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Klimawandel – im Wandel?

Angesichts der politischen Entwicklungen sieht es so aus, als ob der Klimawandel etwas in den Hintergrund rückt. Diese Entwicklung ist deshalb fatal, weil mit dem Klimawandel Veränderungen angesprochen werden, die am Ende das Überleben der Menschheit bestimmen werden. Dieser Sachverhalt wird vielen Menschen nicht klar kommuniziert bzw. viele verschließen vor dieser harten Aussage die Augen und die Ohren. Man kann dieses Verhalten auch als Verdrängung bezeichnen.

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Das Grundproblem

Das besondere am Klimawandel ist, dass dieses Problem sich nicht auf ein Land oder eine Region beschränkt, sondern Klimawandel hat einen planetarischen Maßstab. Angesichts dieser Bedrohung glauben manche Menschen, sie können in die von ihnen als angenehm erinnerte Zeit rein nationaler Politik zurück. Geschichte, so wie wir sie verstehen, ist eine gerichtete Entwicklung, kennt also kein Zurück. Man kann nur empfehlen, die Geschichtsbücher zur Hand zu nehmen, um zu erkennen, dass es eine bessere Vergangenheit nie gegeben hat und dass unsere Chance ausschließlich in der sinnvollen Bewältigung einer uns noch unbekannten Zukunft liegt. Man sollte nicht alte Fehler wiederholen, nur weil man glaubt, man wisse wie dann zu handeln sei.

Die Problematik des Klimawandels teilt sich in mindestens drei große Bereiche, die untereinander in enger Beziehung stehen, aber politisch gerne als Einzelphänomene betrachtet werden:

Der Klimawandel fokussiert auf die absehbare Erderwärmung durch übermäßigen CO2 -Ausstoß und deren Folgen. Er versucht Maßnahmen zu entwickeln, die die heute absehbaren Folgen einer Erderwärmung mit Blick auf die nächsten Jahrhunderte minimieren. Ausdruck dieser Strategie ist das Ziel, die Erderwärmung global unter 1,5 Grad halten zu können. Der Grund für diese 1,5 Grad sind die bisherigen Erkenntnisse, dass dadurch die negativen Folgen der Erderwärmung noch in Grenzen gehalten werden können.

Die zu erwartenden Folgen sind nur bedingt auf das Klima bezogen. Unterhalb der Grenze von 1,5 Grad sollen die Klimawirkungen auf Ernährung, Dürren, Überflutungen, Unwetter, Erdrutsche, Auflösung des Permafrostes, Erhöhungen des Meeresspiegels mit der Folge von gewaltigen Migrationsströmen beherrschbar bleiben. Inzwischen zeigt sich, dass die globale 1,5 Grad – Grenze möglicherweise nicht zu halten ist, weil es Bereiche auf der Erde gibt, für die auch 1,5 Grad schon zu viel sind, wenn man die damit verbundenen Folgen vermeiden oder minimieren will.

Um das 1,5 Grad-Ziel erreichen zu können, müssen insbesondere die Industrieländer sich einer wirtschaftlichen Transformation unterziehen, die die sogenannten Marktkräfte in ihrer trägen Handlungsgeschwindigkeit bei weitem überfordern werden. Da der „Markt“ eindimensional auf Fragen der Ökonomie orientiert ist, wollen die Marktvertreter nicht erkennen, dass der Veränderungsprozess auch eine komplexe soziale Komponente braucht, um die künftigen Folgen der Veränderungen abzufedern. Aus der Sicht des ausgehenden Neoliberalismus setzt aber die Beachtung einer sozialen Komponente die Wirksamkeit des Marktmechanismus stark herab; mit anderen Worten: selbst wenn die Anpassung über den Markt erfolgen könnte, läuft uns die Zeit davon.

Die Investitionen in die Transformation werden viel Geld kosten. Den wirtschaftlichen Vorteil realisieren vermutlich erst künftige Generationen. Die Transformation ist so etwas wie der gezielte Umbau unserer Infrastruktur. Die Kosten dieser Transformation können m.E. nicht aus dem jeweils laufenden Haushalt bestritten werden. Öffentliche Haushalte müssen den „laufenden Betrieb“ finanzieren. Investitionen in die Zukunft müssen durch „Sondervermögen“ oder durch gesonderte Umlagesysteme finanziert werden. Die Umlagesysteme hätten den Vorteil, dass sie zwar die heutige Wirtschaft belasten, aber künftig keine Zinsaufwendungen für die kommenden Generationen auslösen werden.

