Schlagwort-Archive: Schuldenbremse

Management öffentlicher Investitionen?

Nach der Wahl wurde die Wahrheit öffentlich – wir müssen aus verschiedenen Gründen etwa eine Billion Schulden aufnehmen, weil unsere Wahrnehmung der Realität in den letzten Jahrzehnten durch ein irrationales Wunschdenken so verfälscht wurde, dass jetzt mindestens zwei Erkenntnisse uns zwingen, nicht nur die Welt „neu zu denken“, sondern auch gleich noch riesige Löcher zu stopfen, die durch die Blindheit unserer Politik hervorgerufen wurden. Das Stopfen dieser Löcher wird primär unter der Überschrift der Finanzen geführt, dabei liegen die Defizite auf dem Felde der öffentlichen Investitionen.

» weiterlesen

Das war ein großes Missverständnis mit der Schuldenbremse. Es ist absolut hirnrissig, bei der Staatsfinanzierung auf die Bremse zu treten, nur weil hier eine „Bremse“ eingerichtet wurde, die sich an einem Prozentsatz einer nationalen „Umsatzzahl“ (BiP) orientiert, ohne die jeweiligen Umstände der geplanten Schuldenverwendung zu würdigen. Der „Umsatz“, so die allgemeine Erwartung, soll ja zunehmen („wachsen“). Aber wie soll das geschehen, wenn durch die Restriktionen der Finanzbremse der „Umsatz“ tendenziell reduziert wird, weil die Voraussetzung für gesamtwirtschaftlichen Umsatz neben privatwirtschaftlichen auch öffentliche Investitionen sind. Letztere Investitionen (für Infrastruktur) waren seit ca. 40 Jahren auf dem Rückzug. Die privatwirtschaftlichen Investitionen wurden erheblich gesteigert (als Folge des Wachstums). Die öffentlichen Investitionen fielen als unbeachtlich fortlaufend zurück. Aber die Beanspruchung der Infrastruktur hat ständig zugenommen. Das merkt man in einem großen Zusammenhang nicht gleich, aber wenn man es dann merkt, liegt das Kind mit einem Rückstau von ca. 500 Mrd. Euro im Brunnen. Wie üblich, kommen solche Erkenntnisse stets zur falschen Zeit. Und alle sind ratlos – wie konnte das passieren?

Wie kann man sich dieses Fiasko erklären? Mein Erklärungsmuster sieht wie folgt aus: Der Neoliberalismus hat vor rd. 40 Jahren seine ersten Maßnahmen realisiert. Man wollte die unternehmerische Seite der Wirtschaft stärken und folgte der (liberalen) Überzeugung, dass sich die öffentliche Hand im Grunde auf den ‚Nachtwächterstaat‘ zurückziehen solle. Der Rest würde durch private Initiative und den ‚entfesselten‘ Markt erledigt.

Die neoliberale Idee hat übersehen, dass die Infrastruktur des Gemeinwesens erst den Markt ermöglicht, der alles regeln soll. Aber der Neoliberalismus kennt kein Gemeinwesen. Stellen Sie sich ganz einfach vor, Sie wollen im Internet Ware bestellen, die Ihnen dann geliefert werden soll und es gäbe aber keine Infrastruktur. Die Straßen wäre ausgefahrene schlammige Feldwege, Es fehlte an Energie. Das Internet wäre gar nicht erreichbar. Diese wenigen Hinweise mögen genügen, um die Bedeutung der Infrastruktur des Gemeinwesens für die wirtschaftlichen Aktivitäten für jeden Bürger und Unternehmer zu verdeutlichen. Es gäbe keine großen Unternehmen in diesem Lande, wenn wir nicht ein ausgebautes Netz einer weitestgehend gebührenfreien Infrastruktur bereitstellen könnten, das i.d.R. von allen Bürgern über Steuern finanziert wird und wurde.

