Wir sind uns – so mein Eindruck – mit einer großen Mehrheit einig, dass eine Transformation unserer Gesellschaft unausweichlich ist. So weitermachen fährt unsere Gesellschaft früher oder später an die Wand. Wenn wir uns aber die Frage stellen, wie soll denn das neue Ziel aussehen, werden wir unsicher. Es gibt keine Blaupause für das, wohin wir uns entwickeln wollen (oder sollen). „Klimaneutral“ gilt als eine Zielvorstellung, aber was heißt das konkret? Wenn wir klimaneutral sind oder ggfs. nachhaltig wirtschaften, so wird uns vermittelt, wäre das Problem im Grunde gelöst.
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Ich bin mir da nicht sicher, weil die Klimaneutralität, so wie wir sie heute verstehen, von vielen oder den meisten als eine rein technologische Frage angesehen wird. Der Ansatz ist nur zum Teil richtig. Wir neigen dazu, einen Tunnelblick zu entwickeln. Weil sich die Probleme scheinbar nur aus der „fehlerhaften“ Anwendung unserer Technologien entwickelt haben, glauben wir, in der Lage zu sein, dass – ganz einfach – eine Änderung der Technologie uns wieder auf einen ‚Pfad der Nachhaltigkeit‘ führen könne. Aber dort waren wir noch nie! Keiner weiß, wie sich der Zustand einer nachhaltigen Wirtschaftsweise wirklich anfühlt oder auswirkt. Jeder einzelne wird hierbei vermutlich zu einem anderen Ergebnis kommen.
Wir haben unsere heutigen Erwartungen und Gewohnheiten nicht im luftleeren Raum entwickelt. Die von uns verwendeten Technologien haben in der Vergangenheit auf uns zurückgewirkt. Sie haben unser Erwartungen an das Leben mitgestaltet. Wenn wir jetzt auf der technologischen Seite die Forderung nach Klimaneutralität in den Raum stellen, so ist das auch und vielleicht noch vielmehr eine soziale Herausforderung. Eine Maschine oder ein Algorithmus ist schnell um- oder gar abgebaut. Die Menschen, die die Klimaneutralität mit Leben füllen müssen, brauchen da wohl deutlich länger.
Über die Technologie wird eifrig diskutiert, über die Wege einer sozialen Transformation findet man wenig und wenn doch, dann ist man sich in der großen Problematik einig, aber ich kann wenig Aussagen finden, wie die Menschen in diesem Prozess konkret ‚abgeholt‘ und beteiligt werden sollen, um sicher zu stellen, dass diese Entwicklung auch friedlich, demokratisch und erfolgversprechend umgesetzt werden kann.
Wenn wir Klimaneutralität anstreben wollen, so ist das im Grunde nur eine Nebenbedingung. Klimaneutralität als längerfristiges Ziel zu definieren, erscheint nicht sinnvoll. Das Ziel sollte der Versuch sein, Wohlstand auf breiter Front auf einem akzeptablen Niveau zu erhalten unter der Nebenbedingung einer Klimaneutralität. Wie er aber aussehen soll, ist heute nicht abschließend beschreibbar, weil zu viele Parameter auf einmal verändert werden müssen.
Das bisher geltende Wachstumsziel ist zu eindimensional und hat sich als obsolet erwiesen. Wachstum muss durch eine Kennzahl einer mehrdimensionalen Wohlstandsdefinition ersetzt werden. Die Folgen für die Strukturen unseres Wirtschaftssystems sind m.E. nicht absehbar, wenn man nicht automatisch in das (lächerliche) Untergangsszenario vieler Wirtschaftsfachleute einstimmen will, die sich ein Wirtschaften jenseits des Wachstums nicht vorstellen können oder wollen. Es wird schwieriger und komplexer, aber deshalb dogmatisch von einer Unmöglichkeit auszugehen, erscheint in höchstem Maße ideologisch. Es gab eine Welt vor dem Kapitalismus und es wird auch eine Welt mit einem gezähmten Kapitalismus geben können. Wovor die Damen und Herren Angst haben, sind die anstehenden Veränderungen, die von allen Beteiligten viel Flexibilität verlangen werden, die sie auch sicher aus ihrer Komfortzone reißen wird.