Die zunehmenden Schadenereignisse

Ein zweiter Problemkreis liegt in der Zunahme der verheerenden Schadenereignisse. Seit der Veröffentlichung der „Grenzen des Wachstums“ (1972) werden zunehmend die Auswirkungen der Erderwärmung aufgezeichnet und man stellt fest, dass sich diese Ereignisse einerseits häufen und andererseits pro Ereignis an Mächtigkeit zunehmen. Große Teile der Politik verschließen sich dieser gut belegten Erkenntnis.

Die Versicherungswirtschaft, die im Schadenfall ihre betroffene Klientel finanziell zu entschädigen verpflichtet ist, sieht das deutlich anders. Für sie gilt der Erwartungswert des Schadens als Maßstab; d. h. Eintrittswahrscheinlichkeit des Schadens multipliziert mit der Schadenhöhe. Wenn in dieser Grundformel beide Formelwerte laufend zunehmen, also nicht alle 30 Jahre, sondern plötzlich alle zehn Jahre (oder weniger) und der Wert des Schadens aufgrund der Heftigkeit des Ereignisses samt Inflation laufend zunimmt, so werden die Prämien davon nicht unberührt bleiben. Altverträge haben eventuell noch Bestandsschutz. Bei Neuverträge wird sich die veränderte Situation in den Prämien und in dem Eigenanteil zur Schadenprävention (Erhöhung der Gestehungskosten) niederschlagen.

Zur allgemeinen Hochwasserexposition gibt es zudem öffentlich zugängliche, neue digitale Kartenwerke, an denen erkennbar wird, welche Gebäude mit welcher Wahrscheinlichkeit hochwassergefährdet sind. Die Kunden der Versicherer können sicher sein, dass gegenwärtig Schritt für Schritt eine Neubewertung ihres Risikos durchgeführt wird. Das ist bisher im wesentlichen eine Darstellung des privaten Sektors.

Die großen Schadenereignisse betreffen ja nicht nur Privatleute, sondern ganze Regionen und ihre öffentlichen Infrastrukturen (Wasser/Abwasser, Energie, Kommunikation, Verkehrssysteme, Digitalisierung u.v.m.), also unser Gemeinwesen. Im Falle des Ahrtal-Ereignisses spricht man von einer Schadenhöhe von 40 Mrd. Euro. Das war (2022) angeblich ein „Jahrhunderthochwasser“, Anfang des Sommers (2024) standen Bayern, die Rheinland-Pfalz und das Saarland unter Wasser – noch ein „Jahrhunderthochwasser“. Mit den Wassermassen, die jüngst in Rumänien, Niederösterreich, Tschechien und Polen niedergingen, sind wir teilweise noch an Elbe und Oder beschäftigt. Auch hier wird gerne von einem „Jahrhunderthochwasser“ gesprochen. Es liegen aber keine fünf Jahre dazwischen.

Worauf ich hinaus will, dass diese und ähnliche Ereignisse auch das Gemeinwesen finanziell erheblich belasten werden. Wir können diese Ereignisse langfristig nur dadurch eindämmen, dass wir uns „Zukunftsinvestitionen“ leisten, um die Wahrscheinlichkeit von Schadenereignissen künftig zu reduzieren. Wir haben aber parallel schon jetzt eine Entwicklung, die wir nur mit Mühe finanziell beherrschen. Es ist wahrscheinlich, dass diese Entwicklung einige Jahrzehnte noch weiter zunimmt, weil weltweit die Maßnahmen zur Reduktion der Erderwärmung einfach unzureichend sind. Mit anderen Worten: der schwache Wille, eine globale Transformation in Angriff zu nehmen, wird mit jedem Schadengroßereignis weiter geschwächt, weil die öffentliche Hand ihre Finanzmittel auch nur einmal ausgeben kann.

Resilienz

Mit dem Wort Resilienz oder Widerstandskraft wurde ein neues Wort geschaffen, um unseren seit 30 Jahren aufgebauten Defiziten in der Infrastruktur einen neuen Namen zu geben. Er soll vermutlich darüber hinwegtäuschen, dass die Politik ihre Erfolge in der Vergangenheit dadurch finanziert hat, dass sie Jahrzehnte lang kein Geld für die systematische Erhaltung der Infrastruktur bereitgestellt hat. Die verrottete Infrastruktur steht zur Wiederaufarbeitung an und wird zusätzlich Finanzmittel binden, die für Zukunftsaufgaben und für Hilfen bei Großschäden möglicherweise nicht zur Verfügung stehen werden.

