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Gesundheitssystem – mal anders?

Als schlichter Nutzer des bestehenden Krankenkassensystems hatte ich mich entschieden, eine „Reparatur“ meines „grauen Stars“ vornehmen zu lassen. Es ist alles zur Zufriedenheit gelaufen, aber wenn man als Patient und interessierter Laie ein passiver Teil des Gesundheitssystem wird, beobachtet man die Vorgänge mit anderen Augen und beginnt man sich zu fragen, wo klemmt es hier eigentlich?

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Als „Kunde“ (wie manche gerne betonen) oder als Patient (was mir lieber ist) fällt mir auf, dass unser Gesundheitssystem einem riesigen Reparaturbetrieb gleicht. Immer dann, wenn die „Körpermaschine“ auf die eine oder andere Weise „stottert“, bringt man den Körper zum „Onkel“ Doktor in der Erwartung, dass er ihn wieder herzurichten kann. Und das tut der „Onkel“ im Rahmen seines Werkzeugkastens in der Regel auch ohne zu hinterfragen, was denn das „Ich“ (der so verstandene Fahrer des „Körpers“) zur Vermeidung des Problems hätte beitragen können oder müssen.

Der Vergleich mit einer Autoreparaturwerkstätte wurde bewusst gewählt. Konkret verstehen die meisten Patienten die notwendig werdende „Reparatur“ als einen bedauerlichen Unfall – zu wenig Öl, Motor heiß gelaufen, überdreht, oder einfach einen „Platten“. Die notwendige Reparatur wird oft nicht als Folge oder Konsequenz langjähriger „schlechter“ Gewohnheiten erkannt. Diese Vorstellung erklärt sicher nicht alle Reparaturmaßnahmen, aber nach meiner Einschätzung sind ‚schlechte‘ Gewohnheiten mindestens zur Hälfte (wenn nicht mehr) die Ursachen für viele der gesundheitlich anstehenden „Reparaturen“.

Wir können feststellen, dass der Reparaturbetrieb insbesondere in Notfällen recht gut funktioniert. In all den Fragen, die rund um die Krankheitsbilder der sogenannten Zivilisationskrankheiten (meist chronischer Natur) angesiedelt sind, lässt die Effizienz des Gesundheitssystems aber deutlich nach. Die Erwartung vieler Patienten liegt m. E. darin, eine Pille zu erhalten, die es ihnen ermöglicht, weitgehend beschwerdefrei zu sein und dabei genauso weitermachen zu können wie zuvor.

Diese Erwartung ist ein ideales Geschäftsmodell für die Pharmaindustrie – sie tut und schafft auf allen Kanälen, dass sie diese Erwartung auch scheinbar weitgehend erfüllen kann. Natürlich kostet der Versuch, diese Erwartungen zu erfüllen, richtig Geld, das unser Sicherungssystem finanziell zunehmend überfordert und deutlich Grenzen aufzeigt.

Das Fernsehen und andere Medien haben uns über die letzten Jahre erfolgreich mit dem Idealbild einer ärztlichen Praxis vertraut gemacht, die nicht mehr die schnelle Reparatur mit einer passenden Pille im Auge hat, sondern den Schwerpunkt der ärztlichen Maßnahmen auf die ausdrückliche Mitwirkung des Patienten legt. Die Krux dieser Fernsehreihe liegt m.E. darin, dass der Kassenpatient noch nie eine Arztpraxis gesehen hat, in der er so ausführlich und gründlich diagnostiziert wurde, in der er unter Führung des Arztes gemeinsam eine sinnvolle und nachhaltige Strategie für den „Weg aus dem Tal der Tränen“ besprochen wird und bei dem den Patienten klar gemacht wurde, welcher unverzichtbare Beitrag an Lebensstilveränderungen von ihm erwartet werden müssen, damit es nachhaltig besser wird.

