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Warum tun wir uns so schwer…?

Wir blicken auf eine rund 75 Jahre umfassende Periode zurück, in der offensichtlich die westliche Wirtschaftsentwicklung, insbesondere in Europa, enorm zugenommen hat. Darin haben wir uns in der Erwartung einer vergleichbaren zukünftigen Entwicklung bequem eingerichtet. Aber schon seit 50 Jahren warnt die Wissenschaft (außerhalb der Ökonomie) vor der einseitigen (man könnte auch sagen: ideologischen) Wahrnehmung des Narrativs dieser Entwicklung.

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Der zunehmende Wohlstand begann in den 1970er Jahren sich von den wirtschaftlichen Erfolgs- und Wachstumsmeldungen abzukoppeln. Das statistisch gemessene Bruttoinlandsprodukt (BiP) nahm weiter zu, während der „Wohlstand“ als ein etwas komplexerer Zusammenhang stagniert bzw. sinkt.

Die Erfolgsseite stellt uns die Ökonomie regelmäßig in den schönsten Farben dar. Über die Schäden, die dieser Erfolg weltweit auslöst und ausgelöst hat, kann die Ökonomie gar nicht berichten, weil ihr dafür die notwendigen Instrumente fehlen. Die Ökonomie behandelt diese schädlichen Sachverhalte pauschal als „externe Effekte“ und kann darüber keine hinreichend konkreten Aussagen treffen. Die Ökonomie hat sich aus der konstruktiven Diskussion um eine tragfähige Lösung leider selbst eliminiert.

Als Folge kommen die Einwände gegen die unveränderte Fortführung unserer Wirtschaftsweise auch eher aus der Physik, der Biologie, der Ökologie und aus den Sozialwissenschaften. Die Herausforderung liegt nun darin, dass die relativ geschlossene (‚enge‘) und bis dato anerkannte Denkstruktur der Ökonomie einer interdisziplinär zusammengesetzten, empirisch basierten Wissensbasis gegenübersteht, das zahllose Einzelaussagen betroffen hat, denen aber ein offizielles und anerkanntes (relativ homogenes) „Weltbild“ fehlt. Die Zusammenhänge müssen m.E. dabei komplexer erfasst werden als jene der Ökonomie und erfordern, weil neu, einen relativ hohen Informationsstand nicht nur in einer Wissensdisziplin, sondern in verschiedenen Wissensbereichen, was oft den Eindruck vermittelt, dass die vielen Wissensinseln in einem „Meer des Nichtwissens“ ohne inneren Zusammenhang schwimmen.

Wir haben in der Schule und an den weiterbildenden Einrichtungen regelmäßig gelernt, dass die ‚Welt‘ in Kästchen verpackt werden kann und dass die Kästchen durchaus auch unabhängig von einander existieren können. Nun hat die Wissenschaft festgestellt, das diese Erwartung nicht erfüllt werden kann – alles hängt irgendwie mit allem zusammen. Damit benötigen wir dringend ein neues umfassendes ökologisches „Weltbild“ oder Narrativ des Geschehens, jenseits der linearen ökonomischen Modelle, auch um die Sorge, Angst und Ablehnung gegenüber den „Neuen Erkenntnissen“ abbauen zu können.

Wir sprechen gerne von Individualismus, wenn wir im Grunde den Egoismus meinen – es klingt einfach verbindlicher. Wenn wir von Nützlichkeit oder vom ökonomischen Nutzen sprechen, so ist i.d.R. der anthropozentrische Aspekt der Sache gemeint, die Sache nutzt in erster Linie dem Akteur und in seltenen Fällen den Menschen seiner unmittelbaren Umgebung. Den Schaden an anderer Stelle übersehen wir in unserer Bequemlichkeit und egoistischen Selbstbezogenheit gerne.

Wenn wir uns von der egoistisch-ökonomischen Perspektive frei machen wollen, so müssen wir den einseitigen Aspekt des Nutzens zu einer Funktion erweitern, die der Erwartung über den persönlichen Nutzen hinaus einen allgemeinen systemischen Sinn gibt. Der anthropozentrische Aspekt muss einem systemischen Zweck weichen, der nicht allein durch ‚meine‘ individuellen Wünsche, sondern durch eine Funktionserfüllung im Rahmen des Systems der Biosphäre bestimmt wird.

