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Technologie als solitäre Lösung?

Wer sich etwas intensiver mit der Klimakrise befasst, kann feststellen, dass sowohl die Politik als auch viele der damit befassten Organisationen und Einrichtungen die Lösungsansätze zur Klimakrise schwerpunktmäßig auf dem Feld der Technologie suchen. Der große Vorteil dieser Herangehensweise besteht wohl darin, dass man den von der Klimakrise Betroffenen nicht klar machen muss, dass sie ihr Verhalten ändern oder gar einschränken müssten.

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Die Erwartung von Verhaltensänderung wird von vielen Betroffenen als Drohung empfundenen und die Verfechter des „Weiter so“ haben sich auf die Verzichtvokabel als wirksame Waffe eingeschossen. „Verzicht“ soll über den technologischen Ansatz vermieden werden können. Die Frage ist nur, wird die Technologie in der Lage sein, das Problem zu lösen oder ist nicht der Anspruch auf eine rein technologische Lösung wesentlicher Teil des Problems?

Wer das komplexe Problem der Klimakrise lösen will, steht m.E. vor mindestens zwei Lösungsalternativen, die in den Köpfen der meisten Menschen unterschiedlicher nicht sein könnten:

1. Die Politik favorisiert den Weg des geringsten Widerstandes und ist bemüht, sich alle Wege so lange als möglich offen zu halten, um ihre Wähler nicht zu verprellen. Die logische Folgerung dieser Haltung ist der Weg über die Technologie. Man kann die Vorgehensweise auch als Führen eines „Stellvertreterkrieges“ bezeichnen. Man muss selbst nichts tun und kann immer auf die noch ausstehenden Ergebnisse der Technologie verweisen. Mit der Technologie kann unverändert das Bruttoinlandsprodukt gesteigert werden und es kann ungehemmt die Geschichte vom angeblich steigenden Wohlstand erzählt werden. Das sieht aus wie eine „Win-Win-Situation“. Alle Erkenntnisse, die deutlich machen, dass wir damit geradewegs auf eine Wand zufahren, werden durch falsch verstandenen Optimismus übertüncht: ‚Es ist noch immer gut gegangen‘ oder ‚die Menschheit hat immer eine Lösung gefunden‘. Wenn man so denkt, blendet man das Leid und den Verlust an Menschenleben künftiger Generationen aus, die wir – nach allem, was wir wissen – durch unsere heutige Blindheit oder Unentschiedenheit auslösen werden.

2. Auf der anderen Seite ändert ein wachsender Teil der Bevölkerung, der sich durch die Klimakrise direkt angesprochen fühlt, freiwillig sein Verhalten, um durch diese persönlichen Maßnahmen ein Beispiel zu setzen, wie das inzwischen sich immer klarer abzeichnende „Desaster“ abzuwenden wäre. Die Anwendung von Technologie ist dabei nicht ausgeschlossen, spielt aber keine zielführende Rolle. Der Ansatz fußt auf der Erkenntnis, das nicht die Um- oder Mitwelt via Technologie geändert werden muss, sondern wir als Menschheit müssen unsere Perspektive und unser Verhalten ändern, die letztlich den Raubbau angestrebt und zugelassen haben. Es ist leider der Weg, den die meisten Menschen fürchten wie der Teufel das Weihwasser, weil sie aus ihren eingefahrenen Gewohnheiten herauskommen müssten, sie mit neuen Zusammenhängen konfrontiert werden und die absehbaren Veränderungen lösen Verunsicherung und wohl auch vielfach Existenzangst aus1.

Gemessen an dem gewaltigen finanziellen Aufwand und an den m.E. recht geringen Erfolgsaussichten der von Technologie getriebenen Alternative ist im Vergleich der Aufwand der zweiten Alternative im Grunde materiell und finanziell als gering einzuschätzen. Es geht in erster Linie um eine Haltung der Genügsamkeit bzw. Suffizienz, um die herrschende Überproduktion und die damit verbundene Verschwendung einzudämmen. Dazu braucht es im ersten Schritt keine (neue) Technologie, sondern den Mut, die gewohnten handlungsleitenden Motive zu ändern. Und hierzu fehlt es uns an sozialer Kompetenz und insbesondere an Selbstvertrauen, um in der Lage zu sein, die verständliche Verunsicherung einer Mehrheit der Bürger aufzufangen.

Um die notwendige Veränderung der Motivlage besser verständlich zu machen, sollten wir uns mit der gegenwärtig gültigen Motivlage befassen, damit wir die anzustrebten Veränderungen besser verstehen. Die gegenwärtig geltende Motivlage gibt vor, die freie Entfaltung und die Selbstbestimmung des Menschen hoch zu halten, aber gleichzeitig werden wir durch eine riesige Marketing-Industrie in unserer Selbstbestimmung nahezu permanent in einer Weise bedrängt, dass deutlich wird, dass das Wirtschaftssystem an der freiheitlichen Entfaltung und einer irgendwie gearteten Selbstbestimmung überhaupt kein Interesse hat. Deren Interesse konzentriert sich ausschließlich darauf, uns mit zweifelhaften Methoden zu guten Konsumenten zu ‚erziehen‘. Dieses Verhalten tolerieren wir leider widerspruchslos, weil wir es schon seit Jahrzehnten so gewohnt sind.

Nun müssen wir feststellen, dass diese „Indoktrination“ offensichtlich nicht mehr durchzuhalten ist, weil Wachstum nicht mehr als die Lösung aller ökonomischen Probleme angesehen werden kann. Dieser Komplex läuft u.a. unter der Überschrift „Klimakrise“. Mit anderen Worten, die Handlungsmotive, die uns über das Wachstum in die Krise geführt haben, werden keine Lösungsbeitrag liefern können, obwohl Wachstum uns ehemals eine goldene Zukunft und Wohlstand versprochen haben. Auf mittlere Sicht müssen wir einen anderen Weg finden. Gegenwärtig wird viel Kapital ‚verbraten‘, um eine technologische Lösung im Rahmen des politisch angenehmen Stellvertreter-Effektes zu finden. Inzwischen sind wir mehr als zwanzig Jahre weiter und müssen feststellen, dass das Grundproblem eines überdimensionalen Ressourcenverbrauchs unverändert unser Denken beherrscht.

