Diese Frage stellte sich im Jahre 2002 eine namhafte Gruppe von Wissenschaftlern und hat mit Hilfe der Szenario-Technik einige Alternativen für unser weitere menschliche Entwicklung entworfen1. Das implizite Ziel der Berichts-Ausführungen ist eine planetarische Gesellschaft, die verstanden hat, welche Konsequenzen der Klimawandel für die menschliche Gesellschaft haben wird. Der Bericht geht von drei Szenarien aus, die jeweils wieder in zwei unterschiedliche Entwicklungsalternativen aufgeteilt werden.
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Die großen drei Szenarien entwickeln sich aus unterschiedlichen Strategien oder auch Ideologien: Die erste Strategie folgt der Vorstellung einer konventionellen Welt, also dem „weiter so wie bisher“ im Vertrauen auf die „Marktkräfte“ und/oder durch minimale politische Anpassungen. Die zweite Strategie oder Ideologie unter der Bezeichnung „Verfall und Barbarei“ setzt auf den Einsatz von Gewalt und militärische Macht. Diese Vorstellung basiert auf einer Welt von nationalen Festungen, die es zu verteidigen gilt („Barbarei“) oder, wenn das nicht gelingt, „Zusammenbruch“ unserer Zivilisation. Die dritte Strategie (oder Ideologie) erwartet angesichts der bestehenden Probleme eine demokratische Zustimmung zu einer großen Transformation mit dem Ziel eines „Öko-Komunialismus“ bzw. einem neuen „Nachhaltigkeitsparagima“. Die Details bitte ich aus Platzgründen im Bericht selbst nachzulesen. Er steht im Internet als deutsche Fassung zur Verfügung.
Wir sind seit der Veröffentlichung bis heute 22 Jahre in der Entwicklung fortgeschritten und es fällt mir schwer, hier hinsichtlich einer „großen Transformation“ irgendwelche relevanten Fortschritte erkennen zu können. Angesichts der veränderten geopolitischen Lage, der Entwicklungen in China und Indien, dem Verhältnis von Putin und der EU, des Zustands der EU selbst, den gesellschaftlich gespaltenen Vereinigten Staaten von Amerika u.a.m. fällt es mir schwer, die in der Studie unterstellte Monopolarität (die „planetarische Perspektive“) in irgendeiner Weise entdecken zu können. Keiner der angesprochenen „Global Player“ hat eine planetarische Perspektive. Unsere politischen Strukturen sind auf nationales Agieren ausgerichtet. Jeder ist sich selbst der Nächste.
Der Gedanke der Globalisierung wurde m.E. inzwischen aufgegeben, weil Globalisierung nur dann einen Wert hat, wenn man Krieg als Mittel der Politik weitgehend ausschließen kann. Die Lieferkettenprobleme, die wir in letzten Jahren beobachten können, lassen Zweifel an der ökonomischen Sinnhaftigkeit der Globalisierung aufkommen. Deshalb will ich den Gedanken einer „großen Transformation“ in diesem Zusammenhang nicht weiter vertiefen.