Da Nutzen regelmäßig im Rahmen der Ökonomie in Geld ausgedrückt wird, verliert diese Denomination im Rahmen des systemischen Ansatzes seine grundlegende Bedeutung. Funktion (oder auch ‚Sinn‘) lässt sich nur in Ausnahmefällen durch Geld ‚substituieren‘ (ersetzen).

Auf der Suche nach einem Ersatz der Dominanz unseres einseitigen ökonomischen Denkens muss man sich fragen, ob es Ausführungen oder Darstellungen hinsichtlich der gegenwärtigen und zukünftigen Entwicklungsperspektiven gibt, die qualitativ gut aufbereitet sind, die über eine ausreichende ‚prognostische Relevanz‘ verfügen und die auf den üblichen ökonomischen Begriffsapparat weitgehend verzichten und trotzdem relativ treffsichere Aussagen machen können. Die Treffsicherheit der meist kurzfristigen ökonomischen Prognosen lässt regelmäßig viele Wünschen offen; langfristige Prognosen erscheinen aufgrund des eingeschränkt kurzfristigen Perspektive der Ökonomie gar nicht möglich.

Als langfristige und relativ genaue Prognose fällt die Studie über „Die Grenzen des Wachstums“ aus dem Jahr 1972 auf. Die dort getroffenen Feststellungen sind in ihrer Treffsicherheit jeder ökonomischen Prognose um Längen voraus, trotz des ungeheuren langen Zeitraums, den diese Studie abzudecken vorgibt. Es wäre also sinnvoll, sich zu fragen, was diese Studie auszeichnet.

Bei der Suche nach deren Grundlagen stößt man auf Ausführungen von Hartmut Bossel, einem Professor (em.) für Umweltsystemanalyse der Universität Kassel. Er war Mitglied des ‚Club of Rome‘ und hat an der oben genannten Studie offenbar mitgewirkt. Seine Erkenntnisse hat er in einem Buch1 niedergelegt. Ergänzt werden seine Ausführungen durch eine Veröffentlichung „Umweltwissen2“ (zuletzt 2013), in der die faktischen Zusammenhänge in zahllosen Schaubildern und Zahlen eindringlich präsentiert und kommentiert werden.

Worin bestehen die wesentlichen Unterschiede der Vorgehensweise des Club of Rome von derjenigen der herrschenden Ökonomie? Es beginnt schon bei dem Ziel oder dem Zweck, der die Betrachtung auf das Untersuchungsobjekt lenkt. M.E. ist der Zweck unseres gegenwärtigen Wirtschaftssystems (anders als es die Politik oft vorträgt) im Grunde auf eine individuelle Vermögensmehrung (andere sprechen von Kapitalakkumulation) beschränkt. Der eigentliche Sinn (oder die Funktion) des Wirtschaftens, der sich als ‚Versorgung‘ verstehen ließe, ist dabei nur Mittel zum Zweck. Die Versorgungsfunktion ist ein Beiprodukt (auch Kuppelprodukt), um nicht die Vermögensmehrung (als Ausdruck einer schlichten Gier) als ausschließliches Ziel der wirtschaftlichen Aktivitäten nennen zu müssen.

Schaut man sich die Vermögensverteilung an, so wird deutlich, dass dieses Ziel der Vermögensmehrung seit Jahrzehnten etwa die Hälfte unserer Bevölkerung wirklich erreicht. Die andere Hälfte trägt wahrscheinlich nicht weniger zur Wirtschaftsleistung bei, aber die individuelle Vermögensmehrung kommt bei ihnen nicht an.

Mit dem Ziel der individuellen Vermögensmehrung wird auch deutlich, dass Wirtschaften in unserem heute verwendeten Sinne die Biosphäre mit keinem Wort erfasst noch versteht. Die Biosphäre ist ausschließlich Ressource, also Mittel zum Zweck der Vermögensmehrung. Die vornehmlich rücksichtslose Vernutzung der Biosphäre ist vergleichbar mit einem Sägen an dem Ast, auf dem wir sitzen.

