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Bürokratieabbau – aber wie?

Die Kettensäge sollte man in einem prinzipiell funktionierenden, aber komplexen Staatsgefüge zuhause lassen. Argentinien hat komplett andere Problemlage als die USA oder Europa. Ebenso scheint Elon Musk nur bedingt für den Job zu taugen, für den Trump ihn „gebrauchen“ will. Musk ist ohne Zweifel ein Macher, aber ob er die filigranen Zusammenhänge einer bestehenden Struktur durchschaut und sinnvoll verändern kann, bleibt abzuwarten.

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Musk erscheint als Manager eher der Typ zu sein, der Bestehendes nicht geschickt korrigiert, sondern der gerne den einfacheren Weg des „Bulldozers“ nimmt: platt machen und dann insbesondere wieder mit viel Geld neu aufbauen. Klappt es, ist er der öffentlichen Bewunderung sicher, klappt es nicht, zieht er schnell weiter zu neuen Abenteuern. Es steht bei dieser Vorgehensweise viel auf dem Spiel. Das ganze System könnte aus den Fugen geraten und kollabieren. Und wir bewegen uns auf der Ebene von staatlichen Strukturen und nicht auf der Ebene von Unternehmen, bei denen ein solches Scheitern bitter, aber Teil des kapitalistischen Lebensrisiko ist. Und was viele Unternehmen nicht anerkennen wollen: Ohne eine funktionierende Infrastruktur fehlt die Geschäftsgrundlage unserer Wirtschaftsordnung und eine funktionierende Bürokratie ist wesentlicher Teil dieser Infrastruktur.

Also scheint es so einfach nicht zu funktionieren! Bürokratieabbau darf im ersten Schritt nicht bei der Bürokratie selbst ansetzen (bottom up), sondern muss dort ansetzen, wo die Grundregeln gemacht werden (top down), also bei den politischen Gremien.

Wir müssen uns darüber klar sein, dass Gesetze nicht nur nach der sachlichen Notwendigkeit entwickelt werden. In einem zu schaffenden Gesetz wollen die unterschiedlichen politischen Strömungen ihre Ideologie wiederfinden und vergessen dabei oft die sachliche Schlichtheit des Grundproblems. Welches Gesetzesvorhaben ist nicht durch die Interessen der diversen Lobbyisten geprägt? Schauen Sie sich z.B. die Mieterschutzgesetzgebung an: Wenn Sie hier ihre Rechte wahrnehmen wollen, verlangt das Verfahren vom Mieter viele Kontakte, die er bespielen muss, um die Voraussetzungen zu schaffen, um in den Genuss der Vorteile des Gesetzes zu kommen. Die Mehrzahl der berechtigten Mieter gibt auf, sein Recht einzufordern. Und das ist oftmals der intendierte Zweck der Übung! Die Vermieterseite gibt vor, mitzuspielen, sorgt aber durch hohe Mitwirkungshürden für den betroffenen Mieter, so dass das Gesetz möglichst selten zur Anwendung kommt.

Boris Palmer, Oberbürgermeister in Tübingen, hat in einer Stammtischsendung des BR ein Beispiel gebracht: Seit dem Jahr 2000 haben sich die Bauvorschriften grob gesprochen vervierfacht und er fragt sich zu Recht, ob sich dadurch die Bauqualität im vergleichbaren Maße verbessert habe? Dabei muss man wissen, dass im deutschen Föderalismus jedes Land seine eigenen Bauvorschriften herausgibt. Es gibt also 16 unterschiedliche Regelsätze für die Bauvorschriften. Das ist sachlich nicht nachvollziehbar.