Interessanter erscheinen mir die Beträge im Rahmen der „konventionellen Welten“ und die Überlegungen, unter welchen Bedingungen „Barbarei und Verfall“ drohen könnten. Die Strategie der Konvention, das „weiter so, es wird schon gutgehen“ bezieht sich im Schwerpunkt auf die Erwartung, dass der „Markt“ es schon richten wird. Raskin et. al. schreiben hierzu im Jahr 2002:
„Die Weltsicht der Marktkräfte umfasst eine ehrgeizige Vision und spielt gleichzeitig eine Art Kosmolotterie. Die Vision sieht die Entstehung eines weltweiten freien Marktes, der unbehindert von Zöllen und anderen Handelsschranken funktioniert, von supranationalen Institutionen kontrolliert wird und das westliche Modell zum verbindlichen Entwicklungsziel erklärt. (…)
Es stimmt wohl, dass sich einige Umweltzerstörungen durch die „unsichtbare Hand“ des Marktes korrigieren lassen: ökologische Knappheit spiegelt sich in höheren Preisen und drückt auf die Nachfrage, sie begründet die Investitionen für neue Techniken oder ermöglicht die Substitution von Rohstoffen. Deswegen betont die Umweltökonomie die Bedeutung der „Internalisierung der externen Kosten“, d.h., dass die Folgekosten in den Preis eines Produktes eingerechnet würden. Müsste der Verbraucher anteilig die Umweltschäden durch Produktion oder Beseitigung des gekauften Artikels mitbezahlen, sähe seine Entscheidung an der Kasse wohl anders aus. Kann dieser immanente Reparaturmechanismus schnell genug und in genügend großem Ausmaß Abhilfe schaffen? Das ist eine Glaubensfrage, und wer sie mit Ja beantwortet, kann seinen Optimismus weder wissenschaftlich noch historisch belegen.2“
Inzwischen haben wir bessere Erkenntnisse zu den Auswirkungen des Klimawandels einerseits und erfahren andererseits, welche gigantischen Kosten die Schadensfälle weltweit durch den Klimawandel zunehmend auslösen: Einerseits wollen wir vernünftigerweise durch sinnvolle Investitionen die negativen Auswirkungen des Klimawandels so gering als möglich halten oder gar aufheben, andererseits wachsen die Kosten der Schäden, die durch den Klimawandel in Einzelereignissen weltweit ausgelöst werden, immer weiter. Wir bewegen uns also zwischen Scylla und Charybtis und wissen nur, dass beides einen enormen Finanzbedarf auslösen wird. Und die Problematik ist weit davon entfernt, gelöst zu werden.
Der wachsende Finanzmittelbedarf, der im Falle der Schadensbehebung notwendig wird, werden an anderer Stelle unseres Gemeinwesens fehlen. Es ist als führten wir einen (m. E. aussichtslosen) Krieg gegen die Natur: Wir betreiben halbherzige Maßnahmen im Rahmen der Bekämpfung des Klimawandels und werden zunehmend – an unterschiedlichen Orten – Schadensereignisse feststellen können, die in ihren Auswirkung einem „Krieg“ gleichen. Die Chancen, diesen „Krieg“ im klassischen Sinne irgendwie zu gewinnen oder doch wenigstens einen „Waffenstillstand“ zu vereinbaren, laufen gegen Null: mit der Natur kann man nicht verhandeln.
Aus gegebenem Anlass ist die Problematik der sogenannten Migration unter dem Stichwort Asylpolitik populär. Die Maßnahmen, die ohne nähere Analyse des Problems populistisch auf der Tagesordnung auftauchen, sind viel zu sehr an den Symptomen orientiert und nur sehr begrenzt verursachungsbezogen. Das Problem langfristig lösen zu wollen, übersteigt wahrscheinlich den Horizont unserer Politiker. Sie brauchen (vor der Wahl) eine schnelle und simple Lösung (einen sogenannten schmutzigen Deal). Die Gerechtigkeit wird dabei wahrscheinlich unter die Räder kommen.
Diese Entwicklung haben in einer breiteren Perspektive Raskin et. al. als eine der großen Herausforderungen der Zukunft in ihrer Studie angesprochen. Wir sind auf dem besten Wege unsere Wagenburgen auszubauen und die „Zugbrücken“ hochzuziehen, in der Hoffnung, dass wir dadurch den globalen Migrationsdruck für unser Land abwehren können. Die Maßnahmen sind – so scheint es mir – von der späten Erkenntnis geführt, dass wir die in der EU offenen Grenzen administrativ nicht in den Griff bekommen.
Sei es, dass wir hinsichtlich der „Asylfrage“ nicht belastbar wissen wer, wann und wo welchen Rechtsstatus hat oder wo die Grundlagen einfach fehlen. Die einfache Vorstellung, die sich hinter dem Begriff „Abschieben“ verbirgt, vernachlässigt, dass die Fehler der Vergangenheit nicht dadurch geheilt werden können, das man bemüht ist, sie außer Landes zu bringen. Es sind Menschen, die bei uns keine Aufenthaltsrecht haben, aber wo haben sie denn dann ein „Aufenthaltsrecht“? Abschieben – schön und gut – aber wohin? Wer will denn Menschen bei sich aufnehmen, die wir offensichtlich aus vielerlei Gründen nicht haben wollen? Das ist eine humanitäre Frage, die wir dadurch geschaffen haben, dass wir sie vor Jahren EU-weit schlecht organisiert bei uns aufgenommen haben.
