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Nachhaltigkeit konkret – ein Versuch

Das Thema Nachhaltigkeit war im Rahmen dieses Blogs schon mehrfach ein wichtiges Thema. Zum einen unter der Überschrift „Nachhaltigkeit – geht es etwas präziser“ und auch als „Nachhaltigkeit oder Klimaneutralität“. In beiden Beiträgen wird deutlich angesprochen, dass der Begriff „Nachhaltigkeit“, den die Bruntland-Kommission aufgebracht hat, zwar verstanden wird (was politisch vielleicht wichtig ist), aber im Konkreten einer völlig beliebigen Verwendung Tür und Tor öffnet.

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Die Bruntland-Kommission hat Nachhaltigkeit aus der anthropozentrischen Perspektive definiert und dabei, vereinfacht gesprochen, die sogenannte „Enkeltauglichkeit“ (eine Perspektive der Langfristigkeit) gefordert. Herman E. Daly hat die Nachhaltigkeit aus der Sicht der Biosphäre bestimmt. Diese Definition ist fraglos härter und konkreter, aber immer noch sehr abstrakt:

  • Die Abbaurate einer Ressource darf ihre Regenerationsrate nicht übersteigen.
  • Das Emissionsniveau darf die Assimilationskapazität der Biosphäre nicht übersteigen.
  • Der Verbrauch nicht regenerierbarer Ressourcen ist durch eine entsprechende Erhöhung des Bestandes an regenerierbaren Ressourcen zu kompensieren.

Dann erschöpft sich die Diskussion mangels akzeptabler oder interessanter Vorschläge ziemlich schnell. Ein Grund liegt vermutlich auch darin, dass die Ökologie kein Ziel hat. Erhaltung der Biosphäre ist in meinen Augen kein Ziel, das ist nur eine untere Handlungsgrenze, unter die wir auf keinen Fall rutschen dürfen. Ökologie wird gerne mit Evolution verwechselt und für die Evolution halten viele den Zufall für zuständig. Aber Ökologie funktioniert nur dann, wenn gewisse Voraussetzungen erfüllt werden können: Artenvielfalt, ein Miteinander, Komplexe Strukturen, Systemdenken, Funktionalität u.a.m.. Leben ist m. E. ohne diese komplexen Strukturen nicht denkbar. Alles, was im Grunde schlicht, einfach, linear, direkt, zielgerichtet auftritt, hat mit „Leben“ wenig zu tun. Herman E. Daly hat in einem seiner letzten Essays (4. Parabel) 2022 versucht, diesem Gedanken eine Stimme zu geben.

Die konkreten Folgen dieser Problematik wurden mir dann vor kurzem bei einem Vortrag eines Architekten vor Augen geführt, bei dem es u.a. darum geht, „nachhaltiges Bauen“ zu bewerten.

Es ging um die Frage, ob Betonbau, Holzbau oder auch eine Hybridbauweise als nachhaltig eingestuft werden könnte. Grundlage der Darstellung war Bauen in Beton, dann auch in Holzfertigbau bzw. in einer Holzhybridbauweise.

Der vortragende Architekt hatte eine Vielzahl von Kriterien zusammengetragen. Die Mehrzahl seiner Kriterien waren technischer bzw. planerischer Natur, deren Zusammenhänge ich als Laie nur schwer abschließend beurteilen kann. Mein Interesse galt daher der Frage, wie sich diese Gesichtspunkte zu einem Begriff der Nachhaltigkeit verdichten lassen.

Die Betonbauweise gilt allgemein als nicht nachhaltig, weil die Zementherstellung große Mengen an Energie benötigt und viel CO2 ausstößt. Hinzu kommt, dass der Sand oder Kies, der für den Beton notwendig zur Verfügung stehen muss, inzwischen global als ein knappes Gut eingestuft wird. Schon diese beiden Punkte lassen den Betrachter an einer Nachhaltigkeit zweifeln. Betrachten wir die Lebensdauer der in Betonbauweise errichteten Gebäude, so können wir darin eine Variable erkennen, die die Nachhaltigkeit deutlich verbessern könnte. Wir bauen heute mit Investoren, die oftmals schon beim Neubau damit kalkulieren, dass das errichtete Gebäude in etwa 25 – 30 Jahren wieder abgerissen wird, damit auf dem Grund dann ein neues Gebäude errichtet werden kann. Es ist deshalb auch nicht ausgeschlossen, dass die Qualität des gegenwärtigen Neubaus durch die Erwartungen des (baldigen) Abrisses leidet. Die Lebensdauer eines in Betonbauweise errichteten Gebäudes liegt bei entsprechender Planung, guter Ausführung, ordentlicher Pflege und gegebenenfalls auch Teil-Sanierung bei mindestens 100 Jahren (etwa bei dem Vierfachen der aktuell angestrebten Lebensdauer, insbesondere bei gewerblichen Bauten), d.h. die unzureichende Ökobilanz könnte durch eine Steuerung der Aktivitäten pro Zeiteinheit deutlich verbessert werden.