Das gegenwärtige Wirtschaftssystem ist nicht nur anthropozentrisch ausgelegt, es wurde, ausgelöst durch das vermeintlich unbegrenzte Wirtschaftswachstum, auch von der Idee getrieben, man könne alles „Schneller, höher und weiter“ machen, wobei der Ressourcenverbrauch völlig aus dem Blick geriet, weil man mit dem Begriff der Substitution und des technologischen Fortschritts glaubte, immer einen Ausweg finden zu können. Das Postulat unbegrenzten Wachstums wäre bei einer Anerkennung begrenzter globaler Ressourcen ein offensichtlicher Widerspruch in sich.

Damit genug des Versuchs, das bestehende Wirtschaftssystem auf sein Ziel hin zu beschreiben. Unser Wirtschaftssystem verfügt über keinen allgemeinen Sinn oder eine Funktion, da selbst die Wohlstandsschaffung aufgrund der Vermögensverteilung und der Wohlstandstatistik mit dem Wirtschaftswachstum nicht mehr korreliert. Deshalb wurde oben festgestellt: Unser Wirtschaftssystem dient ausschließlich der individuellen Vermögensmehrung unter der falschen Annahme grenzenlosen Wachstums und unter wissentlicher Inkaufnahme der Zerstörung unserer künftigen Lebensgrundlagen.

Was wäre die Alternative? Hartmut Bossel hat in seinem Buch „Umweltwissen“ versucht einen Handlungsrahmen zu beschreiben. Der Rahmen wird durch die Biosphäre und ihre Rückkopplungen bestimmt und es besteht die Erwartung, dass der Mensch sich mit seinem wirtschaftlichen Handeln an den Vorgaben und Einschränkungen der Biosphäre auszurichten hat. Das Wirtschaften hat nur in diesem Rahmen seinen nachhaltigen Platz. Dem Biosphären-Ansatz fehlt folglich die ausschließliche Anthropozentrik unseres gegenwärtigen Wirtschaftssystems.

Ausgangspunkt des vorgeschlagenen Ansatzes ist das Handelns in einem Rahmen von „Erhaltung und Entfaltung“ (vgl. Umweltwissen, I3.5, S. 10). „Aus der Grundforderung der nachhaltigen Entfaltungsfähigkeit lassen sich recht präzise die Bewertungskriterien und ihre Gewichtung angeben und abgrenzen (…). Sie sind also nicht beliebig und lassen sich nicht als ‚Ideologie‘ fortschieben. (…) Dagegen zeigt sich bei einer solchen Betrachtung die ganze ideologische Fragwürdigkeit von Kriterien wie ‚Wirtschaftlichkeit‘, ‚Kostenminimierung‘, ‚technische Höchstleistung’, ‚Konkurrenzfähigkeit‘ usw., die nur im gewichteten Zusammenspiel mit anderen Kriterien eine gewisse Existenzberechtigung haben.3“ Durch diese Verschiebung der Prioritäten könnte die Dominanz der Wirtschaftsdenkens aufgehoben oder doch stark relativiert werden.

Die Realisierung eines solchen Handlungsrahmens wird uns Menschen zwangsläufig eine umfassendere Verantwortlichkeit auferlegen. Es kann nicht mehr nur darum gehen, dass wir als Spezies einseitig unser ganz persönliches „Wohl“ ausleben. Wir müssen uns verpflichtet fühlen, wenn nicht die gesamte Biosphäre im Blick zu behalten, so doch die Situation unserer künftigen Generationen lebenswert zu gestalten. „Unsere Handlungen haben beträchtliche Wirkungen auf die ferne Zukunft und die dann existierenden Organismen und Systeme. Da wir bewusst handeln und viele dieser Wirkungen kennen, erhebt sich die Frage, inwieweit wir absehbare künftige Folgen bei unseren heutigen Handlungen berücksichtigen müssen.4“ Sie muss durch eine bewusste Wertentscheidung zur Übernahme von Verantwortung durch den Menschen beantwortet werden.

