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Management „by desaster“?

Problemlösungsansätze variieren zwischen „Design“ und „Desaster“ als Endpunkte eines Kontinuums von Aktionsmöglichkeiten. Der Ansatz über das „Design“ läuft über Erkenntnis, Einsicht und Vernunft, handeln nach Plan A oder B unter Berücksichtigung möglicher Kollateralschäden. Am anderen Ende des Kontinuums läuft der Ansatz ins „Desaster“, geprägt von Unwissenheit, kompletter Überforderung, fehlender Übersicht, egoistischem Aktionismus (rette sich, wer kann), völlig unstrukturiertem Handeln und für die Betroffenen oft mit überraschenden, ungerechten und schmerzvollen Folgen.

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Unter diesen Prämissen wäre ein Handeln im Rahmen von „Design“ fraglos das Wünschenswerte und Richtige. Warum tun wir es dann nicht? Seit über 50 Jahren wissen wir, dass wir ein Verhalten an den Tag legen, das es dem Planeten auf lange Sicht unmöglich macht, dieses Verhalten zu tolerieren. Wir wissen um das Problem, aber wir handeln nicht. Mit anderen Worten: Das „Design“ zu entwickeln und umzusetzen, würde konsequentes Handeln erfordern und das ist uns zu mühselig; wir müssten aus der ‚Komfortzone‘ ins wirkliche Leben treten. Also bewegen wir uns „konsequenter Weise“ auf dem Kontinuum Schritt für Schritt, Jahr um Jahr, in Richtung „Desaster“.

Wie könnte das „Desaster“ aussehen? Ein Blick auf unsere Energiepolitik gibt uns einen kleinen Vorgeschmack, wie etwas, das wir alle wissen, dass wir es ändern müssen, plötzlich, wie ein „Schwarzer Schwan“ (Nassim Taleb) zwischen uns landet und uns die Komfortzone mit wenigen Handgriffen zerstört. Ob die Ursache des Schwarzen Schwans mit Wladimir Putin in Verbindung gebracht wird, ist Ansichtssache. Das Problem der Rohstoffabhängigkeit bestand schon lange vorher. Wenn Wladimir Putin wirklich ins Spiel gebracht werden muss, dann ist er nicht das Problem, sondern nur der Anlass.

Es ist möglicherweise ein klassisches Beispiel, wie Gewohnheit, Bequemlichkeit und falschverstandener Optimismus uns regelmäßig an den Rand des Desasters führen. Schwierig wird es nur, wenn die Probleme oder die Desaster sich häufen: Wir sind gerade dabei, die Pandemie als überwunden zu betrachten (trügerisch) und die Tragweite der Klimakrise richtig zu verstehen, da tritt auch noch eine Situation ein, die die schon lange angestrebte Energiewende in einer Art und Weise auf die Tagesordnung setzt, die der Politik keine Chance lässt, sie weitere zwanzig Jahre in die Zukunft (also in den Bereich der nächsten Generationen) schieben zu können. Wir werden nun in zwanzig Jahren keinen Plan mehr für das „Design“ einer Energiewende benötigen. Der Sachzwang, der durch den Einmarsch der russischen Streitkräfte in der Ukraine und den damit verbundenen Sanktionen auf beiden Seiten auftritt, wird die Energiewende jetzt und sofort ohne Wenn und Aber einleiten.

Die Energiepreise werden weiter steigen und brechen alle Rekorde. Eine gesicherte Versorgungslage bei den notwendigen Rohstoffen ist mittelfristig zweifelhaft. Und die Politik will das Problem über die erneuerbaren Energieträger lösen, hat aber die letzten Jahrzehnte viel darüber geredet und wenig bis gar nichts dafür getan. Die große einseitige Abhängigkeit von den russischen Ressourcen ist nun überdeutlich und für jedermann erkennbar. Warum erst jetzt? Das ist doch nicht überraschend.

Wir haben noch einen Schwarzen Schwan: wir wissen seit vielen Jahren um die unzureichende Ausrüstung der Bundeswehr und haben geglaubt, dass wir als Natomitglied schön warm sitzen und statt die eigene Infrastruktur aufzubauen, die der Nato nutzen können. Dieser Schwarze Schwan kostet uns mal schlappe einhundert Milliarden Euro. Bisher musste das Amt für Beschaffung sparen und hat sich auch nicht durch besonders cleveres Handeln ausgezeichnet. Und plötzlich gibt es Geld im Überfluss. Ob das wohl gut geht? Jahrelang wurde die Bundeswehr „kaputtgespart“ und plötzlich soll sie „Gas“ geben. Das ist ein kompletter Perspektivwechsel. Eine Bürokratie ist von ihrer Struktur her darauf nicht eingerichtet.

Denken wir an die Bundesbahn, die in den 1990iger Jahren im Auftrag der Bundesregierung ebenfalls kaputtgespart bzw. davor überflüssigerweise auf einen ‚Börsengang‘ vorbereitet wurde. Die Bahn hat sich heute (nach über 25 Jahren) noch nicht von dieser unsinnigen „Rosskur“ erholt. Die Zeit drängt auch hier, weil die Bahn eine unverzichtbare Säule unseres künftigen Mobilitätskonzeptes darstellen wird.

