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Strategie – Alle Eier in einen Korb?

Volker Wissing (FDP), gegenwärtiger Verkehrsminister hat eine merkwürdige Art, sich ins Rampenlicht zu heben. Es wurde so nebenbei behauptet, es gäbe ein Gutachten, dass davon ausgehe, dass der Lastkraftverkehr bis 2050 um nochmals 50%(?) zunehmen würde und man deshalb unbedingt und sofort mit dem Ausbau von Autobahnen zu beginnen habe, um dieser (doch absehbaren) Steigerung gerecht werden zu können.

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Mit der Konsequenz, dass man deshalb den Güterverkehr auf der Schiene nicht im geplanten Umfang fördern könne. Mit anderen Worten, wir legen weiterhin „alle Eier in einen Korb“, obwohl wir schmerzhaft feststellen mussten, dass diese Strategie uns in eine verteufelt einseitige Abhängigkeit nicht nur auf dem Energiesektor führte.

Im Internet ist das besagte Gutachten, auf die sich die Meldung aus dem Dunstkreis des Verkehrsministerium stützt, nicht zu finden. Ich will nicht ausschießen, dass ich mich zu ungeschickt anstelle, aber eine so wichtige Grundlage – so würde ich meinen – müsste auf den Seiten des Bundesverkehrsministerium prominent zu finden sein. Daraus kann man nur schließen, dass ein Gutachten in der Form und von der Bedeutung her gar nicht existiert. Das macht die Sache nicht einfacher, weil in ordentlichen Gutachten meist Zahlenmaterial präsentiert wird, das die Aussage des Gutachtens stützen soll. Man hätte auf diese Weise eine gemeinsame Ausgangsbasis und einen hinreichend gesicherten und ggfs. überprüfbaren Angriffspunkt.

So ist man auf Annahmen und Plausibilitätsüberlegungen angewiesen, die mehr Interpretationsspielraum lassen als für die sachliche Beurteilung gut ist. In Deutschland sind lt. Statista.com 3,64 Mio. Lkw (Stand Jan. 2023) zugelassen. Die Zahl enthält nur die inländisch registrierten Lkw, die Lkw der ausländischen Spediteure sind darin nicht erfasst. Wenn also bis zum Jahr 2050 lt. Gutachten ein 50%iger Zuwachs im Lkw-Verkehr erwartet wird, dann werden das rd. 1,8 Mio. zusätzliche inländische Fahrzeuge sein. Und jeder dieser Lkw braucht mindestens einen Fahrzeuglenker. Wo sollen die Fahrzeuglenker herkommen? Wir haben heute und hier personell einen virulenten Mangel an kompetentem Personal und greifen dabei auf Fahrer aus den umliegenden EU- und Nicht EU-Ländern zurück. Wenn wir aber 50% in der Lkw-Fahrzeugdichte zulegen, dann müssten wir unterstellen, dass der Zuwachs auf Deutschland beschränkt bleibt und unsere Nachbarn keinen Zuwachs erwarten dürfen. Das ist völlig unrealistisch!

Gehen wir davon aus, dass ein Lkw einschließlich Anhänger lt. Straßenverkehrsordnung maximal 25 m lang sein darf. Die neu in Verkehr kommenden 1,8 Mio. Lkw repräsentieren aneinandergereiht eine maximale Schlange von 45 Mio. Metern (1,8 Mio. x 25 m). Das sind 45.000 km. Der Erdumfang liegt bei etwa 40.000 km – um einen einfachen Größenvergleich mit diesen Zahlen herzustellen.

Wenn diese Lkw auf unseren Autobahnen fahren, sollten sie einen Mindestabstand zum Vordermann von 50 m einhalten, d.h. der zusätzlich rollende Verkehr verbraucht pro Lkw mind. 75 laufende Meter, um überhaupt wirksam werden zu können und zusätzlich Parkflächen von mind. 25 x 2,5 m (= 62,5 m²). Lkw-Fahrer müssen rechtzeitig Parkflächen ansteuern, um den gesetzlichen Lenkzeiten gerecht zu werden. Hier gibt es heute schon ein im Grunde unzumutbares Gedränge.

