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Gesellschaftliche Transformationsszenarien

Der Ton wird rauer. Das Unvermögen der Politik in den Fragen der Transformation wird von Tag zu Tag deutlicher. Es liegt aber nicht nur an der Politik. Auch die Wissenschaft (soweit ich sie überblicke) rennt einem Traum hinterher und glaubt, im letzten Moment noch die große technologische „Erlösung“ zu entdecken, die es dem durch die Wachstumsideologie verwöhnten Bürger ermöglicht, unbehelligt das „Weiter so“ zu zelebrieren.

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 Eine einfache Reduzierung unseres Verbrauchs scheint offensichtlich keine Option zu sein, obwohl die Reduktion der mit Abstand direkteste Lösungsbeitrag sein könnte. Dem steht die (nachvollziehbare) Sorge der Politik gegenüber, durch die Propagierung einer Reduktion der Lebensverhältnisse die Gunst der Wähler zu verlieren.

Die Wissenschaft hat sich auch deshalb der Transformation in erster Linie technologisch genähert, indem sie intensiv technologische Wege der Vermeidung und Umgehung gesucht hat. Und das tut sie nach meinen Erkenntnissen auch heute noch. Wir sind durch unsere technologischen Erfolge der Vergangenheit so „rammdösig“ auf Technologie fixiert, dass wir die nicht mit der Technologie verbundenen Ansätze einer Umsetzung völlig vernachlässigen. Der Weg der „Befreiung vom Überfluss“ (Niko Paech) wird gar nicht ins Kalkül gezogen, weil wir uns damit auf die Ebene einer gesellschaftlichen Problemlösung begeben würden. Und davor schrecken sowohl die Politik als auch die Wissenschaft zurück, als ob dieser Lösungsansatz „des Teufels“ wäre.

Dabei stelle ich nicht die Umsetzung der Technologie in Frage, sondern stelle mir die Frage, wie können wir die Gehirne und Herzen der Bürger für die Umsetzung der Transformation gewinnen? Was nützt uns die tollste Technologie, die uns den Eindruck vermittelt, wir müssen nur zwei Knöpfe drücken und dann ist der „Klimaspuk“ vorbei, wenn das Problem darin liegt, die Menschen erstmal von der Illusion zu befreien, man könne das Problem mit den berühmten „zwei Knöpfen“ tatsächlich lösen.

Das Problem gilt als hochkomplex und man beschäftigt sich bei der Technologiesuche auch auf einem hoffentlich angemessenen hohen Komplexitätsniveau, aber der große ‚Knackpunkt‘ ist doch die komplexe gesellschaftliche Umsetzung, die nur erfolgreich sein kann, wenn die Bürger die Transformation positiv aufnehmen bzw. die Veränderung mit Leben erfüllen.

Die Wissenschaft hat in der Zwischenzeit schrittweise jene Felder identifiziert, auf denen der technologische Wandel stattfinden muss oder sollte. Stichworte sind[1]:

  • Energiewende
  • Wärme und Wohnwende
  • Ernährungswende
  • Mobilitätswende
  • Industrie – und Konsumwende

Dieser Reihe von Gesichtspunkten ist aus der technischen Perspektive wenig hinzuzufügen. Aber die Frage, wie der Wandel in die Wege geleitet werden könnte, ist dadurch noch mit keinem Wort angesprochen. Wir wissen viel über die Ziele (das ist am Unverfänglichsten) und verfügen über beachtliche Informationen über die technischen Mittel der Transformationsmöglichkeiten. Wir haben aber offensichtlich keine tiefergehende Vorstellung von den gesellschaftlichen Problemen und deren potenziellen Überwindung.

Wir sollten uns deshalb einen Augenblick Zeit nehmen und uns den „Gegner“ – das herrschende Wirtschafts- und Lebensmodell des Kapitalismus – ein wenig genauer ansehen. Das Modell hat uns in den letzten Jahrzehnten eine Reihe von großen Vorteilen vermittelt. Aber seit über 50 Jahren(!) wissen wir, dass dieses Modell auf längere Sicht nicht mehr lebensfähig sein wird.