Unser Handeln wird heute noch i.d.R. durch die Definition eines Zieles bestimmt und dann durch die gezielte Bündelung unserer Aktivitäten auf dessen Durchsetzung. Diese strikte Erfolgsformel hat unser Wirtschaftssystem über viele Jahrzehnte praktiziert. Jetzt stehen wir vor der Frage, dass diese Vorgehensweise nicht mehr angemessen ist. Gibt es da etwas, was in dieser Situation unklarer bzw. nur undeutlich erkennbarer Ziele eine Vorgehensweise beschreibt, die in dieser Situation angemessene und vernünftige Handlungsspielräume bereitstellt?
Die östliche Philosophie hat vor etwa 2.500 Jahren in einem anderen Zusammenhang eine Vorgehensweise entwickelt, die uns hier in abgewandelter Form neue Wege weisen könnte. Die Kernaussage des alten Textes ist sinngemäß relativ kurz und prägnant: „… Wenn ihr aber (nach sorgfältiger Untersuchung) selber erkennt, dass die Dinge ‚unheilsam‘ oder ‚verwerflich‘ für Euch oder die anderen sind, so unterlasst sie (konsequent).“ Die Originalaussage ist hier stark auf das mir wesentlich Erscheinende verkürzt[1]. Und die Sprache muss mit ihren historischen Begriffsinhalten übersetzt werden.
Die Idee dahinter ist die Aufforderung, alles, was wir als ‚falsche‘ Entwicklung i.w.S. erkennen, zu unterlassen: Die gegebene Situation wird systematisch von allem negativ Bewerteten (von allem ‚Unheilamen‘) befreit oder entrümpelt. Als Folge gewinnt das Positive der Ausgangssituation ständig an Einfluss. Es ist uns ungewohnt, ohne großes Ziel einen Prozess anzustoßen. Da wir das komplexe Ziel nicht hinreichend präzise beschreiben können, können wir uns trotzdem einer Methode bedienen, die sich Schritt für Schritt mit den jeweiligen Zusammenhängen befasst, sie in einer komplexen Umgebung bewertet, um dann, wenn die Qualität der Wirkungen im Sinne des Prozesses unzulänglich erscheint, diese Maßnahmen dann auch zu unterlassen.
Wichtig ist dabei, dass es sich um einen qualitativen Ansatz handelt. Die Quantität ‚Geld‘ spielt hierbei nur eine untergeordnete Rolle. Wenn wir erkannt haben, dass wir im Grunde in einer Überflussgesellschaft (Galbraith) leben, geht das Screening sinnvollerweise auch nicht hinaus zu neuen Zielen des Mehr, Weiter und Höher, sondern führt mit einiger Sicherheit zu einer notwendigen und klug entwickelten Verdichtung und Ausdünnung des Bestehenden und schafft damit einen neuen schrittweise als besser erkannten Zustand. Und dafür steht beispielhaft diese uralte Methode!
Lindblom[2] hat Mitte des letzten Jahrhunderts politische Prozesse beobachtet und kam zu dem Ergebnis, dass trotz ausgefuchster Planungsanstrengungen die reale Umsetzung letztlich wenig planerische ‚Grandezza‘ aufwies, sondern eher einem ‚Durchwursteln‘ (muddling through) entsprach. Lindblom sah den Grund in einer begrenzten Informationsverarbeitungs-kapazität der handelnden Menschen, Luhmann eher in der hohen Komplexität der Planungsaufgabe. Die Planer handeln dabei in dem Glauben, sie hätten alle relevanten (d.h. i.d.R. linearen) Aspekte unter Kontrolle. Die kleinen ‚ekelhaften‘ Rückkopplungs- oder Reboundprozesse gelten angesichts der ‚großen‘ Aufgabe als irrelevant, werden übergangen und nicht erkannt. Das erste Auftreten einer Rückkopplung drängt die weiteren realen Schritte unvorhergesehen aus dem Plan und – das Adrenalin steigt und das ‚Durchwursteln‘ beginnt.
