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Ein etwas anderer Ansatz (I)

Erwarten Sie keine neuen Erkenntnisse. Alles, was in den folgenden Zeilen als Information aufgegriffen wird, ist bekannt. Es wird gemeinhin aber über ein Narrativ vermittelt, das uns von der Realität in irgendwelche Wunschvorstellungen führt, die m.E. selbst bei größtem Optimismus keine wirklichen Lösungsbeiträge bereithalten:

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Es gibt keinen Zweifel mehr, wir (die Menschheit) verbrauchen mehr als uns auf lange Sicht unser Planet zur Verfügung stellen kann. Es gibt unterschiedliche Zahlenangaben, wieviele „(Erd-)planeten“ wir gegenwärtig mit unserem Lebensstil verbrauchen. Es gibt Aussagen für Europa, dass deren Verbrauch etwa 2,8 Planeten entspricht; es gibt Aussagen für die USA, sie lägen bei fünf Planeten. Die Aussagen sind unterschiedlich, weil sich die Frage ergibt, auf welcher Basis hierbei gerechnet wird: global, regional, pro Kopf, pro Nation, pro Kontinent, in Tonnen CO2 oder in Hektar verbrauchter Bodenfläche.

Nun ist es nicht so, dass für alle Länder oder Nationen der Erde die gleichen Werte gelten. Die sogenannten entwickelten Länder liegen, global gesehen, weit über dem Mittelwert und die sogenannten unterentwickelten Länder deutlich darunter. Die Schwellenländer produzieren gegenwärtig hohe Zuwächse, die man üblicher Weise mit einer einfachen pro Kopf Rechnung schnell wieder zu relativieren versucht.

Gehen wir von einem globalen Verbrauch von 1,7 Planeten aus, so täuscht diese Zahl, weil unserem (westlichen) Überverbrauch viele Länder gegenüber stehen, die deutlich unter dem Verbrauchsdurchschnitt liegen und den westlichen Überverbrauch teilweise kompensieren. Wenn wir also meinen, unser Verbrauch müsse ja „nur“ um rd. 41 Prozent (1,7 -> 1 Planeten) reduziert werden und schon wären wir auf dem globalen Verbrauchsniveau von einem Planeten, täuscht sich. Der Fußabdruck eines durchschnittlichen deutschen Bürgers liegt in der Größenordnung von 8 – 11 ha/p. P. bei einer Zielgröße von etwa 1,5 – 2 ha/p. P. (= ca. 1 Planet bei globaler Gleichverteilung). Das ist unbestreitbar eine gewaltige  Herausforderung!

Parallel wollen aber (verständlicherweise) die Länder mit dem unterdurchschnittlichen Verbrauch „wachsen“, d.h. sie wollen sich mindestens dem gegenwärtigen Durchschnittsverbrauch annähern. Das hat zur Folge, dass unsere Anstrengungen unseren Verbrauch zu senken, über das jetzt erkennbare Niveau wohl deutlich hinausausgehen müssen.

Wenn wir dieses Bild vor Augen haben, dann müssen wir uns die Frage stellen, drehen wir mit all den gegenwärtig angewandten Methoden an den richtigen „Schrauben“, um das Problem zu lösen? Ist das Predigen von Nachhaltigkeit ein angemessener Ansatz? Wollen wir wirklich „nachhaltig“ auf 1,7 Planeten verharren? Nachhaltigkeit ist zweifelsohne hinsichtlich der Fristigkeit und der Qualität des Handelns ein wichtiger Aspekt, aber doch erst dann, wenn wir den Verbrauch auf einem Planeten reduziert haben. Es ist auch sinnvoll Nachhaltigkeit bei einem auf Kurzfristigkeit orientierten Überfluss zu fordern, aber er löst in keiner Weise die notwendige Verbrauchsreduzierung.

Ist die Klimakrise der richtige „Kriegsschauplatz“, damit die Bürger über eine Einsparung von CO2 auch Maßnahmen akzeptieren, die uns von einem Verbrauch von 1,7 auf einen Verbrauch von nur einem Planeten reduzieren soll? Die Einsparung von CO2 ist keinesfalls falsch, aber ist sie die richtige „Schraube“, an der wir drehen, um innerhalb eines Zeitrahmens von einer Generation den Verbrauch auf einen Planeten zu reduzieren? Und die Zeit wird mit jedem verlorenen Jahr knapper, um die unbestreitbar auftretenden Schäden und notwendigen „Reparaturen“ in finanzierbaren Grenzen zu halten.