Die anhaltenden Beschwerden sind insbesondere bei den Zivilisationskrankheiten nicht ein Unfall oder schicksalhafter Zufall, sondern haben vielfach ihren Grund im langjährigen, der Gesundheit abträglichen Verhalten der Patienten. Dieser Ansatz ist schwer zu vermitteln. Da liegt die herkömmliche „Reparaturmedizin“ eher im Mainstream der Bequemlichkeit.

Diese Sendungen präsentieren natürlich mehrheitlich Erfolge. Man muss davon ausgehen, dass es auch eine ganze Reihe von Abbrechern gibt, die es nicht schaffen, konsequent die besprochene Strategie bei sich in ihrem Lebensalltag durchzusetzen. Wir haben uns im sogenannten Gesundheits-Mainstream sehr stark auf „Bequemlichkeit“ eingerichtet.

Die Patienten in dieser besagten Sendungen sind jedoch nach einer oft langen „Odyssee“ durch die Krankenhäuser und Arztpraxen so genervt, dass sie mehrheitlich bereit sind, ihre Komfortzone freiwillig zu verlassen und die Verhaltensänderungen konkret anzugehen.

Als laienhafter Beobachter der medizinischen Szene könnte man feststellen, dass sich neben dem von mir als „Reparaturmedizin“ erfassten Ansatz eine neuere Medizin-Sicht schrittweise durchsetzt, die den erkrankten Menschen und seine Lebensumstände stärker in die Pflicht nimmt. Es wird zum Erfolg einer Therapie bewusst die aktive Mitarbeit des Patienten eingefordert und das Verständnis des Patienten für die notwendigen Maßnahmen zur Voraussetzung gemacht. Der Patient wird nicht mehr „dumm“ gehalten, sondern wird aufgefordert, sich durch Verhaltens- und Lebensstiländerungen einzubringen und mitzudenken.

Ist das realistisch? Unser Gesundheitssystem ist finanziell am Limit. Die Politik sucht (wie immer) nach rein ‚technischen‘ Auswegen. Das erscheint mir wenig erfolgversprechend, weil weder die Ärzteschaft, noch die Pharmaindustrie, noch die Patienten bereit sein werden, aus ihrem Bestand heraus sinnvolle Zugeständnisse zu machen. Technisch wäre es z. B. sinnvoll, alle Bürger in eine einheitliche Form der allgemeinen Krankenversicherung aufzunehmen. Zusatzversicherungen können dann privat vereinbart werden. Die Pensionäre (Beamten) gelten oft als Problem, weil sie heute (vor allem im Alter) für hohe Prämien privat versichert sind. Wenn sie in das allgemeine Versicherungssystem aufgenommen werden, würden sie Geld sparen, aber das Privileg des Privatpatienten u. U. verlieren. Wenn ihnen das wichtig ist, so können sie jederzeit privat eine Zusatzversicherung abschließen.

Hat man gegenwärtig mindestens vier Gruppen von Beteiligten (Systembürokratie, Ärzteschaft einschließlich Krankenhäuser, Pharmaindustrie, Patienten), so wird die Einführung einer allgemeinen Versicherung auch noch die private Versicherungswirtschaft auf den Plan rufen.

Es muss gelingen, dem Patienten ein attraktives Angebot hinsichtlich seiner Versorgung zu machen, in dem man nicht „weiter so“, sondern das sich abzeichnende veränderte Modell der ärztlichen Betreuung unter Einbeziehung der aktiven Mitarbeit des Patienten zugrunde legt. Es könnte über einen entsprechenden längeren Zeitraum dazu führen, dass Teile der „Reparaturmedizin“ deutlich entlastet werden und der gesundheitliche Gesichtspunkt aus eigener Initiative dazu führt, dass die Bürger im Schnitt gesünder sind und bleiben würden. Der Arzt verwaltet nicht primär die Krankheiten, sondern wendet sich der Gesunderhaltung des Patienten zu. Das müssen die Patienten und der ‚Herr Doktor‘ aber erst noch lernen.

