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Ist Wachstum alternativlos?

Gegenwärtig erscheint zu viel im Flusse zu sein, als dass man aus den üblich zugänglichen Quellen sich keine hinreichend sicher begründbare Meinung bilden kann. Es ist alles nur Tagespolitik (Löcher stopfen). Eine begründbare längerfristige Linie ist gegenwärtig schwierig auszumachen. Die seit sicherlich dreißig Jahren diskutierte Energiewende ist noch nicht erkennbar. In der neuen Situation ist noch nicht auszumachen, was sich durchsetzen könnte.

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Die großen Milliardenbeträge, die eingesetzt werden, sollen das ‚Volk‘ beruhigen. Wieviel dabei für die eigentliche Aufgabe der Energiewende übrigbleibt, erscheint nicht absehbar. Der Winter und seine möglichen Folgen werden heftig diskutiert, aber was zeichnen sich langfristig für Folgen für das große Projekt Energiewende ab, die letztlich nach den sogenannten Übergangslösungen wieder Tritt gewinnen muss? Es wurde inzwischen zu viel auf die Karte der Erneuerbaren gesetzt als dass der Politik hier auf halber Strecke die Luft ausgehen darf.

Stattdessen habe ich einen Beitrag von Hermann Daly aus dem Jahr 2009 ausgegraben, der auf eine einmalig deutliche und leichte Art darzustellen vermag, warum Wachstum (unsere heilige Kuh) mittelfristig keine Option mehr sein kann. Das Original ist in englischer Sprache, deshalb habe ich mir die Mühe gemacht, den Text zu übersetzen. Die ganze Ansprache in der American University in Washington D.C. umfasst mehr. Es geht um eine Steady-State –Economy. Der hier vorgestellte Ausschnitt aus dem Beitrag ist auf die Frage nach dem Wachstum und seine Möglichkeiten beschränkt.

Hermann E. Daly[1]:

Wir haben viele Probleme (Armut, Arbeitslosigkeit, Umweltzerstörung, Haushaltsdefizit, Handelsdefizit, Rettungspakete, Bankrott, Zwangsvollstreckungen usw.), aber anscheinend nur eine Lösung: Wirtschaftswachstum, oder wie die Experten jetzt gerne sagen, „die Ökonomie wachsen lassen“ – als wäre es eine Topfpflanze mit heilenden Blättern, wie Aloe Vera oder Marihuana.

Aber lassen Sie uns genau dort innehalten und zwei Fragen stellen, die alle Studenten ihren Wirtschaftsprofessoren stellen sollten:

Erstens gibt es einen grundlegenden Satz in der Mathematik, der besagt, dass, wenn etwas wächst, es größer wird! Wenn also die Wirtschaft wächst, wird sie auch größer. Wie groß darf die Wirtschaft sein, Herr Professor? Wie groß ist sie jetzt? Wie groß soll sie werden? Haben sich Ökonomen jemals mit diesen Fragen beschäftigt? Und vor allem, was lässt Sie denken, dass Wachstum (d. h. die physische Expansion des wirtschaftlichen Subsystems in einer endlichen Biosphäre) die Umwelt- und Sozialkosten nicht bereits schneller erhöht als die Produktionsvorteile, wodurch es zu unökonomischem Wachstum kommt, das uns ärmer und nicht reicher macht? Schließlich trennt das reale BIP, das sogenannte Maß für „wirtschaftliches“ Wachstum, Kosten nicht von Nutzen, sondern verschmilzt sie zu „wirtschaftlicher“ Aktivität.

Wie können wir wissen, wann Wachstum unwirtschaftlich wird? Die Abhilfe- und Abwehrmaßnahmen werden ständig größer, je mehr wir uns von einer „leeren Welt“ zu einer „vollen Welt“ entwickeln, die durch Staus, Störungen, Verdrängung, Erschöpfung und Umweltverschmutzung gekennzeichnet ist. Die durch diese Negativfaktoren verursachten Abwehrausgaben werden alle dem BIP hinzugerechnet, nicht abgezogen. Seien Sie auf ein Abwinken, ein Räuspern und einen schnellen Themenwechsel vorbereitet. Aber lassen Sie sich nicht täuschen!