Mit dem Bau des Beton-Gebäudes ist ein großer „Rucksack“ voll von ökologisch schädlichen Entwicklungen verbunden, ein Sack voller ‚externer Effekte‘, gemessen in Tonnen von Äquivalenten1. Durch eine bewusste Streckung der Lebensdauer ließe sich der erste ‚Rucksack‘ zwar nicht vermeiden, aber doch nachhaltiger verteilen. Wenn nach 25 Jahren das Gebäude, das eine Lebensdauer von 100 Jahren aufzuweisen hat, abgerissen wird, dann sind 75% des ‚Rucksacks‘ aufgrund der künstlich verkürzten Lebensdauer noch nicht verbraucht. Sie werden dann zu diesem Zeitpunkt bewertet und erhöhen die Kosten des künftigen Neubaus. Das wird rasch zu einer Verschiebung der Prioritäten bei Investoren führen. Wenn durch die Maßnahme die Schaffung von weiteren drei ‚Rucksäcken‘ vermieden werden könnte, so würden drei ‚Rucksäcke‘ erst gar nicht entstehen und das wäre ein großer Schritt in die richtige (ökologische) Richtung. Statt vier Rucksäcke voller externer Effekte werden wir nur einen Rucksack auf die angestrebten 100 Jahre verteilen müssen. Sanierung und Erhaltungsaufwand werden dagegen laufen, aber hier verstecken sich gewöhnlich viel weniger externe Effekte. Der ‚alte‘ Betonbau würde auf diese Weise ökologisch entlastet und der Drang nach Neubauten über den ‚goldenen Zügel‘ eingeschränkt.

Die Holzbauweise wird gegenwärtig als angeblich klimaneutrale Alternative propagiert. Wann immer in unserem Wirtschaftssystem, das sich der linearen Denkweise mit Haut und Haaren verschrieben hat, etwas als besonders nachhaltig verkauft wird, sollte größte Vorsicht geboten sein. Auf die technischen Vor- und Nachteile will und kann ich hier nicht eingehen. Glaubt man der Werbung, kann dieses Verfahren die CO2-Bilanz bis zu 90 Prozent verbessern, weil der Einsatz von Beton stark zurückgefahren wird. Das klingt im ersten Schritt recht gut. Wenn wir aber das lineare Denken beiseite schieben und uns das komplexere Gesamtbild betrachten, gibt es ein ganze Reihe von Fragen.

Holzbalken wachsen nicht auf der Wiese. Gehen wir davon aus, dass ein Baum im Querschnitt idealerweise kreisrund ist und Balken zu ihrer leichteren Weiterverarbeitung i.a.R. zu einem rechteckigen Querschnitt verarbeitet werden. Anders als im Fußball muss das „Eckige“ in das „Runde“. Und das Runde wird entlang des Baumes zur Spitze hin immer kleiner. Mit anderen Worten: es treten bei diesem Verwertungsverfahren immer Verluste auf. Der theoretische Verlust aufgrund der Tatsache, dass das Eckige aus dem Runden geschnitten werden muss, führt zu über 36 Prozent Holzmasseverlust, wenn keine Verjüngung des Baumes zur Spitze hin unterstellt wird.. Dieser Verlust enthält noch nicht die Verluste, die dadurch entstehen, dass der Baum sich zur Spitze hin verjüngt, dann noch Äste, organische Schwachstellen (Fäulnis) und manches andere mehr aufweist. Ich würde den realen Gesamtverlust auf etwa 50 Prozent schätzen. D.h. konkret, bevor ein Balken gesetzt werden kann, ist der halbe Baum schon „entsorgt“. Das Problem spricht für sich. Wer in Holz bauen will, sollte die Zahl der dafür einzusetzenden Bäume, grob gerechnet, etwa verdoppeln.

