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Die plötzliche Einsicht

Der Wähler ist schon etwas verwirrt. Die Regel, „was juckt mich mein dummes Geschwätz von gestern“, hat wieder mal mit voller Wucht zugeschlagen. Von Geld war ja im Wahlkampf nie die Rede und jetzt wirft unsere künftige Regierung mit den Milliarden nur so um sich. Dabei finde ich die Entscheidung, diese Schulden (Sondervermögen) aufzulegen, von der Sache her ja gerechtfertigt. Aber die ‚Verarschung‘ (Entschuldigung!) der Wahler im Wahlkampf könnte großer nicht sein.

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In meinem letzten Beitrag vom Morgen des Wahlsonntags ging ich von der Erwartung aus, dass die Bereitstellung von Finanzmitteln insgesamt wohl 900 Mrd. Euro betragen müsse (Infrastruktur plus Sicherheit). Man könnte meinen, mein Beitrag wäre gelesen und erhört worden. Noch kämpfen die Auguren, wie sie diese Beträge verabschieden, aber deren Notwendigkeit ist m.E. inzwischen unumstritten. Es geht darum, wie bringen wir dieses große Projekt in hinreichend sichere Strukturen.

Es ist auch interessant, zu beobachten, wie die Parteien darum kämpfen, dass mit dem Ansatz, der wirtschaftspolitisch durchaus den Vorstellungen des John Maynard Keynes zugerechnet werden kann, die notwendigen Inhalte transportiert werden. Die Konservativen wollen einen Zustand wiederherstellen, wie er sich angeblich vor 20 Jahren dargestellt hat. Das stimmt zwar nicht, aber es lässt sich in unsicheren Zeiten gut verkaufen. Dabei haben sie ihre neoliberale Marktstrategie innerhalb weniger Tage über den Haufen ‚geschmissen‘, weil sie erkennen müssen, dass der Markt keine Infrastruktur schaffen kann. Im Gegenteil: der Markt lebt ganz wesentlich von der Voraussetzung, dass eine funktionsfähige Infrastruktur zur Verfügung steht. Und die bestehende Restinfrastruktur ist einer Wirtschaft, die sich als modern versteht, nicht mehr würdig.

Die Sozialdemokraten wollen dem sozialen Aspekt eine ausreichende Berücksichtigung sicherstellen und die Grünen haben die sinnvolle und verständliche Forderung, dass bei diesem großen Projekt der Klimawandel angemessen Berücksichtigung finden sollte. Es wäre dumm und fatal, aus ideologische Gründen Tatsachen, die wir seit 50 Jahren wissen und regelmäßig bewusst negieren, nicht in diese „Runderneuerung“ unseres Gemeinwesens einzubeziehen. Die Erneuerung der Infrastruktur muss nach vorne schauen und die günstige Gelegenheit beim Schopfe ergreifen, um den Umbau der Wirtschaft zu befördern.

Die Union war seit ca. 40 Jahren der Marktideologie aufgesessen und hat die Strategie von einem ‚Wandel durch Handel‘ übernommen, denn auf dieser Maxime fußt letztlich der Neoliberalismus, der nur solange eine gewisse Funktionsfähigkeit entwickeln kann, solange die Welt der Idee des Handels folgt. Man unterstellte, dass Frieden in allen wesentlichen Teilen der Welt herrscht und man deshalb im neoliberalen Sinne ‚gute‘ globale Geschäfte machen kann. Die regelgebundene Welt ist mit Putins Einmarsch in der Ukraine weggewischt worden; Trump kann mit Regeln nichts anfangen, er lebt vom Tumult und liebt wie seine „Entourage“ die Regellosigkeit, die sie uns frech als Freiheit verkaufen wollen. Damit ist der Gedanke der Globalisierung an seinem Ende, weil die Funktion von Lieferketten durch kriegerische Aktivitäten und einseitige Regel- und Vertragsverletzungen in Frage gestellt werden müssen (Stichwort Zölle).

Es bleibt natürlich die Frage, ob unsere bürokratischen Strukturen überhaupt noch in der Lage sind, ein solches Projekt zu stemmen. Wir haben ja nicht nur in den letzten 35 Jahren als Folge des Neoliberalismus die öffentlichen Nettoinvestitionen heruntergefahren, sondern parallel auch teilweise die Strukturen zerschlagen, die unsere Verwaltungen in die Lage versetzen könnten, diesen Runderneuerungsprozess zu steuern und ein positives Ergebnis bei kontrolliertem Geldeinsatz erwarten lassen. Wir sehen wie schwer sich die Bahn tut, nach fünfundzwanzig Jahren politisch gewollter Demontage (w/ des geplanten Börsenganges) wieder in der Wirklichkeit Fuß zu fassen.