Mit anderen Worten, was vor 2.500 Jahren in der Übersetzung ins Deutsche als ‚unheilsam‘ und ‚verwerflich‘ charakterisiert wird, wurde damals schlicht unterlassen und schuf Freiraum für Neues. Lindblom, der in einer Gegenwart lebt, die diesen Freiraum oft nicht kennt, hat dann das „Durchwursteln“ faktisch entdeckt. Und obwohl über Lindblom nur noch wenige Wissenschaftler sprechen, das Faktische dieser Untersuchung hat sich auch durch noch so viel Digitalisierung nicht verändert. Man muss nur richtig hinschauen und den übliche ‚Schleier der Euphorie‘ bei neuen Technologien etwas beiseiteschieben.
Dabei sollten wir eigentlich begreifen, dass die anstehende Herausforderung einer Transformation weniger eine Frage einer (neuen) Technologie ist, als deutlich zu machen, dass der Knackpunkt in der Gestaltung eines sozialen Prozesses liegt. Wie sage ich es meinen Kinde, dass sich die soziale Welt vermutlich selbst aus den Angeln heben muss, um das Problem zu lösen. Wir lebten seit dem zweiten Weltkrieg auf einer friedlichen Insel der Seligen, dann hat sogar unser großer Gegenspieler, der sogenannte real existierende Sozialismus, anerkennen müssen, dass ihm die Luft ausgeht. Das hat vielen von uns nochmals bestätigt, wir sind angeblich die Besseren. Dann kam die Klimakrise ins Bewusstsein und machte deutlich, dass wir viele Zusammenhänge nicht begriffen haben. Nun hat geopolitisch Wladimir Putin eine wesentliche Karte aus dem Spiel gezogen: er wolle so nicht mehr mitspielen bzw. er will die Regeln neu gestalten und reißt uns aus der Komfortzone.
Zuvor haben wir die Klimakrise entdeckt und sind verwundert, dass es auch uns ganz konkret betrifft. Das alles sind aber soziale Fragestellungen, die wir lösen müssen und ich habe nicht den Eindruck, dass das von einer Mehrheit der Bürger schon so gesehen wird.
Die Technologie hat uns in der Vergangenheit immer einen Weg der Bequemlichkeit aufzeigen können. Zu den meisten Herausforderungen ließen sich technologische Lösungen finden, die unserer Bequemlichkeit sehr entgegen kamen. Man spricht gerne von Stellvertreter-Lösungen oder auch wie Niko Paech von „Energiesklaven“, um den sozialen Druck aus dem System zu vermindern. Plötzlich haben wir jetzt mehr Herausforderungen als wir technologisch lösen können.
Wir haben uns in eine Situation von Sachzwängen manövriert und wir müssen jetzt die soziale Herausforderung annehmen: Wie soll die Transformation unserer Gesellschaft erfolgen, ohne dass der ‚Laden‘ auseinander fliegt? Das ist kein technologisches Problem; wir sind als Gesellschaft gefordert. Man merkt, dass die beratende Wissenschaft sich der Aufgabe wohl bewusst ist. Sie hat aber, so scheint es mir, wenig bis keine schlüssigen Antworten. Und die Politik schaut wieder ‚gewohnheitsbedingt‘ auf die Technologie als potenzielle Lösung, um sich selbst und ihre Gefolgsleute von den sich abzeichnenden sozialen Problemen vorerst abzulenken.