In meiner aktiven Zeit habe ich öfters mit US-Managern zu tun gehabt und konnte immer wieder feststellen, dass die cleveren Damen und Herren immer dann. wenn es um Steuern ging, ihren ‚Drive‘ verloren. Da hörte plötzlich der übliche wirtschaftliche Interpretationsspielraum auf. Auf meine Rückfrage wurde ich aufgeklärt: Der US-Amerikaner (ebenso Unternehmen) erstellt die Steuererklärung auf eigene Verantwortung, d.h. die Steuererklärung wird von Amt wegen nur in wenigen Stichproben überprüft. Die US-Steuerverwaltung geht davon aus, dass der Steuerpflichtige ehrlich ist. Warum sind dann die US-Manager in Steuerfragen so vorsichtig? Ganz einfach: Die Steuerverwaltung vertraut der Erklärung des Steuerpflichtigen, schlägt aber ziemlich erbarmungslos zu, wenn sich hernach herausstellt, dass der US-Bürger (oder das Unternehmen) versucht hat, die Staatskasse vorsätzlich zu betrügen. Dabei sind die Strafen, die mir genannt wurden, existenzgefährdend, weil nicht die Schadenhöhe bewertet wird, sondern offensichtlich der Tatbestand des Betrugs an der Gesellschaft, also der Mangel an Ehrlichkeit. Ob das heute noch so ist, entzieht sich meiner Kenntnis. Aber das dahinter stehende Prinzip halte ich hinsichtlich eines Bürokratieabbaus für bedenkenswert.

Parallel gibt es einen Artikel in der SZ (Wolfgang Jantsch, 7./8.12.2024) der ähnliche Ansätze vertritt. Er fordert die Realisierung des Prinzips der Verantwortung und meint, in dem bürokratischen Verhalten der öffentlichen Verwaltung ein grundlegendes Misstrauen gegenüber dem Bürger ausmachen zu können, was am Ende dazu führt, dass die Verwaltung mehr mit Kontrolle als mit der eigentlichen Problemlösung befasst ist.

Das von Jantsch postulierte „Prinzip Verantwortung“ würde davon ausgehen, dass im Grunde die Mehrzahl der Bürger an einer konstruktiven Zusammenarbeit mit der Verwaltung interessiert ist und der Anteil, der sich hier verweigert, als klein zu bezeichnen ist. Niemand kann die Verweigerer verhindern, aber der krampfhafte Versuch der Verhinderung blockiert das Handeln der Bürokratie. Also leben wir lieber mit den Verweigerern und kehren das Positive heraus und lösen Probleme.

Das „Prinzip Verantwortung“ muss aber streitbar sein(siehe oben). Wer sich der Verantwortung als Bürger nicht stellt, muss mit dem Druck von Seiten der Rechtsprechung rechnen. Und der Druck muss beachtlich sein. Ehrlichkeit bzw. korrektes Verhalten muss sich dadurch lohnen, indem Bewegung in die öffentliche Bürokratie kommt. Es soll in anderen EU-Ländern öffentliche Verwaltungen geben, die nicht nur kontrollieren, sondern primär mit dem Bürgern und der Wirtschaft erfolgreich kooperieren.

Wenn wir von Bürokratie sprechen, sollten wir die kommerzielle Bürokratie nicht vergessen. Wer kennt nicht den Service kommerzieller Konzerne, der über Call-Center abgewickelt wird. Ein Service, der in der Regel nichts taugt, aber unter der Bezeichnung „Service“ läuft. Man kann Fragen dort abladen und erhält oft antrainierte Standardantworten, die aber das angesprochene Problem in der Mehrzahl der Fragen gar nicht lösen kann. Expertise sollte man dort nicht erwarten. Das Wort „Service“ wird dabei bis zur Unkenntlichkeit verunstaltet.