Aber auch die Politik muss sich fragen lassen, ob sie die Kraft und das Personal zur Führung solcher Prozesse hat. Die Entscheidung, diese Projekte mit einem großen finanziellen Aufwand umzusetzen, erfordert hochqualifiziertes Personal, eine präzise Ziel- und Aufgabendefinition und ein sehr enges Controlling. Wir kennen in den letzten Jahrzehnten aber nur ‚Politik als Dienstleistung‘, also die Politik als bereitwilliger Assistent der Wirtschaft. Mit dem von Friedrich Merz ins Leben gerufenen Projekt ist knallharte Führung von Nöten! Wer ist denn so naiv und glaubt, dass sich an dem Projekt nur die „Gutwilligen“ versuchen werden. Solche finanziellen „Chancen“ ziehen alle möglichen „Investoren“ und „Experten“ an, die ihre Chancen wittern, weil das Projekt deutlich nach viel Geld riecht oder vielleicht sogar stinkt. Schon jetzt kann man davon ausgehen, dass sich Allianzen bilden und formieren, um bei dem sich abzeichnenden Windhundrennen vorne dabei zu sein.

Ist der künftigen Projektleitung (deren Mitglieder vermutlich von ihrem Glück noch gar nichts wissen) klar, dass mit der Direktive „Auf- und Ausbau der Infrastruktur“, wie sie vermutlich groß über dem Infrastrukturprojekt stehen wird, noch lange nicht klar ist, was im einzelnen denn unter dem Begriff der Infrastruktur gemeint sein könnte. Eine offizielle Mängelliste wird es wohl gegenwärtig nicht geben, aber wenn nicht klar ist, was und wo das Ziel ist, kann man nicht erwarten, dass das Projekt erfolgreich abgeschlossen werden kann.

Ein wichtiger Gesichtspunkt ist auch die Frage, wie kommt das Geld dahin,wo es wirklich benötigt wird? Was könnte ein angemessener Maßstab sein? Das Volumen von 500 Mrd. Euro übersteigt unser Vorstellungsvermögen. Also müssen wir dies Zahl mit einfachen Mitteln plausibilisieren.

Unser Gemeinwesen besteht grob gesprochen aus Bund, Ländern, Landkreisen und Kommunen. Der Bund und die Länder verfügen über Zugang zum Steueraufkommen und weisen schwerpunktmäßig Gelder den Landkreisen und Kommunen zu, mit der Folge, dass die Aufgaben auf den unteren Ebenen ständig zunehmen, aber die Finanzmittel hierfür oft nicht in gleichem Umfang zur Verfügung gestellt werden. Das ist m.E. mit ein wesentlicher Grund für den schlechten Zustand unserer Infrastruktur. Also müssen die „Verteilungsgesetze“ für die 500 Milliarden einmal grundsätzlich anders laufen: Der Gesamtbetrag des Sondervermögens wird durch die Zahl der Einwohner dividiert. Das sind rd. 6 T-Euro pro Einwohner. Das ist die Grundlage. Dann wird festgestellt, dass Bund und Land im Vergleich von Landkreisen und Kommunen nur wenig leistende Aufgaben wahrnehmen:

Also wird der Gesamtbetrag z.B. im Verhältnis 30 (für Bund und Länder) zu 70 (für Landkreise und Kommunen) aufgeteilt. Konkret bedeutet das, dass Bund und Länder 1.800 Euro pro Einwohner zugewiesen erhalten und die Landkreise und Kommunen einen Anspruch von bis zu 4.200 Euro geltend machen können. Von dem Gesamttopf von 500 Mrd. Euro können der Bund und die Länder über einen Verwendungsrahmen von 150 Mrd. Euro und die Landkreise und Kommunen über 350 Mrd. Euro erwarten. Durch diese sehr simple, aber nachvollziehbare Aufteilung könnte sicher gestellt werden, dass die Finanzmittel dahin laufen, wo sie gebraucht werden. Jede Kommune kann sich jetzt überlegen, welche Maßnahmen und Projekte sie in ihrem Rahmen für die nächsten Jahre ins Auge fassen und zur Finanzierung beantragen möchte. Es gilt auch die deutliche Ansage, dass die Grenze von Einwohnerzahl x 4,2 T€ als absolute Obergrenze im Rahmen des Sondervermögens für künftige Infrastrukturmaßnahmen für Landkreis und Kommune einzuhalten ist. Was eine Infrastrukturmaßnahme im Sinne des Gemeinwesens ist, bleibt dabei aber noch unbestimmt.