Wäre es nicht an der Zeit, sich zu fragen, ob der technologische Ansatz überhaupt in der Lage ist, das Problem zu lösen? Müssen wir nicht am anderen Ende dieser Prozesse ansetzen und uns fragen, ob und wie wir die Motivlage in den westlichen Gesellschaften so verändern können, das Wachstum als Ausdruck eines „Schneller, Weiter, Höher“ und eventuell auch der allumfassende Gedanke der Konkurrenz als Ausdruck der systematischen Vereinzelung und des Gegeneinanders aufgegeben werden kann. Eine veränderte Motivlage würde neue Denk- und Handlungsräume eröffnen. Dazu müssen wir aber die gegenwärtig herrschende Motivlage vorurteilsfrei analysieren und sie mit ihren Vorteilen (die eine Zeitlang zweifelsohne überwogen), und ganz besonders mit den Nachteilen erkennen , die sich in den letzten fünfzig Jahren als gewaltige Defizite aufgetürmt haben.

Dirk Steffens, Wissenschaftsjournalist, hat in seinem Fernsehbeitrag „GEO-Story – Eat it“ den komplexen Zusammenhang auf eine (sehr) einfache Aussage reduziert: Wenn wir (der globale Norden) es schaffen, zehn Prozent weniger Nahrungsmittel wegzuwerfen, würde sich die Welternährungslage in den nächsten Jahrzehnten deutlich entspannen. Ohne die Durchführbarkeit dieser Aussage zu bewerten, ist dieser Vorschlag zweifelsohne ein Beitrag zu dem, was man im Allgemeinen unter dem Begriff Genügsamkeit oder Suffizienz versteht. Er richtet sich gegen jenes „Schneller, Weiter, Höher“, denn weniger wegwerfen bedeutet im Klartext weniger und damit kontrollierter konsumieren.

Vor diesem Hintergrund ergeben sich für mich zwei parallele Ansätze für die Veränderung der Motivlage: Die Suffizienz könnte die Grundlage für eine neue Motivlage darstellen. Um sie der breiteren Öffentlichkeit schmackhaft zu machen, muss dieses Handlungsmotiv von Seiten der Politik als erstrebenswertes Ziel begründet und ‚vermarktet‘ werden. Parallel müsste man die weitere Penetrierung der alten Motivlage durch die Wirtschaft deutlich verteuern. Die Marketingmaßnahmen, die darauf ausgerichtet sind, den Konsumismus zu fördern, müssten kostenintensiver werden. Hierbei wäre es denkbar, die steuerliche Abzugsfähigkeit dieser ‚unerwünschten Propaganda‘ aufzuheben. Die Folge wäre, dass Marketing zum Zwecke der ständigen Konsumsteigerung bis zu 45% teurer wird. Zudem würde das Konsummarketing unter dem ständigen Druck der hoffentlich gut gemachten Marketingmaßnahmen für die neue Motivlage der Suffizienz stehen. Dieses Vorgehen wird die Wirksamkeit des Konsummarketings relativieren. Die Finanzmittel, die durch diese steuerliche Maßnahme den öffentlichen Kassen zufließen, könnte man in die Finanzierung der forcierte Verbreitung der neuen Motivlage einsetzen. Ich bin mir sicher, dass für diesen Zweck erhebliche Summen zur Verfügung stehen würden.

Ich kann mir aber gut den entsetzten Aufschrei derer vorstellen, die stets die Freiheit und Selbstbestimmung des Menschen als Folge möglicher Manipulation in Gefahr sehen. Aber solange diese Damen und Herren offensichtlich keine Probleme mit der ideologischen Indoktrination des Bürgers durch das Wirtschaftsmarketing erkennen wollen, sollten sie auch zulassen können, dass in einer schwierigen Situation die legitimierte Vertretung unseres Gemeinwesen sich der Erkenntnisse des Marketings als eines akzeptablen Mittels zur Umsetzung bedient.

Dieser Ansatz zeigt eine Entwicklung auf, die man im laufenden Prozess noch steuern und ggfs. verbessern kann. Statt der Vorstellung von unbegrenztem Wachstum und dem alles umfassenden Wettbewerb würde das Ziel eine gute Versorgung sein. Statt quantitativ „Geiz ist geil“, einer Schnäppchenorgie, der Forcierung des industriellen Durchsatzes und dem Wachsen der Müllberge, wird das Leitmotiv ‚Versorgung‘ Wert auf Lebensdauer, Reparaturfähigkeit, Müllvermeidung, also deutlich den Wert auf Qualität legen. Gewinnmaximierung wird kein Ziel mehr sein können, Gewinnerzielung wird jedoch ein anzustrebendes Ziel bleiben.

Dieser Wandel ist ein anspruchsvolles Wirtschaftsprogramm. Die simplen Regeln des alten Systems müssen Schritt für Schritt durch neue Regeln ersetzt werden. Das neue System ist nach wie vor ein Marktsystem, dem aber die Treiber ‚Wachstum‘ und ‚grenzenlose Konkurrenz‘ fehlen werden.

Als Folge werden wir z.B. die Abschreibungssätze neu festlegen müssen: wenn ein im Grunde langlebiges Wirtschaftsgut durch eine willkürliche Regel auf 25 Jahre abgeschrieben werden kann, müssen wir uns nicht wundern, wenn dieses im finanzwirtschaftlichen Sinne ‚verbrauchte‘ Wirtschaftsgut auch nach 25 Jahren entsorgt wird, obwohl es vermutlich technisch ohne Probleme mit etwas Erhaltungsaufwand über eine doppelte oder gar dreifache Lebensdauer verfügen könnte. Das jüngst verabschiedete EU-Recht auf Reparatur wird hier wichtige Beiträge leisten können.