Haben Politik, Wirtschaftswissenschaft und die Vertreter der Wirtschaft wirklich verstanden, dass Wachstum in den (westlich geprägten) Überschlussgesellschaften des Planeten überhaupt kein Argument sein kann, wenn wir uns systematisch auf den Verbrauch eines Planeten einstellen bzw. beschränken müssen? Es gibt hier keinen Plan B! Selbst wenn wir die Problemlösung auf die kommenden Generationen verschieben wollten, die Schadenhäufigkeit und der Schadenumfang nehmen nach allem, was wir wissen, mit jedem Jahr zu. Mit der Natur kann man nicht verhandeln!

Wir müssen uns aber auch vor Augen führen, dass eine Gesellschaft, deren Paradigma in den letzten Jahrzehnten von Individualismus, Erfolgsverherrlichung und Wachstum geprägt ist, sich nur schwer mit dem Gedanken einer Reduktion abfinden kann oder will. Zur Reduktion braucht es Solidarität, Ein- und Rücksicht, und ein Konzept (Narrativ), das die Reduktion als „Erfolgsmodell“ zu verkaufen in der Lage ist. Dabei haben wir viel zu lange das Heil im Wachstum gesehen. Es hat vielen Menschen Zuversicht und Zukunft vermittelt. Aber dieses Heilsversprechen aufrecht zu erhalten, erweist sich als undurchführbar. Und das muss in die Köpfe der Bürger dringen!

Wenn ich mir vorstelle, was Werbung und Marketing in Bezug auf das Konsumverhalten mit unseren Gehirnen macht, bin ich zuversichtlich, dass auch der Paradigmenwechsel gelingen kann. Das Problem stellen die erfolgsgewohnten Schichten dar, die ihr Selbstverständnis zum einem großen Anteil aus dem Konsum ziehen. Reduktion bedeutet ihnen u.U. so etwas wie Aufgabe eines Stücks ihrer Identität.

Die Gesellschaft, also wir, müssen akzeptieren lernen, dass wir uns komplett verrannt haben und ein Paradigmenwechsel aufgrund der fatalen Auswirkungen auf unsere Lebensgrundlagen unabdingbar wird. An dieser Aufgabe wird zweifelsohne wissenschaftlich gearbeitet, aber selbst wenn die Sozialwissenschaft kurzfristig hier so etwas wie einen Durchbruch erzielen, die Politik und auch die Wirtschaft müssen die Erkenntnisse aufgreifen, die Konsequenzen verstehen und umsetzen. Ob das gegenwärtige Demokratieverständnis diesen Vorstoß aushält, bleibt abzuwarten. Umso wichtiger ist es, diesen Schritt politisch strategisch vorzubereiten wie eine gutgemachte Marketingstrategie. Eigentlich muss die Strategie besser sein als das landläufige Marketing.

Die Wirtschaft, die heute noch vom Wachstumsgedanken lebt, macht uns die Gehirnwäsche täglich vor: Eine Wirtschaft ohne Wachstum?  Das bedeutet ein Rückfall in die Steinzeit! Und wir wollen natürlich nicht in Höhlen wohnen, da sind wir uns ganz sicher! Aber es gab eine Wirtschaft vor dem Neoliberalismus und es wird auch eine Wirtschaft nach der Reduktion geben. Aber es wird eine andere Wirtschaft sein – eher versorgungsorientiert und nicht so stark geldfixiert.

Viele Wirtschaftsvertreter hoffen auf eine globale Klima-Aktion in der Erwartung, dass diese globale Einigung nie stattfinden wird. Bis sich der letzte Nationalstaat zur Reduktion auf globaler Ebene entschlossen hat, wird es zu spät sein. Die Handlungsmacht muss bei den Nationalstaaten oder bei ihren Zusammenschlüssen wie der EU liegen. Die Staaten, die handeln, müssen sich durch Ausgleichzölle gegen jene abgrenzen können, die nicht mitziehen wollen (und letztlich auf ein ungerechtfertigtes Schnäppchen hoffen). Der jeweilige ökologische Ansatz des Nationalstaates muss durch Ausgleichszölle abgesichert werden.