Im Jahr 2002, also lange vor der ersten Migrationswelle, beschrieben Raskin et.al. (S. 38f.) ein Narrativ (eine Erzählung) über eine künftige „Welt als Festung“ wie folgt (gekürzt):
(Die) „Nutznießer der wirtschaftlichen Globalisierung waren nur zwei Fünftel der Gesellschaft: Die 20 Prozent der Spitzenverdiener und die 20 Prozent mit dem höchsten Ausbildungsstand. Die Weltwirtschaft gebar eine neureiche Klasse, die sich in ihrer Internationalität gefiel. Aber dem standen Milliarden verzweifelt armer Menschen gegenüber, deren Situation nicht von dem allgemeinen wirtschaftlichen Aufschwung berührt wurde. Es gab nach wie vor internationale Einrichtungen und Hilfsprogramme zur Armutsbekämpfung. Sie setzten auf unternehmerische Initiative und Modernisierung. Da jedoch die meisten Gelder in Sicherheit und Kontrollbehörden flossen, waren die Mittel für soziale Belange ein Tropfen auf den heißen Stein. Die Not der Armen wurde immer dringender, die Kluft zwischen Vermögenden und Mittellosen immer größer. Trotzdem wurde die Entwicklungshilfe immer weiter abgebaut. Die Bereitschaft und die Fähigkeit, von institutioneller Seite zu helfen, war erschöpft. Derweil verschlechterte sich die Lage der Umwelt. Die Mehrfachbelastung – Umweltverschmutzung, Klimaveränderung, die Zerstörung von Ökosystemen – beschleunigte den Niedergang. Streit um die knappen Wasservorräte führte vor allem zwischen Ländern mit gemeinsamen Flüssen zu Konflikten. Luftverschmutzung, kontaminierte Böden, Nahrungsmittelknappheit und Seuchen stürzten das Gesundheitswesen eine tiefe Krise.(…)
In dieser angsterfüllten Atmosphäre vertieften sich alte ethnische, religiöse und nationalistische Spannungen. Die staatliche Einheit vieler Entwicklungsländer zerbrach, die Ordnungskräfte versagten und Kriminelle nutzten das Machtvakuum. Erschütterungen suchten auch die wohlhabenden Nationen heim, weil die Infrastruktur zerfiel und manche technische Einrichtung versagte. Der Motor der Weltwirtschaft stotterte, die internationalen Institutionen waren geschwächt, während die mit der Klimaveränderung einhergehenden Unwetter katastrophale Ausmaße annahmen. Die reiche Minderheit fürchtete, in den Strudel von Immigration, Gewalt und Krankheit gerissen zu werden. Die Krise geriet außer Kontrolle.
Die Kräfte der Weltordnung traten in Aktion. Internationale Verteidigungsbündnisse, Konzerne und die Regierungen der mächtigsten Staaten bildeten eine Rettungsallianz von eigenen Gnaden. Sie polierten die Vereinten Nationen auf, nutzten diese als Plattform und erklärten den planetaren Notstand. Militärische Strafaktionen und drakonische Polizeimaßnahmen sollten die schlimmsten Konfliktherde „ausbrennen“. Mit finanzieller und personeller Unterstützung durch die Allianz konnten die lokalen Machthaber jeden Widerstand unterdrücken und ihr Land dank der internationalen Friedenstruppen ruhig halten.
Am Ende steht eine neue Zweiteilung der Welt. Die einen sprechen von der Welt als Festung, die anderen nennen es planetarische Apartheid.“
Man erinnert sich vielleicht an die hehren humanitären und demokratischen Werte wie Menschenrechte oder Grundrechte, die wir die letzten siebzig Jahre wie eine Monstranz vor uns her getragen haben. Wenn das so endet, wie oben erzählt, ist doch etwas gründlich schief gelaufen.
Am 13.9.2024 ist zu diesem Thema in der SZ eine Karikatur von Kittihawk zu finden: „Da kann die AfD einpacken! Irre Ideen zur Asylpolitik: Jetzt auch bei uns! CDU“. Die Karikatur scheint die gegenwärtige Situation recht gut zu treffen.
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1Vgl. Raskin et al., Great Transition – Umbrüche und Übergänge auf dem Weg zu einer planetarischen Gesellschaft, original: 2002, deutsch: 2003 Institut für sozial-ökologische Forschung (ISOE) GmbH, Hamburg
2Raskin et. Al, 2003, S. 39
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