Wenn wir Wachstum als ein Ausdruck von Gier und Konkurrenz als Ausdruck einer ständigen Konfrontation, einer Haltung des menschlichen Gegeneinanders verstehen, wird erkennbar, dass zwei der wesentlichen Treiber des bestehenden Wirtschaftssystem offiziell in Frage stehen würden. Wir würden mit der Änderung der Motivlage Schritt für Schritt den einseitigen Druck aus dem System nehmen. Da es sich dabei nicht um einen Bruch, sondern um einen längeren Prozess handelt, besteht die Möglichkeit, auf den Prozess über die Zeit Einfluss zu nehmen und gegebenenfalls Korrekturen vorzunehmen. Die einzige Entwicklung, die ausgeschlossen wird, ist der Weg zurück zu einem System, das die menschliche Gesellschaft ‚gegen die Wand fährt‘.
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1Dabei ist ‚Verzicht‘ oder ‚Entsagung‘ nichts Ungewöhnliches oder Abartiges. (vgl. eine m.E. gelungene Rezension von Gustav Seibt (SZ v. 25/26.11.2023) zu Ottfried Höffe, Die hohe Kunst des Verzichts, München 2023). Die Fülle des Lebens ist ohne Verzicht nicht denkbar.

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Ein etwas anderer Ansatz (I)

Erwarten Sie keine neuen Erkenntnisse. Alles, was in den folgenden Zeilen als Information aufgegriffen wird, ist bekannt. Es wird gemeinhin aber über ein Narrativ vermittelt, das uns von der Realität in irgendwelche Wunschvorstellungen führt, die m.E. selbst bei größtem Optimismus keine wirklichen Lösungsbeiträge bereithalten:

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Es gibt keinen Zweifel mehr, wir (die Menschheit) verbrauchen mehr als uns auf lange Sicht unser Planet zur Verfügung stellen kann. Es gibt unterschiedliche Zahlenangaben, wieviele „(Erd-)planeten“ wir gegenwärtig mit unserem Lebensstil verbrauchen. Es gibt Aussagen für Europa, dass deren Verbrauch etwa 2,8 Planeten entspricht; es gibt Aussagen für die USA, sie lägen bei fünf Planeten. Die Aussagen sind unterschiedlich, weil sich die Frage ergibt, auf welcher Basis hierbei gerechnet wird: global, regional, pro Kopf, pro Nation, pro Kontinent, in Tonnen CO2 oder in Hektar verbrauchter Bodenfläche.

Nun ist es nicht so, dass für alle Länder oder Nationen der Erde die gleichen Werte gelten. Die sogenannten entwickelten Länder liegen, global gesehen, weit über dem Mittelwert und die sogenannten unterentwickelten Länder deutlich darunter. Die Schwellenländer produzieren gegenwärtig hohe Zuwächse, die man üblicher Weise mit einer einfachen pro Kopf Rechnung schnell wieder zu relativieren versucht.

Gehen wir von einem globalen Verbrauch von 1,7 Planeten aus, so täuscht diese Zahl, weil unserem (westlichen) Überverbrauch viele Länder gegenüber stehen, die deutlich unter dem Verbrauchsdurchschnitt liegen und den westlichen Überverbrauch teilweise kompensieren. Wenn wir also meinen, unser Verbrauch müsse ja „nur“ um rd. 41 Prozent (1,7 -> 1 Planeten) reduziert werden und schon wären wir auf dem globalen Verbrauchsniveau von einem Planeten, täuscht sich. Der Fußabdruck eines durchschnittlichen deutschen Bürgers liegt in der Größenordnung von 8 – 11 ha/p. P. bei einer Zielgröße von etwa 1,5 – 2 ha/p. P. (= ca. 1 Planet bei globaler Gleichverteilung). Das ist unbestreitbar eine gewaltige  Herausforderung!

Parallel wollen aber (verständlicherweise) die Länder mit dem unterdurchschnittlichen Verbrauch „wachsen“, d.h. sie wollen sich mindestens dem gegenwärtigen Durchschnittsverbrauch annähern. Das hat zur Folge, dass unsere Anstrengungen unseren Verbrauch zu senken, über das jetzt erkennbare Niveau wohl deutlich hinausausgehen müssen.

Wenn wir dieses Bild vor Augen haben, dann müssen wir uns die Frage stellen, drehen wir mit all den gegenwärtig angewandten Methoden an den richtigen „Schrauben“, um das Problem zu lösen? Ist das Predigen von Nachhaltigkeit ein angemessener Ansatz? Wollen wir wirklich „nachhaltig“ auf 1,7 Planeten verharren? Nachhaltigkeit ist zweifelsohne hinsichtlich der Fristigkeit und der Qualität des Handelns ein wichtiger Aspekt, aber doch erst dann, wenn wir den Verbrauch auf einem Planeten reduziert haben. Es ist auch sinnvoll Nachhaltigkeit bei einem auf Kurzfristigkeit orientierten Überfluss zu fordern, aber er löst in keiner Weise die notwendige Verbrauchsreduzierung.

Ist die Klimakrise der richtige „Kriegsschauplatz“, damit die Bürger über eine Einsparung von CO2 auch Maßnahmen akzeptieren, die uns von einem Verbrauch von 1,7 auf einen Verbrauch von nur einem Planeten reduzieren soll? Die Einsparung von CO2 ist keinesfalls falsch, aber ist sie die richtige „Schraube“, an der wir drehen, um innerhalb eines Zeitrahmens von einer Generation den Verbrauch auf einen Planeten zu reduzieren? Und die Zeit wird mit jedem verlorenen Jahr knapper, um die unbestreitbar auftretenden Schäden und notwendigen „Reparaturen“ in finanzierbaren Grenzen zu halten.

Haben Politik, Wirtschaftswissenschaft und die Vertreter der Wirtschaft wirklich verstanden, dass Wachstum in den (westlich geprägten) Überschlussgesellschaften des Planeten überhaupt kein Argument sein kann, wenn wir uns systematisch auf den Verbrauch eines Planeten einstellen bzw. beschränken müssen? Es gibt hier keinen Plan B! Selbst wenn wir die Problemlösung auf die kommenden Generationen verschieben wollten, die Schadenhäufigkeit und der Schadenumfang nehmen nach allem, was wir wissen, mit jedem Jahr zu. Mit der Natur kann man nicht verhandeln!

Wir müssen uns aber auch vor Augen führen, dass eine Gesellschaft, deren Paradigma in den letzten Jahrzehnten von Individualismus, Erfolgsverherrlichung und Wachstum geprägt ist, sich nur schwer mit dem Gedanken einer Reduktion abfinden kann oder will. Zur Reduktion braucht es Solidarität, Ein- und Rücksicht, und ein Konzept (Narrativ), das die Reduktion als „Erfolgsmodell“ zu verkaufen in der Lage ist. Dabei haben wir viel zu lange das Heil im Wachstum gesehen. Es hat vielen Menschen Zuversicht und Zukunft vermittelt. Aber dieses Heilsversprechen aufrecht zu erhalten, erweist sich als undurchführbar. Und das muss in die Köpfe der Bürger dringen!