In dem gegenwärtigen Ökonomieverständnis spielt die Infrastruktur so gut wie keine Rolle. J.M. Keynes als Ideengeber für die Wirtschaftspolitik vor dem Neoliberalismus hat der Infrastruktur eine bedeutende Rolle für die Wirtschaftsentwicklung eingeräumt. Hier beißen sich zwei Sichtweisen, wobei Keynes pragmatisch eine nachweislich sinnvolle Strategie der Fiskalpolitik vorschlug, während der Neoliberalismus aus ideologischen Gründen diese Vorgehensweise ablehnt, ohne eine schlüssige Theorie bereitzustellen.

Keynes geht davon aus, dass in Zeiten einer wirtschaftlichen Flaute der Staat über eine Schuldenfinanzierung in die Infrastruktur investieren solle, um dann, wenn der Effekt dieser Politik zu einer verbesserten Wirtschaftsleistung geführt hat, die Finanzierung zu reduzieren und mit den dann erwirtschafteten Haushaltsüberschüssen seine Schulden tilgen solle oder könne. Ob die Politik dazu in der Lage ist, steht auf einem anderen Blatt. Ausgaben- bzw. Tilgungsdisziplin zählt nicht zu den unbedingten Stärken der Politik.

Das Merkwürdige der gegenwärtigen Situation ist, dass diese Vorgehensweise vielfach in der wirtschaftswissenschaftlichen Literatur der 1960er und 1970er Jahre rauf und runter dekliniert wurde und wir tun so, als ob es jetzt eine völlig neue Situation darstelle. Keynes hat zu Ende des zweiten Weltkrieges einen ziemlich umfassenden Vorschlag unterbreitet, wie man den Wiederaufbau wirtschaftlich gestalten solle. Das scheint vor lauter neoliberalen Nebelkerzen in Vergessenheit geraten zu sein. Und Keynes Ansatz hat damals nachweislich erfolgreich gewirkt. Der Wiederaufbau der am Kriege beteiligten Länder wäre ohne diese Beiträge kaum vorstellbar gewesen.

Der Knackpunkt von Keynes Vorschlägen lag, wenn ich mich recht entsinne, bei der Frage, ob die Wirtschaftspolitik so fein gesteuert werden kann, dass die Realisierung einer angestrebten Wirtschaftsentwicklung klar erkannt wird und dann die Politik die Disziplin aufbringt, die notwendige Zurückhaltung zu entwickeln, um die Mehreinnahmen zur Schuldentilgung zu verwenden. Wenn das so läuft wie vorgesehen, dann muss die Politik genau dann finanzielle Zurückhaltung üben, wenn es „wie geschmiert“ läuft. Diese Erwartung an die politischen Gremien überfordert vermutlich deren Prinzipienfestigkeit.

In der Nachkriegszeit gab es keine Digitalisierung. Die vorhandenen grob gestrickten Informationen über die jeweilige Wirtschaftsentwicklung ließen keine Steuerung zu wie wir sie heute durch die Digitalisierung (wenn sie denn mal umgesetzt ist) erwarten dürfen. In einer Welt, die fiskalpolitisch sich eher an Keynes ausrichten würde (das haben wir mit dem Sondervermögen unfreiwillig schon getan), wäre es durchaus denkbar, einen sinnvollen, aber hinreichend komplexen Mechanismus einer neuen ‚Schuldenbremse‘ einzurichten, der dann ‚automatisch‘ zum Zuge käme, wenn es der Politik schwerfallen würde, Ausgabenzurückhaltung zu üben.

Wenn wir nicht so vernarrt in den Neoliberalismus gewesen wären, wäre in den letzten 40 Jahren die Infrastruktur stets im Fokus des politischen Handelns gestanden. Die Infrastruktur wäre der Hebel gewesen, über den die Fiskalpolitik betrieben worden wäre. Wir hätten, statt unzureichende „Anreize“ zu liefern, regelmäßig investiert und hoffentlich auch regelmäßig die damit verbundenen Schulden getilgt. Ein „Infrastrukturloch“ von 500 Mrd. Euro (!) wäre nie möglich gewesen. Und die berechtigte Frage nach der Tilgung der Schulden durch künftige Generationen wäre obsolet. Wäre das nicht ein Weg, um aus der vertrackten Situation zu lernen, um es künftig besser zu machen?