Wenn wir tatsächlich 1,8 Mio. zusätzliche Lkw auf unseren Autobahnen fahren lassen, und wir wollen dabei keine schlechtere Staubilanz als die gegenwärtige erreichen, dann müssten wir 6.500 km1 neue Autobahnen in Deutschland bauen, nur um das heute bestehende Chaos aufrecht zu erhalten. Eine Besserung können wir erst im Rahmen eines darüber hinausgehenden Ausbau erwarten.

Mit anderen Worten: Wenn wir die in der Meldung dargelegte Menge an Lastkraftfahrzeugen wirklich realisieren würden, dann dürfen wir in den nächsten Jahrzehnten nur noch Autobahnen bauen und nichts anderes. Und dafür bestehen keine ausreichenden Produktionskapazitäten i.w.S., weil unsere Infrastruktur durch jahrelange Schlamperei einen unzumutbaren Zustand erreicht hat. Vom notwendigen Finanzbedarf für diese Infrastrukturmaßnahme ganz zu schweigen. Das heute bestehende Autobahnnetz ist ein Ergebnis von ca. 70 Jahren sukzessiver Bautätigkeit bei minimalem Erhaltungsaufwand.

Das Bedauerliche an diesen skizzenhaften Zahlen ist, dass diese paar simplen „Bierdeckelrech-nungen“ scheinbar kein Politiker als Beteiligter an der gemeinsamen Entscheidung aufmacht, um Fragen zu stellen. Es ist ja nicht mehr als der schlichte Versuch, die einseitige Perspektive über den Ausbau der Autobahn grob auf ihre Plausibilität und Machbarkeit hin zu überprüfen, um ein „Gefühl“ dafür zu entwickeln, ob das angestrebte Ziel mit den vorhandenen Mitteln überhaupt erreichbar ist. Oder ob da Traumtänzer am Werk sind, die etwas anderes verdecken wollen.

Mein Eindruck ist, dass die Basisaussage, dass bis zum Jahr 2050 mit einem Zuwachs von 50% Lkw-Verkehr gerechnet werden kann, einen absoluten „Bullshit“2 oder Unsinn darstellt. Basis dieser Zahlen ist wahrscheinlich eine eindimensionale, „lineare“ Trendentwicklung ohne sich im geringsten mit den Randbedingungen (Altersstruktur, Bevölkerungswachstum, Arbeitsmarkt, Klimakrise, Bestrebungen zur CO2-Neutralität bis 2045, vorhandener Produktionskapazitäten u.v.m.) zu befassen.

Bevor wir hier zu alternativen Gesichtspunkten kommen können, müssen wir uns anhand einer anderen groben „Bierdeckelbetrachtung“ mit der damit verbundenen zusätzlichen Kapazität des Transportsystems befassen. Es gibt lt. DL-Statis gegenwärtig 3,64 Mio. inländischer Lkw, die nach einer anderen Statistik 3.1 Mrd. Tonnen (t) pro Jahr transportieren. Mit anderen Worten: ein Lkw transportiert im Durchschnitt etwa 851,6 t / Jahr. Ein 50%iger Zuwachs des Transportvolumens bis 2050 löst (cum grano salis) 1,5 Mrd. Tonnen zusätzliches Transportvolumen aus (1,8 Mio. Lkw x 851,6 t Frachtvolumen).

Wo sollen denn diese Lkw fahren bzw. wer fährt diese Lkw? Oder sollten wir besser fragen, wo stehen diese Lkw im Stau, auf welchen Parkplätzen können die Fahrer dieser Lkw-Flotte denn ihre Lenkzeiten einhalten? Oder müssen wir davon ausgehen, dass dann alle Lkw selbstfahrend sind? Wo ist die dazu gehörige sichere Technologie oder sind wir Opfer unserer eigenen Traumtänzerei?

Wir haben eine Klimakrise. Wir wollen bis 2045 klimaneutral sein. Wir wollen unseren CO2– Ausstoß stark reduzieren? Ist das alles Makulatur oder habe ich da etwas falsch verstanden?

