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Noch eine Perspektive (III)

Die Tatsache, dass wir uns in einem Umbruch von Gesellschaft und Wirtschaft verfangen haben, sollte den meisten Menschen klar geworden sein. Wie wir das Problem lösen sollen oder wollen, ist angesichts der Komplexität der Zusammenhänge unklar.

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Der untauglichste Lösungsweg erscheint mir jener, die Maßnahmen weiter zu verstärken, die uns die Probleme geschaffen haben, in der Erwartung, dass diese Haltung eine Lösungsalternative böte.

Wir können die Gegenwart nicht verändern, aber wir können unsere Perspektiven verändern, wie wir mit dieser Realität umgehen wollen, um neue oder andere Lösungswege zu finden, die wir dann umzusetzen können.

Der thailändische Wirtschaftsfachmann P. A. Payutto hat 1998 auf einem Weltkongress folgende zusammenfassenden Ausführungen gemacht (eigene Übersetzung):

„Im Großen und Ganzen beruhen die Überzeugungen, die die moderne menschliche Zivilisation beherrscht haben, auf drei Wahrnehmungen:

1. Die Auffassung, dass der Mensch von der Natur getrennt ist und (der Mensch) die Natur nach seinen Wünschen kontrollieren, erobern oder manipulieren muss.

2. die Auffassung, dass die Mitmenschen keine „Mitmenschen“ sind; diese Auffassung konzentriert sich auf die Unterschiede zwischen den Menschen und nicht auf ihre Gemeinsamkeiten.

3. Die Auffassung, dass Glück nur durch Überfluss an materiellem Besitz gefunden werden kann.

Die erste Erkenntnis ist eine Haltung gegenüber der Natur, die zweite eine Haltung gegenüber den Mitmenschen und die dritte ein Verständnis über die Zielsetzung des Lebens1.“

Deutlich geht daraus hervor, dass die Probleme nach seiner Ansicht nicht aus der „ökonomischen Technik“ stammen, sondern sich ihre Herkunft aus Werten ableiten, die wir gemeinhin in der Ökonomie als nicht existent betrachten, weil in den Augen vieler Ökonomen die „Technik“ wertfrei sei. Das stimmt leider nicht.

Wir bewegen uns auf der Ebene der Motive, die unser Handeln bestimmen und über die wir uns regelmäßig keine Gedanken mehr machen. Wir handeln i.d.R. aus der Gewohnheit heraus. Wenn wir aber aus einer als Sackgasse erkannten Situation herauskommen wollen, müssen wir gerade diese Gewohnheiten hinterfragen. Wir müssen die (kognitiven) Motive unseres Handelns in Frage stellen.

Wenn wir in unseren westlichen Breiten bleiben wollen, so hat sich u.a. Christian Kreiß jüngst auf die Suche nach dem ‚Mephisto‘ in der Wirtschaft gemacht2. Er macht sieben ‚Axiome‘ in den Wirtschaftswissenschaften3 aus, die deutlich machen, wie stark ethische Gesichtspunkte durch die Ökonomie berührt werden. Da er die aktuellen ethischen Verhaltensweisen in der Wirtschaft eher negativ sieht, spricht er vom Mephisto-Prinzip. Dabei ist Mephisto die Verkörperung einer Idee des „Bösen“. „ Deshalb ist der allererste und wichtigste Ansatz von Mephisto, die Theorien, das Denken auf eine unheilvolle Bahn zu lenken. Angewendet auf unser Wirtschaftsleben heißt das, es müssen möglichst falsche und schädliche Grundannahmen oder Axiome eingeführt werden, die aber auf den ersten Blick plausibel, gut und vernünftig erscheinen.“4