» weniger zeigen

Rund ums Sondervermögen

Bevor man sich mit Fragen rund ums Sondervermögens befasst, muss man sich doch fragen, was der Grund für die Schaffung eines Sondervermögens ist oder sein könnte. Also beginnen wir mit der Ausgangssituation. Sie beginnt mit der neoliberalen Denke, die vor etwa 40 Jahren zur Wirkung kommt und die davon ausgeht, dass möglichst viel Aktivitäten in den Händen von Privatleuten liegen sollen und man deshalb streng darauf achtet, dass der angebliche Gegenspieler der Privatleute, der Staat, möglichst wenig finanziellen Spielraum hat. Diese Vorstellung hat zur sogenannten Schuldenbremse geführt. Man hat die Schuldenaufnahme des Staates ziemlich rigoros beschnitten

» weiterlesen

Dabei hat man nicht die neoliberale Denke (to starve the beast) als Auslöser in den Vordergrund geschoben, sondern sich die allgemeine Erkenntnis zu Nutzen gemacht, dass nicht nur Politiker, egal welcher Couleur, dazu neigen, mit fremdem Geld gerne großzügig umzugehen. Der Schuldendienst wird gerne in die Zukunft verschoben und belastet die kommenden Generationen und schränken insoweit deren künftigen finanziellen Spielräume ein. Man hat also versucht, dieses Moment der leichtfertigen „Schuldenproduktion“ systematisch einzudämmen. Das haben viele als sinnvoll eingesehen und haben dieser grundgesetzlich verankerten Schuldenbremse dann zugestimmt.

Die Fehlkonstruktion der Schuldenbremse liegt darin, dass sie einseitig nur die finanzielle Seite der Aktivitäten reguliert. Schulden machen ist in einem ‚gesunden‘ Staatsgebilde kein Problem, solange mit den Schulden konkrete Investitionen verbunden sind. Man darf sich hier durchaus eine Bilanz öffentlicher Leistungen vor Augen führen: Solange sich die Investitionen (das Volksvermögen) im Verhältnis zu den Schulden des Gemeinwesens die Waage halten, gibt es nur wenig Grund, wegen der Schulden Nervosität zu zeigen. Diese Sichtweise ist aber in Politikerkreisen verpönt, weil dann der Anspruch des Neoliberalismus, die Staatsausgaben so kurz als möglich zu halten, nicht mehr so richtig funktioniert.

Was ist das Ergebnis dieser Ideologie? Seit 35 Jahren ist die Nettoinvestitionsquote im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt (BiP) von etwa 10% p.a. auf nahezu Null gesunken. Gleichzeitig hat sich aufgrund der Schuldenbremse unsere Staatsverschuldung natürlich in Grenzen gehalten. Die Bundesregierungen waren immer stolz darauf, dass die BRD zuletzt nur einen Verschuldugsgrad von 63% aufwies. Das ist im Vergleich zu anderen europäischen Staaten komfortabel. Nun müssen wir aber diese beiden Gesichtspunkte zusammen sehen. Wir tun so, als wären wir die Größten bei der Zurückhaltung bei der Staatsverschuldung und schieben gleichzeitig aufgrund der geringen Nettoinvestitionsquote einen riesigen Berg an aufgestauten, vernachlässigten Infrastrukturinvestitionen vor uns her, der sich irgendwo in der Größenordnung von 500 – 600 Mrd. Euro beläuft. Das ist das Ergebnis des neoliberalen Denkens (to starve the beast) und der von diesem Denken beeinflussten Schuldenbremse.

Und hier stehen wir heute! Man hat den Eindruck – ziemlich ratlos! Denn wir haben nicht nur einen selbstverursachten Investitionsstau bei der Infrastruktur, sondern auch einen Bedarf an zusätzlicher Sicherheit, der nochmals mit 500 Mrd. Euro beziffert wird, und den wir der geopolitischen Lage zuschreiben müssen.

Manche Menschen denken in solchen Fällen an Schuld und fragen sich, wen man dafür verantwortlich machen kann. Das sollte man sich verkneifen, mitgefangen – mitgehangen! Aber es wäre sinnvoll, sich zu fragen, wie man diese Finanzierungslücke schließen kann. Es gibt Stimmen, die sind der Meinung, dass das Finanzierungspaket zu Lasten künftiger Generationen gehe. Das ist richtig – aber was ist die Alternative? Augen zu und weiter so – das war viel zu lange die Devise!