Die Gegner werden viele sein, weil die Umstellung auf den ökologisch vertretbaren Verbrauch von einen Planeten eine große Zahl von bestehenden Geschäftsmodellen in Frage stellen wird, insbesondere jene Geschäftsmodelle, deren Ziel nicht (in einem weitreichenden Sinne) der Versorgung der Bevölkerung zu sehen ist.

Es gibt zahllose wissenschaftlich basierte Ausarbeitungen, die sich mit Fragen beschäftigt, was wir alles ändern müssen, um unsere Aktivitäten auf den einen Planeten zu konzentrieren. Meine letzten Beiträge verweisen auf eine kleine Auswahl solcher Ausarbeitungen. Es fehlt aber an gut begründeten Ausarbeitungen, wie wir unsere MitbürgerInnen für diesen Schritt begeistern können, um eine ausreichend Zustimmung zu dieser „großen Transformation“ zu erhalten. Wir stehen (möglicherweise) vor einem Jahrhundertsprung und müssen auf irgendeine Weise die Gehirne und Herzen unserer Mitbürger gewinnen, damit sie freiwillig diese Transformation unterstützen, mindestens aber tolerieren. Dieses „Wie?“ sollte aber nicht in englischsprachigen Wissenschaftsartikeln dargestellt und diskutiert werden, sondern das „Wie?“ muss in ein verständliches Narrativ verpackt werden, das die Köpfe und Herzen berührt. Auftraggeber hierzu könnte die Bundesregierung oder eine interministerielle Arbeitsgruppe sein. Hier ist noch viel Spielraum, aber die Zeit drängt!

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Suffizienz als Transformationsstrategie?

Bei meinen letzten Beiträgen habe ich immer wieder die Frage aufgeworfen, wie sollen denn die ‚tollen‘ technologischen Maßnahmen zur Wirkung kommen, wenn wir ein virulentes gesellschaftliches Umsetzungsproblem haben, das offensichtlich keiner wagt, konkret anzusprechen. Dabei habe ich Niko Paechs Buch aus 2020 „All you need is less[1]“ aufgestöbert und noch einmal vor dem Hintergrund des gesellschaftlichen Umsetzungsproblems gelesen. Es war diesbezüglich wie „Sonntag“, weil ich mir schon komisch vorkam, immer wieder an der Umsetzungsfrage hängen zu bleiben, weil keiner eine Antwort geben wollte oder sich traute.

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Niko Paech hat sich als Schwerpunkt der Postwachstumsökonomie verschrieben. Das genannte Buch wendet sich gezielt der Suffizienz als Strategie zu, um konkret Wege aus der ökologischen Krise aufzuzeigen. Dabei wird nicht (wie üblich) auf die Politik oder auf die Technologie oder auf sonstige Institutionen verwiesen, sondern auf jene, die diese Transformation letztlich (er-)tragen müssen: auf die Menschen, Bürger und Betroffenen.

Das Buch teilt sich in zwei Bereiche und begründet Suffizienz zum einen aus der Sicht eines Buddhisten und zum anderen aus der Sicht eines Ökonomen. Der buddhistische Teil erscheint mir als ziemlichen Laien auf diesem Gebiet als absolut geglückt. Die Sprache ist so gewählt, dass sie von einem Europäer inhaltlich verstanden werden kann. Alle traditionellen Schnörkel wurden weggelassen und die Aussage ist nachvollziehbar und eindeutig. Dabei demonstriert Folkers eindrucksvoll und ethisch nachvollziehbar, wie Suffizienz im Sinne von „Genug“ aus buddhistischer Sicht begründet wird.

Der Teil, den Niko Paech zu vertreten hat, thematisiert die „Suffizienz als Antithese zur modernen Wachstumsorientierung“ und baut sie zu einer begründbaren, Vernunft basierten Strategie aus. Sein Ausgangscredo ist das Scheitern aller Versuche, den Wachstumsgedanken durch allerlei Umgehungen des gesunden Menschenverstandes vor dem Untergang (der „Wachstumsdämmerung“) zu retten. Sarkastisch beschreibt Paech die vergebliche Hoffnung: „Tüchtiger Fortschrittseifer, so lautet das Credo, werde einen Wirbelwind der technischen Erneuerung heraufziehen lassen, der alle Nachhaltigkeitsdefizite rückstandslos beseitigt, ohne dem Insassen zeitgenössischer Komfortzonen reduktive Handlungsänderungen zumuten zu müssen“[2].