Es wurden zur Vorbeugung von Korruption je nach Größe der Projekte unterschiedliche öffentliche Ausschreibungsverfahren installiert. Die Qualität der Ausschreibungen haben für die investierende öffentliche Instanz juristische Konsequenzen. Aufgrund dessen werden die Ausschreibungen i.d.R. von Beratern aufgesetzt. Es ist noch nichts konkretes passiert, und schon werden die ersten Kosten fällig. Wenn sich herausstellt, dass das Teilprojekt aus einer fehlerhaften Aufteilung entstanden ist, muss bei Korrektur der ganze Rattenschwanz neu aufgesetzt werden. Auch daraus wird deutlich, wie wichtig eine öffentlich abgesegnete Mängelliste für den Erfolg des Projektes ist.

Wenn die zahlreichen Projektangebote von „ganz billig“ bis „unbezahlbar“ vorliegen, müssen die Angebote „validiert“ werden. Ich hoffe, dass diese Aufgabe nicht der Politik zufallen wird. Die Validierung ist nur auf rein fachlicher Ebene begründ- und darstellbar. Dieser Service wird nicht pro bono erfolgen können. Man kann schon an diesen wenigen Ausführungen erkennen, dass die Abwicklung komplex sein wird, und dass alleine die Administration der Projekte über einen Zeitraum von ca. 10 Jahren vorsichtig geschätzt etwa 10% des Projektvolumens verschlingen wird (ca. 50 Milliarden!). Das Geld könnte man natürlich auch anderweitig einsetzen, erhöht dann aber das Risiko, dass das Gesamtprojekt in den Graben fährt.

Darf ich hier an die wenig rühmliche „Übernahme“ oder „Annexion“ der DDR-Wirtschaft erinnern? Alle erfahrenen Manager waren im Westen in Lohn und Brot. Plötzlich sollten die Wirtschaftsunternehmen der künftigen neuen Bundesländer „bewertet“ und umgebaut werden. Die Treuhandanstalt, der diese Aufgabe zufiel, konnte im Wesentlichen nur junges mit dem kapitalistischen Lehrbuchwissen gefüttertes und von jeder Wirtschafts- und Lebenserfahrung unbelecktes Personal für diese Aufgabe gewinnen, denen folglich jedes Augenmaß fehlte. Die politischen Folgen dieser unsensiblen Vorgehensweise können wir heute noch in Teilen an den Wahlerfolgen der AfD ablesen.

Das genannte Projekt braucht also zusätzliche Manpower. Und wir sollten nicht die gleichen Fehler wie in den 1990er Jahren machen. Der Bedarf besteht nicht nur auf der Leitungsebene, sondern erst recht im Rahmen der Umsetzung. Das Handwerk sucht händeringend nach adäquatem Personal, um seine „täglichen“ Aufgaben wahrnehmen zu können. Nun wird mal fix ein Milliardenprojekt aufgelegt, das sich sicherlich über einen Zeitraum von 10 – 15 Jahren (und darüber hinaus) erstrecken wird. Gehen wir bei dem Projekt vereinfacht davon aus, dass geschätzt etwa 30% des Projektvolumens auf Personalkosten entfallen werden, dann ergeben sich bei einem jährlichen Durchschnittsaufwand pro Person von 50 T€ ein zu erwartender Bedarf von bis zu 3 Mio. Mitarbeiter. Wenn wir diese Zahl von Mitarbeitern auf 10 Jahre strecken, bleibt immer noch ein Bedarf von etwa 300.000 Fachkräften. Wo sollen die Arbeitskräfte herkommen? Und ohne, dass andere Arbeiten liegen bleiben. Ob man hierfür schon eine Lösung gefunden hat oder finden wird? Ich habe meine Zweifel.