Unser bestehendes Wirtschaftssystem glaubt immer noch große Teile der Verantwortung an den „Markt“ abgeben zu können, in der Erwartung, dass dieser Mechanismus diese Aufgabenstellung nach der Devise übernimmt, was der Markt macht, ist ‚richtig‘, ‚gerecht‘ und ‚vernünftig‘. Das ist ein gewaltiger Trugschluss – der Markt ist wie ein Algorithmus: was nicht in ihn hinein programmiert wird, kann er auch nicht leisten. Und das Programm schreiben hoffentlich weiterhin wir Menschen und keine anonyme künstliche Intelligenz.

Was heißt nun Erhaltung und Entfaltung im Einzelnen? Bossel folgt dabei einer systemischen Sichtweise und führt aus, dass Mindestanforderungen für folgende fünf Leitwerte gegeben sein müssen, um das System Biosphäre zu erhalten und zu entfalten:

  • Physische Existenz und Reproduktion
  • Handlungsfreiheit
  • Sicherheit
  • Wirksamkeit
  • Wandlungsfähigkeit

„Diese Leitwerte ergeben sich aus aus der folgenden Fragestellung: Was sind die elementaren Erfordernisse eines selbstorganisierenden Systems, dessen Überleben und Entfaltung von verstreuten Ressourcen in einer sich zufällig verändernden und teilweise feindlichen Umwelt abhängen.5

Dabei verkörpert ‚Existenz‘ den Umstand, dass das Überleben eines offenen Systems vom freien Austausch von vorhandenen Stoffen, Energie und Information mit seiner Umwelt abhängt.

Mit ‚Handlungsfreiheit‘ ist die Fähigkeit gemeint, Bedrohungen des Systems durch alternatives Handeln vermeiden oder abwenden zu können. ‚Sicherheit‘ erfordert eine gewisse Kontinuität, Stabilität und Regelmäßigkeit, um eine Vorhersehbarkeit von Überlebenschancen entwickeln zu können. Die ‚Wirksamkeit‘ stellt sicher, dass die Beschaffung von Stoffen aus der Umwelt i.d.R. zu angemessenen Erträgen führt. Die ‚Wandlungsfähigkeit‘ versetzt das System in die Lage, auf Veränderungen der Umwelt durch eine Veränderung seiner Struktur und/oder seines grundsätzlichen Verhaltens (Selbstorganisation) zu reagieren.6

Nochmals zurück zur Ausgangsfrage: Warum tun wir uns so schwer, auf breiter Basis einen Wandel herbeizuführen? Wir sind diesbezüglich in den letzten 200 Jahren vom Schicksal verwöhnt worden. Die aufkommende Technologie, gepaart mit dem Kapitalismus, haben uns schrittweise in eine Situation geführt, die man zumindest seit den letzten 50 Jahren mit Überfluss7 beschreiben könnte. Unser System hat sich von der Notwendigkeit des Broterwerbs schrittweise in einen Zustand gewandelt, indem nicht mehr die Versorgung im Zentrum steht, sondern wir gezwungen sind, durch überproportionalen kurzfristigen Konsum das im wesentlichen Geld generierende System am Laufen zu halten. Es wäre ein Perpetuum mobile, wenn nicht gleichzeitig die Abfallberge gewaltig wachsen und die Lebensgrundlagen durch dieses Verhalten zunehmend reduziert würden. Die ständig wachsenden künstlich stimulierten Bedürfnisse einerseits und das überbordende Angebot lassen das Leben für viele als ganz einfach erscheinen – aber das ist ein Tanz auf dem Vulkan oder alternativ: es ist ein Stühlerücken auf dem Deck der ‚Titanic‘.

Nun kommt die Wissenschaft, die erst in den letzten Jahrzehnten in ihre heutige Bedeutung für Politik und Gesellschaft hineingewachsen ist, und kann anhand weitgehend unbestreitbarer Erkenntnisse darstellen, dass der ‚Tanz‘ absehbar sein Ende finden wird. Nicht weil der Wohlstand nicht tragfähig sein könnte, sondern weil die verwendeten Erfolgsfaktoren der Wirtschaft in einer endlichen Welt uns bisher nur die positive Seite des Prozesses dargestellt haben. So gesehen ist die Wissenschaft der Überbringer einer ‚schlechten‘ Nachricht und in der Bequemlichkeit des Status quo wirkt diese Aussage für das breite Publikum einfach störend oder lästig, weil man sich der aufkommenden Verantwortlichkeit des Menschen, die im systemischen Ansatz angesprochen wird, überhaupt nicht bewusst ist. Die ‚Leute‘ neigen dazu, den unangenehmen Fakten auszuweichen, auch weil natürlich unser Wirtschaftssystem bis dato durch Erfolgsmeldungen eine optimistische Erwartungshaltung verbreitet hat, die jeder Grundlage entbehrt. Man hat die negative Seite des Prozesses systematisch ausgeblendet und so lange als möglich unterdrückt. Und das funktioniert nun nicht mehr!