Gleich zu Beginn werden die meist verwendeten Vokabeln einer Nachhaltigkeitstechnik gegen einander abgegrenzt. Dabei werden drei zentrale Begriffe aufgegriffen: Effizienz, Konsistenz und Suffizienz. Den vierten Begriff der Resilienz habe ich aus aktuellem Anlass der Vollständigkeit halber hinzugefügt:

  • Effizienz wird als ökologische Effizienz dargestellt und zielt darauf ab, „den materiellen Aufwand zu minimieren, um ein bestimmtes ökonomische Ergebnis zu erzielen“[3]. Dabei ist darauf hinzuweisen, dass es hierbei um materiellen Aufwand geht. Die ökonomische Effizienz orientiert sich allzu oft nur an der in Geld übersetzten Effizienz, d.h. durch die anzuwendenden Preise lässt sich ökonomische Effizienz auch dort darstellen, wo gar keine ökologische Effizienz vorliegt.
  • Die ökologische Konsistenz setzt bei der Umweltverträglichkeit der genutzten Ressourcen an. „Statt deren Menge zu verringern, soll die Beschaffenheit oder das Produktdesign dahingehend optimiert werden, dass keine Emissionen oder Abfälle entstehen, unabhängig vom Verbrauchsniveau.“ (Dies wird möglich, wenn) „alles Verwendete entweder biologisch abbaubar ist oder verlustfrei in geschlossenen technischen Stoffkreisläufen verbleibt.[4]“Die Idee klingt bestechend, ist aber nur lokal durchführbar, weil andernfalls die damit verbundene arbeitsteilige Logistik zusätzliche Ressourcen in Anspruch nimmt.[5]
  • Die jüngste „Zeitenwende“ des Jahres 2022 lässt auch die Resilienz wieder ins öffentliche Bewusstsein treten. Vor lauter Wachstumswahnsinn und angeblicher Effizienz haben wir übersehen, unsere Infrastrukturen hinreichend widerstandsfähig und krisenfest zu gestalten. Je detaillierter die profitgeleitete globale Arbeitsteilung wird, umso anfälliger werden die Strukturen. Denken wir an die Lieferkettenprobleme, die bei den ersten, aber absehbaren Unregelmäßigkeiten auftreten. Die Risikovorsorge leidet oft unter der falsch eingeschätzten Profitabilität. Gier frisst Hirn!
  • Suffizienz versteht sich als Genügsamkeit und steht für eine Reduktion der Ansprüche. Sie „adressiert und hinterfragt direkt den eigentlichen Zweck (und damit den Sinn) ökonomischer Aktivitäten“.[6] Diese Idee kümmert sich erst mal nicht um Nachhaltigkeit, kümmert sich nicht um irgendwelche symbolisch mehr oder weniger tragfähigen Abkommen (Kyoto, Paris, etc.), sondern richtet sich direkt auf das Problem: Wir verbrauchen ca. zwei Planeten und wir haben nur einen zur Verfügung. Wir müssen nachhaltig werden, unseren CO2-Ausstoß reduzieren, wir müssen uns zuvorderst einfach konsequent einschränken! Und diese Erkenntnis tut weh. Da hört das Träumen auf. Alles „Drum-herum-reden“ findet ein Ende.

Niko Paech umschreibt diesen Sachverhalt deutlich verbindlicher: Die Nachhaltigkeitsprin-zipien „…fügen sich … perfekt in zeitgenössische Modernisierungsprogramme ein. Sie versprechen, individuelle Freiheiten unangetastet zu lassen, indem Nachhaltigkeitsdefizite durch eine Addition technischer oder institutioneller Mittel kuriert werden…. (Es) werden damit zusätzliche Handlungsoptionen, Einkommensquellen, Märkte und sonstige (neue) Entfaltungsspielräume in Aussicht gestellt.    (Die) Konzepte minimieren jegliche individuelle Verantwortung, indem die Zuständigkeit für Nachhaltigkeitsmaßnahmen zuvorderst an die technologische, ökonomische oder politische Entwicklung delegiert wird.“[7]

Ganz pragmatisch: Wenn eine Familie merkt, dass sie längere Zeit über ihre Verhältnisse gelebt hat, wird sie nicht umhin können, zu sparen, also ihren Verbrauch zu reduzieren. Sie kann die Zuständigkeit weder an technologisch, noch ökonomische oder politische Entwicklungen delegieren. Das sagt der gesunde Menschenverstand! Im Sinne der Politik und Wissenschaft würde der Familie stattdessen vorgeschlagen, nachhaltiger zu wirtschaften und so tun, als ob sich das Loch in der Familienkasse gar nicht existiert. Deshalb ist es mir nicht zu vermitteln, dass wir uns in Nachhaltigkeit üben sollen, was immer das konkret bedeutet, statt dass wir erstmal den Verbrauchsüberhang abbauen (das heißt Suffizienz üben), bevor wir dann, wenn wir auf dem Verbrauchsniveau von einem Planeten angekommen sind, die Nachhaltigkeit forcieren. Erst dann wird doch sachlich ein Schuh daraus!