J. W. Goethe legt dem Mephisto einen Satz in den Mund, der die Haltung des Mephisto beschreibt: „Ich bin ein Teil von jener Kraft, die stets das Böse will und stets das Gute schafft.“ Er macht diese oft zitierte Aussage gegenüber Faust, um sein Handeln auf den Punkt zu bringen, aber ohne sich der Mühe zu unterziehen, diesen Widerspruch zu begründen. Wie schafft man das „Wunder“, das „Böse“ zu betreiben und das „Gute“ zu schaffen?. An anderer Stelle wird Mephisto deutlicher: „So ist denn alles, was ihr Sünde, Zerstörung, kurz das Böse nennt, mein eigentliches Element.“

Nun fragt man sich, was diese „alten“, aber grandios formulierten Sprüche der Literatur mit der modernen Ökonomie zu tun haben könnten? Adam Smith, der Vater der modernen Ökonomie, gibt dafür ein nahezu einmaliges Beispiel: Er beschreibt die „unsichtbare Hand“ der Ökonomie in der Weise, dass die Marktteilnehmer alle hochgradig egoistisch handeln sollen, um dadurch – so Smith – zum Wohle aller (nicht nur der Marktteilnehmer) zu wirken. Wie das konkret geschehen soll, bleibt das Geheimnis des Adam Smith. Ich hoffe, der Leser kann die Parallelität zu Mephistos Aussagen erkennen.5 Hier geschehen säkulare „Wunder“, die wir nur glauben dürfen, aber bitte nicht hinterfragen. Und das besondere bei diesen säkularen Wundern ist, dass sie das möglicherweise schlechte Gewissen des Ökonomen bei ihrer wenig gesellschaftsfähigen Werthaltung massiv entlasten: Je mehr Egoismus zur Anwendung kommt, desto mehr Gemeinwohl entsteht! Toll – das ist wie die wundersame Brotvermehrung, allein mir fehlt der Glaube!!

Kreiß führt weiter aus6: Mephisto erreicht „seine Ziele am besten, wenn er unehrlich, lügnerisch vorgeht, wenn zunächst einmal die Begriffe verwirrt werden, um uns Menschen den Kompass zu nehmen. (…) Wie wir heute denken, so wird in einer oder mehreren Generationen die Welt aussehen.“

Ich darf in Erinnerung bringen, dass die Mehrzahl der Verhaltensweisen, die wir heute im Rahmen der Ökonomie anwenden, schon zu Zeiten der alten Griechen als nicht gesellschaftsfähig verpönt waren. Die christliche Kirche hat während ihrer unumschränkten Herrschaft im Mittelalter diese verpönten Verhaltensweisen im Rahmen der sieben Todsünden7 als Verhaltensschranken aufgegriffen, indem diese „Sünden“ angeblich den Weg zum ewigen Heil als Ziel der Religion versperrten. Und dann setzt sich die Idee der Aufklärung mit der Folge durch, dass die Macht der Kirche berechtigt in Frage gestellt wird, aber die führenden Köpfe der damaligen Zeit übersahen, für das tägliche Leben, den Verhaltenskodex der Kirche durch vergleichbare, aber säkulare Regeln zu ersetzen. Dieses Vakuum schuf möglicherweise Platz für die ökonomische Sichtweise. Das Verhalten wurde Schritt für Schritt egoistisch am persönlichen Nutzen orientiert, weil der religiöse Druck der Vergangenheit sich auflöste und sich keine vergleichbaren säkularen Normen durchsetzen ließen.

Ein Großteil der Bevölkerung folgte jedoch unverändert den „alten“ (religiös motivierten) Verhaltensregeln. Wir können diese Entwicklung daran erkennen, dass z.B. der Begriff des „ehrbaren Kaufmanns8“ erst in den Nachkriegsjahren zum ersten Weltkrieg aus der „Mode“ kam. Der ehrbare Kaufmann verband ein Nützlichkeitsdenken mit dem, was man damals noch mit Thymos (Stolz, Ehre) verband.

Wir, die westlichen Vertreter der Menschheit, vertreten insbesondere auf Konferenzen hohe ethische Ziele und müssen leider oft feststellen, dass unser tägliches Handeln nicht durch diesen hohen ethischen Anspruch geprägt ist; in der Praxis lassen wir uns gewissermaßen durch deutlich banalere Prinzipien leiten, die im Wesentlichen einem reduzierten Utilitarismus des ökonomischen Systems entnommen sind. Kreiß macht zu den identifizierten Axiomen detaillierte Ausführungen9, die ich hier aus Platzgründen nicht wiederholen kann. Sie erscheinen mir umfassend und beachtenswert.