Wie ist es dazu gekommen? Abgesehen vom politischen Willen, der immer auf Neuinvestitionen gerichtet war, ist mit der (laufenden) Reparatur der Infrastruktur kein Staat zu machen. Das wäre für die meisten Bürger zu selbstverständlich, für die Politik also wenig öffentlichkeitswirksam. Also haben neue Großinvestitionen immer Vorrang gehabt, weil sich die Politik dabei in Bild und Ton in der Öffentlichkeit erfolgreich darstellen kann.

Ein weiterer Gesichtspunkt liegt vermutlich im verwendeten Handwerkszeug: der kameralistisch orientierten Finanzplanung, Sie kommt einer einfachen Einnahmen-Ausgaben-Rechnung sehr nahe. Was mit dem eingesetzten Geld geschaffen wurde (z. B. Anlagevermögen), wird nicht systematisch erfasst (weil der Stand der Digitalisierung in der deutschen Verwaltung eine sinnvolle Erfassung vermutlich auch nicht zulässt). Unternehmen dokumentieren ihre Investitionen ausführlich, um eine gesicherte Grundlage für die Ab- und Zuschreibungen zu haben, um anhand der Aufzeichnungen sinnvolle Reparaturzyklen zu bestimmen, mit dem Ziel eine optimale Nutzungsdauer des Geschaffenen zu erreichen. Die Kameralistik kennt aber keine Abschreibungen. Abschreibungen sind zeitliche Aufwandsverteilungen und die Kameralistik kennt nur Ausgaben (Geldabfluß).

Mit der Adaption des Begriffs der „Resilienz“ hat m. E. die Politik im Grunde den Klimawandel als unausweichlich klassifiziert und der Bevölkerung und der Wissenschaft ihre Resignation signalisiert, wir können es eh nicht ändern. Statt an die Wurzeln des Übels zu gehen, hat man das Problem stillschweigend akzeptiert und konzentriert sich jetzt auf die Behandlung der Symptome. Das ist ein typisch politisches Verhalten, man folgt dem Schwarm der bequemen Haltung und geht den Weg des geringsten Widerstandes.

Fazit

Je mehr wir in die Zukunft investieren (was jetzt Geld kostet) mit dem Ziel, die Folgen des Klimawandels zukünftig zu minimieren, desto weniger Geld werden wir für die Schadengroßereignisse bereitstellen müssen. Oder wenden wir es anders, je weniger wir uns um die Zukunft schweren, desto teurer kommen uns die heute absehbaren Schadengroßereignisse. Parallel dazu müssen wir unsere desolate Infrastruktur „resilient“ machen, damit uns die Auswirkungen der Schäden nicht so unvorbereitet treffen.

Diese Denkweise geht von der Fehlannahme aus, dass der Klimawandel wie ein Regenschauer vorüberzieht. Das wird nicht der Fall sein, weil die Prozesse, die durch den Klimawandel ins Rollen kommen, i.d.R. irreversibel sind. Wenn das Klima sein dynamisches Gleichgewicht verliert, ist eine Rückkehr auf das Ausgangsniveau aufgrund des physikalischen Phänomens der Entropie ausgeschlossen. Der Klimawandel stellt auf lange Sicht das Überleben unserer Spezies in Frage, weil wir uns systematisch aus dem relativ schmalen Korridor, indem intelligentes Leben im Kosmos überhaupt möglich ist, selbst hinauskatapultieren.

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Deindustrialisierung – eine berechtigte Warnung?

Es fällt auf, wie oft in letzter Zeit das Wort „Deindustrialisierung“ in den Mund genommen wird. Die sogenannten Leitmedien befassen sich mit Beiträgen, alle möglichen Verbandspräsidenten äußern sich besorgt – könnte es sein, dass einige der Industrie nahestehende „Think-Tanks“ hier ein neues Narrativ unter „die Leute“ bringen wollen?