Man hätte in den letzten 40 Jahren eben nicht nur den Fokus auf die Finanzen legen, sondern auch die öffentliche Investitionstätigkeit im Auge behalten sollen. Dieser Zusammenhang wird aber in der Volkswirtschaftlehre kaum diskutiert. Der Sachverhalt reduziert sich in der Kameralistik (im öffentliche Rechnungswesen) auf die Ausgaben, weil die damit geschaffenen Wirtschaftsgüter ähnlich einer Einnahmen-Überschußrechnung dort gar nicht erfasst werden. Man kennt den Begriff des Volkseinkommens, aber die Größe des öffentlichen Volksvermögens in Relation zu seiner Finanzierung wird äußerst selten zur Beurteilung der wirtschaftlichen Lage einer Volkswirtschaft herangezogen. Die mir zugänglichen (alten) Lehrbücher, oft nahezu tausend Seiten dick, weisen (vorsichtig) auf die große Bedeutung der Infrastruktur für die Entwicklung einer Volkswirtschaft hin, wissen aber mit dem Begriff in der Theorie konkret nichts anzufangen. Ich vermute, das wird auch heute noch so sein.

Machen Sie den Versuch, eine seriöse Statistik über die Höhe das öffentliche Netto-Vermögens in Deutschland zu finden. Es gibt sie offensichtlich nicht: Google findet nichts Verwertbares. Vergleichbares gilt für die KI. Wenn Sie etwas finden, lassen Sie es mich wissen und achten Sie darauf, dass dieses Vermögen nicht nur brutto erfasst wird, sondern auch altert – es müssen auch Abschreibungen darauf verrechnet werden (netto), sonst macht die schlichte Bruttozahl wenig Sinn.

Während des Wahlkampfs haben Geld oder Schulden bei keiner der Parteien eine Rolle gespielt. Die Union hat sich vehement für die Schuldenbremse eingesetzt. Dann war das Wahlergebnis da und am Tag darauf gab es einen ersten Ansatz für die Schaffung eines Sondervermögens, (ein Name für Schulden, der komplett irreführend ist) und das Bestreben, die mit Vehemenz verteidigte Schuldenbremse aufzulösen oder doch stark einzuschränken. Man ist innerhalb einer Nacht in der Realität angekommen und nach der Devise, „was juckt mich meine dummes Geschwätz von gestern“ vollzieht man nicht eine kleine Korrektur, sondern eine 180-Grad-Wende und behauptet jetzt das Gegenteil.

Die Aufregung in den politischen Kreisen ist groß, weil es eigentlich klar war, dass dieser Wandel irgendwann kommen musste, aber keiner wollte es wahr haben. Eine Alternative war nicht in Sichtweite. Die Union hat damit Christian Lindner, der 2021 – 2024 in der Ampel immer die Schuldenbremse wie ein Monstranz vor sich hertrug, aber die Zusammenhänge offensichtlich nicht erkannte, eine schallende Ohrfeige verabreicht, denn die Zusammenhänge waren wohl in Politikerkreisen schon länger bekannt und wurden in den Hinterzimmern auch diskutiert.

Was mich zudem besonders irritiert, ist die Haltung der Vertreter der Ökonomie. Wie blind sind diese Damen und Herren? Den Niedergang der Nettoinvestionsquote hat ein Abgeordneter der Linken in die Diskussion gebracht, m. W. kein Ökonom. Und die Tatsache, dass Finanzen immer nur ein Teil des Prozesses sind, hat sie auch nicht interessiert. Schuldenbremse hin oder her. Erst eine regelmäßige Gegenüberstellung des geschaffenen oder zu schaffenden Netto-Volksvermögens (in seinen unterschiedlichen Kategorien) und deren Finanzierung ergibt doch eine sinnvolle Beurteilungsgrundlage. Jeder BWL-Student muss das irgendwann lernen und kapieren. Jeder Unternehmer führt im Anlagevermögen akribisch Buch über seine getätigten Investitionen und überwacht diese hinsichtlich ihres qualitativen und quantitativen Zustandes, um Produktions- und Ausfallrisiken gering zu halten.