Niko Paech[3], der sich der Diskussion einer Postwachstumsökonomie widmet, redet selten von Technologie und von Fortschritt. Sein Weg zu einem Lösungsansatz, der im Grunde im Sozialen liegt, führt über die Erkenntnis, dass unser Tag nur 24 Stunden hat und wir inzwischen einem Konsumangebot gegenüberstehen, das in dieser Zeit kaum wahrgenommen, geschweige denn genutzt, noch mit Genuss und Befriedigung aufgenommen werden kann. Konsum i.w.S., so seine These, löst nur dann eine gewisse Befriedigung in uns aus, wenn wir uns eine angemessene Zeit mit den Dingen befassen können. Gelingt das nicht, bedeutet Konsum nichts anderes als ständiger sozialer Stress, weil wir den eigenen Ansprüchen nicht gewachsen sind und den propagierten Erwartungen nicht gerecht werden.
Er spricht aus, was sich die Politik nicht traut: „…ein resilientes , also ökonomisch und sozial krisenstabiles Versorgungssystem, das ein sozial gerechtes Dasein innerhalb ökologischer Grenzen erlaubt, (kann) nur durch eine Kombination von Reduktion und Selbstbegrenzung erreicht werden“ (Paech, S. 27). „Wer in materieller Opulenz zu versinken droht, verzichtet nicht, wenn er oder sie sich auf das Wichtige beschränkt, sondern löst die Konsumverstopfung, unter der immer mehr Verbraucher leiden“ (Paech, S. 29).
Sein Ansatz geht nun nicht davon aus, dass wir eine gesamte Gesellschaft transformieren müssen. Er vergleicht die Gesellschaft mit einem „leckgeschlagenen, zunehmend manövrierunfähigen Tanker“, der nur schwer oder gar nicht mehr zu lenken ist. Er ergänzt das Bild durch „autonome Rettungsboote“, die sich dezentral und kleinräumig behaupten können. Auf diese „Rettungsboote“ richtet er seine Transformationsstrategie aus. Sie sind die künftigen Träger einer Postwachstumsökonomie. Die damit verfolgte Strategie ist nicht neu. Mehrheiten kommen selten durch einen großen Konsens zustande. Es braucht gewöhnlich nur 10 – 20 Prozent der Gesamtheit, um die Meinungen der Beteiligten in eine angestrebte Richtung zu beeinflussen. Die 10 – 20 Prozent sind die sogenannten „Champions“, sind die Persönlichkeiten (heute spricht man von Influenzern), nach denen sich die Mehrheit bei ihren Entscheidungen ausrichten, weil ihnen das Selberdenken zu anstrengend ist, oder die Frage nicht ihr Interesse trifft. (Edward Bernays „Propaganda“ – Erkenntnisse lassen grüßen!)
Damit haben wir einen ersten Ansatz, der das soziale Moment konkret ins Spiel bringt und nicht immer wieder auf die Technologie schielt, deren Ressourcenverbrauch ja der Ausgangspunkt für die Krise darstellt. Der zweite Gesichtspunkt ist die Reduktion, deren Notwendigkeit offen angesprochen werden muss. Wenn wir heute ca. zwei Planeten verbrauchen, aber nur über einen verfügen, dann ist es einfach völlig unverständlich, wie man einer Reduktion nicht das Wort reden will. Es handelt sich ja nicht um Verzicht, sondern lediglich darum, unser Zeitbudget und den möglichen Konsum so zu gestalten, dass es zu einem sinnvollen Ausgleich kommt.
[1] Vgl. ausführlich Anguttara-Nikaya III, 66, hrsg. von Nyanatiloka Bd. I, Freiburg, 1984, S. 170, zitiert nach Brodbeck, Karl-Heinz, Verantwortung in der Wirtschaft – ein buddhistischer Blick, Vortrag Mai 2013, S. 17 (auch als die Rede an die Kalamer bekannt)
[2] Lindblom, Charles, The Intelligence of Democracy, Decision making through mutual adjustments, New York, 1965
[3] Paech, Niko: Von Scheitern bisheriger Krisentherapien zur Postwachstumsökonomie, in: Krise und Transformation, Zeitschrift für Skepsis und Kritik, Neue Edition Band 51, HG: Jean-Pierre Wils, 2021, S. 17 ff.
[*] Vgl. auch den Beitrag vom 15.01.2022: Die Idee von dem, was wir „nicht“ wollen.
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