Dann sind wir wieder bei der Migration, die im Wahlkampf rauf und runter dekliniert wurde und die Emotionen hoch- und den Verstand weichgekocht hat. Ohne Zuwanderung wird es mittelfristig nicht gehen. Dazu müssten aber die größten Integrationshemmnisse der Migration abgebaut werden. Schaut nach Kanada! Warum klappt es dort? Jeder willige und fähige Migrant macht um unser Land einen großen Bogen, weil die Bedingungen nicht stimmen und unsere Bürokratie jedes “Pflänzchen“ im Keime erstickt. Wir haben seit der Zuwanderung der italienischen „Gastarbeiter“ vor gut zwei Generationen in Bezug auf Integrationsbemühungen wenig bis nichts dazu gelernt. Und auch hier spricht man üblicherweise ja von Infrastruktur!

Damit möchte ich schließen. Es stört mich, dass ich hier wenig Positives beitragen konnte, aber die Erfahrungen auf diesem Gebiet kann man nicht einfach ignorieren. Offensichtlich gilt der Satz: Man trifft mindestens zweimal im Leben auf eine ähnliche Situation – man muss nur alt genug werden und sich ein gewisses Maß an Erinnerungsvermögen erhalten.

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Klimawandel – im Wandel?

Angesichts der politischen Entwicklungen sieht es so aus, als ob der Klimawandel etwas in den Hintergrund rückt. Diese Entwicklung ist deshalb fatal, weil mit dem Klimawandel Veränderungen angesprochen werden, die am Ende das Überleben der Menschheit bestimmen werden. Dieser Sachverhalt wird vielen Menschen nicht klar kommuniziert bzw. viele verschließen vor dieser harten Aussage die Augen und die Ohren. Man kann dieses Verhalten auch als Verdrängung bezeichnen.

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Das Grundproblem

Das besondere am Klimawandel ist, dass dieses Problem sich nicht auf ein Land oder eine Region beschränkt, sondern Klimawandel hat einen planetarischen Maßstab. Angesichts dieser Bedrohung glauben manche Menschen, sie können in die von ihnen als angenehm erinnerte Zeit rein nationaler Politik zurück. Geschichte, so wie wir sie verstehen, ist eine gerichtete Entwicklung, kennt also kein Zurück. Man kann nur empfehlen, die Geschichtsbücher zur Hand zu nehmen, um zu erkennen, dass es eine bessere Vergangenheit nie gegeben hat und dass unsere Chance ausschließlich in der sinnvollen Bewältigung einer uns noch unbekannten Zukunft liegt. Man sollte nicht alte Fehler wiederholen, nur weil man glaubt, man wisse wie dann zu handeln sei.

Die Problematik des Klimawandels teilt sich in mindestens drei große Bereiche, die untereinander in enger Beziehung stehen, aber politisch gerne als Einzelphänomene betrachtet werden:

Der Klimawandel fokussiert auf die absehbare Erderwärmung durch übermäßigen CO2 -Ausstoß und deren Folgen. Er versucht Maßnahmen zu entwickeln, die die heute absehbaren Folgen einer Erderwärmung mit Blick auf die nächsten Jahrhunderte minimieren. Ausdruck dieser Strategie ist das Ziel, die Erderwärmung global unter 1,5 Grad halten zu können. Der Grund für diese 1,5 Grad sind die bisherigen Erkenntnisse, dass dadurch die negativen Folgen der Erderwärmung noch in Grenzen gehalten werden können.

Die zu erwartenden Folgen sind nur bedingt auf das Klima bezogen. Unterhalb der Grenze von 1,5 Grad sollen die Klimawirkungen auf Ernährung, Dürren, Überflutungen, Unwetter, Erdrutsche, Auflösung des Permafrostes, Erhöhungen des Meeresspiegels mit der Folge von gewaltigen Migrationsströmen beherrschbar bleiben. Inzwischen zeigt sich, dass die globale 1,5 Grad – Grenze möglicherweise nicht zu halten ist, weil es Bereiche auf der Erde gibt, für die auch 1,5 Grad schon zu viel sind, wenn man die damit verbundenen Folgen vermeiden oder minimieren will.

Um das 1,5 Grad-Ziel erreichen zu können, müssen insbesondere die Industrieländer sich einer wirtschaftlichen Transformation unterziehen, die die sogenannten Marktkräfte in ihrer trägen Handlungsgeschwindigkeit bei weitem überfordern werden. Da der „Markt“ eindimensional auf Fragen der Ökonomie orientiert ist, wollen die Marktvertreter nicht erkennen, dass der Veränderungsprozess auch eine komplexe soziale Komponente braucht, um die künftigen Folgen der Veränderungen abzufedern. Aus der Sicht des ausgehenden Neoliberalismus setzt aber die Beachtung einer sozialen Komponente die Wirksamkeit des Marktmechanismus stark herab; mit anderen Worten: selbst wenn die Anpassung über den Markt erfolgen könnte, läuft uns die Zeit davon.