Werden wir etwas abstrakter: Bürokratie kann man vergleichen mit einem Algorithmus. Ihre Effizienz und Präzision gewinnt die Bürokratie durch festgefügte wiederholbare Abläufe. In jeder Organisation gibt es nach herrschender Meinung ein bürokratisches „Herz“, das sicherstellen muss, dass gewisse Basisprozesse verlässlich immer gleich ablaufen. Die Umwelt dieser Organisation ist in aller Regel komplex. Und Komplexität ist sehr eng mit dem Begriff des Chaos verknüpft. Trifft die Komplexität der Umwelt ungefiltert auf das bürokratische „Herz“, versucht der bürokratische Organisationsteil oft vergeblich, sich der Komplexität anzupassen, wobei die Effizienz und die Präzision stark darunter leiden. Es braucht also einen Filter zwischen der komplexen Umwelt und dem bürokratischen „Herz“, dessen Aufgabe darin besteht, die Anforderungen einer komplexen Welt sinnvoll so zu kanalisieren, dass das bürokratische „Herz“ effizient und präzise seiner Aufgabe nachkommen kann. Diese Idee ist sicherlich mehr als 50 Jahre in der Diskussion, scheint sich aber in der Praxis bisher nur bedingt umsetzen zu lassen.

Hier wäre es m.E. denkbar, künftig mit künstlicher Intelligenz (KI) zumindest Teile der komplexen Einflüsse im Hinblick auf die Bürokratie zu kanalisieren. Dieser Eindruck drängt sich mir auf, weil ich mit der Telekom in Kontakt kam und eine sinnvollen Zugang für mein Problem suchte. Das Ergebnis war nicht befriedigend und recht zeitraubend. Aber KI soll ja auch besser werden können. Bis dahin ist der ‚face to face‘-Kontakt mit einer menschlichen Intelligenz unschlagbar schneller und erfolgreicher. Es kommt mir so vor, als ob Call-Centers weniger an den Problemen der Kunden interessiert sind, dafür aber jene Funktion einer hoffentlich sinnvollen Kanalisation von Komplexität für das „bürokratische Herz“ der Organisation übernehmen. Nur sollte man das nicht als „Kunden“-Service verkaufen, weil der Nutzen liegt doch eindeutig bei der Unternehmung.

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Lineares Denken – was ist die Alternative?

Das lineare Denken ist eine Folge unseres Weltbildes und wie wir uns die Welt erklären. Wir unterscheiden meist strikt in Subjekt und Objekt. Das Subjekt steht gewöhnlich außerhalb des Objekts, vergleichbar mit der Vorstellung von Göttern außerhalb der realen Welt. Diese Sichtweise wird auch noch verstärkt durch die Vorstellung von Ursache und Wirkung oder genauer von der präferierten Vorstellung von einer Ursache und einer Wirkung.

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Wenn diese Präferenz nicht mit der Realität in Einklang zu bringen ist (und das ist eigentlich die Regel), wird bevorzugt „abstrahiert“ (vereinfacht). Man hofft dabei, die wesentliche Ursache mit der wesentlichen Wirkung verknüpft zu haben und folgt der Vorstellung, dass die aus subjektiver Sicht ‚unwesentlichen‘ Eigenschaften ohne grundsätzlichen Schaden als nicht relevante Teile des Handelns ausgeblendet werden können.

Man schafft also bei dieser Vorgehensweise unweigerlich sogenannte „Kollateralschäden“, löst also dauernd kleinere ‚Schäden‘ aus, die man bewusst in Kauf nimmt, weil diese kleinen ‚Schäden‘ im Einzelfall als tolerierbar gelten.

Dieser verbreitete Ansatz, dem eine durchaus nachvollziehbare und auch erfolgreiche Logik innewohnt, trifft nun auf ein ökonomisches Verhalten, das seit rd. 200 Jahren das „Ich“ (den Egoismus) und einen entfesselten Freiheitsbegriff (ohne die damit verbundene Verantwortung) feiert. Dadurch werden die Kollateralschäden zusätzlich und nachhaltig marginalisiert und drohen dem Bewusstsein der Gesellschaft (dem ‚Wir‘) verloren zu gehen.

