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Transformation durch politische Gestaltung?

Wenn man sich mit Personen unterhält, die ein wenig politisches Interesse haben, kann man feststellen, dass den meisten klar ist, dass wir in oder zumindest vor einer gravierenden Veränderung unserer Gesellschafts – und Wirtschaftsstruktur stehen oder uns schon darin bewegen. Dabei ist eine große Unsicherheit festzustellen, weil auf der einen Seite erkannt wird, dass Veränderungen anstehen, aber andererseits überhaupt nicht klar ist, wohin die Reise gehen soll oder gehen könnte.

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Das politische Lager möchte Optimismus vermitteln, kann ihn aber nicht begründen. Dabei kommt der Verdacht auf, dass sich große Teile der  Politik nicht trauen, die „Wahrheit“ zum Ausdruck zu bringen. Seit über 50 Jahren wird es Schritt für Schritt immer deutlicher, dass unsere Wirtschaftsform – höflich ausgedrückt – nicht nachhaltig ist und uns in eine Situation führt, die Niko Paech wohl als „Desaster“ beschreiben würde.

Die anstehenden Veränderungen, ausgelöst durch den Klimawandel, werden Schritt für Schritt heftiger und die Reparaturkosten werden immer höher. Es stehen immer weniger finanzielle Ressourcen für das eigentliche Transformationsproblem des Klimawandels zur Verfügung. Die Ökonomie versteht die Welt nicht mehr, weil ihre Methodologie die systemischen Zusammenhänge nicht erkennt. Die Ökonomie war Jahrzehnte lang unsere Richtschnur für Verhalten und Handeln in Politik und Wirtschaft. Das „goldene Kalb“ war das Wachstum, gemessen als jährliche positive Veränderung des Bruttoinlandsproduktes (BiP).

Allmählich setzt sich die Auffassung durch, dass das Wachstum keine erfolgversprechende Alternative mehr ist. Aber die Ökonomie kann keine valide und ideologiefreie Aussage treffen, wie unser Wirtschaftssystem aussehen wird oder würde, wenn kein Wachstum mehr möglich ist.

Wachstum ist nicht mehr darstellbar. Wenn große Teile der Wissenschaft zu der Auffassung kommt, dass wir global 1,7 Planeten ‚verfeuern‘, dann sollte doch jeden nüchtern denkenden Menschen klar sein, dass Wachstum keine Option mehr ist. Was macht die Ökonomie und die Politik? Sie erzählen uns seit mindestens dreißig Jahren, dass das Wachstum vom Ressourcenverbrauch abgekoppelt werden könne. Und wenn dieses ‚Wunder‘ geschehe, könnten wir munter weiter Wachstum produzieren. Die Sache hat zwei Haken:

  1. Seit mindestens dreißig Jahren redet man von der Abkopplung und schürt damit falsche Hoffnungen bei der Politik (und den Bürgern), die natürlich hochgradig anfällig für diesen hohlen Optimismus sind. Man könnte sich ja das Handeln bzw. Gestalten „sparen“. Aber die Abkopplung funktioniert nicht!
  2. Solange man die Hoffnung auf Abkopplung nicht offiziell begräbt, werden sich große Teile der Wirtschaft und der Politik mit Hinweis auf die (höchst unwahrscheinliche) Abkopplung ihre Wachstumsziele zum Schaden der Allgemeinheit weiter verfolgen und damit den Planetenverbrauch systematisch in die falsche Richtung führen. Wir verlieren Zeit, die wir dringend benötigen, um die notwendigsten Schritte zu einer Verbesserung der Situation einzuleiten.

Die „Wahrheit“ tut weh. Dabei muss einfach Ernüchterung und auch eine gute Portion Gelassenheit eintreten. Niemand weiß genau, was in dieser komplexen Situation „richtig“ ist, aber der wahrscheinlichste Lösungsansatz ist jener, der die vorhandenen Tatbestände akzeptiert, sie wahrnimmt und zur Grundlage des Handelns macht. Wir wissen, dass wir global etwa 1,7 Planeten verbrauchen, aber nur über einen Planeten verfügen. Oder anders dargestellt: In Deutschland liegt der Fußabdruck des Einzelnen bei etwa 12 ha, anzustreben sind 1 ha pro Person. Die Differenzen zwischen ‚Soll‘ und ‚Ist‘ sind also gewaltig. Auf der Basis der ‚Planetenbetrachtung‘ sollten wir uns global von einem Verbrauch von 1,7 Planeten auf 1 Planeten reduzieren (ca. minus 40 Prozent). Diese Zahlen sind globale Durchschnittszahlen. Es könnte gut sein, dass minus 40 Prozent für Europa nicht ausreichen werden. Um es kurz zu machen: Wer hier dem Wachstum weiterhin die Stange hält, an dessen Geisteszustand muss man zweifeln dürfen. Es geht darum, durch eine klug angelegte Reduktion das Verhalten und das Handeln in unserer Gesellschaft in neue Bahnen zu lenken. Hier hat die politische Bühne bisher nur sehr wenig Neues oder Gestaltendes beigetragen.