Lassen wir alle technologischen Überlegungen beiseite und fragen uns, wie hat es dieses Modell geschafft, so erfolgreich zu werden? Wie war es möglich, dass ein Wirtschaftssystem unser Handeln und Denken so stark beeinflusst, dass wir trotzdem dieses System „cum grano salis“ mehrheitlich unterstützen?

Eine Antwort könnte uns die Systemtheorie geben: Unser obsoletes Wirtschaftssystem bringt eine Vielzahl von Menschen (als Elemente eines Systems) unter einer Zielvorstellung (einer oder mehrerer Funktionen) zusammen. Die meisten Menschen bringen sich in das System als Individuen ein und entwickeln unter dem Systemziel etwas Gemeinsames, was die Systemtheorie als „Emergenz“ bezeichnet: Es entwickeln sich in sozialen Systemen unter dem Gesichtspunkt der Selbststeuerung (Autopoiesis) Regeln, Rituale, Verhaltensweisen und Teilsysteme, die dann, wenn wir das System nur als eine Anhäufung von Individuen betrachten würden, so gar nicht möglich wäre. Die Idee des Systems ist also mehr als die Summe seiner Teile! (Wer sich hiermit beschäftigen will, den möchte ich auf die Systemtheorie[2] verweisen.)

Mit anderen Worten: Eine gelingende Transformation muss es sich zum Ziel setzen, eine ‚neue‘ Emergenz zu schaffen oder die alte, bestehende so zu verändern, dass die veränderte Emergenz (die neuen Regeln und Verhaltensweisen) den gewünschten neuen Zustand fixieren. Das muss das Ziel der (nicht technischen) Maßnahmen zur Transformation sein.

Wie hat es das alte, bestehende System geschafft, dass eine breite Mehrheit das System noch unterstützt, obwohl den meisten klar sein müsste, dass dieses System am Ende nicht für die Zukunft geschaffen ist? Oder systemisch ausgedrückt: Durch welche Maßnahmen kann die bestehende „Emergenz“ des Kapitalismus aufrechterhalten werden?

Hierzu müssen wir uns über ein paar Zusammenhänge klar werden: das bestehende System mit seiner Wachstumsideologie unternimmt ständig große finanzielle Anstrengungen, um seine Emergenz aufrecht zu erhalten. Es gibt in dem bestehenden System ein Subsystem, das jeden Tag und jede Stunde sehr subtil und dezentral die herrschende Wachstumsideologie propagiert. Das Subsystem kann man recht gut mit dem Begriff ‚Marketing‘ umschreiben. Das Subsystem sendet uns täglich oder stündlich unaufgefordert Botschaften, wie wir, was wir und in welchem Umfang konsumieren sollen, um das Wirtschaftssystem am Laufen zu halten.

Im politischen Raum würde man diese Einflussnahme als Propaganda bezeichnen, als den ständigen Versuch, unsere Gehirne und Emotionen für die Ideologie des Wachstums mit ihrem ‚Mehr, Weiter und Höher‘ zu gewinnen. Für uns ist das (erstaunlicher Weise) aber keine Propaganda mehr – wir sind offensichtlich so daran gewöhnt (brain washed), dass wir den Vorgang zwar als lästig empfinden, aber als völlig normal und ‚unvermeidbar‘ einstufen.

Man könnte die Frage stellen, ob diese als ‚Propaganda‘ bezeichnete Vorgehensweise tatsächlich Wirkung zeigt, weil wir die Beeinflussung im täglichen Leben i.d.R. nicht mehr wahrnehmen. Eine einfache Überlegung gibt einen klaren Hinweis: In Deutschland werden jedes Jahr von den Unternehmen viele Milliarden Euro für Maßnahmen des Marketings ausgegeben. Wenn dieser Aufwand keine angemessene Wirkung zeitigen würde, müssten wir an der ökonomische Rationalität der unternehmerischen Entscheidungen zweifeln. Die Unternehmen betreiben Marketing, weil sie erkannt haben, dass Marketing einer der größten ‚Treiber‘ für die von ihnen bewusst oder unbewusst vertretende Wachstumsideologie ist.