Die Kollateralschäden werden als solche nicht mehr wahrgenommen bis sie sich aufgrund ihrer großen Zahl und ihrer Häufigkeit von einem Kollateralschaden (im Einzelfall klein und mickrig) zu einem Masseschaden zusammenballen, und z.B. als ‚Klimakrise‘ das Bewusstsein der Menschen rückerobern.  

Die Beschreibung dieser Vorgehensweise wird seit einigen Jahrzenten als „linear“ bezeichnet. Um es ein wenig besser vorstellbar zu machen, sollten wir uns die Realität als ein filigranes Netz mit seinen vielen Verknüpfungen denken. Das lineare Denken greift nun aus diesem Netz einige Aspekte heraus, die das Prädikat „wesentlich“ erhalten und dann kommt die intellektuelle Schere, und zerschneidet das Netz der Verknüpfungen, um das augenscheinlich Wesentliche zu entnehmen und zu verarbeiten. Das Netz der Realität wird dadurch zerstört oder doch merklich beeinträchtig. Wir können davon ausgehen, dass das Netz sich i.d.R. um das Wesentliche herum wieder zusammenfindet, aber es ist nicht mehr das Ursprüngliche und muss ein neues Fließgleichgewicht finden. Gelingt das nicht, wird die Nebensache zum Problem.

Wenn man handelt, greift man unvermeidlich in das Netz der Realität ein, aber unsere gegenwärtige Sichtweise kann mit den ausgelösten „Kollateralschäden“ nicht umgehen, weil dafür ein anderes Denk-Werkzeug notwendig wäre. Dieses Werkzeug wurde vor ca. 70 Jahren geschaffen und hat sich relativ gut im Rahmen der Sozialwissenschaft durchgesetzt. Es ist aber (noch) nicht in der breiten Bevölkerung angekommen.

Frederic Vester hat vor mehr als 40 Jahren erste Ansätze für die Öffentlichkeit formuliert und acht Gesichtspunkte herausgestellt, um das lineare Denken in das zu transformieren, was man damals laterales oder vernetztes Denken nannte (vgl. meinen Beitrag hier: Vernetztes Denken v. 27.02.2022). Inzwischen sind wir weiter: Die strikte Trennung von Subjekt und Objekt wurde aufgegeben, weil sie in komplexen Zusammenhängen nur schwer aufrechterhalten werden kann. Weiter wird deutlich, dass die Ursache-Wirkung-Relation, insbesondere in komplexen Zusammenhängen, das Denken sehr schnell an seine Grenzen führt.

Der neuere Ansatz, der zu Vesters Zeiten in seinen Kinderschuhen steckte, kümmert sich nicht um Ursache und Wirkung, sondern konzentriert sich auf die Funktion (den Zweck, den Sinn) von komplexen, organisatorischen Einheiten, die nun als ‚Systeme‘ begriffen werden. Bei sozialen Systeme spricht man nicht mehr von Elementen des Systems, sondern von Teilnehmenden. Durch die Wortwahl wird deutlich, dass hier die Unterscheidung von Subjekt und Objekt aufgehoben wird, weil das sogenannte Subjekt i.d.R. selbst als Teil des sozialen Systems betrachtet werden muss. Zwischen den Teilnehmenden des Systems bestehen relativ enge Verknüpfungen. Die Grenze des Systems wird anhand der Verknüpfungen definiert: Im System existieren mehr Relationen untereinander als zur Außenwelt des Systems.

Die Betonung der Verknüpfungen (Relationen) macht deutlich, dass im Rahmen eines Systems jede Handlung automatisch Auswirkungen auf andere Teilnehmende des Systems hat. Das „Netz“, das dadurch geschaffen wird, und in dem die Teilnehmer eingebunden sind, relativiert den üblichen Egoismus und auch den Freiheitsbegriff, weil der Teilnehmer im Rahmen des Systemzwecks nur soweit frei ist, als er die Freiheit des nächsten Teilnehmenden und das Überleben des Systems zu respektieren hat.