Wenn ich mir vorstelle, was Werbung und Marketing in Bezug auf das Konsumverhalten mit unseren Gehirnen macht, bin ich zuversichtlich, dass auch der Paradigmenwechsel gelingen kann. Das Problem stellen die erfolgsgewohnten Schichten dar, die ihr Selbstverständnis zum einem großen Anteil aus dem Konsum ziehen. Reduktion bedeutet ihnen u.U. so etwas wie Aufgabe eines Stücks ihrer Identität.

Die Gesellschaft, also wir, müssen akzeptieren lernen, dass wir uns komplett verrannt haben und ein Paradigmenwechsel aufgrund der fatalen Auswirkungen auf unsere Lebensgrundlagen unabdingbar wird. An dieser Aufgabe wird zweifelsohne wissenschaftlich gearbeitet, aber selbst wenn die Sozialwissenschaft kurzfristig hier so etwas wie einen Durchbruch erzielen, die Politik und auch die Wirtschaft müssen die Erkenntnisse aufgreifen, die Konsequenzen verstehen und umsetzen. Ob das gegenwärtige Demokratieverständnis diesen Vorstoß aushält, bleibt abzuwarten. Umso wichtiger ist es, diesen Schritt politisch strategisch vorzubereiten wie eine gutgemachte Marketingstrategie. Eigentlich muss die Strategie besser sein als das landläufige Marketing.

Die Wirtschaft, die heute noch vom Wachstumsgedanken lebt, macht uns die Gehirnwäsche täglich vor: Eine Wirtschaft ohne Wachstum?  Das bedeutet ein Rückfall in die Steinzeit! Und wir wollen natürlich nicht in Höhlen wohnen, da sind wir uns ganz sicher! Aber es gab eine Wirtschaft vor dem Neoliberalismus und es wird auch eine Wirtschaft nach der Reduktion geben. Aber es wird eine andere Wirtschaft sein – eher versorgungsorientiert und nicht so stark geldfixiert.

Viele Wirtschaftsvertreter hoffen auf eine globale Klima-Aktion in der Erwartung, dass diese globale Einigung nie stattfinden wird. Bis sich der letzte Nationalstaat zur Reduktion auf globaler Ebene entschlossen hat, wird es zu spät sein. Die Handlungsmacht muss bei den Nationalstaaten oder bei ihren Zusammenschlüssen wie der EU liegen. Die Staaten, die handeln, müssen sich durch Ausgleichzölle gegen jene abgrenzen können, die nicht mitziehen wollen (und letztlich auf ein ungerechtfertigtes Schnäppchen hoffen). Der jeweilige ökologische Ansatz des Nationalstaates muss durch Ausgleichszölle abgesichert werden.

Die Gegner werden viele sein, weil die Umstellung auf den ökologisch vertretbaren Verbrauch von einen Planeten eine große Zahl von bestehenden Geschäftsmodellen in Frage stellen wird, insbesondere jene Geschäftsmodelle, deren Ziel nicht (in einem weitreichenden Sinne) der Versorgung der Bevölkerung zu sehen ist.

Es gibt zahllose wissenschaftlich basierte Ausarbeitungen, die sich mit Fragen beschäftigt, was wir alles ändern müssen, um unsere Aktivitäten auf den einen Planeten zu konzentrieren. Meine letzten Beiträge verweisen auf eine kleine Auswahl solcher Ausarbeitungen. Es fehlt aber an gut begründeten Ausarbeitungen, wie wir unsere MitbürgerInnen für diesen Schritt begeistern können, um eine ausreichend Zustimmung zu dieser „großen Transformation“ zu erhalten. Wir stehen (möglicherweise) vor einem Jahrhundertsprung und müssen auf irgendeine Weise die Gehirne und Herzen unserer Mitbürger gewinnen, damit sie freiwillig diese Transformation unterstützen, mindestens aber tolerieren. Dieses „Wie?“ sollte aber nicht in englischsprachigen Wissenschaftsartikeln dargestellt und diskutiert werden, sondern das „Wie?“ muss in ein verständliches Narrativ verpackt werden, das die Köpfe und Herzen berührt. Auftraggeber hierzu könnte die Bundesregierung oder eine interministerielle Arbeitsgruppe sein. Hier ist noch viel Spielraum, aber die Zeit drängt!

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Der etwas andere Ansatz (II)

Jetzt machen wir einen gedanklichen Sprung und tun so, als ob wir das Ziel, unseren globalen Verbrauch an die Vorgabe von einem Planeten anzupassen, erreicht hätten. Wir haben es also geschafft, uns realistisch auf den Verbrauch auf Basis von einem Planeten zu reduzieren. Was glauben Sie, wird diesen Kraftakt möglich gemacht haben?

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Die Nachhaltigkeit, die Klimaneutralität, die erneuerbaren Energien, Künstliche Intelligenz oder technologische Zaubertricks? Oder schlicht ein strikter Weg in die Suffizienz (in die Reduktion)?! Wir werden unsere Ansprüche auf das herunterfahren müssen, was für den Planeten verträglich ist[1]. Das ist eine extrem abstrakte Aussage, aber egal, was Politik und Wirtschaft an Ausweichmanöver[2] in die Welt setzen: am Ende gilt als erste Priorität: Reduktion!

Es bleibt nur die Frage, wer oder was wird uns die Genügsamkeit lehren. Ich empfinde die durch die russische Kriegserklärung ausgelöste Energiekrise als eine Ironie des Schicksals. Wir reden seit 50 Jahren über eine Energiewende und bekommen nichts auf die Reihe, was das virulente Energieproblem lösen könnte. Dann wird aus Gründen geopolitisch absehbaren Machtspielchen der Gashahn zugedreht, und plötzlich bewegt sich was: Helle Aufregung – kein Plan B, jetzt wird ad hoc alles in Bewegung gesetzt, um den Energieverbrauch zu reduzieren und neue Quellen aufzutun.