Die von der Wissenschaft dargestellten Aussichten sind nicht schlecht, aber sie erfordern ein radikales Umdenken und die globale Sorglosigkeit hat ein Ende, weil einer großen Minderheit klargeworden ist, dass die Welt endlich ist und in einer endlichen Welt kein fortwährendes Wachstum möglich ist. Damit wurde die Ikone des Kapitalismus ‚geköpft‘ und das einfach gestrickte Narrativ vom Glück auf der Basis von Wachstum funktioniert so nicht mehr. Es wäre wünschenswert, wenn die Wirtschaftswissenschaften in der Lage wären, Ökonomie auch mal kreativ anders zu denken als nur in den eingefahrenen kapitalistischen Strukturen und Verfahrensweisen. Und dabei nicht nach hinten schauen, sondern das Leben voraus schauend gestalten. Die Begriffe Innovation und Kreativität werden von den Wirtschaftswissenschaften ständig strapaziert, aber eine Anwendung der Begriffsinhalte auf die eigene Sache ist m.E. nicht erkennbar.

Wenn wir jetzt im gesellschaftlichen Rahmen proaktiv handeln könnten, so hätten wir noch beachtliche Handlungsfreiheiten. Je länger wir warten müssen (bis die Erkenntnis durchgesickert ist), desto weniger Freiheitsgrade verbleiben für ein künftiges Handeln. Am Ende des Prozesses besteht vermutlich keinerlei Freiheitsgrad mehr und wir müssen uns dann dem schmalen Korridor anvertrauen, den uns die Situation hoffentlich noch lässt. Wir werden dann Gefangene unserer Unfähigkeit sein, als richtig Erkanntes rechtzeitig und positiv zu akzeptieren und der Vernunft Priorität gegenüber der scheinbaren Bequemlichkeit eines „Weiter so“ einzuräumen.

1Bossel, Hartmut, Globale Wende, Wege zu einem gesellschaftlichen und ökologischen Strukturwandel, München 1998

2Bossel, Hartmut, Umweltwissen, Daten, Fakten, Zusammenhänge, Springer Verlag, 1994

3Bossel, H., a.a.O. Seite 10

4Bossel, H., a.a.O. Seite 146

5Bossel, H., a.a.O. S. 146

6Vgl. ausführlicher Bossel, a.a.O. S. 146 f.

7Vgl. J. K. Galbraith, Die Überflussgesellschaft, 1962

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Nachhaltigkeit konkret – ein Versuch

Das Thema Nachhaltigkeit war im Rahmen dieses Blogs schon mehrfach ein wichtiges Thema. Zum einen unter der Überschrift „Nachhaltigkeit – geht es etwas präziser“ und auch als „Nachhaltigkeit oder Klimaneutralität“. In beiden Beiträgen wird deutlich angesprochen, dass der Begriff „Nachhaltigkeit“, den die Bruntland-Kommission aufgebracht hat, zwar verstanden wird (was politisch vielleicht wichtig ist), aber im Konkreten einer völlig beliebigen Verwendung Tür und Tor öffnet.

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Die Bruntland-Kommission hat Nachhaltigkeit aus der anthropozentrischen Perspektive definiert und dabei, vereinfacht gesprochen, die sogenannte „Enkeltauglichkeit“ (eine Perspektive der Langfristigkeit) gefordert. Herman E. Daly hat die Nachhaltigkeit aus der Sicht der Biosphäre bestimmt. Diese Definition ist fraglos härter und konkreter, aber immer noch sehr abstrakt:

  • Die Abbaurate einer Ressource darf ihre Regenerationsrate nicht übersteigen.
  • Das Emissionsniveau darf die Assimilationskapazität der Biosphäre nicht übersteigen.
  • Der Verbrauch nicht regenerierbarer Ressourcen ist durch eine entsprechende Erhöhung des Bestandes an regenerierbaren Ressourcen zu kompensieren.

