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Effizienz“ – ein Wesenszug unseres Systems?

Wenn das bestehende Wirtschaftssystem zur Diskussion steht, erscheint Effizienz als eine treffende Systemeigenschaft. Die Konnotation des Begriffs von Effizienz wird in aller Regel positiv aufgefasst. Wenn aber Jeremy Rifkin1 den Begriff der Effizienz aufgreift, hat er anderes im Sinn.

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Als Kritiker des Wirtschaftssystems greift er diesen das System prägenden Begriff heraus, um das Gespräch einzuleiten und seine misstrauischen Gesprächspartner positiv zu stimmen und für eine ganz andere Sichtweise Schritt für Schritt auf das System einzustimmen, ohne die Katze gleich aus dem Sack zu lassen. Mit Effizienz können sich vermutlich alle Beteiligten mehr oder weniger gut identifizieren.

Effizienz gilt m. E. als ein technischer Begriff, der weit davon entfernt ist, moralische oder ethische Gesichtspunkte zu vermitteln. Und trotzdem gelingt es Rifkin, Schritt für Schritt die Effizienz als eine Denk- und Handlungsweise darzustellen, die aus seiner Sicht die Grundlage für unsere komplizierte Weltlage darstellt, die unter dem Begriff der Klimakrise segelt.

Von Effizienz spricht man gewöhnlich, wenn es gelingt, aus vorhandenem Material bei optimalem Einsatz ein Produkt oder ein angestrebtes Produkt mit dem geringst möglichen Materialeinsatz herzustellen. Die Ökonomie übernimmt die Idee gleich am Anfang ihrer Entwicklung, indem sie die Effizienz in Geld bewertet. Ökonomische Effizienz liegt dann vor, wenn die Kosten (dargestellt als Menge x Preis) optimiert werden. In Wettbewerbssituationen reicht das Optimum oft nicht – es gilt dann, die Kosten systematisch zu minimieren.

Wenn unser Wirtschaftssystem dem Gedanken der Gewinnmaximierung unter der Voraussetzung folgt, dass Preise anonym am Markt festgelegt werden, so ist dieses ökonomische Verständnis von Effizienz eine der Voraussetzungen, die das System zum Erfolg geführt hat, weil Gewinnmaximierung bei einem gegebenen Marktpreis nur erzielt werden kann, wenn eine konsequente Kostenminimierung wahrgenommen wird.

Diesem Grundsatz wurden alle ergänzenden Maßnahmen untergeordnet. Alle produktiven Aktivitäten, bei denen wir in unserem nationalen System im Vergleich der globalen Möglichkeiten keine Kostenminimierung darstellen können, wurden skaliert (in Arbeitsschritte zerlegt) und jeweils dorthin verbracht, wo nach Auffassung der Unternehmen eine Chance besteht, die Idee der Kostenminimierung zu realisieren.

Das schien wunderbar zu klappen, solange man darauf vertraute, dass die Lieferketten zum beiderseitigen Nutzen funktionieren. Keiner wollte sich vorstellen, dass wir eine weltweite Pandemie bekommen könnten oder dass es in der Vorstellung des globalen Handelsnetzes Teilnehmer geben könnte, die die Vorstellung „Wandel durch Handel“ nicht teilen wollen. Das Auftreten elementarer und einseitiger Abhängigkeiten lassen die Naivität der globalen Vision unter Vernachlässigung von Machtgesichtspunkten deutlich zu Tage treten.

Diese Verengung der Perspektive auf die Effizienz als ein anderes Wort zur Beschreibung von wirtschaftlicher Gewinnmaximierung oder systematischer Verherrlichung der Gier hat uns dazu geführt, mit einer einseitigen (linearen) Zielverfolgung, blind für die Wirklichkeit, gewaltige externe Effekte aufzutürmen (ich nenne sie Kollateralschäden). Die Klimakrise ist u.a. ein Ergebnis dieses Verhaltens.