Wir fahren also eine Politik der Suffizienz (auch wenn wir sie nicht so nennen). Bis zu zwanzig Prozent Einsparung und mehr erhofft man sich in Deutschland, in der EU eine Einsparung von 15 Prozent. Unter uns gesprochen: hätte die Politik und die Wirtschaft diesen seit Jahrzehnten notwendigen Schritt ohne den geopolitischen Anlass erwogen, es wäre nicht vorstellbar oder die Regierung wäre innerhalb weniger Tage aus dem Rennen geflogen. Das ist im Grunde ein Armutszeugnis für unsere Regierungsform. Erst durch einen extern geschaffenen Sachzwang werden Regierung und Wirtschaft nun gezwungen das Notwenige zu tun und eine Mehrheit der Bürger signalisiert der handelnden Regierung ihre Zustimmung. Also geht doch was! Es kommt offensichtlich auf das begleitende Narrativ an.

Bleiben wir gedanklich in der Zeit, in der wir unseren Verbrauch an den einen Planeten angepasst haben. Beginnen wir dann wieder, unbelehrbar wie wir sind, „Gas“ zu geben, und Wachstum zu produzieren? Oder müssen wir erkennen, dass Wachstum keine wirkliche Lösung mehr darstellt. Wachstum ist dann ggfs. regional und temporär vorstellbar, aber eine Wirtschaft auf Wachstum auszurichten und zu hoffen, die Mehrzahl der sozialen Fragen über den sogenannten „Trickle down“ – Effekt lösen zu können, ist nicht mehr realistisch.

Der Planet mit seinen ökologischen Restriktionen wird die natürliche Grenze allen Wirtschaftens bestimmen. Das wird politisch wohl nicht mehr durch Moderation, sondern nur noch durch Gestalten umzusetzen sein. Wir sind dann dort angekommen, wo Herman E. Daly eine „Steady State Economy“ ins Gespräch bringt. In einer Steady-State Economy (SSE) herrscht ein fließendes Gleichgewicht der Leistungs- und Geldströme. Wachstum ist die Ausnahme und muss durch ein Schrumpfen an anderer Stelle ausgeglichen werden.

Aus heutiger Sicht ist es schwierig, konkrete Aussagen zum SSE zu machen. Es wird sich ein genereller „Mind-Shift[3]“ (ein Paradigmenwechsel) vollziehen müssen, der viele Sachverhalte in einer neuen Perspektive präsentiert. Herman E. Daly glaubt plausibel machen zu können, dass nachfolgende Aspekte erhalten bleiben[4] Seine Ausführungen sind im Folgenden sinngemäß dargestellt, aber stark verkürzt:

  1. Der künftige Ressourcenverbrauch wird über einen Zertifikate-Handel gesteuert. Der Verbrauch erfolgt in Quoten und wird gedeckelt in Anhängigkeit von der Erschöpfung oder der Verschmutzung. Durch die Versteigerung der Quoten werden Knappheitsrenten für eine gerechtere Umverteilung erzielt. Der Handel ermöglicht eine effiziente Zuordnung zu den gewünschten Verwendungszwecken. Diese Vorgehensweise erscheint transparent und nachvollziehbar. Es wird deutliche Grenzen für die Erschöpfungsrate der jeweiligen Ressource und den Grad der Verschmutzung geben, die die Wirtschaft dem Ökosystem auferlegen darf.
  2. Ökologische Steuerreform – Verlagerung der Steuerbemessungsgrundlage von der Wertschöpfung (Arbeit und Kapital) hin zu „dem, zu dem Wert hinzugefügt wird“, nämlich dem entropischen Durchsatz von Ressourcen, die der Natur entnommen (Abbau) und der Natur wieder zugeführt werden (Verschmutzung). Dadurch werden externe Kosten internalisiert und Einnahmen gerechter erhoben.
  3. Begrenzung der Ungleichheit in der Einkommensverteilung. Ohne aggregiertes Wachstum erfordert die Verringerung der Armut eine Umverteilung. Es werden faire Grenzen für die Bandbreite der Ungleichheit angestrebt. Der öffentliche Dienst, das Militär und die Universität kommen mit einer Spannweite der Ungleichheit von Faktor 15 bis 25 aus. Manche Industrienationen liegen unter 25.
  4. Erweiterung der Möglichkeiten für Teilzeit- oder Home-Arbeit. Ohne Wachstum ist eine externe Vollzeitbeschäftigung für alle schwer zu schaffen. Die Flexibilisierung richtet sich primär nach den Bedürfnissen der Arbeitnehmer.
  5. Regulierug des internationalen Handels – Begrenzung des Freihandel, der Kapitalmobilität und Globalisierungsbestrebungen. Einführung von Ausgleichszöllen, nicht um ineffiziente Unternehmen zu schützen, sondern um sicherzustellen, dass eine effiziente nationale Politik der Kosteninternalisierung vor standardsenkendem Wettbewerb geschützt wird.
  6. Herabstufung des IWF-WB-WTO zu so etwas wie Keynes‘ ursprünglichem Plan für eine multilaterale Zahlungsverrechnungsunion. Sie erhebt Strafzinsen sowohl auf Überschuss- als auch auf Defizitsalden der Nationen – Ziel ist das Streben nach Ausgleich auf Leistungsbilanz und dadurch Vermeidung hoher Auslandsschulden und Kapitaltransfers.
  7. Die Kontrolle der Geldmenge muss wieder in den Händen der Regierung liegen und nicht mehr in Händen privater Banken. Letztere werden damit nicht mehr in der Lage sein, Geld aus dem Nichts zu schaffen und es gegen Zinsen zu verleihen.
  8. Vermeidung von künstlicher Verknappung. Schutz der verbleibenden Commons (Gemeingüter) des rivalisierenden Naturkapitals (z. B. Atmosphäre, elektromagnetisches Spektrum, öffentliches Land, Wasser) durch Überführung in öffentliche Trusts und Bepreisung der Gemeingüter im Rahmen eines gedeckelten Zertifikate-Handelssystem oder durch Steuern
  9. Stabilisierung der Bevölkerungsentwicklung. Es ist ein Gleichgewicht anzustreben, in dem Geburten plus Einwanderer gleich Todesfälle plus Auswanderer entsprechen. Das ist umstritten und schwierig, aber zunächst einmal sollte Verhütung überall zur freiwilligen Anwendung angeboten werden.
  10. Die Volkswirtschaftliche Gesamtrechnung ist zu reformieren – das BIP ist in eine Kostenrechnung und eine Leistungsrechnung aufteilen. Vergleichsmaßstab ist der Saldo beider Buchhaltungssysteme.