Nun kommt die Frage der Nachhaltigkeit. Und zwar nicht die anthropozentrische CO2 Bilanz, sondern jetzt greife ich auf die Nachhaltigkeit im Rahmen der Biosphäre (siehe oben) zurück. Die Abbaurate für Bäume muss kleiner sein als die Regenerationsrate des Waldes. Diese Frage lässt sich für einen Laien nur durch unterstützende Angaben der Forstbehörden beantworten. Dort wird die Zahl von 98 Prozent angeführt (2018), wobei es nicht klar ist, wie hier die Einschläge behandelt werden, die in der jüngsten Vergangenheit aufgrund der „Borkenkäfer-Offensive“ bei Fichten-Monobeständen in tieferen Lagen ausgelöst wurden.

Bisher wurde üblicherweise in Stahlbeton (oft gewerblich) und mit Ziegeln (privat) gebaut. Wenn sich das Interesse an einer Holzbauweise verstärkt, so haben wir gegenwärtig vermutlich aufgrund der menschengemachten Borkenkäferplage relativ viel eingelagerte Holzvorräte. Diese Vorräte werden sehr rasch zusammenschmelzen, wenn sich daraus ein Holzbauboom entwickeln sollte. Dann verfügen wir nicht mehr über Vorräte, sondern müssen den kommenden Einschlag organisieren. Das wird bei einer Einschlagquote von 98 Prozent der Regenerationsrate aber schwierig bis unmöglich, ohne die Bedingung zu verletzen, dass die Abbaurate kleiner als die Regenerationsrate sein soll. Bei 98 Prozent und den üblich zu erwartenden kleineren Messfehlern können wir davon ausgehen, dass diese Bedingung in ganz kurzer Zeit gerissen wird. Ab diesem Zeitpunkt wäre es offensichtlich grob fahrlässig, diese Holzbauweise noch als klimafreundlich oder gar CO2-neutral zu bezeichnen.

Die Ökonomie findet hier i.d.R. einen einfachen Ausweg: Wenn wir schon am Limit sind, lasst uns doch das heimische Holz durch importiertes Holz ‚substituieren‘. Die Tatsache, dass dieses Holz oft schwarz eingeschlagen wird, stört die Ökonomie wenig. Hauptsache, die Substitution bietet die Möglichkeit, die mengenmäßige regionale Einschränkung zu umgehen. Dass die Nachhaltigkeitsregeln global gelten, wird vermutlich vielerorts in Geld aufgewogen oder muss man sagen: substituiert.

Die favorisierte Holzbauweise hat noch einen zweiten Schwachpunkt, der sich aus der Forderung ergibt, dass das Emissionsniveau die Assimilationskapazität der Biosphäre nicht übersteigen darf. Wenn wir also mehr mit Holz bauen, und wir wollen nicht den üblichen Raubbau im Kolonialstil verfolgen, so müssen wir dafür sorgen, dass wir vor unserer eigenen Haustüre kehren. Mit der Holzbauweise können wir kaum die grüne Lunge darstellen, die wir dringend benötigen, um unseren Emissionshaushalt im Zaum zu halten. Daly’s Nachhaltigkeitskonzept gilt global. Im Prinzip müssten wir den Einschlag aufgrund der Langfristigkeit der Waldentwicklung auf vielleicht 90 Prozent o.weniger reduzieren, weil wir global Zuwächse in der Waldfläche benötigen, um einen nennenswerten Beitrag leisten zu können, die Emissionen auf natürliche Weise zu absorbieren.

Als Fazit lässt sich feststellen, dass die herkömmliche Bauweise für sich betrachtet, zwar CO2-intensiv ist, aber nicht der Bösewicht ist, den wir gerne darin sehen wollen. Der wahre Grund für die mangelnde Nachhaltigkeit liegt in dem von uns gewollten, Geld getriebenen Kurzfristigkeit-denken, die den wahren Kern des Problems offenlegt. Hier gilt es anzusetzen. Die „Rucksack-Methode“ als Kompensation der wesentlichen externen Effekte wäre bei Bauinvestitionen ein guter Anfang. Eine Übertragung auf andere Großinvestitionen erscheint dabei nicht ausgeschlossen.