Das zusätzliche Problem liegt dabei in der gewaltigen Ballung von Aktionen: die Pandemie hat uns richtig Geld gekostet, die Klimakrise war bisher noch der billigste Sachverhalt, dann kommt die Infrastruktur der Bundeswehr mit einer Beschaffungsamtstruktur, die nur auf Klein-klein ausgerichtet ist. Hinzu kommt jetzt auch noch eine Form der „Energiewende“, auf die unsere Politik nicht vorbereitet ist. Das sind m.E. deutliche Zeichen für das, was man landläufig ein „Desaster“ nennt.

Hätten wir zwischen den einzelnen Aktionen Zeit, so wäre manches zu regeln. Wenn die Bundesregierung eine Energiewende in Eigenregie ausgerufen hätte, könnte man davon ausgehen, dass man sich hinsichtlich der finanziellen und politischen Verträglichkeit Gedanken gemacht hat. Der „Schwarze Schwan“ sitzt jetzt aber (dick und fett) mitten unter uns und ich kann mir nicht vorstellen, dass die Politik ein Konzept hat, was jetzt wie geregelt werden könnte. Die, die die Klimakrise ernst nehmen, wollen ja eine Energiewende, aber wir sind leider überhaupt nicht darauf vorbereitet, dass es jetzt und sofort passieren soll.

Es besteht die Gefahr, dass das Zeitfenster für das Handeln, das sich unerwartet (als Desaster-Scenario) auftut, nicht richtig oder nicht angemessen genutzt werden kann. Es fehlt an einem Plan oder wenigstens an einer guten Idee. Eine zweite Chance werden wir aber nicht so schnell bekommen. Dieses Mal kann die Politik bei allem kommenden Ungemach auf die Großwetterlage verweisen und sich für die notwendigen strikten und auch eventuell schmerzhaften Maßnahmen mit Hinweis auf Putin aus der Verantwortung stehlen. Beim nächsten Mal muss das Ganze aus der Überzeugung in die Richtigkeit der Maßnahme geschehen. Und das wird richtig hart!

Jetzt sind wir Mitläufer einer (eher zufälligen) Entwicklung, die wir nur sehr begrenzt beeinflussen können. Das Desaster-Szenario vermeidet, die Schuld für die absehbaren Unpässlichkeiten in den eigenen Reihen zu suchen. Diese Auseinandersetzungen bleiben uns erspart bzw. werden eventuell erst nachträglich geführt. Dann sind aber schon die Fakten geschaffen. Der verbleibende Spielraum ist dann äußerst gering.

Design als Strategie geht immer von einer geplanten (bewussten) Entwicklung aus. Das Desaster als „Schwarzer Schwan“ lebt von der Brüchigkeit der Situation und ermöglichst als Krise des Gesamtsystems Entwicklungssprünge, die kein „Designer“ zu planen wagt. Das Design ist Wunschdenken aus der Komfortecke heraus, das Desaster erfordert den Umgang mit der ‚Not – wendigkeit‘ im eigentlichen Sinne des Wortes. So gesehen sind „Desaster“ für eine bequeme Gesellschaft eine einmalige Chance, das Notwendige in Bewegung zu setzen.

Wenn immer wieder von der ‚Großen Transformation‘ gesprochen wird, glauben die wissenschaftlichen Berater dieses Vorhabens in der Lage zu sein, ein „Design“ i.w.S. zu praktizieren, also eine Veränderung der Gesellschaft herbeizuführen, die durch Erkenntnis, Einsicht, Vernunft und Teilhabe getragen wird. Ich würde dieses Ziel sofort unterschreiben, wenn ich bloß erkennen könnte, dass die von der Regierung eingeleiteten Schritte erkennbar zielführend wären. Wir verfügen über ein bestehendes weitgehend funktionsfähiges Gesellschaftssystem, das wir radikal verändern müssen, um längerfristig ausreichend interessante Überlebensaussichten zu erhalten. Dabei ist unsere Komfortzone in Gefahr. Es ist nicht absehbar, ob die schiere Änderung der Struktur ausreichen wird. Es ist zu erwarten, dass wir als Akteure in diesem Zusammenspiel unser Verhalten ändern müssen. Dabei ist nicht immer klar, ob das Verhalten der Struktur folgt oder umgekehrt.

Wenn man diesbezüglich der Systemtheorie, wie sie u.a. von Helmut Willke[1] vertreten wird, folgen will, so ist es notwendig, das bestehende System zu intervenieren. Die Systemtheorie ist der Auffassung, dass jedes komplexe System ein gewisses Maß an Selbststeuerung aufzuweisen hat, also kann der jeweilige Berater nicht steuernd, sondern nur intervenierend eingreifen.

Erfolgen dabei die Interventionen auf der Grundlage eines trivial-mechanistischem Verständnisses der Zusammenhänge, so laufen diese Interventionen i.d.R. ins Leere bzw. machen die Veränderungsaufgabe nur komplizierter. Deshalb stellt Willke eine gesonderte Interventionstheorie zusammen, die versucht, dem Grundsatz von Ashby gerecht zu werden: Only complexity can destroy complexity. Hier schließe ich, weil ich zu dieser Fragestellung noch ein paar Gedanken entwickeln und insbesondere auch Lösungshinweise suchen muss.


[1] Willke, Helmut;  Systemtheorie II: Interventionstheorie, Stuttgart 1994

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