Was insbesondere fehlt, ist die systematische Aufklärung der Bevölkerung über die verfügbaren Optionen. Es braucht ein neues Narrativ, das die Köpfe und die Emotionen der Bürgerschaft erreicht und ihnen Gelassenheit und ein positives Grundverständnis der Problematik vermittelt. Stattdessen wird so getan als ob man alles im Griff hätte. Aber es glaubt keiner mehr daran.

Die Wissenschaft hat mit Maja Göpel (Prof. für Politökonomie,), Harald Welzer (Prof. für Soziologe), Niko Paech (Prof. für Postwachstumsökonomik) und mehr allgemein Richard David Precht (Prof. für Philosophie) ein paar Leuchtturmprojekte geschaffen, um mögliche Ansätze neuer Narrative in hinreichend verständlicher Form unter die Leute zu bringen. (Die Aufzählung ist sicherlich nicht vollständig.) Dabei gehen Göpel, Welzer und Precht einen etwas anderen Weg als Niko Paech. Die drei Genannten sind keine klassischen Ökonomen und kommen im weitesten Sinne aus der Sozialwissenschaft und nutzen die Methodologie dieses Fachbereichs, um eine friedliche Transformation des Gesellschaftssystems vermitteln und umsetzen zu können.

Niko Paech als klassischer Ökonom, so mein Eindruck, hat erkannt, dass die Ökonomie bisher nichts Grundlegendes zu der anstehenden Veränderung unseres Wirtschaftssystems beizutragen weiß und hat sich der Frage einer Postwachstumsökonomik zugewandt. Er stellt sich als Ökonom nicht die Frage, wie das bestehende System verändert werden kann oder soll, sondern versucht eine Ökonomie ohne Wachstum zu beschreiben. Er ist der Einzige dieser ‚Leuchttürme‘, der offensiv eine dezidierte Suffizienzstrategie (eine Reduktion des Verbrauchs) verfolgt. Als Ökonom anerkennt er die ökologischen Probleme und gibt der Veränderung zwei Eckpunkte des Handelns: Der Wandel erfolgt im positiven Sinne by design, im negativen Fall by desaster, aber der Wandel selbst ist unausweichlich. In seiner Postwachstumsökonomik zeichnet er ein durch Reduktion bestimmtes Bild von Wirtschaft und Gesellschaft, das aber durchaus nachvollziehbar positive (optimistische) Gesichtspunkte der Gestaltung bereithält.

Was könnte das für die Politik bedeuten? Große Teile der Politik sind noch vollkommen in der Wachstumsideologie gefangen und sie tun sich extrem schwer, sich aus den Fängen der wachstumsverliebten Lobbyisten zu befreien. Wir brauchen aber in der Politik ein anderes Narrativ, das die Übernutzung als unzulässig geißelt und ggfs. die Sinnfrage des Wirtschaftens neu beantwortet. Wirtschaft darf nicht auf Geldverdienen reduziert werden, sondern ist primär Versorgung der Gesellschaft. Der letztere Gesichtspunkt ist in den vergangenen Jahrzenten völlig aus dem gemeinsamen Blickfeld verschwunden. Die Pandemie hat klar gemacht, was fehlende Versorgung bedeuten kann.

Die gegenwärtige Situation verunsichert viele Menschen und die Politik scheint nicht in der Lage zu sein, durch eine sinnvolle Gestaltung Regeln zu entwickeln, die die Verunsicherung reduzieren. Eine Mehrzahl von BürgerInnen (man spricht in manchen Studien von bis zu 80%) wünschen sich hier mehr Gestaltung, Klarheit und Sicherheit.