Die Herausforderung des Ansatzes der Suffizienz liegt in der Frage, wieviel Einschränkung ist der moderne Bürger bereit zu tragen? Die notwendigen Konsumeinschränkungen werden, so banal die Sache ist, sehr schnell als eine Einschränkung der persönlichen Freiheit interpretiert. Und unser moderner Freiheitsbegriff hat sich leider vielfach von der Frage nach der Verantwortung gelöst. Eine Freiheit ohne Verantwortung gibt es unter zivilisierten Menschen nicht. Wir alle nutzen den Planeten stärker als es uns mit Blick auf die kommenden Generationen zusteht. Mit anderen Worten, wir haben durch unsere ‚Freiheiten‘ eine Übernutzung initiiert und stehen jetzt in der Verantwortung, diese Fehlentwicklung auszugleichen. Als Lösung denkt der gesunde Menschenverstand zuvorderst an Rückgängigmachung der Fehlentwicklungen. Suffizienz müsste eigentlich der erste Schritt in eine neue Richtung sein. Alles, was die Suffizienz dann optimiert, kann sich daran anschließen.

Stattdessen haben Politik und Wissenschaft immer schon nach Wegen gesucht, um das „Unwort“ Suffizienz zu vermeiden. Vermutlich deshalb, weil Genügsamkeit zu einfach und zu direkt wäre und weil weite Kreise in der Politik Sorge haben, dass mit diesen alten Erkenntnissen ihr übergriffige Auffassung von Freiheit bloßgestellt werden könnte.

Zudem gibt die Nachhaltigkeitsargumentation immer wieder Raum für neue bzw. modifizierte Geschäftsmodelle. Aber eine Ausdehnung des Marktes durch Innovation ist doch das Gegenteil von dem, was „Not-wendig“ wäre. Eine Reduktion im Rahmen der Suffizienz lässt hier keinen Spielraum. Es gibt kaum Geschäftsmodelle, die im Rahmen einer Reduktion erfolgversprechend sind und vertretbaren moralischen Grundsätzen entsprechen.

Ein anderer Gesichtspunkt kann darin gesehen werden, dass es global gesehen, große Teile der Erde gibt, die immer schon suffizient leben mussten. Hier mit einer Aufforderung zur Suffizienz aufzutreten, ist ebenso kontraproduktiv wie die Erwartung von Nachhaltigkeit. Eine erfolgreiche Anwendung des Gedankens der Suffizienz dürfte also auf jene Bereiche des Globus beschränkt bleiben, die sich in der Vergangenheit auch die größten Beiträge zur bestehenden Fehlentwicklung geleistet haben.

Wenn wir aus der Perspektive einer Überflussgesellschaft (J. K. Galbraith) auf die Suffizienz blicken, könnte man darin ein Moment des Verzichts erkennen. Diesem Vorwurf, regelmäßig als ein politisches Killerargument verwendet, will sich niemand aussetzen. Konsum ist das Herzstück unseres gegenwärtigen Wirtschaftssystems. Wenn nicht genug konsumiert wird, so das Argument, bricht das System zusammen. Als Folge bringen wir seit Jahren immer mehr Geld als Grundlage für unser Verständnis von Konsum in Umlauf und bauen damit private und öffentliche Schulden auf. Das dabei ‚geschöpfte‘ (geschaffene) Geld wandert über den Wirtschaftskreislauf in die Schuldentilgung oder in die Taschen der Produzenten und unterstützt damit die steigende Ungleichverteilung von Vermögen.

Konsum hat vor diesem Hintergrund nur noch sehr begrenzt etwas mit Versorgung zu tun. Konsum ist zum Schmiermittel mutiert, mit dem primären Ziel, das System am Laufen zu halten. Also besteht der Anspruch, dass der Konsum immer weiter wächst, weil lt. Ökonomie die Bedürfnisse (des Menschen Gier) angeblich unbegrenzt seien, zumindest nach dem Modell des homo oeconomicus. Auf dieser fragwürdigen ‚Basis‘ passen die Teile ganz gut in das Wirtschaftspuzzle.