Wenn Daly mit den zehn Punkten im Wesentlichen richtig liegt, wird es für Großkonzerne schwierig, Märkte zu finden, die ihren Massendurchsatz aufnehmen können. Der Arbeitsmarkt wird schrumpfen, damit wird der Massenkonsum zurückgehen, weil das Masseneinkommen geringer wird. Nicht umsonst gibt es auch in Arbeitgeberkreisen Arbeitsgruppen, die sich mit Formen eines bedingungslosen Grundeinkommens befassen. Das Ziel ist dabei nicht soziale Gerechtigkeit, das Ziel ist die Erhaltung der Massenkaufkraft und damit des Umsatzes für die Produzenten. Die Finanzierung wird sicherlich noch ein Streitpunkt werden. Wenn der Arbeitsmarkt schrumpft, könnte sich ggfs. die Wochenarbeitszeit reduzieren, um mehr Beschäftigung zu schaffen. Niko Paech[5] sieht in der Verringerung der Arbeitszeit mehr Freizeit, aber auch weniger Einkommen. Hier trifft er sich mit dem bedingungslosen Grundeinkommen. Mit wachsender Freizeit könnte die Wahrnehmung von ‚Subsistenz‘ dazu führen, dass mehr Reparaturen, mehr Ehrenamt, mehr soziale Fürsorge u.a. in den Vordergrund rückt. Wettbewerb ohne systematisches Wachstum verliert seinen ‚Drive‘. Kooperation wird den Platz des Wettbewerbs einnehmen und wir werden feststellen können, dass Innovation kein Ableger des Wettbewerbs ist, sondern auf Kooperation aufbaut. Es bleibt spannend!


[1] Vgl. in diesem Blog auch: „Ist Wirtschaften unter „steady state“ möglich (13.04.2021)“; und: „Wachstum, „steady state“ und Finanzen“ (28.04. 2021)“.

[2] „Wir müssen uns dringend ehrlich machen. Wenn wir so weitermachen ist das klimaneutrale Bayern 2040 eine Politshow zur Beruhigung der Bevölkerung” (GF der VBEW), in: SZ v. 27.7.2022, S. R9

[3]  Vgl. Maja Göpel, The Great Mind-Shift, 2016

[4] Vgl. H. E. Daly, Vortrag: From a Failed Growth Economy to a Steady-State Economy. 2009,

[5] Vgl. N. Paech, Befreiung vom Überfluss, München, 2012;

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Suffizienz als Transformationsstrategie?

Bei meinen letzten Beiträgen habe ich immer wieder die Frage aufgeworfen, wie sollen denn die ‚tollen‘ technologischen Maßnahmen zur Wirkung kommen, wenn wir ein virulentes gesellschaftliches Umsetzungsproblem haben, das offensichtlich keiner wagt, konkret anzusprechen. Dabei habe ich Niko Paechs Buch aus 2020 „All you need is less[1]“ aufgestöbert und noch einmal vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Umsetzungsproblems gelesen. Es war diesbezüglich wie „Sonntag“, weil ich mir schon komisch vorkam, immer wieder an der Umsetzungsfrage hängen zu bleiben, weil keiner eine Antwort geben wollte oder sich traute.

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Niko Paech hat sich als Schwerpunkt der Postwachstumsökonomie verschrieben. Das genannte Buch wendet sich gezielt der Suffizienz als Strategie zu, um konkret Wege aus der ökologischen Krise aufzuzeigen. Dabei wird nicht (wie üblich) auf die Politik oder auf die Technologie oder auf sonstige Institutionen verwiesen, sondern auf jene, die diese Transformation letztlich (er-)tragen müssen: auf die Menschen, Bürger und Betroffenen.

Das Buch teilt sich in zwei Bereiche und begründet Suffizienz zum einen aus der Sicht eines Buddhisten und zum anderen aus der Sicht eines Ökonomen. Der buddhistische Teil erscheint mir als ziemlichen Laien auf diesem Gebiet als absolut geglückt. Die Sprache ist so gewählt, dass sie von einem Europäer inhaltlich verstanden werden kann. Alle traditionellen Schnörkel wurden weggelassen und die Aussage ist nachvollziehbar und eindeutig. Dabei demonstriert Folkers eindrucksvoll und ethisch nachvollziehbar, wie Suffizienz im Sinne von „Genug“ aus buddhistischer Sicht begründet wird.

Der Teil, den Niko Paech zu vertreten hat, thematisiert die „Suffizienz als Antithese zur modernen Wachstumsorientierung“ und baut sie zu einer begründbaren, Vernunft basierten Strategie aus. Sein Ausgangscredo ist das Scheitern aller Versuche, den Wachstumsgedanken durch allerlei Umgehungen des gesunden Menschenverstandes vor dem Untergang (der „Wachstumsdämmerung“) zu retten. Sarkastisch beschreibt Paech die vergebliche Hoffnung: „Tüchtiger Fortschrittseifer, so lautet das Credo, werde einen Wirbelwind der technischen Erneuerung heraufziehen lassen, der alle Nachhaltigkeitsdefizite rückstandslos beseitigt, ohne dem Insassen zeitgenössischer Komfortzonen reduktive Handlungsänderungen zumuten zu müssen“[2].