Als Beispiel möchte ich den Vorschlag der Sektion München und Oberland des Deutschen Alpenvereins (1,4 Mio. Mitglieder) aufgreifen. Deren „Strategie gegen den Klimawandel“ setzt ein beispielhaftes Zeichen, das die Politik übernehmen könnte: Vermeiden (ggfs. erst gar nicht beginnen) – Reduzieren (wenn durchführen, dann auf das Minimum reduzieren) – Kompensieren (etwas anderes weglassen oder finanziell ausgleichen)! Jedes Mitglied des Vereins sollte sich diese drei Schritte bei allen Aktivitäten vor Augen halten und eigenverantwortlich beantworten.

Auf die Politik übertragen, hieße das, dem Wachstumsgedanken eine klare Grenze zu setzen. Das Denken in Wachstum ist absehbar keine Option mehr: also kein „höher, schneller, weiter“, sondern die Frage beantworten: ist die Maßnahme unvermeidbar?, wie lässt sich der Durchführungsumfang reduzieren?, was sollten wir dafür aufgeben?. Wir müssen wieder die Sinnfrage des Wirtschaftens in den Mittelpunkt stellen. Wir müssen die Wachstumsideologie aufbrechen, indem wir den BürgerInnen in dieser Frage klare Vorgaben machen, Leitplanken schaffen. Dazu gehört, zu erkennen, dass dieser Bruch mit dem jahrzehntelang Vertrauten nicht einfach wird, aber nur so werden unsere folgenden Generationen noch eine Erde vorfinden können, die hoffentlich lebenswert ist.

Die Zeitungen verweisen am 13.September auf Verlautbarungen der Wirtschaftsinstitute, dass angeblich neben der beobachteten Preissteigerung (andere sprechen von Inflation) eine Rezession drohe. Der Begriff ‚Rezession‘ fußt auf dem Verständnis der Wachstumsökonomie, die bei zwei oder drei auf einanderfolgenden negativen Quartalsergebnissen der BiP-Entwicklung von einer Rezession spricht. Wenn wir uns vor Augen halten, dass wir 1,7 Planeten verheizen und unseren Verbrauch auf einen Planeten reduzieren müssen, hat diese Aussage m.E. keine wirkliche Bedeutung. Wenn wir die Suffizienzstrategie als grundsätzlich richtig ansehen, weil sie mittelfristig das ‚Soll‘ und das ‚Ist‘ zusammen bringt, malt die Feststellung einer „Rezession“ ein Bild, das in dem längerfristigen Rahmen in keiner Weise eine sinnvolle Aussage macht.

Vermeiden, reduzieren und kompensieren sind Verhaltensweisen, die der Einzelne annehmen muss. Wenn diese Vorstellung politisch in die Tat umgesetzt werden soll, muss das politisch-wirtschaftliche  Narrativ neu geschrieben werden und muss eine entsprechend breite  Zustimmung erfahren. Hierzu muss man diese Einstellung positiv bewerben, und genauso schamlos wie das Marketing vorgehen. Dort beflügelt offensichtlich das Wecken von  Neid oder die Betonung der sozialen Differenzierung den gewünschten Erfolg.

Wir alle kennen den Begriff des geplanten Verschleißes, den die Industrie regelmäßig weit von sich weist. Aber die Lebensdauer vieler Güter wird laufend kürzer. Die „Geiz ist geil“-Mentalität verlangt immer günstigere Verkaufspreise. Dabei bleibt notwendig die Qualität der Güter und Dienstleistungen auf der Strecke. Die damit verbundene Ausbeutung in den Lieferketten will ich gar nicht ansprechen. Wenn Wachstum nicht mehr das ‚goldene Kalb‘ darstellen kann, um das alle tanzen, wäre es sinnvoll zu überlegen, ob nicht „Qualität ist geil“ der sinnvollere Slogan für die kommenden Generationen darstellt.

Auch hierzu muss die Politik ein passendes Narrativ entwickeln oder entwickeln lassen. Das Narrativ ist dann durch längere Gewährleistungspflichten für Gebrauchsgegenstände und eine grundsätzlich leichtere Reparaturfähigkeit bei ausreichendem Ersatzteilbestand per Gesetz zu unterstützen.

Durch das „Geiz ist geil“-Verhalten und die Erwartungen von billigem Ramsch haben wir mutwillig ein gewaltiges Müllproblem geschaffen. Konsumieren muss wieder primär der Versorgung dienen und nicht der Überbrückung von Langeweile, aus der heraus viel zu oft überflüssige, aber niederpreisige Dinge (man spricht dann gerne von „Schnäppchen“) erworben werden. Es handelt sich dabei im Grunde um systematische Müllproduktion. Auch hier hilft vielleicht das Motto: „Vermeiden, reduzieren, oder kompensieren“.

