Und vor 250 Jahren entwickelte sich parallel zur Technologie der Kapitalismus. Die Folge ist ein nie gekannter Wohlstand, der sich auf eine unverhältnismäßige Ausbeutung des Planeten in dieser Zeitspanne gründet. Künftige Generationen werden diese einmalige Chance wohl nicht mehr haben.

Wir erhielten spätestens vor ca. 50 Jahren erste Anzeichen, um zu erkennen, dass unserer Verhalten und unsere Ansprüche an das System der Biosphäre an ihre Grenzen kommen. (Meadows, Die Grenzen des Wachstums, 1972) Noch heute glauben oder – sagen wir besser – hoffen die Ökonomen auf ewiges Wachstum, weil dann eine kapitalorientierte Wirtschaftspolitik mit Hinweis auf eine „goldene Zukunft“ viel leichter zu verkaufen wäre. Aber nach allem, was wir heute wissen, wäre die Zukunft nicht so ersprießlich.

Es ist eine nicht hinterfragte Redewendung, dass der Kapitalismus ohne Wachstum nicht funktioniert. Japan weist seit rd. 25 Jahren kein Wachstum mehr aus, aber der Wohlstand hat dadurch nicht ernsthaft gelitten. Mit anderen Worten: Da wird etwas verwechselt: Wirtschaftswachstum ist keinesfalls mit Wohlstand gleichzusetzen. Und seien wir ehrlich: Wachstum interessiert nur die Politik als Metapher für ihren möglichen Erfolg und vielleicht noch die Spitzen der Industrieverbände, die mit dieser Zahl dann Politik betreiben können. Für Sie und mich hat die Veränderung des Bruttoinlandsproduktes (BiP) keine unmittelbar persönliche Bedeutung. Es ist für die interessierten Kreise auch nur so etwas wie ein Indikator: völlig abstrakt und ohne jede praktische Wirkung. Stellen Sie sich vor, das Wachstum bleibt aus (= 0); die Boni und Tantiemen der Vorstände und Banker bleiben davon doch völlig unberührt. Warum sollte diese Erkenntnis dann für Sie (oder für die Vorstände) eine reale Bedeutung besitzen?

Gehen wir zurück auf die banale Erkenntnis, dass zwischen unserem Wirtschaftssystem und dem globale System der Biosphäre eine nicht aufhebbare Abhängigkeit besteht. Dabei ist das System der Biosphäre (landläufig auch als „Natur“ bezeichnet) die Basis und das Wirtschaftssystem baut darauf auf oder anders ausgedrückt: in dem globalen System der Biosphäre ist das Wirtschaftssystem neben anderen Systemen als ‚Subsystem‘ zu verstehen. Das globale System gibt den im Laufe von Jahrtausenden geschaffenen Rahmen vor, der von Seiten der Subsysteme eingehalten werden muss. Die Vertreter unseres Wirtschaftssystems sehen diesen Zusammenhang seit Jahrzehnten anders. Das globale Wirtschaftssystem fühlt sich weitgehend ungehindert berufen, den „Takt“ vorzugeben, dem sich das System der Biosphäre zu „unterwerfen“ habe. Diese Erwartung wird wohl nicht zu erfüllen sein ohne den Planeten auf die lange Sicht unbewohnbar zu machen.

Viele Einzelentscheidungen folgen heute unverändert dieser ökonomischen Logik: Wenn es um Geld geht, wenn eine Maßnahme Gewinn verspricht, wenn es um Wachstum geht, marschiert das Wirtschaftssystem i.d.R. durch, ohne Rücksicht auf andere nicht monetäre Interessen zu nehmen. Die Folgen dieses verhängnisvollen Machtanspruchs spüren wir mehr und mehr als Klimakrise, weil die ausschließlich gewinngetriebene Vorgehensweise Schritt für Schritt Wirkungen im globalen System der Biosphäre zeitigt. Die Veränderungen ‚produzieren‘ zwar Geld, aber auch unerwünschte Nebenwirkungen und beeinflussen zunehmend die Lebensumstände einer dicht besiedelten Welt in einer Weise, dass für große Teile des Planeten das System der Biosphäre keine akzeptablen Lebensgrundlagen mehr bereitstellen kann.

