Unser Vorstellungen über die Entwicklung von Wirtschaftssystemen folgen einer scheinbar einfachen Linie. Wir meinen, es beginnt alles mit einer Subsistenzwirtschaft (jeder macht alles). Besonders talentierte Subsistenzler waren auf unterschiedlichen Gebieten technisch versierter als andere. Kooperation führte dazu, dass man gemeinsam größere Projekte (Hausbau, Rodungen, Anbau von Pflanzen, Erfahrungsaustausch) in Angriff nahm. Kooperation erfolgte unentgeltlich und auf Gegenseitigkeit.
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Die besonderen Fähigkeiten – so wird angenommen – differenzierten die Gesellschaft schrittweise mit dem Ergebnis, dass über einen langen Zeitraum sich schwerpunktmäßig eine Handwerks- und Landwirtschaftsstruktur entwickelte. Diese Struktur war immer noch in der Fläche zu einem großen Anteil auf Subsistenz gegründet. Üblicherweise wird dann unterstellt, dass Tauschwirtschaft betrieben wurde, weil wir uns nur schwer vorstellen können, dass Subsistenzler keinen Überschuss erwirtschaftet haben, um damit regional Tauschgeschäfte zu betreiben. Wir denken dabei an die Thünen’schen Kreise. Geld spielt zu dieser Zeit noch keine Rolle.
Es bildeten sich Agglomerationen (Dörfer, kleine Städte), vielfach als Schutz- und Trutz-Gemeinschaften. Wir müssen uns aber auch klarmachen, dass wir von einer Bevölkerungsdichte ausgehen können, die jederzeit Raum bot, sich aus der einen bestehenden Gemeinschaft zurückzuziehen und fortzuziehen, um ‚Pionier‘ in der Erschließung neuer Regionen zu werden. Das Land stand anfänglich jedem offen, solange man nicht in Leibeigenschaft (durch Schuld- oder Lehensverhältnisse) abhängig und gebunden war.
Auf diesem alten Bild – so mein Eindruck – fußt die ökonomische Erzählung (das Narrativ) der Ökonomie. Und das lernen wir alle, indem uns vermittelt wird, dass der ‚Bedarf‘ im Sinne einer notwendiger Versorgung die jeweilige Produktion auslöst. Das ist die klassische Wahrnehmung von einer einfachen nachfrageorientierten Wirtschaft. Hier entstand vermutlich auch die Formulierung, „der Kunde sei König“ und nach dieser uralt Erzählung wird der Kunde heute noch dafür verantwortlich gemacht, was und wie mit welchen Nebenwirkungen produziert wird. Der Produzent gilt dabei nur als abhängiger, willfähriger ‚Erfüllungsgehilfe‘ von Kundenwünschen.
Aber das Bild, das mit dieser Erzählung vermittelt wird, stimmt schon lange nicht mehr. Mit der Entwicklung der Technologie in Kombination mit dem Kapitalismus haben sich schrittweise Skaleneffekte durch Massenproduktion und zunehmender Automation erzielen lassen. Der Auslöser von Produktion ist schon lange nicht mehr der Kunde, der etwas ‚braucht‘, sondern es ist die Notwendigkeit des Produzenten ‚Durchsatz‘ (Konsumption) für seine Produktionsmittel zu schaffen und zu sichern, um die angestrebten Skaleneffekte auch sinnvoll nutzen zu können.