Rifkin2 zitiert dabei William Galston (Wall Street Journal, 10.3.2020): „Was wäre, wenn das unermüdliche Effizienzdenken, das seit Jahrzehnten das unternehmerische Denken beherrscht, das globale Wirtschaftssystem anfällig für Erschütterungen gemacht hat?“ und Rifkin fährt fort: „Galston legte dar, dass der Erfolg der Globalisierung darauf beruht, die Produktion von alltäglichen Gütern und Dienstleistungen in diejenigen Weltregionen zu verlagern, in denen sich durch niedrige Lohnkosten und nicht vorhandene Umweltschutzgesetze effiziente Skaleneffekte erzielen lassen.3

Um es klar zu sagen, Effizienz ist nicht des Teufels, aber wie so oft, führt die obsessive Anwendung von Effizienz zu einer grandiosen Einseitigkeit, die insbesondere in der Biosphäre zu Entwicklungen führt, die den grundlegenden Gesetzen unserer Biosphäre widersprechen. Dies wurde erstmals klar und unmissverständlich ausgesprochen, als Joseph Stieglitz als ehemaliger Chefökonom der Weltbank in den 90iger Jahren des letzten Jahrhunderts darauf hinwies, dass wir im Rahmen des Planeten Erde wirtschaften, dass also nicht die Wirtschaft das übergeordnete System repräsentiert, sondern der Biosphäre absolute Priorität zukommt. Dieses Statement löste große Aufregung unter den Wirtschaftsvertretern und den Wirtschaftswissenschaftlern aus, weil sie ihren uneingeschränkten politischen Einfluss zu Recht schwinden sahen. Stieglitz erhielt in diesem Zeitraum dann den ‚Nobelpreis‘ für Wirtschaftswissenschaften.

Aus den Ausführungen wird auch deutlich, dass wir durch die kontinuierliche Anwendung von Effizienz viel von unserer Widerstandskraft (Resilienz) gegenüber unvorhergesehenen Einflüssen verloren haben. Die Natur setzt dabei nicht auf Effektivität, sondern auf Redundanz bzw. Vielfältigkeit, weil dadurch die „Response Diverity“ (die Reaktionsdiversität) die Bandbreite möglicher Reaktionen erhöht.

„Biologische Systeme funktionieren ganz anders.Sie zeichnen sich nicht durch Effizienz aus, sondern durch Anpassungsfähigkeit. Und ihre Leistung wird nicht anhand der Produktivität gemessen, sondern anhand ihrer Erneuerbarkeit.“ 4 Die Anpassungsfähigkeit als auch die Erneuerbarkeit sind Teilaspekte der Resilienz. Verglichen mit dem Begriff der Effektivität ist Resilienz ein weitaus komplexerer Sachverhalt. Prozesse können effektiv sein. Das ist eine ziemlich eindimensionale Aussage. Resilienz beschreibt einen Zustand, der seine Eigenschaften aus vielen Quellen schöpft, u.a. aus der Anpassungsfähigkeit und der Erneuerbarkeit.

Es tut sich m.E. ein gewaltiger Dissens auf zwischen dem Verständnis der Welt im Rahmen der Ökonomie und der wirklichen Welt. Rifkin erklärt diese Diskrepanz als eine Folge der wissenschaftlichen Entwicklung. Es erinnert mich an die Diskussionen in den 1980iger Jahren, als Fritjof Capra seinen Bestseller „Wendezeit“ herausbrachte und deutlich machte, dass zwischen der Newton’schen Physik und der „modernen“ Physik eine Quantensprung stattgefunden hatte.

Das Problem Capras war die Erkenntnis, dass diesen Quantensprung der Physik viele andere Wissenschaftszweige noch nicht realisiert hatten. So auch die Ökonomie. Ihr Theorie-Gebäude entspricht noch dem Niveau der zeitlosen Newton’schen Physik. Die Mathematisierung der Ökonomie hat nichts wesentliches dazu beigetragen. Die Sätze der Thermodynamik sind ihr fremd. Entropie ist kein Begriff, der Platz in der Ökonomie finden könnte.

Die Biologie war lange im Grunde eine Klassifikationswissenschaft (Fliegenbeinzählen) und hat sich dann, so Rifkin, mit Ernst Haeckel zu einer Ökologie und m. E. mit Ludwig von Bertalanffy zu einer systemischen Form entwickelt und spielt damit heute in den Diskussionen eine wesentliche Rolle.

Nach meinem Eindruck von der Ökonomie verliert sie ihre Deutungshoheit, weil sie zu den anstehenden ökologisch-wirtschaftlichen Fragestellungen keinen Beitrag zu leisten vermag. Ihrem Theoriegebäude fehlen einfach die Werkzeuge, um in komplexen Situation mehr als nur rückwärtsgewandte Konzepte einbringen zu können.

1Rifkin, Jeremy, Das Zeitalter der Resilienz, Frankfurt, 2022

2Vgl. Rifkin, 2022, S. 24

3Rfkin, 2022, S. 25

4Rifkin, 2022, S. 29

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