Wenn wir uns die Infrastruktur genauer ansehen, so wird diese Leistungsgattung vielfach über Steuern finanziert und steht den späteren Nutzern gewöhnlich ‚unentgeltlich‘ zur Verfügung. Man könnte bei Infrastruktur auch von Gemeingütern sprechen, die der Staat im Auftrag seiner Bürger produzieren lässt (soweit es sich um materielle Infrastruktur handelt). Für Infrastruktur gibt es i.d.R. auch keinen Markt. Häufig handelt es sich Einzelanfertigung. Skaleneffekte sind dort nicht zu erwarten. Also ist es fraglich, ob die Produktion von Infrastruktur marktwirtschaftlichen Regeln zu folgen hat. Infrastruktur, soweit sie materielle Güter betrifft, steht i.d.R. auch nicht zum Verkauf und sollte langlebig von nachhaltiger Qualität und zukunftsweisender Technologie sein und entzieht sich dem üblichen Kreislauf ‚produzieren – verkaufen -verbrauchen -wegschmeissen – neukaufen‘ (und das möglichst oft) durch offensichtliche Nachhaltigkeit.

All diese Anforderungen machen deutlich, dass hier der Staat nicht mit „Anreizen“ und „Subventionen“ oder ähnlichem arbeiten kann, sondern dass ist etwas, was man als „leistende Verwaltung“ beschreiben könnte. Man kann nicht den Markt ‚machen‘ lassen, weil sich mit der unentgeltlichen Nutzung der Infrastruktur letztlich keine Rendite erzielen lässt. Der Staat steht in der Funktion des Prinzipals mit allen Rechten und Pflichten. Ob unser Staatswesen nach 40 Jahren Neoliberalismus noch über Personal verfügt, das diese Aufgaben bewältigen kann, erscheint fraglich. Man hat 40 Jahre den Erfolg des Marktes gefeiert auf Kosten des Verschleißes der bis in die 1980er Jahre aufgebauten Infrastruktur. Von dann an ging’s bergab!

Ich kann die Bedenken vieler Bürger und mancher Politiker verstehen: Es bleibt die Sorge, ob Politik und Verwaltung mit einem solchen außergewöhnlich hohen Aufgabenberg nicht überfordert sind. Das ist m.E. der Punkt und nicht die Frage, von wem die Finanzierung künftig getilgt werden soll. Das Infrastruktur-Problem besteht, und das Problem müssen wir schnell lösen, um uns nicht die Zukunft durch eine falsche Priorität zu verbauen. Es sollte daraus vielleicht auch aus der Vergangenheit eine Lehre gezogen werden, dass es nichts umsonst gibt, auch nicht das Gemeingut Infrastruktur.

» weniger zeigen

Was dürfen wir erwarten?

Diese zurückhaltende Grundsatzfrage aus der Philosophie kommt mir in den Sinn, wenn ich mir die bevorstehende Bundestagswahl betrachte und es ist schwierig, hierauf eine vernünftige Antwort zu finden. Leider hat die AfD die Wahl mit dem überschaubaren Problem der Migration überwuchert, wobei sie natürlich vermeidet zu sagen, dass es sich in Wirklichkeit nur um den Teil der illegalen Migration handelt. Über den legalen Teil der Migration, also mit einer kleinen, aber notwendigen Differenzierung, löst sich der scheinbar große Dissens mit wenigen Worten auf.

» weiterlesen

Selten habe ich eine Wahl erlebt, in der so viel verdreht, gelogen, für dumm verkauft wurde, wie zu diesem Wahltermin. Die Mehrzahl der Wahlkämpfer haben mit viel ‚Geschick‘ alle wesentlichen Punkte für die künftige Entwicklung unseres Landes aus der Diskussion herausgehalten. Dabei ist klar, dass die fehlende Ansprache real anstehender Probleme auch keine realistischen Lösungsansätze erkennen lassen.