Gegenwärtig ersticken wir in ‚wohlsortierten‘ Müllbergen, die aber zum größten Teil (etwa zu 80%) nicht im eigentlichen Sinne recycelt werden können. Also sind wir diesbezüglich von der Vorstellung einer Kreislaufwirtschaft, die in diesem Zusammenhang oft strapaziert wird, meilenweit entfernt. Die „Pflege“ bzw. Verwaltung dieser Müllberge kostet uns Milliarden. Hier und da werden Müllpakete im beachtlichen Umfang ‚exportiert‘, damit auch Afrika und Fernost, gewissermaßen global, an unserem ‚Müllüberfluss‘ partizipieren können.

Das sind leider nur ein paar Ideen. Das Gesamtproblem werden sie nicht lösen. Da müssen wir noch „ein bisschen“(!) daran arbeiten.

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Nachhaltigkeit oder Klimaneutralität – oder beides?

Wo liegen die begrifflichen Unterschiede oder meinen beide Begriffe das gleiche? Den Begriff der Nachhaltigkeit strapazieren wir in der Öffentlichkeit vermutlich seit etwa 50 Jahren und es hat sich vergleichsweise nur wenig getan. Der Begriff der Klimaneutralität ist jüngst „in aller Munde“ und es wird dabei so getan als ob diese Begriffe und die dahinterstehenden Konzepte „nahezu“ identisch seien bzw. das gleiche Ziel verfolgen. Ich will versuchen, hier mehr Licht in die Zusammenhänge zu bringen.

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Die Nachhaltigkeit stammt nach meiner Kenntnis aus der Forstwirtschaft und wurde dort vor mehr als 200 Jahren entwickelt[1]. Forstwirtschaft befasst sich nur sehr beschränkt mit dem Wald als solchem, sie befasst sich mit dem Holz als Objekt der Begierde. Da Bäume in aller Regel nicht vor Ablauf von drei Generationen eine verwertbare Größe erreicht haben, ist der Begriff der Nachhaltigkeit in erster Linie Ausdruck einer langfristigen Perspektive.

Wenn die Forstwirtschaft heute einen gravierenden Fehler macht, so wirkt sich das in aller Regel erst in der dritten Generation aus. Ist der Eigentümer heute zu geschäftstüchtig und rücksichtslos im Holzeinschlag, kann das die übernächste Generation mit voller Wucht treffen. Kommt jetzt noch ein Risikoereignis wie die „Klimakrise“ hinzu, kann das für den Wald (und für den Eigentümer) schnell existenzgefährdend werden.

Die langfristige Perspektive in der Entwicklung des Waldes wurde versucht, künstlich abzukürzen. Man pflanzte schnell wachsende Fichten wie die Zinnsoldaten in Reih‘ und Glied und behauptete, das sei Wald. Es wurde versucht, “Massenholzhaltung“ durch Einheitskulturen hervorzubringen. Die Veränderungen dessen, was man Wald nennt, glaubte man in Kauf nehmen zu können. Der Borkenkäfer hat eine analoge Strategie angewendet. Massenhafte Monokultur beim Holz bedeutet massenhafte Forcierung einzelner Insektenarten. Eine gesunde Fichte hat einen Abwehrmechanismus, aber der bricht zusammen, wenn die Fichte durch Trockenheit Stress bekommt und die Zahl der Angreifer in den Monokulturen schlicht zu hoch wird.

Man hat nach ökonomischen Prinzipien Holz produzieren wollen und hat übersehen, dass das Biotop Wald nur in der Vielfalt der Arten in einem hinreichend stabilen Gleichgewicht gehalten werden kann. Gesunde Mischwälder können mit Trockenheit, Insektenbefall, Stürmen und ggfs. mit Feuer viel besser umgehen, als die Zinnsoldaten einer Baumart, die nur in bestimmten Höhenlagen heimisch ist und sich im Grunde für eine Massenholzhaltung auch nicht eignet. Alle diese Aspekte sind im Grunde langjährige Verstöße gegen die Nachhaltigkeit und den gesunden Menschenverstand. Letzter ist aber erst seit wenigen Jahren in der Lage, die Zusammenhänge auch so zu verstehen.