Soziale Systeme haben definitionsgemäß eine Funktion. Die Funktion ist konstituierend. Ohne Funktion (oder ohne Zweck) ist ein System nicht denkbar. Das ‚richtige‘ Handeln im Rahmen des Systems wird anhand der Funktion des Systems bestimmt.

Daraus wird verständlich, dass eine Systemveränderung in erster Linie voraussetzt, dass das System in seinen vielen Bezügen verstanden wird. Dabei gibt es vorerst keine Prioritäten, kein Wesentlich und keine Vernachlässigbarkeit. Da der Mensch im Umgang mit Komplexität sehr rasch an seine Grenzen stößt, bietet die Systemtheorie die Möglichkeit, Subsyteme zu definieren – mit anderen Worten, die hohe Komplexität des Gesamtsystems kann in kleinere Systemeinheiten mit jeweils begrenzter Komplexität heruntergebrochen werden, ohne dabei die Komplexität des Gesamtsystems unzulässig zu reduzieren bzw. zu „abstrahieren“.

Ergänzt wird das Konzept durch die Erkenntnis, dass soziale Systeme über die Möglichkeit der Selbststeuerung (Autopoiese) verfügen. Grundlage ist die Tatsache, dass die teilnehmenden Systemelemente als System ggfs. etwas schaffen, das nicht aus den Eigenschaften der Elemente unmittelbar ableitbar ist. Diese Eigenschaft wird dadurch zum Ausdruck gebracht, dass man von einem System sagt, das Ganze sei mehr als seine Teile. Das, was das System kreiert, bezeichnet man als Emergenz. Hiermit möchte ich die Beschreibung der Theorie hier beenden, weil der Anlass es nicht rechtfertigt, noch mehr in die Details zu gehen.

Der Leser wird aus den dürren Beschreibungen spüren, dass die Systemtheorie verglichen mit den Ansätzen von Ursache-Wirkungs-Zusammenhängen relativ komplex ist. Dabei gilt unter Systemtheoretikern die Maxime: Um komplexe Strukturen zu analysieren, braucht es komplexe Werkzeuge. Ist die Komplexität des verwendeten Werkzeugs der Komplexität des Untersuchungsgegenstandes nicht angemessen, kann die Analyse nicht erfolgreich sein, weil dann unzulässig stark abstrahiert werden muss. Das Ergebnis, das auf abstrahierter Ebene gefunden wird, ist oft nicht mehr sinnvoll auf die Zusammenhänge der Realität zu übertragen. Und dann fallen wir wieder in das häufig anzutreffene Problem des linearen Denkens!

Betrachten wir die Ökonomie: Sie hat seit etwa 200 Jahren ständig dadurch abstrahiert, indem man Verknüpfungen, die den Gedankengang der Ökonomie störten, als Externalität in die Bedeutungslosigkeit verschoben hat. Durch diese Prozesse hat man eine Ökonomie geschaffen, die normative Lösungen anbietet, die aber in vielen Bereichen mit der Realität nichts mehr zu tun haben.

Wenn wir erkennen müssen, dass dieser Planet endlich ist, entziehen wir der gegenwärtigen ökonomischen Theorie die grundlegende Ideologie vom ewigen Wachstum. Das erkannten auch die Ökonomen und haben deshalb große Anstrengungen unternommen, die herrschende ökonomische Theorie so zu interpretieren, dass Wachstum ohne Ressourcenverbrauch darstellbar wird. Das geht jetzt schon seit mindestens 40 Jahren so. Man sollte hier nicht weiter auf Zeit spielen und einen Strich ziehen und anerkennen, dass es hier keine adäquate Lösung gibt. Es wäre auch gut denkbar, sich mit den Erkenntnissen der Physik kurzzuschließen.