Seit dieser Entwicklung gibt es keine nennenswerte nachfrageorientierte Wirtschaft mehr, weil die Struktur des Systems durch die angewandte Technologie komplett verändert wurde. Wir haben es jetzt mit einer angebotsorientierten Wirtschaftsweise zu tun und wie die funktioniert, hat Günther Anders1 in den 1980er Jahren in einem kurzen bissigen Essay durchleuchtet:
„Der Mechanismus unseres Industriekosmos besteht nun aus der (durch Produkte, und zwar Produktionsmittel, bewerkstelligten) Herstellung von Produkten, die ihrerseits als Produktionsmittel auf die Herstellung von Produkten abzielen, die ihrerseits …u.s.f. – bis eine jeweils letzte Maschine Finalprodukte auswirft, die keine Produktionsmittel mehr sind, sondern Konsummittel, d.h. solche , die durch ihr Gebrauchtwerden verbraucht werden wollen, wie Brote oder Granaten.Nur am Anfang dieser Produktionsketten (als Erfinder oder Handwerker) und an deren Ende (als Verbraucher) stehen Menschen. Aber selbst von diesen Finalprodukten zu behaupten, dass sie ausschließlich Produkte, keine Produktionsmittel seien, ist unerlaubt. Denn auch diese letzten sollen ja – die Iteration kennt keine Unterbrechung – durch ihr Verbrauchtwerden wiederum etwas produzieren: nämlich Situationen, in denen eine, wiederum maschinelle Erzeugung weiterer Produkte erforderlich wird. In solchen Fällen sind es nicht eigentlich die Produkte selbst, die als Produktionsmittel figurieren, sondern unsere Konsumakte – eine wahrhaft beschämende Tatsache, da sich nun ja unsere, der Menschen, Rolle darauf beschränkt, durch den Produktekonsum (für den wir überdies noch bezahlen müssen) dafür zu sorgen, dass die Produktion in Gang bleibe.
Nicht: „Unser täglich Brot gib uns heute“, heißt es in einem mollussichen Aphorismus, würden wir, wenn wir ehrlich wären, heute beten, sondern: „Unseren täglichen Hunger gib uns heute“ – damit die Brotfabrikation täglich gesichert bleibe. Sofern das heute fällige Gebet überhaupt noch aus unserem menschlichen Munde kommt, da es ja eigentlich die Produkte sind, die beten. Nämlich: Unsere täglichen Esser gib uns heute.“
In der Tat trifft dieser molussische Aphorismus auf 99% aller Produkte durchaus zu. Denn die meisten Produkte – selbst kaum artifiziell zu nennende, wie Butter, die sich zu Butterbergen auftürmt und ihre Bekömmlichkeit beteuert – hungern nach Konsumiertwerden, da sie nicht ohne weiteres mit einem ihnen entgegenkommenden menschlichen Hunger rechnen können oder dürfen. Damit sie auf ihre Rechnung kommen, das heißt: damit die Produktion im Gang bleibe, muss ein weiteres Produkt (eines zweiten Grades) erzeugt und zwischen Produkt und Mensch gezwängt werden, und dieses Produkt heißt „Bedarf“. Aus unserer Perspektive formuliert: Um Produkte konsumieren zu können, habe wir es nötig, diese zu benötigen. Da uns aber dieses Benötigen nicht (wie Hunger) in den Schoß fällt, müssen wir es produzieren, und zwar mittels einer eigenen Industrie, mittels eigener zu diesem Zwecke maschinell produzierter Produktionsmittel, die nun Produkte dritten Grades sind. Diese Industrie, die den Hunger der Waren nach Konsumiertwerden und unseren Hunger nach diesen auf gleich bringen soll, heißt „Werbung“. Man produziert also Werbemittel, um das Bedürfnis nach Produkten, die unser bedürfen, zu produzieren; damit wir, diese Produkte liquidierend, den Weitergang der Produktion dieser Produkte zu gewährleisten.“
Die Darstellung von Günther Anders unterstellt niemandem Böswilligkeit oder falsch verstandene Gier. Das Vorgehen ist technologie- und effizienzbezogen durchaus rational und auch nachvollziehbar. Deshalb ist dieser Zusammenhang so schwer zu durchschauen und es ist noch schwerer, hierfür eine Maßnahme zur Veränderung auszulösen, der diesen „rationalen Irrsinn“ aufhebt ohne das System zu zerstören.
Dabei verstehen wir uns als unabhängige Menschen und dienen dabei einem „System“ ohne den Sinn zu hinterfragen, weil das System aus sich heraus eine technische Rationalität entwickelt, der wir blind und kritiklos wie die Lemminge folgen und dabei unsere viel und oft beschworene Freiheit ohne Widerspruch aufgeben.
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1 Günther Anders, Die Antiquiertheit des Menschen, 1980, S. 15 f.
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