Der Brundtland-Report hat 1987 versucht, Nachhaltigkeit zu verallgemeinern und kommt sinngemäß auf folgende Formel: Die Menschheit hat die Fähigkeit die Entwicklung nachhaltig zu gestalten, indem sie sicherstellt, dass die Entwicklung die Bedürfnisse der gegenwärtigen Generation erfüllt ohne die Fähigkeit künftiger Generationen einzuschränken, ihrerseits ihre Bedürfnisse zu erfüllen. Ein ‚hervorragend‘ formulierter Satz, der so abstrakt ist, dass er im Grunde keine konkrete Aussage möglich macht. Das einzige, was man daraus erkennen kann, ist die Verpflichtung langfristiger (über Generationen hinaus) zu denken. Jede Bedürfnisbefriedigung sollte so gestaltet sein‚ dass sie ‚enkeltauglich‘ ist.

Herman Daly unternahm einen Versuch, die zentralen und übergeordneten Elemente einer Nachhaltigkeit aus ökologischer Sicht auf den Punkt zu bringen, um einen etwas konkreteren Ansatz zu finden:

  • Das Niveau der Abbaurate erneuerbarer Ressourcen darf ihre Regenerationsrate nicht übersteigen. (Nicht mehr verbrauchen als nachwächst)
  • Das Niveau der Emissionen darf nicht höher liegen als die Assimilationskapazität (die Fähigkeit des Systems, diese Emissionen zu neutralisieren).
  • Der Verbrauch nicht regenerierbarer Ressourcen muss durch eine entsprechende Erhöhung des Bestandes an regenerierbaren Ressourcen kompensiert werden. (Hardtke/Prehn 2001, S.58)

Daly’s Ansatz geht dabei (anders als die Ökonomie) nicht von den menschlichen Bedürfnissen der jetzigen und der künftigen Generationen aus, sondern zeigt die globalen Restriktionen auf, die uns die Natur für unsere weitere Entwicklung setzt.[2]

Wenn man noch konkreter werden will, sind wir gezwungen, ins Detail zu gehen. Um uns hier nicht zu verlieren, geht es darum, verhaltensleitende „Triggermerkmale“ zu finden, mit deren Umsetzung andere wesentliche Eigenschaften des Wirtschafts- und Gesellschaftssystem sich als konsequente Folge ergeben:

  • Eine langfristige Denkweise muss durch einen gesetzlichen Rahmen gefördert werden.
    • Als Folge müssen Gebrauchsgüter reparaturfähig konstruiert werden, Ersatzteile müssen längerfristig vorgehalten werden. Das ist u.a. durch eine deutlich verlängerte Gebrauchsgarantie zu erreichen.
    • Ein konstruktiv einfaches Recycling muss bei der Produktplanung Pflicht sein.
    • Die zu erwartende Lebensdauer von Wirtschaftsgütern ist zu verlängern. Was besteht bzw. existiert, hat einen gewissen automatischen Bestandsschutz, bevor es wegen einer Neuanschaffung abgerissen, zerstört und/oder entsorgt werden kann. Nicht das Neue gilt als ‚sexy‘, das Bewährte muss als Wert anerkannt werden.
    • Die automatische Folge dieser Auffassung wird ein reduzierter Konsum sein, etwas, das das gegenwärtige Wirtschaftssystem möglicherweise an seine Grenzen führen wird.
  • Die monetäre Sichtweise als einseitiges wirtschaftliches Entscheidungskriterium muss zu einem Konzeptansatz erweitert werden, der auch qualitative Gesichtspunkte einbezieht. Bei großen Projekten müssen auch die Perspektiven der durch die Maßnahme Betroffenen erfasst und realistisch bewertet werden. Dabei ist auch grundsätzlich eine vereinfachte Emissionsbilanz als Entscheidungsgrundlage darzustellen.
  • Ideal wäre es, wenn es gelänge, für alle wesentlichen Güter, die uns die Natur unentgeltlich zur Verfügung stellt, realistische Preise zu definieren, die einen breiten Konsens finden können. So wie eine Tonne CO2 gegenwärtig (nur) 25 € kostet, so könnten Wasserentnahme, Feinstaubentwicklung, Lärmentwicklung, u.v.m. einen Preis bekommen, um dann feststellen zu können, ob gewisse Projekte nicht nur für den Investor sinnvoll erscheinen, sondern auch für die Gesellschaft verträglich sind.