Es lohnt sich, die Frage zu stellen, wo und wie sich die Funktionalitäten der Biosphäre von der Funktionalität des Subsystems Wirtschaft unterscheiden. Wenn wir hier zu Recht einen Konflikt vermuten, so wäre es von Vorteil, nach den Konfliktgründen zu suchen, um die Zusammenhänge besser zu verstehen. Da die Biosphäre noch komplexer (vielfältiger) ist als das Subsystem der Wirtschaft, erscheint es sinnvoll, den Ausgangspunkt der Untersuchung von der Seite des Subsystems zu nehmen, um schneller zu einer Aussage zu kommen als bei einem umgekehrten Ansatz:

  1. Das Handeln im Wirtschaftssystem ist extrem kurzfristig orientiert. Die Biosphäre ist bei ihren Veränderungen und Anpassungen auf Jahre oder Jahrzehnte angelegt. Für die Teilnehmer des Wirtschaftssystems hat die Gegenwart die höchste Priorität. Selbst Erträge, die zwangsläufig in der Zukunft liegen, werden durch Abzinsen zu Wertansätzen der Gegenwart definiert. Dieser Anspruch verkleinert die Bedeutung der Zukunft und verkürzt den Zeitraum der in die Entscheidungen einfließenden Fakten und führt zu Entscheidungen, die keine langfristigen Aspekte respektieren. – In der Biosphäre spielt “Zeit“ keine Rolle. Deshalb verliert unsere Land- und Forstwirtschaft, die sich unmittelbar an die „Zeitlosigkeit“ der Biosphäre anzupassen hat, den Anschluss bzw. versucht den Anschluss dadurch zu erzielen, dass der Mensch bemüht ist, der Biosphäre mit Technologie den Kurzfristrhythmus der Wirtschaft aufzuzwingen. Darauf reagiert die komplexe Biosphäre auf vielfältige Weise, die aber nicht vorhersagbar ist. – Die systematische Kurzfristigkeitsorientierung des Wirtschaftssystems hat weiter zur Folge, dass nicht mit dem Anspruch produziert wird, etwas qualitativ hochwertiges für die nächsten Jahrzehnte (und darüber hinaus) zu schaffen, sondern der Kurzfristigkeit ist es immanent, dass die Produktions- und Verbrauchszyklen ständig kürzer werden, der Verbrauch an Ressourcen deshalb laufend zunimmt und konsequenter Weise die Müllberge ständig wachsen.
  2. Die große Metapher unseres Wirtschaftssystems ist das Wachstum. Es wird das Narrativ verbreitet, dass das System ohne Wachstum zusammenbricht. – „Die Biosphäre (als unser Basissystem) wächst nicht. Die Menge der Biomasse erhöht sich nicht. Der Durchsatz steigert sich nicht. Die Natur (die Biosphäre) betreibt eine ‚Steady-State-Ökonomie‘. Auch die Zahl der Arten vermehrt sich nicht notwendig, sie nimmt in manchen Epochen zu, in anderen wieder ab. Was sich aber erhöht, ist die Vielfalt von Erfahrung, Empfindungsarten, Ausdrucksweisen, Erscheinungsvarianten. Die Natur (hier: Biosphäre) gewinnt somit nicht an Masse, sondern an Tiefe“[1].
  3. Ein als wesentlich verstandener Begriff unseres Wirtschaftssystems ist die Effizienz. Dabei wird meist die ökonomische Effizienz herangezogen. Statt einer materiellen, eher technischen Effizienz bevorzugt die Ökonomie eine Effizienz auf der Basis Menge x Preis = Wert und kommt oft zu einer fragwürdigen Form der Effizienz. – „Die Biosphäre ist nicht effizient. Warmblütler verbrauchen über 97 Prozent ihrer Energie allein zur Unterhaltung ihres Körpers. Die Photosynthese erreicht einen lächerlichen Wirkungsgrad von sieben Prozent (…) Statt effizient zu sein, ist die Natur redundant“[2]. Sie zeichnet sich durch eine „unvorstellbare Fülle und atemberaubende Verschwendung“[3] aus. „Sie ist nicht sparsam, weil die Grundlage aller Arbeit, die Sonnenenergie[4],“ kostenfrei zur Verfügung steht.
  4. Unser Wirtschaftssystem versucht zu vermitteln, dass nur knappe Güter wirtschaftlich interessant sind und einen Preis erzielen können. Das ist in Grenzen nachvollziehbar. Aber die „grundlegende energetische Ressource der Natur (der Biosphäre), das Sonnenlicht, ist im Überfluss vorhanden. Auch eine zweite entscheidende Ressource, die Zahl ökologischer Beziehungen und neuer Nischen, ist (…) unbegrenzt. Eine hohe Zahl von Arten und die Vielfalt der Beziehungen zwischen ihnen führen in einem Lebensraum nicht zu verschärfter Konkurrenz und der Dominanz eines „Stärkeren“, sondern zu mehr Beziehungen zwischen den Arten (…).“[5] – Knappheit ist also nichts Natürliches, sie muss durch des Wirtschaftssystem und unsere Bedürfnisstrukturen künstlich geschaffen werden, damit für ein Gut überhaupt ein Preis gestimmt werden kann. Das wirft einen fragwürdiges Licht auf die Art und Weise, wie Preise entstehen.