Die Holzbauweise ist im Einzelfall eine Lösung. Sobald dieses Verfahren zur Massenanwendung kommt, wird es, ähnlich wie bei Pellets, an der Nachhaltigkeit scheitern. Wir können keine Verfahren mehr in der Masse tolerieren, die auf einem Raubbau der Biosphäre beruht. Wir werden uns auf den Verbrauch besinnen müssen, der uns regional zur Verfügung steht und dieses Material sparsam und technisch so effizient wie möglich einsetzen.

1Der „Rucksack“ wird nach Fertigstellung festgestellt und beim Grundbuchamt angemeldet und dort verwaltet. Er ist damit öffentlich einsehbar und geht auf den neuen Eigentümer über. Er beeinflusst indirekt auch die Grundstückspreise.

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Nachhaltigkeit oder Klimaneutralität – oder beides?

Wo liegen die begrifflichen Unterschiede oder meinen beide Begriffe das gleiche? Den Begriff der Nachhaltigkeit strapazieren wir in der Öffentlichkeit vermutlich seit etwa 50 Jahren und es hat sich vergleichsweise nur wenig getan. Der Begriff der Klimaneutralität ist jüngst „in aller Munde“ und es wird dabei so getan als ob diese Begriffe und die dahinterstehenden Konzepte „nahezu“ identisch seien bzw. das gleiche Ziel verfolgen. Ich will versuchen, hier mehr Licht in die Zusammenhänge zu bringen.

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Die Nachhaltigkeit stammt nach meiner Kenntnis aus der Forstwirtschaft und wurde dort vor mehr als 200 Jahren entwickelt[1]. Forstwirtschaft befasst sich nur sehr beschränkt mit dem Wald als solchem, sie befasst sich mit dem Holz als Objekt der Begierde. Da Bäume in aller Regel nicht vor Ablauf von drei Generationen eine verwertbare Größe erreicht haben, ist der Begriff der Nachhaltigkeit in erster Linie Ausdruck einer langfristigen Perspektive.

Wenn die Forstwirtschaft heute einen gravierenden Fehler macht, so wirkt sich das in aller Regel erst in der dritten Generation aus. Ist der Eigentümer heute zu geschäftstüchtig und rücksichtslos im Holzeinschlag, kann das die übernächste Generation mit voller Wucht treffen. Kommt jetzt noch ein Risikoereignis wie die „Klimakrise“ hinzu, kann das für den Wald (und für den Eigentümer) schnell existenzgefährdend werden.

Die langfristige Perspektive in der Entwicklung des Waldes wurde versucht, künstlich abzukürzen. Man pflanzte schnell wachsende Fichten wie die Zinnsoldaten in Reih‘ und Glied und behauptete, das sei Wald. Es wurde versucht, “Massenholzhaltung“ durch Einheitskulturen hervorzubringen. Die Veränderungen dessen, was man Wald nennt, glaubte man in Kauf nehmen zu können. Der Borkenkäfer hat eine analoge Strategie angewendet. Massenhafte Monokultur beim Holz bedeutet massenhafte Forcierung einzelner Insektenarten. Eine gesunde Fichte hat einen Abwehrmechanismus, aber der bricht zusammen, wenn die Fichte durch Trockenheit Stress bekommt und die Zahl der Angreifer in den Monokulturen schlicht zu hoch wird.

Man hat nach ökonomischen Prinzipien Holz produzieren wollen und hat übersehen, dass das Biotop Wald nur in der Vielfalt der Arten in einem hinreichend stabilen Gleichgewicht gehalten werden kann. Gesunde Mischwälder können mit Trockenheit, Insektenbefall, Stürmen und ggfs. mit Feuer viel besser umgehen, als die Zinnsoldaten einer Baumart, die nur in bestimmten Höhenlagen heimisch ist und sich im Grunde für eine Massenholzhaltung auch nicht eignet. Alle diese Aspekte sind im Grunde langjährige Verstöße gegen die Nachhaltigkeit und den gesunden Menschenverstand. Letzter ist aber erst seit wenigen Jahren in der Lage, die Zusammenhänge auch so zu verstehen.