Als Fazit könnte man feststellen, dass Nachhaltigkeit wenig allgemeine Operationalität besitzt. Nachhaltigkeit kann wohl nur für jeden Prozess gesondert ermittelt werden, was die Wahrnehmung als auch die Kontrolle des Sachverhalts in der täglichen Praxis erschwert.

Je mehr man sich mit der Materie beschäftigt, desto größer werden die Problemberge. Trotzdem glaube ich, dass es auf dieser Basis eine Lösung geben kann, wenn viele das Problem verstehen und einen gewissen gesellschaftlichen Konsens finden können.

Damit möchte ich mich dem Ziel der Klimaneutralität zuwenden. Dieses Ziel ist noch relativ jung und klingt handlich und operabel. Wenn wir aber meinen, der Begriff der Klimaneutralität könne als Ersatz für die Nachhaltigkeit dienen, springen wir m.E. zu kurz. Klimaneutralität reduziert die Nachhaltigkeit ausschließlich auf den Aspekt der Emissionen (vgl. oben die Darstellung der drei Elemente von Herman Daly). Zwar ist in der Diskussionen um die Klimaneutralität vorgesehen, den Begriff breiter zu fassen, aber dann verliert der Begriff seine scheinbare Griffigkeit und wird wieder sperrig wie die Nachhaltigkeit. Zudem enthält die Nachhaltigkeit qualitative Elemente, die sich m.E. einer Quantifizierung weitgehend entziehen.

Gerade die Quantifizierung mit dem Anschein von Berechenbarkeit und Exaktheit macht den Charme der Klimaneutralität aus. Man nimmt den CO2-Ausstoß eines Landes, einer Region (in der Regel eine wackelige Schätzgröße, bei der eine Fehlergröße von mehreren Zehnerpotenzen nicht ungewöhnlich wäre) und stellt sie der ebenfalls geschätzten Assimilationskapazität der Wälder und Moore dieser Region gegenüber. Wenn die Schätzwerte sich im Wesentlichen ausgleichen, werden wir dann hoch erfreut von Klimaneutralität sprechen. Die Gesichtspunkte der Regenerationsraten und die Maßnahmen zur Kompensierung nicht-nachwachsender Ressourcen entfallen dabei ersatzlos (vgl. Herman Daly).

Die unangenehme Tatsache, dass wir gegenwärtig ausgerechnet beim Wald die Regenerationsrate aufgrund des Befalls der Monokulturen durch den Borkenkäfer missachten, führt natürlich dazu, dass die Assimilationskapazität des Waldes zur kritischen Größe wird. Wir verlieren täglich große Waldflächen, weil man zum Kahlschlag der Monokulturen keine Alternative sieht. Und wenn ich das richtig beurteilen kann, werden vielfach die Fichtenmonokulturen (so gut es geht) durch Monokulturen von Douglasien ersetzt anstatt konsequent dem Mischwald den Vorzug zu geben. Die Aufforstung vollzöge sich dann natürlich langsamer und finanziell aufwendiger, weil die Laubbäume i.d.R. längere Entwicklungszeiten benötigen.

Mit der Klimaneutralität hofft oder glaubt man einen Punkt in unserem Wirtschaftssystem gefunden zu haben, der als allgemeiner Erfolgsindikator den notwendigen Umbau begleiten kann. Die CO2-Bilanz gilt als zweckmäßiger Maßstab, um den Fortschritt des Umbaus begleiten und überwachen zu können. Dabei wird wohl hoffnungsfroh unterstellt, dass die CO2-Reduktion auch Einfluss auf die Abbaurate der erneuerbaren als auch auf die Reduktion des Verbrauchs nicht-erneuerbarer Ressourcen hat. Wenn wir die sogenannte Klimaneutralität tatsächlich erreichten sollten, dann ist vermutlich wirtschaftlich kein Stein mehr auf seinem heute gewohnten Platz. Deshalb ist es auch nicht sinnvoll, an allen möglichen „Knöpfen“ des angestrebten Wandels zu drehen, weil man die komplexen Überkreuzrelationen zwischen den Variablen heute in keiner Weise absehen kann.


[1] Hans Carl von Carlowitz (1645–1714), der 1713 den Gedanken zur Nachhaltigkeit in einem Buch veröffentlicht hat.

[2] Vgl. https://www.nachhaltigkeit.info/artikel/definitionen_1382.htm

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