Die Investitionen in die Transformation werden viel Geld kosten. Den wirtschaftlichen Vorteil realisieren vermutlich erst künftige Generationen. Die Transformation ist so etwas wie der gezielte Umbau unserer Infrastruktur. Die Kosten dieser Transformation können m.E. nicht aus dem jeweils laufenden Haushalt bestritten werden. Öffentliche Haushalte müssen den „laufenden Betrieb“ finanzieren. Investitionen in die Zukunft müssen durch „Sondervermögen“ oder durch gesonderte Umlagesysteme finanziert werden. Die Umlagesysteme hätten den Vorteil, dass sie zwar die heutige Wirtschaft belasten, aber künftig keine Zinsaufwendungen für die kommenden Generationen auslösen werden.

Die zunehmenden Schadenereignisse

Ein zweiter Problemkreis liegt in der Zunahme der verheerenden Schadenereignisse. Seit der Veröffentlichung der „Grenzen des Wachstums“ (1972) werden zunehmend die Auswirkungen der Erderwärmung aufgezeichnet und man stellt fest, dass sich diese Ereignisse einerseits häufen und andererseits pro Ereignis an Mächtigkeit zunehmen. Große Teile der Politik verschließen sich dieser gut belegten Erkenntnis.

Die Versicherungswirtschaft, die im Schadenfall ihre betroffene Klientel finanziell zu entschädigen verpflichtet ist, sieht das deutlich anders. Für sie gilt der Erwartungswert des Schadens als Maßstab; d. h. Eintrittswahrscheinlichkeit des Schadens multipliziert mit der Schadenhöhe. Wenn in dieser Grundformel beide Formelwerte laufend zunehmen, also nicht alle 30 Jahre, sondern plötzlich alle zehn Jahre (oder weniger) und der Wert des Schadens aufgrund der Heftigkeit des Ereignisses samt Inflation laufend zunimmt, so werden die Prämien davon nicht unberührt bleiben. Altverträge haben eventuell noch Bestandsschutz. Bei Neuverträge wird sich die veränderte Situation in den Prämien und in dem Eigenanteil zur Schadenprävention (Erhöhung der Gestehungskosten) niederschlagen.

Zur allgemeinen Hochwasserexposition gibt es zudem öffentlich zugängliche, neue digitale Kartenwerke, an denen erkennbar wird, welche Gebäude mit welcher Wahrscheinlichkeit hochwassergefährdet sind. Die Kunden der Versicherer können sicher sein, dass gegenwärtig Schritt für Schritt eine Neubewertung ihres Risikos durchgeführt wird. Das ist bisher im wesentlichen eine Darstellung des privaten Sektors.

Die großen Schadenereignisse betreffen ja nicht nur Privatleute, sondern ganze Regionen und ihre öffentlichen Infrastrukturen (Wasser/Abwasser, Energie, Kommunikation, Verkehrssysteme, Digitalisierung u.v.m.), also unser Gemeinwesen. Im Falle des Ahrtal-Ereignisses spricht man von einer Schadenhöhe von 40 Mrd. Euro. Das war (2022) angeblich ein „Jahrhunderthochwasser“, Anfang des Sommers (2024) standen Bayern, die Rheinland-Pfalz und das Saarland unter Wasser – noch ein „Jahrhunderthochwasser“. Mit den Wassermassen, die jüngst in Rumänien, Niederösterreich, Tschechien und Polen niedergingen, sind wir teilweise noch an Elbe und Oder beschäftigt. Auch hier wird gerne von einem „Jahrhunderthochwasser“ gesprochen. Es liegen aber keine fünf Jahre dazwischen.

Worauf ich hinaus will, dass diese und ähnliche Ereignisse auch das Gemeinwesen finanziell erheblich belasten werden. Wir können diese Ereignisse langfristig nur dadurch eindämmen, dass wir uns „Zukunftsinvestitionen“ leisten, um die Wahrscheinlichkeit von Schadenereignissen künftig zu reduzieren. Wir haben aber parallel schon jetzt eine Entwicklung, die wir nur mit Mühe finanziell beherrschen. Es ist wahrscheinlich, dass diese Entwicklung einige Jahrzehnte noch weiter zunimmt, weil weltweit die Maßnahmen zur Reduktion der Erderwärmung einfach unzureichend sind. Mit anderen Worten: der schwache Wille, eine globale Transformation in Angriff zu nehmen, wird mit jedem Schadengroßereignis weiter geschwächt, weil die öffentliche Hand ihre Finanzmittel auch nur einmal ausgeben kann.