Das brächte das reale Wirtschaftssystem nicht unbedingt in ernste Schwierigkeiten, weil ein gesellschaftliches Leben ohne Wirtschaft schlecht denkbar ist. Ob es aber unverändert das heute verbreitete System bleibt, erscheint sehr fraglich. Es fällt mir auf, dass eine Transformation im Gange ist, zu der die wissenschaftsbasierte Ökonomie auf der Grundlage der ihr verfügbaren Denkstrukturen außer ‚Bremsen‘ kaum kreative Beiträge zu leisten vermag. Das Problem der ‚Externalitäten‘ rollt die Ökonomie von rückwärts auf.

Was in der Ökonomie immer als überflüssig oder störend aus ihrem Gedankengebäude als ‚außerhalb der Ökonomie‘ liegend weggedrückt wurde, poppt jetzt als originäre Problemstellung hoch und es ist m.E. deshalb nachvollziehbar, dass die Ökonomie keinen vernünftigen Rat zu geben weiß. Anders kann ich das Abtauchen der großen Wirtschaftsinstitute bei diesen existenziellen Fragestellungen nicht interpretieren.

Kann die Systemtheorie hier Unterstützung leisten? Wenn wir uns klar machen, dass die Fokussierung auf eine Unterscheidung von Subjekt und Objekt nur eine sehr begrenzte Reichweite hat, könnte die Sichtweise auf das Problem im Rahmen von Systemen von Vorteil sein. Das betrachtende Subjekt ist als Mensch Teil eines Systems, wodurch der Mensch seine Perspektive m.E. verändert: Das Subjekt ist nicht ein „Solist“, sondern ein ‚Teilnehmer‘, der in Systeme eingebunden ist. Das System stellt nicht die Frage nach der Ursache einer Wirkung, sondern fragt, ob die beobachtete Wirkung der Funktion des Systems angemessen ist. Auf diese Weise richtet sich die Perspektive vom Subjekt auf das System, auf ein durch vielschichtige Relationen verbundenes komplexeres Ganzes. Um es etwas konkreter werden zu lassen: wir bewegen uns vom individuellen „Ich“ zum „Wir“. Wenn das Subjekt-Objekt-Denken sehr eng und fokussiert ist, gelingt es über das System den Blick zu weiten und ganzheitlichere Gesichtspunkte in die Untersuchungen einzubeziehen. Systeme wollen ‚leben‘ bzw. ‚überleben‘ und damit rückt die Subjekt-Perspektive in die hinteren Reihen.

Das Ursache-Wirkung-Denken können wir aber nicht aufgeben. Ursache und Wirkung bleiben wesentliche Erkenntniswerkzeuge, sie werden nur durch den systemischen Ansatz alternativ erweitert und schaffen Perspektiven, die das lineare Denken aus Gründen der Komplexität, nicht ermöglichen. F. Vester hat diese Unterscheidung in die Praxis übertragen, indem er vorschlug, beim vernetzten Denken nicht in Produkten (oder Objekten), sondern in Funktionen zu denken.

Um diese Unterscheidung im Alltag besser erkennbar zu machen: Das Automobil ist ein Produkt. Die Mobilität repräsentiert die Funktion, zu der am Ende das Produkt beitragen soll. Das Automobil hat in seiner langen Geschichte zweifelsohne zur Mobilität beigetragen. Aber die Welt hat sich in der Zeit verändert: Die Mehrzahl der Automobile steht täglich ca. 22 Stunden herum, braucht in Städten viel Platz (Parkplatz vor dem Haus und Parkplatz in der Firma), stößt erhebliche Abgase und Feinstoffe aus und verursacht in seiner Massierung innerstädtisch einen hohen Lärmpegel. Wenn man beim Produkt bliebe, kommen solche Argumente selten. Sowie man sich über die Funktion klar wird, wird die Perspektive verändert und der Lösungsraum gewinnt an Weite und Vielfalt.

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