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Die Wirtschaft insgesamt spürt natürlich den Veränderungsdruck, der durch die Klimakrise stetig drängender wird. Lange Zeit waren die Wälle hoch, die sie juristisch vor dieser Gefahr geschützt haben. Seit dem das deutsche Bundesverfassungsgericht und eine Reihe europäischer Gerichte hier neue Maßstäbe erlassen haben, schwinden diese Schutzmechanismen. Die Justiz arbeitet nach den erlassenen Gesetzen und ist hier deutlich hartbeiniger und standfester als die Politik mit ihrem „flexiblen“ Gesetzesverständnis. Und die Justiz verbietet sich jeglichen Lobbyismus hinter verschlossenen Türen. Die Gesetze und die real verfügten Maßnahmen der Politik und der Unternehmen werden rechtlich gegeneinander aufgewogen und viele Maßnahmen werden schlicht als zu leicht befunden.

Die großen Wirtschaftsbosse, die sich teilweise dank ihrer politischen Kontakte und der Lobbyarbeit als unangreifbar betrachteten, mussten plötzlich erkennen, dass gute Kontakte in die Politik nicht mehr reichen. Die Gesetze des Landes gelten auch für sie und der Begriff einer „kriminellen Vereinigung“ ist nicht nur auf zweifelhafte Mafia-Strukturen, sondern auch auf Wirtschaftsstrukturen anzuwenden, die bisher als seriös galten. Da ist etwas in Bewegung geraten und die alten Gewissheiten und Privilegien sind im Schwinden.

Die absolute Marktorientierung ist gebrochen. Eine Pandemie hat uns allzu deutlich vor Augen geführt, dass der Markt eben doch nur ein im Grunde schlichter Mechanismus ist, der in Krisenzeiten zwar Maskendeals mit unanständigen Provisionserträgen beflügelt, aber das pandemische Problem humanitär nicht zu lösen in der Lage ist. Dann kommt der Angriff Russlands auf die Ukraine. Alle, auch jene, die auf bequemer und vor allem besonders billiger Energie ihr Geschäftsmodell aufgebaut haben, müssen erkennen, dass Deutschland in einem Maße von Russland in Abhängigkeit geraten war, die nicht länger zu tolerieren ist. Und wer waren die intensiven Befürworter des billigen russischen Gases: die energieträchtige Großindustrie – Nordstream 2 lässt grüßen. Hier wurden für diese fixe Idee Milliarden staatliche Euro in der Ostsee versenkt ohne vorher die geopolitischen Zusammenhänge entsprechend kritisch und sorgfältig zu bewerten.

Dann kommt Olaf Scholz mit seinem Hinweis von die „Zeitenwende“. Seine Berater haben hier vermutlich bei Fritjof Capra in den 1980iger Jahren Anleihe genommen, der seinen damaligen Bestseller „Wendezeit“ nannte und im Grunde auch eine Zeitenwende im wissenschaftlichen Verständnis der Welt proklamierte. Ähnliches versucht Scholz nun auf dem politischen Feld. Aber was er genau damit meint…, da lässt er uns noch im Ungewissen. Es gibt gegenwärtig zu viele praktische Baustellen, die eine rasche Lösung fordern, so dass die „Zeitenwende“ noch zurückstehen muss. Der in die Diskussion geworfene Begriff allein genügt schon, um deutlich zu machen, dass zumindest die „alten“ Zeiten vorbei sind, ohne dass wir schon erkennen können, was da heraufdämmern könnte.

Vor diesem Szenario fühlt sich die Industrie, d.h. konkret wohl die Großindustrie als wesentlicher Teil der Realwirtschaft aufgefordert, so mein Eindruck, ihre Bedeutung für das Land in Erinnerung zu rufen und sie tut das mit dem Warnhinweis, es dürfe nicht zu einer Deindustrialierung kommen. Dabei hat niemand – soweit ich das erkennen kann – die Industrie grundsätzlich in Frage gestellt. Natürlich freut es diese Industrieteile nicht, wenn dauernd von KI und Digitalisierung schwadroniert wird und die Industrie, insbesondere die Energiekosten fressende Schwerindustrie, erst weit hinten Erwähnung findet.

Die Wirtschaftsstrukturen stehen vor beachtlichen Herausforderungen. Bisher war es zulässig und herrschende Auffassung, die ökonomischen Externalitäten auch im industriellen Rahmen vom Tisch wischen zu können und sich dafür nicht verantwortlich zu fühlen. Dieser „Freibrief“ verliert zunehmend an Gültigkeit. Die wissenschaftliche Ökonomie hat bisher für die Einbeziehung von Externalitäten keine adäquate Lösung gefunden (und sucht m.W. auch nicht danach). Die Wirtschaft fühlt sich hier vermutlich zu Recht im Stich gelassen.