Der Brundtland-Report hat 1987 versucht, Nachhaltigkeit zu verallgemeinern und kommt sinngemäß auf folgende Formel: Die Menschheit hat die Fähigkeit die Entwicklung nachhaltig zu gestalten, indem sie sicherstellt, dass die Entwicklung die Bedürfnisse der gegenwärtigen Generation erfüllt ohne die Fähigkeit künftiger Generationen einzuschränken, ihrerseits ihre Bedürfnisse zu erfüllen. Ein ‚hervorragend‘ formulierter Satz, der so abstrakt ist, dass er im Grunde keine konkrete Aussage möglich macht. Das einzige, was man daraus erkennen kann, ist die Verpflichtung langfristiger (über Generationen hinaus) zu denken. Jede Bedürfnisbefriedigung sollte so gestaltet sein‚ dass sie ‚enkeltauglich‘ ist.

Herman Daly unternahm einen Versuch, die zentralen und übergeordneten Elemente einer Nachhaltigkeit aus ökologischer Sicht auf den Punkt zu bringen, um einen etwas konkreteren Ansatz zu finden:

  • Das Niveau der Abbaurate erneuerbarer Ressourcen darf ihre Regenerationsrate nicht übersteigen. (Nicht mehr verbrauchen als nachwächst)
  • Das Niveau der Emissionen darf nicht höher liegen als die Assimilationskapazität (die Fähigkeit des Systems, diese Emissionen zu neutralisieren).
  • Der Verbrauch nicht regenerierbarer Ressourcen muss durch eine entsprechende Erhöhung des Bestandes an regenerierbaren Ressourcen kompensiert werden. (Hardtke/Prehn 2001, S.58)

Daly’s Ansatz geht dabei (anders als die Ökonomie) nicht von den menschlichen Bedürfnissen der jetzigen und der künftigen Generationen aus, sondern zeigt die globalen Restriktionen auf, die uns die Natur für unsere weitere Entwicklung setzt.[2]

Wenn man noch konkreter werden will, sind wir gezwungen, ins Detail zu gehen. Um uns hier nicht zu verlieren, geht es darum, verhaltensleitende „Triggermerkmale“ zu finden, mit deren Umsetzung andere wesentliche Eigenschaften des Wirtschafts- und Gesellschaftssystem sich als konsequente Folge ergeben:

  • Eine langfristige Denkweise muss durch einen gesetzlichen Rahmen gefördert werden.
    • Als Folge müssen Gebrauchsgüter reparaturfähig konstruiert werden, Ersatzteile müssen längerfristig vorgehalten werden. Das ist u.a. durch eine deutlich verlängerte Gebrauchsgarantie zu erreichen.
    • Ein konstruktiv einfaches Recycling muss bei der Produktplanung Pflicht sein.
    • Die zu erwartende Lebensdauer von Wirtschaftsgütern ist zu verlängern. Was besteht bzw. existiert, hat einen gewissen automatischen Bestandsschutz, bevor es wegen einer Neuanschaffung abgerissen, zerstört und/oder entsorgt werden kann. Nicht das Neue gilt als ‚sexy‘, das Bewährte muss als Wert anerkannt werden.
    • Die automatische Folge dieser Auffassung wird ein reduzierter Konsum sein, etwas, das das gegenwärtige Wirtschaftssystem möglicherweise an seine Grenzen führen wird.
  • Die monetäre Sichtweise als einseitiges wirtschaftliches Entscheidungskriterium muss zu einem Konzeptansatz erweitert werden, der auch qualitative Gesichtspunkte einbezieht. Bei großen Projekten müssen auch die Perspektiven der durch die Maßnahme Betroffenen erfasst und realistisch bewertet werden. Dabei ist auch grundsätzlich eine vereinfachte Emissionsbilanz als Entscheidungsgrundlage darzustellen.
  • Ideal wäre es, wenn es gelänge, für alle wesentlichen Güter, die uns die Natur unentgeltlich zur Verfügung stellt, realistische Preise zu definieren, die einen breiten Konsens finden können. So wie eine Tonne CO2 gegenwärtig (nur) 25 € kostet, so könnten Wasserentnahme, Feinstaubentwicklung, Lärmentwicklung, u.v.m. einen Preis bekommen, um dann feststellen zu können, ob gewisse Projekte nicht nur für den Investor sinnvoll erscheinen, sondern auch für die Gesellschaft verträglich sind.