Dann erschöpft sich die Diskussion mangels akzeptabler oder interessanter Vorschläge ziemlich schnell. Ein Grund liegt vermutlich auch darin, dass die Ökologie kein Ziel hat. Erhaltung der Biosphäre ist in meinen Augen kein Ziel, das ist nur eine untere Handlungsgrenze, unter die wir auf keinen Fall rutschen dürfen. Ökologie wird gerne mit Evolution verwechselt und für die Evolution halten viele den Zufall für zuständig. Aber Ökologie funktioniert nur dann, wenn gewisse Voraussetzungen erfüllt werden können: Artenvielfalt, ein Miteinander, Komplexe Strukturen, Systemdenken, Funktionalität u.a.m.. Leben ist m. E. ohne diese komplexen Strukturen nicht denkbar. Alles, was im Grunde schlicht, einfach, linear, direkt, zielgerichtet auftritt, hat mit „Leben“ wenig zu tun. Herman E. Daly hat in einem seiner letzten Essays (4. Parabel) 2022 versucht, diesem Gedanken eine Stimme zu geben.

Die konkreten Folgen dieser Problematik wurden mir dann vor kurzem bei einem Vortrag eines Architekten vor Augen geführt, bei dem es u.a. darum geht, „nachhaltiges Bauen“ zu bewerten.

Es ging um die Frage, ob Betonbau, Holzbau oder auch eine Hybridbauweise als nachhaltig eingestuft werden könnte. Grundlage der Darstellung war Bauen in Beton, dann auch in Holzfertigbau bzw. in einer Holzhybridbauweise.

Der vortragende Architekt hatte eine Vielzahl von Kriterien zusammengetragen. Die Mehrzahl seiner Kriterien waren technischer bzw. planerischer Natur, deren Zusammenhänge ich als Laie nur schwer abschließend beurteilen kann. Mein Interesse galt daher der Frage, wie sich diese Gesichtspunkte zu einem Begriff der Nachhaltigkeit verdichten lassen.

Die Betonbauweise gilt allgemein als nicht nachhaltig, weil die Zementherstellung große Mengen an Energie benötigt und viel CO2 ausstößt. Hinzu kommt, dass der Sand oder Kies, der für den Beton notwendig zur Verfügung stehen muss, inzwischen global als ein knappes Gut eingestuft wird. Schon diese beiden Punkte lassen den Betrachter an einer Nachhaltigkeit zweifeln. Betrachten wir die Lebensdauer der in Betonbauweise errichteten Gebäude, so können wir darin eine Variable erkennen, die die Nachhaltigkeit deutlich verbessern könnte. Wir bauen heute mit Investoren, die oftmals schon beim Neubau damit kalkulieren, dass das errichtete Gebäude in etwa 25 – 30 Jahren wieder abgerissen wird, damit auf dem Grund dann ein neues Gebäude errichtet werden kann. Es ist deshalb auch nicht ausgeschlossen, dass die Qualität des gegenwärtigen Neubaus durch die Erwartungen des (baldigen) Abrisses leidet. Die Lebensdauer eines in Betonbauweise errichteten Gebäudes liegt bei entsprechender Planung, guter Ausführung, ordentlicher Pflege und gegebenenfalls auch Teil-Sanierung bei mindestens 100 Jahren (etwa bei dem Vierfachen der aktuell angestrebten Lebensdauer, insbesondere bei gewerblichen Bauten), d.h. die unzureichende Ökobilanz könnte durch eine Steuerung der Aktivitäten pro Zeiteinheit deutlich verbessert werden.