Die Erkenntnisse der Wissenschaft geben uns nun seit vielen Jahren deutliche Hinweise, dass die Wachstumsideologie ein Ende finden muss – Wachstum muss durch Nachhaltigkeit ersetzt werden. Es hat aber wenig Sinn, gegen den ständigen Einfluss der Wachstumsideologie zu kämpfen, solange wir die Wachstumspropaganda nicht deutlich schwächen oder gar weitgehend unterbinden können.

Im Wettstreit der wohlfinanzierten Wachstumsideologie mit dem Nachhaltigkeitsprinzip bleibt die Nachhaltigkeit allein aus finanziellen Gründen auf der Strecke. Immer wenn wir uns (mal) mit dem Gedanken der Nachhaltigkeit befassen, hat die Wachstumspropaganda schon viel tausendfach zugeschlagen. Hirn und Emotion der Menschen gehören offensichtlich (noch lange) nicht der Nachhaltigkeit, sondern eher dem schnellen Massenkonsum und der fixen Idee des Wachstums.

Wenn die Nachhaltigkeit sich durchsetzen soll, müssen wir einen Weg finden, die Wachstumspropaganda deutlich zu schwächen und eine eigenständige Nachhaltigkeitspropaganda neu aufsetzen. Das ist unter den gegebenen Bedingungen ein Kampf ‚David gegen Goliath‘. Die Chancen für David (für die Nachhaltigkeit) stehen nach aller Erwartung extrem schlecht, es sei denn, wir finden einen ‚Triggerpoint‘, an dem wir die Wachstumspropaganda empfindlich treffen können.

Der Vorschlag hierzu liegt darin, dass künftig (mit einer kurzen Übergangsfrist) die Aufwendungen der Unternehmen für Marketing (also für die täglich auf uns niederprasselnde Wachstumspropaganda) steuerlich ohne Wenn und Aber als nicht mehr abzugsfähig gestaltet werden. Das heißt konkret, dass die vielen Milliarden Marketingaufwand in voller Höhe zu versteuern sind. Die steuerlichen Gewinne erhöhen sich im ersten Schritt (und damit auch das Steueraufkommen, aus dem vermutlich auch die Nachhaltigkeitspropaganda finanziert werden muss). Wenn dann, wie von den Unternehmen erwartet, die Umsätze aufgrund geringerer Marketingaufwendungen sinken würden, werden auch die steuerlichen Gewinne wieder rückläufig sein.

(Kleine Anmerkung: Sollte sich zeigen, dass die Umsätze ähnlich wie bei der Einführung der Nichtabzugsfähigkeit von Schmiergeldern in der 1990er Jahren gar nicht sinken, bleiben die erhöhten steuerlichen Gewinne im Wesentlichen unverändert und die Ausgaben für Marketing der vergangenen Jahrzehnte würden sich im Nachhinein als schlichte Fehlallokation erweisen. Vermutlich liegt die Wahrheit irgendwo dazwischen.)

Mit der Nichtabzugsfähigkeit der verkaufsbezogenen Marketingaufwendungen[3] würden sich alle Marketingprojekte nach heutigen Steuersätzen um etwa 40% verteuern. Marketing wird dadurch zu einem ‚Luxus‘ und nur dort eingesetzt, wo mit sehr großer Wahrscheinlichkeit ein Erfolg der Wachstumspropaganda zu erwarten ist. Vieles andere wird aus Kostenerwägungen unterlassen. Die Stärke der finanziellen Basis der Wachstumspropaganda wäre damit gebrochen. Und das entspräche dem Ziel der Maßnahme. (Es gibt dabei noch viele offene Fragen, die in diesem Rahmen nicht abschließend diskutiert werden können.)

Erst jetzt aber hat es einen Sinn, systematisch eine Nachhaltigkeitspropaganda aufzubauen, weil zumindest ein stückweit ‚Waffengleichheit‘ zwischen der alten Wachstumspropaganda und der neu zufassenden Nachhaltigkeitspropaganda herrscht. Letztere gilt es aufzubauen und zu etablieren und die bestehende muss in ihrer Wirkung beständig zurückgedrängt werden.