Die Haltung ist in Grenzen nachvollziehbar: Der Energiemarkt, vormals durch vier ‚Jumbos‘ dominiert, verändert sich. Die ehemals punktuell agierenden Schwergewichte der Energieversorgung lösen sich schrittweise auf und werden vorerst durch ein Netz zahlloser kleiner Produzenten ergänzt und es ist m.E. nur eine Frage der Zeit, wann dieses Netz zum Sprung in die Dominanz ansetzt. Mit jedem neuen Produzenten im Netz sinkt die Bedeutung der vier Großen. Und die Großen sehen in dieser Marktveränderung möglicherweise eine Form der Deindustrialisierung. Ich würde darin einfach einen Strukturwandel erkennen wollen, der mit den neuen technologischen Möglichkeiten eng verknüpft ist. Auf diese Veränderung haben die Energieversorger bisher keine befriedigende Antwort gefunden.

Der niederländische Netzbetreiber Tennet will sich aus Deutschland zurückziehen, weil er im Rahmen seines Aufgabenverständnisses in Deutschland vor einem Investitionsvolumen steht, das aus seiner Sicht mittelfristig nicht die von ihm erwarteten Renditen bereitstellen kann. Wir sind wieder einmal da, wo wir in den letzten 250 Jahren immer wieder standen: Die langfristig wirksame Infrastruktur ist nicht über den privaten Markt zu finanzieren, weil die Renditen mit der Kurzfristigkeit kapitalistischen Denkens und Handelns kollidieren. Also wird der Staat einspringen müssen. Die großen ‚Strategen des radikalen Marktverständnisses‘ werden verschämt wegschauen, um dann in einem Jahrzehnt, wenn das Renditeproblem der Privatwirtschaft dank des Einsatzes der öffentlichen Hand und ihrer Kapitalien überwunden scheint, darauf zu drängen, wieder die Privatisierung anzustreben. Aber die Politik sollte hart bleiben. Infrastruktur wird durch öffentliche Gelder geschaffen und sollten kein Spielball privater Interessen werden.

Unser kapitalistisches Wirtschaftssystem funktioniert nur dann reibungslos, wenn die Infrastruktur die notwendigen Voraussetzungen hierfür schafft. Die Einkommenschance, die unser Wirtschaftssystem dem Einzelnen bietet, beruht regelmäßig auf einer Infrastruktur, die wir alle im Rahmen einer staatlichen Gemeinschaftsinvestition finanziert haben.

Gegenwärtig dürfen wir feststellen, dass unsere Infrastruktur an vielen Stellen ernsthaft bröckelt. Der Grund könnte darin liegen, dass wir vor lauter individuellem „Money-Making“ vergessen haben, dass das individuelle Verdienen immer auf einer von der Gesellschaft geschaffenen Grundlage beruht, die wir Infrastruktur nennen. Wir müssen feststellen, dass es hier inzwischen an allen Ecken und Kanten klemmt. Haben wir der Perspektive des Marktes und des individuellen „Geldmachens“ zu viel Raum gegeben und dabei über die Jahre die Pflege der Basis dieses „kapitalen Spiels“ schlicht vernachlässigt?

Der Rückstau der Infrastruktur ist schrittweise auszugleichen. Man kann dabei nicht von Tendenzen einer ‚Deindustrialisierung‘ sprechen. Gleichzeitig wird aber deutlich, dass ein Zurück zum alten Zustand auch nicht sinnvoll ist. Wir haben es hier mit einem riesigen (eventuell gewollten) Missverständnis zu tun: Wie viel ist ‚Deindustrialisierung‘ und wie viel ist ‚Wandel‘ der wirtschaftlichen Gegebenheiten? Teile der Großindustrie wollen offensichtlich den Wandel als eine Form des „De-Growth“ dadurch verhindern, indem sie versuchen, ihn als „Deindustrialisierung“ zu brandmarken. Man könnte auch sagen, dieser Wandel bedeutet Fortschritt, wenn dieses Wort einen weniger zweifelhaften Inhalt hätte. Rifkin z.B. sieht in dem platzgreifenden Wandel ein Ende des Zeitalters des Fortschritts und den Beginn eines Zeitalters der Resilienz. Vor die Wahl gestellt, würde ich mich gerne für die Resilienz entscheiden..