Mit dem Bau des Beton-Gebäudes ist ein großer „Rucksack“ voll von ökologisch schädlichen Entwicklungen verbunden, ein Sack voller ‚externer Effekte‘, gemessen in Tonnen von Äquivalenten1. Durch eine bewusste Streckung der Lebensdauer ließe sich der erste ‚Rucksack‘ zwar nicht vermeiden, aber doch nachhaltiger verteilen. Wenn nach 25 Jahren das Gebäude, das eine Lebensdauer von 100 Jahren aufzuweisen hat, abgerissen wird, dann sind 75% des ‚Rucksacks‘ aufgrund der künstlich verkürzten Lebensdauer noch nicht verbraucht. Sie werden dann zu diesem Zeitpunkt bewertet und erhöhen die Kosten des künftigen Neubaus. Das wird rasch zu einer Verschiebung der Prioritäten bei Investoren führen. Wenn durch die Maßnahme die Schaffung von weiteren drei ‚Rucksäcken‘ vermieden werden könnte, so würden drei ‚Rucksäcke‘ erst gar nicht entstehen und das wäre ein großer Schritt in die richtige (ökologische) Richtung. Statt vier Rucksäcke voller externer Effekte werden wir nur einen Rucksack auf die angestrebten 100 Jahre verteilen müssen. Sanierung und Erhaltungsaufwand werden dagegen laufen, aber hier verstecken sich gewöhnlich viel weniger externe Effekte. Der ‚alte‘ Betonbau würde auf diese Weise ökologisch entlastet und der Drang nach Neubauten über den ‚goldenen Zügel‘ eingeschränkt.

Die Holzbauweise wird gegenwärtig als angeblich klimaneutrale Alternative propagiert. Wann immer in unserem Wirtschaftssystem, das sich der linearen Denkweise mit Haut und Haaren verschrieben hat, etwas als besonders nachhaltig verkauft wird, sollte größte Vorsicht geboten sein. Auf die technischen Vor- und Nachteile will und kann ich hier nicht eingehen. Glaubt man der Werbung, kann dieses Verfahren die CO2-Bilanz bis zu 90 Prozent verbessern, weil der Einsatz von Beton stark zurückgefahren wird. Das klingt im ersten Schritt recht gut. Wenn wir aber das lineare Denken beiseite schieben und uns das komplexere Gesamtbild betrachten, gibt es ein ganze Reihe von Fragen.

Holzbalken wachsen nicht auf der Wiese. Gehen wir davon aus, dass ein Baum im Querschnitt idealerweise kreisrund ist und Balken zu ihrer leichteren Weiterverarbeitung i.a.R. zu einem rechteckigen Querschnitt verarbeitet werden. Anders als im Fußball muss das „Eckige“ in das „Runde“. Und das Runde wird entlang des Baumes zur Spitze hin immer kleiner. Mit anderen Worten: es treten bei diesem Verwertungsverfahren immer Verluste auf. Der theoretische Verlust aufgrund der Tatsache, dass das Eckige aus dem Runden geschnitten werden muss, führt zu über 36 Prozent Holzmasseverlust, wenn keine Verjüngung des Baumes zur Spitze hin unterstellt wird.. Dieser Verlust enthält noch nicht die Verluste, die dadurch entstehen, dass der Baum sich zur Spitze hin verjüngt, dann noch Äste, organische Schwachstellen (Fäulnis) und manches andere mehr aufweist. Ich würde den realen Gesamtverlust auf etwa 50 Prozent schätzen. D.h. konkret, bevor ein Balken gesetzt werden kann, ist der halbe Baum schon „entsorgt“. Das Problem spricht für sich. Wer in Holz bauen will, sollte die Zahl der dafür einzusetzenden Bäume, grob gerechnet, etwa verdoppeln.

Nun kommt die Frage der Nachhaltigkeit. Und zwar nicht die anthropozentrische CO2 Bilanz, sondern jetzt greife ich auf die Nachhaltigkeit im Rahmen der Biosphäre (siehe oben) zurück. Die Abbaurate für Bäume muss kleiner sein als die Regenerationsrate des Waldes. Diese Frage lässt sich für einen Laien nur durch unterstützende Angaben der Forstbehörden beantworten. Dort wird die Zahl von 98 Prozent angeführt (2018), wobei es nicht klar ist, wie hier die Einschläge behandelt werden, die in der jüngsten Vergangenheit aufgrund der „Borkenkäfer-Offensive“ bei Fichten-Monobeständen in tieferen Lagen ausgelöst wurden.