Die Erwartung, dass unser Wirtschaftssystem Träger der neuen Nachhaltigkeitspropaganda werden könnte, wäre m.E. absolut naiv. Da sich angesichts des Problems der Klimakrise auch ein verstärktes Verständnis von einer wissensbasierten Gesellschaft durchsetzt, wäre zu überlegen, den Träger der neuen Nachhaltigkeitspropaganda bei der Wissenschaft anzusiedeln, um zu vermeiden, dass die Propaganda all zu leicht für parteipolitische Zwecke Verwendung findet. Im Wissenschaftssystem sollte das Wissen um die Nachhaltigkeit am ehesten versammelt sein, so dass auch die Trägerschaft für die Kommunikation über Nachhaltigkeitspropaganda sinnvollerweise dort angesiedelt werden sollte. Propaganda ist bestimmt kein genuines Geschäft der Wissenschaften, also wäre es nötig, dort eine Agentur (eine Institution) zu schaffen, die die Nachhaltigkeitspropaganda z.B. unter der Aufsicht eines Wissenschaftsrates formuliert und vorantreibt. Dabei sollten die propagandistischen Botschaften vielleicht etwas mehr werblichen Pep erhalten als in Kreisen der Wissenschaft üblich ist.

Die Nachhaltigkeitspropaganda muss letztlich argumentativ alle Register ziehen, um Hirn und Herz möglichst vieler, aber nicht notwendig der meisten Menschen gewinnen können. Mehrheiten sind nicht notwendig die Voraussetzung, um Nachhaltigkeit zu forcieren. Der Nachahmungseffekt als Massenphänomen darf hier nicht unterschätzt werden.

Der vorliegende Vorschlag wäre m.E. die Skizze für einen völlig neuen Ansatz. Die Nachhaltigkeit würde nach zwischenzeitlich anerkannten und kommunizierten Notwendigkeiten propagiert werden. Damit wäre die Definitionsgewalt, was wir in der jeweiligen Situation unter „nachhaltig“ verstehen sollten, dem unmittelbaren Einfluss der Politik entzogen. Politik könnte einwenden, argumentieren. kommentieren, auch entscheiden, aber die Definitionshoheit der Nachhaltigkeit läge für die Allgemeinheit (und damit auch für die Wirtschaft) bei der Wissenschaft und wäre der Politik ein Stück weit entzogen. Ob die Vorstellung einer wissensbasierten Gesellschaft von der Politik unter diesen Voraussetzungen geteilt wird, bleibt abzuwarten. Wenn wir dem Wissen eine verstärkte Rolle in unserer Gesellschaft bereitstellen wollen (und das käme mit dem Begriff einer wissensbasierten Gesellschaft letztlich zum Ausdruck), dann hat das auch Folgen für die Bedeutung der Politik und deren Entscheidungsfindungen.

Dazu müssen wir aber eine Nachhaltigkeitspropaganda schaffen, aufgrund deren hoffentlich breiter Akzeptanz sich die Emergenz des Systems verändert. Damit wird  auch die Politik in ihrem Handeln ein Stück weit festgelegt. Vereinfacht ausgedrückt sollte die Politik „dem Volk auf Maul schauen“ und das „emergente Maul“ wird zu einem gehörigen Teil durch die angestrebte Nachhaltigkeitspropaganda argumentativ geformt. Und damit schließt sich der Kreis.


[1] Miosga, Manfred, Kommunen auf dem Weg in die Nachhaltigkeit; Vortragsmanuskript FFB, Mai 2022

[2]  Willke, Helmut, Systemtheorie I – III, u.a. 2014

[3] Auch die neue Nachhaltigkeitspropaganda kann unter den Begriff des Marketings i.w.S. erfasst werden. Es ist deshalb wichtig, nur umsatz- und imagebezogenes Marketing als nicht abzugsfähig zu deklarieren. ‚Nicht-gewerbliches Marketing‘ wäre folglich unverändert steuerlich abzugsfähig.


[*] Eine Reaktion auf eine Studie der Heinrich Böll Stiftung und Konzeptwerk Neue Ökonomie (HG): „A Societal Transformation Scenario for Staying Below 1,5° C“, 2020

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