Die Entlastung des „Reparaturbetriebs“ ist dringend geboten. Bis 2040 fehlen ca. 40.000 Ärzte lt. eines Beitrags der ARD. Der Mangel wirkt sich insbesondere im Segment der Hausarztpraxen dramatisch aus.

Da etwa 90% der ärztlichen Fortbildung in den Händen der Pharmaindustrie liegt, haben wir gleich mit zwei Widerständen zu kämpfen: die alternde Kohorte der Hausärzte, die sich auf ihre tägliche Praxis berufen und kaum bereit sein werden, hier einen neuen Weg einzuschlagen. Zudem wird sich die Pharmaindustrie mit ihren Lobby-Apparat heftig wehren. Der neue Ansatz könnte dazu führen, dass die Bevölkerung durch verstärkte Eigeninitiative Schritt für Schritt auf ein besseres Gesundheitsniveau gehoben wird, was sich natürlich auf den Pharma-Umsatz u.U. negativ auswirken kann.

Die Haus-, Fach- und Krankenhausärzte, die diesen alternativen Ansatz heute vertreten, sind leider nicht in der Mehrzahl. Die Begeisterung der etablierten Ärzte hält sich in Grenzen, weil das Bezahlsystem der Kassen die falschen Anreize setzt. Das Patientengespräch (die Patienten-Aufklärung) müsste in den Mittelpunkt gerückt werden, dafür gibt es nach meinen Informationen pro Quartal nur einen geringen Abrechnungsbetrag, der bei den Ärzten kein Interesse dafür auslösen wird.

Nun kommt noch ein sechster Beteiligter ins Spiel: die Nahrungsmittelindustrie. Sie sorgt mit dafür, dass das Reparatursystem durch völlig übersüsste bzw. stark salzhaltige Produkte nicht leer läuft. England hat deshalb erfolgreich eine Zuckersteuer eingeführt. Die Industrie ist aber kein Teilnehmer des Gesundheitssystems, sorgt aber trotz allem erfolgreich dafür, dass die Zahl der Reparaturbedürftigen nicht sinkt.

Letztlich bleiben fünf Beteiligte, deren Interessen unmittelbar vom Gesundheitssystem berührt werden. Dabei muss sich die Politik gut überlegen, mit welchem der Beteiligten kann man sich mit welchem Erfolg hinsichtlich einer Änderung anlegen, weil keiner seine Pfründe verlieren will. Und das schwächste Glied in diesem Spiel ist regelmäßig der Patient. Er soll das System finanzieren, damit das System mit einen Kostenfaktor von 4-6% seiner Aufgabe nachgehen kann. Die Privatversicherer sind da deutlich großzügiger und leben i.d.R. von einem Kostenfaktor von 10 – 15%. Da ist noch keine einzige Leistung erbracht, das ist nur Systemverwaltung.

Unter der Ärzteschaft ist auch die Institution der Krankenhäuser erfasst. Die Führung dieser Einrichtungen war ehedem im Wesentlichen eine öffentliche Aufgabe, weil man davon ausging, dass es sich bei Krankenhäusern um Gemeinwohl-Einrichtungen für die Allgemeinheit handele. Heute haben wir Krankenhaus-Konzerne, die an der Börse notieren und deren von der Börse erwarteten Gewinne finanzieren wir aus unserem mühsam zusammengetragenen Versicherungsvermögen. Klar, das ist Kapitalismus, aber ist das sinnvoll? Offensichtlich ist die Honorargestaltung für die Dienstleistungen der Krankenhäuser so kommod, dass hier ‚Pfennigfuchser‘ noch eine börsengängige Ertragsquote erzielen können.

Wer einmal im Ausland Medikamente benötigte, kann feststellen, dass der Preis des Medikaments im Ausland deutlich von dem oft hohen Inlands-Preis abweicht. Das müsste doch auch den Krankenkassen aufgefallen sein. Es ist verständlich, dass in dem geregelten Gesundheitsmarkt die Verhandlungen mit der Pharma-Industrie nicht öffentlich sind, aber der Außenstehende hat nicht den Eindruck, dass hier mit harten Bandagen zum Wohl des Patienten gekämpft wird. Er wird das Ergebnis letztlich über die Höhe der Beiträge bezahlen müssen. Ergänzend muss der Steuerzahler die Differenz tragen.