Es fällt dem Beobachter auf, dass die Rechtsextremen eine andere Form der Sprache verwenden. Wer argumentiert und differenziert, spricht gewöhnlich „High Talk“ und die Politiker des Rechts außen nutzen intensiv alle Register des „Basic Talk“. Dabei geht nicht um Kommunikation und argumentativen Austausch auf Augenhöhe, sondern um Macht und Einfluss auf einfachstem Niveau: Wer hat hier außer mir das Sagen? Durch schlichte Aussagen, oft auch fehlerhaft und gelogen, wird versucht, die ‚Lufthoheit‘ (die Aufmerksamkeit) ohne inhaltliche Aussage zu erringen. Sachliche Argumente stehen gar nicht zur Debatte. Hat man die Aufmerksamkeit des Durchschnittszuhörers erreicht, ist das Sachargument bedeutungslos. Und wir Demokraten, die wir darin erzogen wurden, „High Talk“ zu praktizieren, sind oft sprachlos vor soviel Plattitüden. Es hilft nichts, wir werden uns darauf einstellen müssen, und müssen versuchen mit gleicher Münze, aber mit einem etwas höherem Anspruch dagegen zu halten1. Das kann man lernen, aber bitte schnell!!

Geopolitisch haben wir eine Zeit, in der Macht nicht mehr diplomatisch fein verkleidet und subtil ausgeübt wird (High Talk), sondern wir müssen erkennen, dass hier ein Paradigmenwechsel stattgefunden hat und Europa auf diesen Paradigmenwechsel nur bedingt vorbereitet ist. In USA, in China und in Russland sind inzwischen Autokraten an der Macht, die eine völlig andere Sprache sprechen. Es geht nicht mehr um begründete Argumente, Offenheit und unsere humanitären Werte, die gewöhnlich in einem Stil des ‚High Talk‘ ausgetauscht werden. Die ganze Diskussion wechselte mit der Einsetzung von Trump ziemlich schlagartig in einen emotionsgeladenen, Fakten ignorierenden und mit Lügen durchtränkten, Respekt verweigernden populistischen Stil des ‚Basic Talk‘. Die Rechtextremen beherrschen und nutzen diesen neuen Stil leider bis zum Erbrechen. Die demokratischen Kräfte wirken hier noch etwas hilflos.

Europa braucht dringend eine klare Führung, die auch ein europäisch demokratisch legitimiertes Machtwort sprechen kann. Bis wir uns im europäischen Sinne auf die neue Situation eingeschossen haben, ist die Sache Schnee von gestern. Trumps Strategie könnte man auch so beschreiben, dass er alle paar Minuten im Stil des Basic Talk irgendwelchen Unsinn absondert, der bei seinen Anhängern auf Resonanz stößt, aber die eingefahrenen Strukturen der Diplomatie im Regen stehen lässt. Darauf kann eine demokratisch orientierte Nomenklatur bisher nicht adäquat reagieren. Vielleicht wäre etwas mehr demonstrative Gelassenheit im europäischen Haus von Nutzen. Aber unter der Oberfläche der Gelassenheit sollte man hart daran arbeiten, eine europäische Strategie zu zimmern, die im entscheidenden Moment dem Handeln der Trumps in dieser Welt deutliche Grenzen setzten kann.

Man erzählt nichts Neues, wenn man zum Ausdruck bringt, dass die Infrastruktur in unserem Lande auf dem Zahnfleisch daherkommt. Es gibt da eine merkwürdige Verquickung von Kennzahlen: Unsere Nettoinvestitionsquote ist in den letzten 35 Jahren von rd. 10% auf nahezu Null abgesunken. Das ist die eine Seite des Prozesses. Gleichzeitig rühmen wir uns, weltweit den geringsten Verschuldungskoeffizienten aufzuweisen. Nach den Zahlen der SZ liegt unser Koeffizient bei 63%, d.h. gemessen an unserem Bruttoinlandsprodukt (BiP) leisten wir uns Schulden in Höhe von 63% des BiP und sind so etwas wie ein ‚Weltmeister‘. Viele andere europäische Länder liegen bei 100% und mehr. Japan liegt sogar über 200%.