Die große Sorge der Wirtschaft ruht aus meiner Sicht auf den Einheiten der Großindustrie, weil diese ‚Jumbos‘ es im Laufe ihrer Entwicklung verlernt haben, sich in einer angemessen Zeit an neue Situationen anzupassen. Sie haben sich zu riesigen Bürokratie-Kraken entwickelt. ‚Jumbos‘ meinen in dem Glauben leben zu können, dass sie aufgrund ihrer schieren Größe und Kapitalkraft die Situation stets so beeinflussen können, dass ihre Anpassungsfähigkeit nicht gefordert ist. Dieses Verhalten ist bei einer Marktveränderung vorstellbar, aber die Großindustrie sieht sich Klimaherausforderungen gegenüber, die weit über irgendwelche kleinen Marktveränderungen hinausgehen.

Mit anderen Worten: die Resilienz der Großkonzerne ist angesichts anstehender Umweltveränderungen und m. E. absehbar notwendiger Eingriffe in den Markt zu gering. Um dieser Problemlage vorauseilend einen Schutzwall zu umgeben, wird möglicherweise vor einer ‚Deindustrialisierung‘ gewarnt. Man ist sich also insgeheim seiner Schwäche wegen mangelnder Flexibilität sehr wohl bewusst. Und wir als Gesellschaft wollen verständlicherweise diese Jumbos, die glauben, „too big to fail“ zu sein, nicht bei nächst bester Gelegenheit wieder „retten“ müssen?!

Die politische Großwetterlage hat dafür gesorgt, dass die Globalisierung ihren Reiz verloren hat. Globalisierung ist ein Kind einer naiv verstandenen und umgesetzten Idee ‚Wandel durch Handel‘. Man hat geglaubt, den Autokraten dieser Welt ihr Großmachtdenken durch Vermittlung wirtschaftlicher Vorteile schlicht abkaufen zu können. Diese Haltung verkennt grundlegend die unterschiedlichen Wurzeln des jeweiligen Handelns. Beim Kaufmann reduziert sich alles Handeln auf einen monetären Preis oder „Profit“, bei Autokraten spielt der monetäre Aspekt nur eine Rolle, wenn auch deren altertümlicher Anspruch auf „Thymos“1 (Ehre, Leidenschaft, Stolz, Wut, Herkunft, vielleicht auch Anerkennung u.a.m.) befriedigt wird. Die Haltung des Kaufmanns ist der autokratischen Weltsicht zu schlicht, zu schnöde und zu profan.

Auch die Klimakrise trägt ihren Teil dazu bei. Wir wissen zwar nicht, wie wir mit den externen Effekten umgehen sollen, aber eins wird klar: Globalisierung ist bzw. war nur möglich unter Vernachlässigung wesentlicher ‚unsichtbarer‘ Kosten der externen Effekte. Und setzt eine prinzipiell friedvolle Welt voraus. Die Folge ist nun eine heftige Verschiebung der Prioritäten zur Resilienz. Und die Resilienz baut die Welt umgekehrt auf: lokale Resilienz, regionale Resilienz und das Globale mutiert aufgrund seiner Risiken zu einer Restgröße. Es gibt sogar schon ein neues Wort für diese Prioritätsverschiebung: „Glokalisierung“.

Diese Verschiebung des ökonomischen ‚Weltbildes‘ macht das Leben der Großindustrie nicht einfacher. Große Unternehmen leben vom Durchsatz, von der Massenproduktion und nur höchst selten vom anspruchsvollen Einzelprodukt. Hier wird deutlich, wie Großunternehmen und Globalisierung zusammenhängen – ohne Globalisierung ist der hohe Durchsatz in Frage gestellt, der einen grundsätzlich globalen Markt voraussetzt. Wenn der globale Markt fraglich wird, muss auch die Größe des global handelnden Unternehmens in Frage gestellt werden. Wenn sich die „Glokalisierung“ durchsetzt, hat das heftige Auswirkungen auf die Unternehmensstrukturen. Großunternehmen drohen dabei strukturell aus der Zeit zu fallen. Dieser absehbaren Veränderung eine Warnung vor „Deindustrialisierung“ entgegen zu setzen, wirkt ziemlich kleinkariert.
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1Thymos ist ein altgriechisches Lebensgefühl, das insbesondere der Adel noch für viele Jahrhunderte weiter kultiviert hat. So wie wir heute für ein Schäppchen empfänglich sind, waren das thymotische Denken von Ehre, Stolz und Herkunft geprägt. Geld spielt dabei keine oder nur eine völlig untergeordnete Rolle.

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