Bisher wurde üblicherweise in Stahlbeton (oft gewerblich) und mit Ziegeln (privat) gebaut. Wenn sich das Interesse an einer Holzbauweise verstärkt, so haben wir gegenwärtig vermutlich aufgrund der menschengemachten Borkenkäferplage relativ viel eingelagerte Holzvorräte. Diese Vorräte werden sehr rasch zusammenschmelzen, wenn sich daraus ein Holzbauboom entwickeln sollte. Dann verfügen wir nicht mehr über Vorräte, sondern müssen den kommenden Einschlag organisieren. Das wird bei einer Einschlagquote von 98 Prozent der Regenerationsrate aber schwierig bis unmöglich, ohne die Bedingung zu verletzen, dass die Abbaurate kleiner als die Regenerationsrate sein soll. Bei 98 Prozent und den üblich zu erwartenden kleineren Messfehlern können wir davon ausgehen, dass diese Bedingung in ganz kurzer Zeit gerissen wird. Ab diesem Zeitpunkt wäre es offensichtlich grob fahrlässig, diese Holzbauweise noch als klimafreundlich oder gar CO2-neutral zu bezeichnen.

Die Ökonomie findet hier i.d.R. einen einfachen Ausweg: Wenn wir schon am Limit sind, lasst uns doch das heimische Holz durch importiertes Holz ‚substituieren‘. Die Tatsache, dass dieses Holz oft schwarz eingeschlagen wird, stört die Ökonomie wenig. Hauptsache, die Substitution bietet die Möglichkeit, die mengenmäßige regionale Einschränkung zu umgehen. Dass die Nachhaltigkeitsregeln global gelten, wird vermutlich vielerorts in Geld aufgewogen oder muss man sagen: substituiert.

Die favorisierte Holzbauweise hat noch einen zweiten Schwachpunkt, der sich aus der Forderung ergibt, dass das Emissionsniveau die Assimilationskapazität der Biosphäre nicht übersteigen darf. Wenn wir also mehr mit Holz bauen, und wir wollen nicht den üblichen Raubbau im Kolonialstil verfolgen, so müssen wir dafür sorgen, dass wir vor unserer eigenen Haustüre kehren. Mit der Holzbauweise können wir kaum die grüne Lunge darstellen, die wir dringend benötigen, um unseren Emissionshaushalt im Zaum zu halten. Daly’s Nachhaltigkeitskonzept gilt global. Im Prinzip müssten wir den Einschlag aufgrund der Langfristigkeit der Waldentwicklung auf vielleicht 90 Prozent o.weniger reduzieren, weil wir global Zuwächse in der Waldfläche benötigen, um einen nennenswerten Beitrag leisten zu können, die Emissionen auf natürliche Weise zu absorbieren.

Als Fazit lässt sich feststellen, dass die herkömmliche Bauweise für sich betrachtet, zwar CO2-intensiv ist, aber nicht der Bösewicht ist, den wir gerne darin sehen wollen. Der wahre Grund für die mangelnde Nachhaltigkeit liegt in dem von uns gewollten, Geld getriebenen Kurzfristigkeit-denken, die den wahren Kern des Problems offenlegt. Hier gilt es anzusetzen. Die „Rucksack-Methode“ als Kompensation der wesentlichen externen Effekte wäre bei Bauinvestitionen ein guter Anfang. Eine Übertragung auf andere Großinvestitionen erscheint dabei nicht ausgeschlossen.

Die Holzbauweise ist im Einzelfall eine Lösung. Sobald dieses Verfahren zur Massenanwendung kommt, wird es, ähnlich wie bei Pellets, an der Nachhaltigkeit scheitern. Wir können keine Verfahren mehr in der Masse tolerieren, die auf einem Raubbau der Biosphäre beruht. Wir werden uns auf den Verbrauch besinnen müssen, der uns regional zur Verfügung steht und dieses Material sparsam und technisch so effizient wie möglich einsetzen.

1Der „Rucksack“ wird nach Fertigstellung festgestellt und beim Grundbuchamt angemeldet und dort verwaltet. Er ist damit öffentlich einsehbar und geht auf den neuen Eigentümer über. Er beeinflusst indirekt auch die Grundstückspreise.

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