Als Fazit könnte man feststellen, dass Nachhaltigkeit wenig allgemeine Operationalität besitzt. Nachhaltigkeit kann wohl nur für jeden Prozess gesondert ermittelt werden, was die Wahrnehmung als auch die Kontrolle des Sachverhalts in der täglichen Praxis erschwert.

Je mehr man sich mit der Materie beschäftigt, desto größer werden die Problemberge. Trotzdem glaube ich, dass es auf dieser Basis eine Lösung geben kann, wenn viele das Problem verstehen und einen gewissen gesellschaftlichen Konsens finden können.

Damit möchte ich mich dem Ziel der Klimaneutralität zuwenden. Dieses Ziel ist noch relativ jung und klingt handlich und operabel. Wenn wir aber meinen, der Begriff der Klimaneutralität könne als Ersatz für die Nachhaltigkeit dienen, springen wir m.E. zu kurz. Klimaneutralität reduziert die Nachhaltigkeit ausschließlich auf den Aspekt der Emissionen (vgl. oben die Darstellung der drei Elemente von Herman Daly). Zwar ist in der Diskussionen um die Klimaneutralität vorgesehen, den Begriff breiter zu fassen, aber dann verliert der Begriff seine scheinbare Griffigkeit und wird wieder sperrig wie die Nachhaltigkeit. Zudem enthält die Nachhaltigkeit qualitative Elemente, die sich m.E. einer Quantifizierung weitgehend entziehen.

Gerade die Quantifizierung mit dem Anschein von Berechenbarkeit und Exaktheit macht den Charme der Klimaneutralität aus. Man nimmt den CO2-Ausstoß eines Landes, einer Region (in der Regel eine wackelige Schätzgröße, bei der eine Fehlergröße von mehreren Zehnerpotenzen nicht ungewöhnlich wäre) und stellt sie der ebenfalls geschätzten Assimilationskapazität der Wälder und Moore dieser Region gegenüber. Wenn die Schätzwerte sich im Wesentlichen ausgleichen, werden wir dann hoch erfreut von Klimaneutralität sprechen. Die Gesichtspunkte der Regenerationsraten und die Maßnahmen zur Kompensierung nicht-nachwachsender Ressourcen entfallen dabei ersatzlos (vgl. Herman Daly).

Die unangenehme Tatsache, dass wir gegenwärtig ausgerechnet beim Wald die Regenerationsrate aufgrund des Befalls der Monokulturen durch den Borkenkäfer missachten, führt natürlich dazu, dass die Assimilationskapazität des Waldes zur kritischen Größe wird. Wir verlieren täglich große Waldflächen, weil man zum Kahlschlag der Monokulturen keine Alternative sieht. Und wenn ich das richtig beurteilen kann, werden vielfach die Fichtenmonokulturen (so gut es geht) durch Monokulturen von Douglasien ersetzt anstatt konsequent dem Mischwald den Vorzug zu geben. Die Aufforstung vollzöge sich dann natürlich langsamer und finanziell aufwendiger, weil die Laubbäume i.d.R. längere Entwicklungszeiten benötigen.

Mit der Klimaneutralität hofft oder glaubt man einen Punkt in unserem Wirtschaftssystem gefunden zu haben, der als allgemeiner Erfolgsindikator den notwendigen Umbau begleiten kann. Die CO2-Bilanz gilt als zweckmäßiger Maßstab, um den Fortschritt des Umbaus begleiten und überwachen zu können. Dabei wird wohl hoffnungsfroh unterstellt, dass die CO2-Reduktion auch Einfluss auf die Abbaurate der erneuerbaren als auch auf die Reduktion des Verbrauchs nicht-erneuerbarer Ressourcen hat. Wenn wir die sogenannte Klimaneutralität tatsächlich erreichten sollten, dann ist vermutlich wirtschaftlich kein Stein mehr auf seinem heute gewohnten Platz. Deshalb ist es auch nicht sinnvoll, an allen möglichen „Knöpfen“ des angestrebten Wandels zu drehen, weil man die komplexen Überkreuzrelationen zwischen den Variablen heute in keiner Weise absehen kann.


[1] Hans Carl von Carlowitz (1645–1714), der 1713 den Gedanken zur Nachhaltigkeit in einem Buch veröffentlicht hat.

[2] Vgl. https://www.nachhaltigkeit.info/artikel/definitionen_1382.htm

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