Mit anderen Worten, wir haben uns eine finanzielle Restriktion (die Schuldenbremse) gegeben und wollen finanziell glänzen, mussten aber aufgrund mangelnder Finanzierungsquellen unsere öffentlichen Investitionen radikal zurückgefahren. Diese Politik hat dazu geführt, dass wir heute finanziell einen vorzeigbaren Verschuldungsgrad von nur 63% aufweisen und gleichzeitig auf einem Investitionsrückstau im Bereich der Infrastruktur von 600 Mrd. Euro sitzen. Das ist ein Meisterstück verfehlter Prioritäten.

Die Angabe zur Höhe der notwendigen Infrastrukturinvestitionen ist für mich nicht nachvollziehbar. Es handelt sich bei den 600 Mrd. Euro um eine Zahl, die durch die Gazetten wandert. Es könnte also auch noch teurer werden, weil diese Zahlen gewöhnlich keine Inflation erfassen.

Die Aufholjagd im Bereich der Defizite in der Infrastruktur wird sich über Jahrzehnte hinziehen. Preissteigerungen sind also so gut wie sicher. Andererseits ist diese Aufholjagd ein riesiges Konjunkturprogramm für die deutsche Wirtschaft in einer noch nie gekannten Größenordnung und Dauer. Dabei wäre es sinnvoll und erstrebenswert, wenn nicht nur das phantasielose „Weiter so“, sondern insbesondere die anzustrebende Nachhaltigkeit im Fokus stünde. Die notwendige und anerkannte Transformation ließe sich durch eine gezielte Steuerung im Rahmen des Konjunkturprogramms mit Auf- und insbesondere Umbau hervorragend kombinieren. Ich könnte mir vorstellen, dass diese bewusste Kombination die Zuversicht in den erfolgreichen Umbau der Wirtschaft für das Land beflügeln könnte.

Wenn hier von Infrastruktur gesprochen wird, ergibt sich die Frage, was könnte denn damit gemeint sein. Man sollte hier an einen Nachhol- bzw. Reparaturbedarf denken, u.a. bei Straßen, Brücken, öffentlichen Gebäuden (z.B. Schulen), Öffentlicher Nahverkehr (z.B. das Deutschlandticket und die Sanierung der Bahn), Digitalisierung, Abbau von Bürokratie, Renten- und Gesundheitssystem, Energiesysteme, Bildung u.v.a.m.. Es ärgert mich, dass diese Fragen kaum von den wahlkämpfenden Parteien angesprochen wurden. Dabei wird sich hier entscheiden, ob wir wirtschaftlich in der ersten Liga verbleiben können oder mangels einer wettbewerbsfähigen Infrastruktur hinten runter fallen.

Das ist nicht alles: Aufgrund der geopolitischen Entwicklung müssen wir unsere Sicherheitsaufwendungen drastisch erhöhen. Hier geistert ein zusätzlicher Investitionsaufwand von rd. 300 Mrd. Euro durch die Blätter. Die wahre Höhe wird sich erst ergeben, wenn sichergestellt werden kann, dass Europa in ihrer Sicherheitsstrategie zu einer gemeinsamen Lösung kommt und die Lasten von einer breiteren Basis getragen werden kann.

Wenn es bei der Wahl keine Überraschungen gibt, wird die CDU eine Koalition eingehen müssen.

Wenn es dumm läuft, wird sich Friedrich Merz in einer farblich leicht modifizierten Ampel wiederfinden, jene Form, die er in Zeiten der alten Ampel vehement gegeißelt hat. Man kann ihm nur wünschen, dass die Koalitionäre sich insoweit vernünftig verständigen, dass diese Regierung angesichts der anstehenden Aufgaben und der politischen Lage auch handlungsfähig ist und nicht der eine oder andere Koalitionär ständig versucht, sich auf Kosten der Koalition zu profilieren. So etwas soll es geben?!
………………………………………………………………………………………………….
1Vgl. Peter Modler in der SZ vom 22.2.2025 und im Stern vom 12.9.2019. Ergänzend P. Modler, Mit Ignoranten sprechen, Campus Verlag, 2019

» weniger zeigen