Aufgrund der wenigen Beispiele wird vielleicht deutlich, dass am solidarischen Zweck des Krankenkassensystems kein Beteiligter wirklich interessiert ist, sondern jede Institution sein Interesse äußert, möglichst viel von dem „anonymisierten Geldspeicher“ für sich gewinnen zu können. Das ist kein Einzelfall. Immer, wenn irgendwo „leicht verdientes“ Geld zusammenkommt – denken wir an FIFA, Formel 1, Olympia u.v.a. – werden Begehrlichkeiten geweckt, die offensichtlich nicht zu beherrschen sind. Und dieses System muss oder sollte jetzt von der Politik zum Besseren verändert werden. Die Politik verfügt aber m.E. über keine erkennbaren Druckmittel, die großen teilweise multinationalen Institutionen an den Verhandlungstisch zu zwingen. Und denken Sie daran, seit Putin und Trump gilt wohl eine neue Weltordnung, die nicht mehr regelbasiert ist, sondern schlichte Machtanwendungen zur Regel macht.

Es hat m.E. wenig Sinn, das „Krankenkassensystem“ grundlegend verändern zu wollen, das sich das ehrenwerte Ziel gesetzt hat, Krankheiten der Patienten zu lindern oder im Idealfall zu heilen. Der revolutionär andere Weg wäre der „Weg der Gesundheit“, den schon die alte chinesische Medizin vorgelebt hat: Der Arzt wurde dafür bezahlt, damit er dem Patienten die Gesundheit erhält. Unser heutiger Vorteil liegt doch darin, dass wir über vielmehr Detailwissen verfügen als die alte Medizin von damals. Damit werden und können wir nicht alle Menschen zur Mitarbeit gewinnen, aber wenn gewisse gesundheitliche Zusammenhänge so evident sind, dass man sich fragt, warum wir als Gesellschaft und „Schicksalsgemeinschaft“ nicht mehr unternehmen, um unseren Lebensstil und Gewohnheiten an den erkannten Erfordernissen der Gesundheit auszurichten?

Immer, wenn man Ärzte fragt, was denn die großen Treiber von Gesundheitsproblemen sind, fallen nahezu immer die gleichen Begriffe: Rauchen und Alkohol, Fettleibigkeit (Blutfette, hoher Blutdruck, Diabetes Typ 2), Bewegungsmangel und oft auch Stress. Solange die Pharmazie so tut als könnte sie für jedes dieser Probleme ein „Pülverchen“ gegen Bezahlung bereit halten und die Ärzteschaft sich dem Trip anpassen, wird sich hier nichts ändern.

Das Ziel muss sein, das Gesundheitsniveau der Bevölkerung zu erhöhen. Eine Gesundheitsniveau auf der Grundlage von Medikamenten zu erhöhen, ist ein Widerspruch in sich. Also müssen die Menschen unterstützt werden, ihre Beschwerden nicht nur durch Pillen zu lindern, sondern durch einen veränderten Lebensstil erst gar keine Beschwerden zu bekommen. Das wird nicht bei jedem klappen, aber wenn eine Mehrheit sich dieser Idee anschließt, wird das allgemeine Gesundheitsniveau der Menschen deutlich robuster werden.

Dann regelt sich die finanzielle Kassenproblematik von ganz allein. Denn gesündere Menschen brauchen in aller Regel weniger Pharmazie und weniger kostspielige Eingriffe. Das Problem wäre nur, die Ärzteschaft dahingehend zu schulen und dann dem Patientengespräch finanziell einen höheren Stellenwert zu vermitteln. Die Schulung sollte natürlich nicht wieder von der Pharma-Industrie übernommen werden. Damit würde man den Bock zum Gärtner machen!

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