Wir betrachten die Ökonomie regelmäßig aus einer „technischen“ Perspektive, vergleichen die Ökonomie mit einer komplexen Maschine, die wir für unsere Zwecke verwenden. Ob der Nutzen und seine Folgen ethisch vertretbar sind, wird nur in ganz krassen Fällen als ein Einwand akzeptiert. Es ist einfacher, ein Projekt wegen mangelnder „Nützlichkeit“ in Frage zustellen denn aus ethischen Erwägungen.

Man kann zu dem Schluss kommen, dass das Individuum als solches in dem Getriebe der Ökonomie-‚Maschine‘ nur eine dienende Rolle spielt. Statt des komplizierten menschlichen Handelns wurden in der ‚Maschine‘ Rollen oder Stereotypen definiert, deren Handlungsweisen weitgehend vorstrukturiert und auf die Mehrung von Geld im Rahmen kurzfristige Rentabilität programmiert sind. Das ganze System oder die Institution der Ökonomie laufen über dieses stellvertretende Rollen- und/oder Stereotypenverständnis. Die an dem System beteiligten Menschen übernehmen temporär die fixierten Rollen und geben dem System eine menschliche Erscheinung, ohne aber wirklich menschliches Verhalten oder humane Werte zur Geltung bringen zu können. Wer sich dem Rollenverständnis verweigert, hat ein massives Problem.

Die Rollen sind viel zu dominant auf das alleinige Nutzenkalkül fixiert. Und Abweichungen werden sanktioniert. Und nur wenige Menschen haben das Glück, in dem System eine Rolle zu finden, die sie aus innerer Überzeugung und mit einem Gefühl der Zufriedenheit ausfüllen können. Deshalb verstehen wir Arbeit in unserem System primär auch als eine Last, die durch ein Einkommen kompensiert werden muss.

Wir glauben immer noch, dass Technik wertfrei sei. Sie treibt uns in Abhängigkeiten, die wir auf den ersten Blick gar nicht wahrnehmen. Da uns die Technik u.a. auch ein angenehmes Leben verspricht, kommt zum intellektuellen Anspruch auch noch die Bequemlichkeit. Ist die intellektuellen Verarbeitung schon schwierig, wird sie durch die Bequemlichkeit zusätzlich belastet. Günter Anders hat diese Technikkritik ausgearbeitet und Ivan Illich hat deutlich gemacht, wie ideologielastig Technik sein kann und wie schwer es ist, diese Abhängigkeit zu erkennen und auch zu durchbrechen. (vgl. mein Beitrag vom 31.8.2023: Noch ein Aspekt eines Perspektivwechsels)
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1Payutto, P. A., Buddhist Solutions for the twenty-first century, Bangkok, 1998, p. 66

2Kreiß, Christian, Das Mephisto-Prinzip in der Wirtschaft, Hamburg 2019

3Unversättlichkeit, Zinseszins, Eigentum, Gewinnmaximierung, homo oeconomicus, Konkurrenz, das Märchen von der unsichtbare Hand (vgl. Kreiß, aa.O., 2019, S. 13ff.)

4Kreiß, Ch. , a.a.O., S. 13

5Als Adam Smith (1723-1790) sein Werk schrieb, war Goethe vermutlich zehn Jahre alt.

6Kreiß, Ch., S. 13

7Zu Erinnerung: Überheblichkeit, Habgier, Ausschweifung, Zorn, Maßlosigkeit, Neid, Nachlässigkeit.

8Noch in den 1920er Jahren gab es noch ein dickes Handbuch mit dem Titel: Der ehrbare Kaufmann.

9Kreiß, Ch. a.a.O, S. 14 ff und S. 38 ff.

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