Wenn sich aber der reale Konsument einigermaßen rational verhält, ist dieses Phantasiegebilde weitgehendes Wunschdenken. Clevere Ökonomen haben festgestellt, dass zwar der Bedarf endlich ist, jedoch die Bedürfnisse kaum erkennbare Grenzen kennen. Dabei machen sie die Rechnung ohne den Wirt. Richtig ist, dass die Bedürfnisse gestaltbar sind, aber der Bedarf mit seiner Befriedigung endet. Es gibt also eine Grenze des Konsums, weil einerseits Befriedigung einsetzt und andererseits auch die ‚unbegrenzten‘ Bedürfnisse des Menschen an einer einfachen Zeitrestriktion scheitern: Der Tag hat nur 24 Stunden, also können wir uns unmöglich 25 Stunden dem Konsum ‚hingeben‘.

Gehen wir weiter darauf ein (siehe auch Paech, ebda, S. 158ff.), dass jeder Konsum, wenn er für den Menschen irgendeinen Sinn vermitteln soll, pro konsumtivem Akt eine gewisse Zeitspanne benötigt, um den Nutzen der Konsumption genießen zu können. Als Folge ist auch unsere Fähigkeit zu konsumieren begrenzt und steht im Widerspruch zur ökonomischen Vorstellung der Grenzenlosigkeit. Wir können natürlich die Taktung unseres Konsums ständig erhöhen (und viele versuchen es), aber auch diese Betrachtung führt an Grenzen der physischen und mentalen Gesundheit i.w.S.. Wenn beim Einzelnen hier eine Grenze gezogen werden muss, kann auch eine Grenze für die Höhe des Konsums insgesamt gezogen werden und damit auch für die Höhe des allgemeinen Wirtschaftswachstums allein aus der menschlich möglichen Verarbeitungskapazität heraus. Paech weist lapidar auf die Vervielfachung der Verschreibung von Psychopharmaka innerhalb der letzten 10 Jahre hin. Mit anderen Worten: Wir überstrapazieren nicht nur die Ressourcenlage unseres Planeten, wir sind auf dem besten Wege auch uns in der Funktion als Konsumenten komplett zu überfordern.

Kommen wir zurück zur Suffizienz und der damit verbundene Genügsamkeit. Wenn wir erkennen, dass die Ressourcenlage als auch unsere mentale Gesundheit dem Konsum seine Grenzen aufzeigt, dann ist es kein weiter Weg, Genügsamkeit als erste Priorität des Handelns zu erkennen. Erst dann, wenn wir es geschafft haben, unsere Ansprüche generationentauglich auf die vorhandene ökologische Basis eines Planeten zurückzuführen, ist es m.E. sinnvoll, sich über Nachhaltigkeit zu unterhalten und die große Frage zu lösen versuchen wie wir künftig mit dem ‚menschlichen Maß‘ umgehen wollen. Die gegenwärtige Politik und die von ihr beauftragte Wissenschaft kümmern sich akribisch um Nachhaltigkeit, obwohl das große Loch zwischen Soll-Verbrauch (ein Planet) und Ist-Verbrauch (ca. 2 Planeten) scheinbar unbemerkt links liegen bleibt. Ich bin immer wieder überrascht, wieviel offensichtlichen Realitätsverlust der Mensch verdrängen kann ohne dadurch in eine gewaltige kognitive Dissonanz zu geraten. Oder sind wir da schon als Gesellschaft mitten drin und haben es nur noch nicht bemerkt?


[1] Manfred Folkers, Niko Paech, All you need is less, München 2020

[2]  Paech, N., Vom Scheitern bisheriger Krisentherapien zur Postwachstumsökonomie, 2021, in: Krise und Transformation, Scheidewege, Schriften für Skepsis und Kritik, Band 51, HG: Jean-Pierre Wils, 2021, S. 15 – 35

[3] Folkers, Paech, All you need is less, 2020, S. 124

[4] Folkers, Paech, 2020, S. 125

[5] Vgl. die ARD Dokumentation „Die Recyclinglüge“, um einen Eindruck von der Machbarkeit zu gewinnen.

[6] Folkers, Paech, 2020, S. 126

[7] Ebda., S 130

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