Gleich zu Beginn werden die meist verwendeten Vokabeln einer Nachhaltigkeitstechnik gegen einander abgegrenzt. Dabei werden drei zentrale Begriffe aufgegriffen: Effizienz, Konsistenz und Suffizienz. Den vierten Begriff der Resilienz habe ich aus aktuellem Anlass der Vollständigkeit halber hinzugefügt:

  • Effizienz wird als ökologische Effizienz dargestellt und zielt darauf ab, „den materiellen Aufwand zu minimieren, um ein bestimmtes ökonomische Ergebnis zu erzielen“[3]. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass es hierbei um materiellen Aufwand geht. Die ökonomische Effizienz orientiert sich allzu oft nur an der in Geld übersetzten Effizienz, d.h. durch die anzuwendenden Preise lässt sich ökonomische Effizienz auch dort darstellen, wo gar keine ökologische Effizienz vorliegt.
  • Die ökologische Konsistenz setzt bei der Umweltverträglichkeit der genutzten Ressourcen an. „Statt deren Menge zu verringern, soll die Beschaffenheit oder das Produktdesign dahingehend optimiert werden, dass keine Emissionen oder Abfälle entstehen, unabhängig vom Verbrauchsniveau.“ (Dies wird möglich, wenn) „alles Verwendete entweder biologisch abbaubar ist oder verlustfrei in geschlossenen technischen Stoffkreisläufen verbleibt.[4]“Die Idee klingt bestechend, ist aber nur lokal durchführbar, weil andernfalls die damit verbundene arbeitsteilige Logistik zusätzliche Ressourcen in Anspruch nimmt.[5]
  • Die jüngste „Zeitenwende“ des Jahres 2022 lässt auch die Resilienz wieder ins öffentliche Bewusstsein treten. Vor lauter Wachstumswahnsinn und angeblicher Effizienz haben wir übersehen, unsere Infrastrukturen hinreichend widerstandsfähig und krisenfest zu gestalten. Je detaillierter die profitgeleitete globale Arbeitsteilung wird, umso anfälliger werden die Strukturen. Denken wir an die Lieferkettenprobleme, die bei den ersten, aber absehbaren Unregelmäßigkeiten auftreten. Die Risikovorsorge leidet oft unter der falsch eingeschätzten Profitabilität. Gier frisst Hirn!
  • Suffizienz versteht sich als Genügsamkeit und steht für eine Reduktion der Ansprüche. Sie „adressiert und hinterfragt direkt den eigentlichen Zweck (und damit den Sinn) ökonomischer Aktivitäten“.[6] Diese Idee kümmert sich erst mal nicht um Nachhaltigkeit, kümmert sich nicht um irgendwelche symbolisch mehr oder weniger tragfähigen Abkommen (Kyoto, Paris, etc.), sondern richtet sich direkt auf das Problem: Wir verbrauchen ca. zwei Planeten und wir haben nur einen zur Verfügung. Wir müssen nachhaltig werden, unseren CO2-Ausstoß reduzieren, wir müssen uns zuvorderst einfach konsequent einschränken! Und diese Erkenntnis tut weh. Da hört das Träumen auf. Alles „Drum-herum-reden“ findet ein Ende.

Niko Paech umschreibt diesen Sachverhalt deutlich verbindlicher: Die Nachhaltigkeitsprin-zipien „…fügen sich … perfekt in zeitgenössische Modernisierungsprogramme ein. Sie versprechen, individuelle Freiheiten unangetastet zu lassen, indem Nachhaltigkeitsdefizite durch eine Addition technischer oder institutioneller Mittel kuriert werden…. (Es) werden damit zusätzliche Handlungsoptionen, Einkommensquellen, Märkte und sonstige (neue) Entfaltungsspielräume in Aussicht gestellt.    (Die) Konzepte minimieren jegliche individuelle Verantwortung, indem die Zuständigkeit für Nachhaltigkeitsmaßnahmen zuvorderst an die technologische, ökonomische oder politische Entwicklung delegiert wird.“[7]

Ganz pragmatisch: Wenn eine Familie merkt, dass sie längere Zeit über ihre Verhältnisse gelebt hat, wird sie nicht umhin können, zu sparen, also ihren Verbrauch zu reduzieren. Sie kann die Zuständigkeit weder an technologisch, noch ökonomische oder politische Entwicklungen delegieren. Das sagt der gesunde Menschenverstand! Im Sinne der Politik und Wissenschaft würde der Familie stattdessen vorgeschlagen, nachhaltiger zu wirtschaften und so tun, als ob sich das Loch in der Familienkasse gar nicht existiert. Deshalb ist es mir nicht zu vermitteln, dass wir uns in Nachhaltigkeit üben sollen, was immer das konkret bedeutet, statt dass wir erstmal den Verbrauchsüberhang abbauen (das heißt Suffizienz üben), bevor wir dann, wenn wir auf dem Verbrauchsniveau von einem Planeten angekommen sind, die Nachhaltigkeit forcieren. Erst dann wird doch sachlich ein Schuh daraus!

Die Herausforderung des Ansatzes der Suffizienz liegt in der Frage, wieviel Einschränkung ist der moderne Bürger bereit zu tragen? Die notwendigen Konsumeinschränkungen werden, so banal die Sache ist, sehr schnell als eine Einschränkung der persönlichen Freiheit interpretiert. Und unser moderner Freiheitsbegriff hat sich leider vielfach von der Frage nach der Verantwortung gelöst. Eine Freiheit ohne Verantwortung gibt es unter zivilisierten Menschen nicht. Wir alle nutzen den Planeten stärker als es uns mit Blick auf die kommenden Generationen zusteht. Mit anderen Worten, wir haben durch unsere ‚Freiheiten‘ eine Übernutzung initiiert und stehen jetzt in der Verantwortung, diese Fehlentwicklung auszugleichen. Als Lösung denkt der gesunde Menschenverstand zuvorderst an Rückgängigmachung der Fehlentwicklungen. Suffizienz müsste eigentlich der erste Schritt in eine neue Richtung sein. Alles, was die Suffizienz dann optimiert, kann sich daran anschließen.

Stattdessen haben Politik und Wissenschaft immer schon nach Wegen gesucht, um das „Unwort“ Suffizienz zu vermeiden. Vermutlich deshalb, weil Genügsamkeit zu einfach und zu direkt wäre und weil weite Kreise in der Politik Sorge haben, dass mit diesen alten Erkenntnissen ihr übergriffige Auffassung von Freiheit bloßgestellt werden könnte.

Zudem gibt die Nachhaltigkeitsargumentation immer wieder Raum für neue bzw. modifizierte Geschäftsmodelle. Aber eine Ausdehnung des Marktes durch Innovation ist doch das Gegenteil von dem, was „Not-wendig“ wäre. Eine Reduktion im Rahmen der Suffizienz lässt hier keinen Spielraum. Es gibt kaum Geschäftsmodelle, die im Rahmen einer Reduktion erfolgversprechend sind und vertretbaren moralischen Grundsätzen entsprechen.