Resilienz

Mit dem Wort Resilienz oder Widerstandskraft wurde ein neues Wort geschaffen, um unseren seit 30 Jahren aufgebauten Defiziten in der Infrastruktur einen neuen Namen zu geben. Er soll vermutlich darüber hinwegtäuschen, dass die Politik ihre Erfolge in der Vergangenheit dadurch finanziert hat, dass sie Jahrzehnte lang kein Geld für die systematische Erhaltung der Infrastruktur bereitgestellt hat. Die verrottete Infrastruktur steht zur Wiederaufarbeitung an und wird zusätzlich Finanzmittel binden, die für Zukunftsaufgaben und für Hilfen bei Großschäden möglicherweise nicht zur Verfügung stehen werden.

Wie ist es dazu gekommen? Abgesehen vom politischen Willen, der immer auf Neuinvestitionen gerichtet war, ist mit der (laufenden) Reparatur der Infrastruktur kein Staat zu machen. Das wäre für die meisten Bürger zu selbstverständlich, für die Politik also wenig öffentlichkeitswirksam. Also haben neue Großinvestitionen immer Vorrang gehabt, weil sich die Politik dabei in Bild und Ton in der Öffentlichkeit erfolgreich darstellen kann.

Ein weiterer Gesichtspunkt liegt vermutlich im verwendeten Handwerkszeug: der kameralistisch orientierten Finanzplanung, Sie kommt einer einfachen Einnahmen-Ausgaben-Rechnung sehr nahe. Was mit dem eingesetzten Geld geschaffen wurde (z. B. Anlagevermögen), wird nicht systematisch erfasst (weil der Stand der Digitalisierung in der deutschen Verwaltung eine sinnvolle Erfassung vermutlich auch nicht zulässt). Unternehmen dokumentieren ihre Investitionen ausführlich, um eine gesicherte Grundlage für die Ab- und Zuschreibungen zu haben, um anhand der Aufzeichnungen sinnvolle Reparaturzyklen zu bestimmen, mit dem Ziel eine optimale Nutzungsdauer des Geschaffenen zu erreichen. Die Kameralistik kennt aber keine Abschreibungen. Abschreibungen sind zeitliche Aufwandsverteilungen und die Kameralistik kennt nur Ausgaben (Geldabfluß).

Mit der Adaption des Begriffs der „Resilienz“ hat m. E. die Politik im Grunde den Klimawandel als unausweichlich klassifiziert und der Bevölkerung und der Wissenschaft ihre Resignation signalisiert, wir können es eh nicht ändern. Statt an die Wurzeln des Übels zu gehen, hat man das Problem stillschweigend akzeptiert und konzentriert sich jetzt auf die Behandlung der Symptome. Das ist ein typisch politisches Verhalten, man folgt dem Schwarm der bequemen Haltung und geht den Weg des geringsten Widerstandes.

Fazit

Je mehr wir in die Zukunft investieren (was jetzt Geld kostet) mit dem Ziel, die Folgen des Klimawandels zukünftig zu minimieren, desto weniger Geld werden wir für die Schadengroßereignisse bereitstellen müssen. Oder wenden wir es anders, je weniger wir uns um die Zukunft schweren, desto teurer kommen uns die heute absehbaren Schadengroßereignisse. Parallel dazu müssen wir unsere desolate Infrastruktur „resilient“ machen, damit uns die Auswirkungen der Schäden nicht so unvorbereitet treffen.

Diese Denkweise geht von der Fehlannahme aus, dass der Klimawandel wie ein Regenschauer vorüberzieht. Das wird nicht der Fall sein, weil die Prozesse, die durch den Klimawandel ins Rollen kommen, i.d.R. irreversibel sind. Wenn das Klima sein dynamisches Gleichgewicht verliert, ist eine Rückkehr auf das Ausgangsniveau aufgrund des physikalischen Phänomens der Entropie ausgeschlossen. Der Klimawandel stellt auf lange Sicht das Überleben unserer Spezies in Frage, weil wir uns systematisch aus dem relativ schmalen Korridor, indem intelligentes Leben im Kosmos überhaupt möglich ist, selbst hinauskatapultieren.

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