Wie sieht denn gegenwärtig das Gesamtbild aus:

  • 3,1 Mrd. Tonnen Güterverkehr inländischer Lkw 84,87%
  • 357,6 Mio. Tonnen Güterverkehr auf der Schiene (Eisenbahn) 9,79%
  • 195,1 Mio. Tonnen Güterverkehr mit der Binnenschifffahrt 5,34%

Um bei der Bierdeckelbetrachtung zu bleiben: Wir haben in der Vergangenheit die meisten „Eier“ in den Korb der privaten Speditionswirtschaft gelegt. Das gilt seit der Aufbauzeit nach dem II. Weltkrieg. Insbesondere in den letzten 40 Jahren wurde dann versucht, die Bahn so zu verschlanken, weil sie an die Börse gebracht werden sollte. Dabei meinte man, der Personenfernverkehr (ICE) sei der Heilsbringer. Der Güterverkehr galt als lästiges Anhängsel, der mit uraltem Material aus der Vor – und Nachkriegszeit seinen Aufgaben nachkommen sollte. Der Gütertransport auf der Schiene wurde systematisch und m.E. vorsätzlich zerstört. Er hat an der Entwicklung des Transportgewerbes keinen Anteil gehabt.

Wir müssen hierbei in Netzen denken. Die unbestrittene Stärke des Lastkraftwagens liegt in der Bedienung der Fläche. Die Stärke des Schiene wäre bei Anwendung der richtigen Technologie die großen Entfernungen zwischen den Knoten (Hauptumschlagsplätzen (HUP)). Eine Hybrid-Lösung war/ist der Huckpackverkehr (Lkw auf die Schiene). Aber im Vergleich zum Lkw-Verkehr ist der Beitrag vorerst vernachlässigbar. Dazu sind Investitionen der Bahn von Nöten, die den gegenwärtigen Rahmen vermutlich weit übersteigen.

Verkehrsminister Wissing will nun nicht dazu beitragen, dass die Schiene erfolgreich aufholen kann, damit wir dem privaten Transportgewerbe einen Wettbewerber und potenten Marktteilnehmer gegenüberstellen, der bei guter Ausstattung dem privaten Lkw-Gewerbe neue Wege zeigen kann, wie der viel zu hohe CO2-Ausstoß reduziert werden kann. Man gewinnt dabei den Eindruck, dass diese Vorstellung Herrn Wissing gar nicht tangiert. Er folgt weiter der falschen Strategie und legt „alle Eier in einen Korb“.

Möglicherweise müsste die Bahn natürlich dynamisiert und auch reorganisiert werden und das kostet Geld und stellt für jeden Verkehrsminister ein nicht zu unterschätzendes Risiko dar (siehe Stuttgart 21). Herr Wissing sollte sich aber darüber im Klaren sein, dass seine drei oder vier Vorgänger eine so magere Bilanz ihrer Arbeit vorgelegt haben, dass sein Risiko, dahinter zurückzufallen, relativ gering ist.

Wenn wir weiterhin mit einen Fachkräftemangel kämpfen, so erscheint es nicht sinnvoll, mit einem Mann besetzte Lkw über die Lande zu schicken, wenn ein Güterzug mit einem Lokführer bestückt die Ladung von geschätzt 40 – 50 Lkw (und mehr) aufnehmen kann. Das Verhältnis 1:50 wäre doch zumindest auf den langen Strecken in Zeiten extrem knappen Personals ein interessantes Argument. Die CO2-Bilanz ist verglichen mit dem Lkw um mehrere Zehnerpotenzen besser. Aber nein, Herr Wissing ist vermutlich ein Gefangener der Autolobby und traut sich nicht, einen Befreiungsschlag zu wagen.

1Deutschland verfügt über 13.192 km Autobahn (2021) und über einen Lkw-Bestand von 3,64 Mio. Fahrzeuge(2023). Pro Autobahnkilometer ergeben sich 275,9 Lkw. 1.8 Mio. zusätzliche Fahrzeuge verlangen dann bei gleichen Randbedingungen 6.524 neue Autobahnkilometer (oder einfacher gerechnet: 50% mehr).

2 Der Philosoph Harry Frankfurt hat „Bullshit“ definiert als die Fähigkeit, zu überzeugen, ohne sich um die Wahrheit zu scheren“ (Sayash Kapoor in der SZ v. 21.3.2023)

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