Ein anderer Gesichtspunkt kann darin gesehen werden, dass es global gesehen, große Teile der Erde gibt, die immer schon suffizient leben mussten. Hier mit einer Aufforderung zur Suffizienz aufzutreten, ist ebenso kontraproduktiv wie die Erwartung von Nachhaltigkeit. Eine erfolgreiche Anwendung des Gedankens der Suffizienz dürfte also auf jene Bereiche des Globus beschränkt bleiben, die sich in der Vergangenheit auch die größten Beiträge zur bestehenden Fehlentwicklung geleistet haben.

Wenn wir aus der Perspektive einer Überflussgesellschaft (J. K. Galbraith) auf die Suffizienz blicken, könnte man darin ein Moment des Verzichts erkennen. Diesem Vorwurf, regelmäßig als ein politisches Killerargument verwendet, will sich niemand aussetzen. Konsum ist das Herzstück unseres gegenwärtigen Wirtschaftssystems. Wenn nicht genug konsumiert wird, so das Argument, bricht das System zusammen. Als Folge bringen wir seit Jahren immer mehr Geld als Grundlage für unser Verständnis von Konsum in Umlauf und bauen damit private und öffentliche Schulden auf. Das dabei ‚geschöpfte‘ (geschaffene) Geld wandert über den Wirtschaftskreislauf in die Schuldentilgung oder in die Taschen der Produzenten und unterstützt damit die steigende Ungleichverteilung von Vermögen.

Konsum hat vor diesem Hintergrund nur noch sehr begrenzt etwas mit Versorgung zu tun. Konsum ist zum Schmiermittel mutiert, mit dem primären Ziel, das System am Laufen zu halten. Also besteht der Anspruch, dass der Konsum immer weiter wächst, weil lt. Ökonomie die Bedürfnisse (des Menschen Gier) angeblich unbegrenzt seien, zumindest nach dem Modell des homo oeconomicus. Auf dieser fragwürdigen ‚Basis‘ passen die Teile ganz gut in das Wirtschaftspuzzle.

Wenn sich aber der reale Konsument einigermaßen rational verhält, ist dieses Phantasiegebilde weitgehendes Wunschdenken. Clevere Ökonomen haben festgestellt, dass zwar der Bedarf endlich ist, jedoch die Bedürfnisse kaum erkennbare Grenzen kennen. Dabei machen sie die Rechnung ohne den Wirt. Richtig ist, dass die Bedürfnisse gestaltbar sind, aber der Bedarf mit seiner Befriedigung endet. Es gibt also eine Grenze des Konsums, weil einerseits Befriedigung einsetzt und andererseits auch die ‚unbegrenzten‘ Bedürfnisse des Menschen an einer einfachen Zeitrestriktion scheitern: Der Tag hat nur 24 Stunden, also können wir uns unmöglich 25 Stunden dem Konsum ‚hingeben‘.

Gehen wir weiter darauf ein (siehe auch Paech, ebda, S. 158ff.), dass jeder Konsum, wenn er für den Menschen irgendeinen Sinn vermitteln soll, pro konsumtivem Akt eine gewisse Zeitspanne benötigt, um den Nutzen der Konsumption genießen zu können. Als Folge ist auch unsere Fähigkeit zu konsumieren begrenzt und steht im Widerspruch zur ökonomischen Vorstellung der Grenzenlosigkeit. Wir können natürlich die Taktung unseres Konsums ständig erhöhen (und viele versuchen es), aber auch diese Betrachtung führt an Grenzen der physischen und mentalen Gesundheit i.w.S.. Wenn beim Einzelnen hier eine Grenze gezogen werden muss, kann auch eine Grenze für die Höhe des Konsums insgesamt gezogen werden und damit auch für die Höhe des allgemeinen Wirtschaftswachstums allein aus der menschlich möglichen Verarbeitungskapazität heraus. Paech weist lapidar auf die Vervielfachung der Verschreibung von Psychopharmaka innerhalb der letzten 10 Jahre hin. Mit anderen Worten: Wir überstrapazieren nicht nur die Ressourcenlage unseres Planeten, wir sind auf dem besten Wege auch uns in der Funktion als Konsumenten komplett zu überfordern.

Kommen wir zurück zur Suffizienz und der damit verbundene Genügsamkeit. Wenn wir erkennen, dass die Ressourcenlage als auch unsere mentale Gesundheit dem Konsum seine Grenzen aufzeigt, dann ist es kein weiter Weg, Genügsamkeit als erste Priorität des Handelns zu erkennen. Erst dann, wenn wir es geschafft haben, unsere Ansprüche generationentauglich auf die vorhandene ökologische Basis eines Planeten zurückzuführen, ist es m.E. sinnvoll, sich über Nachhaltigkeit zu unterhalten und die große Frage zu lösen versuchen wie wir künftig mit dem ‚menschlichen Maß‘ umgehen wollen. Die gegenwärtige Politik und die von ihr beauftragte Wissenschaft kümmern sich akribisch um Nachhaltigkeit, obwohl das große Loch zwischen Soll-Verbrauch (ein Planet) und Ist-Verbrauch (ca. 2 Planeten) scheinbar unbemerkt links liegen bleibt. Ich bin immer wieder überrascht, wieviel offensichtlichen Realitätsverlust der Mensch verdrängen kann ohne dadurch in eine gewaltige kognitive Dissonanz zu geraten. Oder sind wir da schon als Gesellschaft mitten drin und haben es nur noch nicht bemerkt?


[1] Manfred Folkers, Niko Paech, All you need is less, München 2020

[2]  Paech, N., Vom Scheitern bisheriger Krisentherapien zur Postwachstumsökonomie, 2021, in: Krise und Transformation, Scheidewege, Schriften für Skepsis und Kritik, Band 51, HG: Jean-Pierre Wils, 2021, S. 15 – 35

[3] Folkers, Paech, All you need is less, 2020, S. 124

[4] Folkers, Paech, 2020, S. 125

[5] Vgl. die ARD Dokumentation „Die Recyclinglüge“, um einen Eindruck von der Machbarkeit zu gewinnen.

[6] Folkers, Paech, 2020, S. 126

[7] Ebda., S 130

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