Diese kleine Auswahl der Unterschiede zwischen den Funktionsprinzipien des Basissystems und unserem Wirtschaftssystem macht nachdenklich und fordert uns heraus, dass wir das von uns geschaffene Wirtschaftssystem in einem sinnvollen Umfang an das Basissystem anpassen. Wir laufen sonst Gefahr, dass wir den laufenden Ausgleich der entstehenden Defizite mit unserem künftig notwendigen Reparaturbetrieb nicht mehr werden auffangen können bzw. der Reparaturbetrieb wird so viel unserer Leistungskraft binden, dass das gegenwärtige Wirtschaftssystem seine Attraktivität verliert.

Jeder, der an diesen Fragen Interesse hat: es gibt noch eine ganze Reihe von Begriffen, bei denen sich der Unterschied oder auch der Gegensatz der Systeme festmachen lässt (Wirtschaftssystem vs. Biosphäre)[6]:

WirtschaftssystemBiosphäre
Konzentration, Verdrängung, Verengung der Perspektive auf monetäre WerteVielfalt, Offenheit,Qualität
Abhängigkeit schaffenFreiheit in Bezogenheit
Fragmentierung, Optimierung, Vereinzelung, WettbewerbIntegration
Der Mensch als Kunde und Mittel zum ZweckSubjekt der Gemeinschaft, Subjekt auf Augenhöhe
Gelingen = VerdrängungGelingen = Kompromiss
PatenteOpen Source
Sieger ist: wer am meisten besitztSieger ist: wer am meisten mit der Gemeinschaft verwoben ist
EffizienzVielfalt der Ausdrucksformen / Redundanz
Monopol / DominanzVielfältigkeit / Offenheit / Selbstausdruck als Kultur
Egos in feindlicher „Umwelt“Prekäre Gemeinschaft der Individuen, Kooperation

Die Frage ist, können wir den Konflikt ausräumen oder wenigstens das Konfliktpotenzial entschärfen? Das erscheint mir als die große Aufgabe der Transformation. Da wir das von mir so benannte Basissystem eine autopoetische Schöpfung mit der Erfahrung von (vermutlich) Jahrtausenden ist, erscheint mir die Erwartung, dass sich dieses System kurzfristig verändert, als wenig wahrscheinlich. Zwar kann man hoffen, dass ein hochkomplexes System eine gewisse Bandbreite zur Anpassung in seinem Verhalten besitzt, aber die wenigen Vergleiche heute üblicher Verhaltensweisen, die ich angeführt habe, erscheinen mir so konträr, dass ich dieser Erwartung keine großen Chancen gebe. Weber fasst das Wirtschaftssystems als ein „System der Trennung“ zusammen und stellt das Basissystem als „Netz der Teilhabe“ gegenüber[7].

Ein ‚letzter‘ Gedanke, bevor ich schließe, kommt mir bei der Vorstellung, wie alt das ‚mit allen Wassern der Erfahrung gewaschene‘ dynamische Basissystem ist. Dem gegenüber ist unser Wirtschaftssystem mit seinem Alter von etwa 250 Jahren vielleicht nur ein kleiner fragwürdiger Versuch, etwas Neues zu schaffen. Aber in diesen zeitlosen Regionen liegen Versuch und Irrtum dicht beieinander. Wir sollten uns Mühe geben, dass unser Wirtschaftssystem absehbar eine Form erhält, von der künftige Generationen sagen können, dass es wenigstens kein kompletter Irrtum war.


[1] Andreas Weber, Wirtschaft der Verschwendung, in: Silke Helfrich (H) u. Heinrich Böll Stiftung: Commons – für eine neue Politik jenseits von Markt und Staat, Bielefeld, 2012, S. 35

[2] Andreas Weber, a.a.O., S. 34

[3] Vgl. Andreas Weber, S. 34

[4]  Vgl. Andreas Weber, S. 34

[5] Vgl. Andreas Weber, S. 35

[6] Vgl. Andreas Weber, S. 37

[7] Vgl. Andreas Weber, a.a.O. , S. 37

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