Zweitens: Erkennen Sie, Herr Professor, Wachstum als einen kontinuierlichen Prozess, der an sich wünschenswert ist – oder als einen vorübergehenden Prozess, der erforderlich ist, um ein ausreichendes Wohlstandsniveau zu erreichen, das danach mehr oder weniger in einem stabilen Zustand gehalten wird? Mindestens 99 % der modernen neoklassischen Ökonomen vertreten die Ansicht des ewigen Wachstums. Wir müssen zu John Stuart Mill (1806 – 1873) und den früheren klassischen Ökonomen zurückkehren, um eine ernsthafte Behandlung der Idee einer nicht wachsenden Wirtschaft, des stationären Zustands, zu finden. Was macht moderne Ökonomen so sicher, dass die klassischen Ökonomen falsch lagen? Die Geschichte des ökonomischen Denkens aus dem Lehrplan zu streichen, ist keine Widerlegung!

Hier sind einige Gründe zu der Annahme, dass die klassischen Ökonomen Recht haben. Eine langfristige Erwartung für kontinuierliches Wachstum könnte nur dann sinnvoll sein, wenn eine der drei folgenden Bedingungen zutrifft:

(Wachstum könnte nur dann sinnvoll sein,…)

1. wenn die Wirtschaft kein offenes Teilsystem eines endlichen und nicht wachsenden biophysikalischen Systems wäre,

2. wenn die Wirtschaft in einer nicht-physischen Dimension wächst, oder

3. wenn die Gesetze der Thermodynamik nicht gelten.

Betrachten wir jede dieser drei logischen Alternativen. (falls Ihnen eine vierte einfällt, lassen Sie es mich wissen:)

1. Einige Ökonomen betrachten die Natur tatsächlich als eine Reihe von extraktiven Teilsektoren der Wirtschaft (Wälder, Fischerei, Minen, Brunnen, Weiden und sogar Landwirtschaft …). Die Wirtschaft, nicht das Ökosystem oder die Biosphäre, wird als Ganzes betrachtet; die Natur ist eine Ansammlung von Teilen. Wenn die Wirtschaft das Ganze ist, dann ist sie kein Teil einer größeren Sache oder eines größeren Systems, das ihre Expansion einschränken könnte. Wenn ein extraktiver natürlicher Teilsektor knapp wird, werden wir ihn einfach durch andere Sektoren ersetzen, und das Wachstum der gesamten Wirtschaft wird weitergehen, nicht in einer einschränkenden biosphärischen Hülle, sondern in den Sternenraum, der vermutlich voller ressourcenhaltiger Asteroiden und freundlicher, hochentwickelter Außerirdischer ist, die darauf aus sind, uns zu lehren, wie wir für immer in ihr Territorium hineinwachsen können. Ressourcen und Verbrauch gelten als unendlich verfügbar.

2. Einige Ökonomen sagen, dass das, was beim Wirtschaftswachstum wächst, der Wert ist und der Wert nicht auf physische Einheiten reduzierbar sei. Letzteres stimmt natürlich, aber das bedeutet nicht, dass der Wert unabhängig von der Physik darstellbar ist! Schließlich ist Wert  = Preis mal Menge, und Menge ist grundsätzlich immer physisch. Auch Dienstleistungen sind immer die Dienstleistung von etwas oder jemandem für eine gewisse Zeit, und Menschen, die Dienstleistungen erbringen, müssen essen. Die Werteinheit des BIP ist nicht Dollar, sondern der Wert (der eingesetzten Menge) ausgedrückt in Dollar. Benzin im Wert von einem Dollar ist eine physische Menge, derzeit etwa eine halbe Gallone. Die Aggregation der Dollarwerte vieler verschiedener physischer Rohstoffe (BIP) hebt die Körperlichkeit des Maßes nicht auf, obwohl die Summe nicht mehr in physischen Einheiten ausgedrückt werden kann. Richtig, $/q x q = $. Aber die Tatsache, dass sich q mathematisch aufhebt, bedeutet nicht, dass das aggregierte Maß „Dollarwert“ nur ein Haufen Dollar ist. Und es hilft nicht, von „Wertschöpfung“ (durch Arbeit und Kapital) zu sprechen, weil wir fragen müssen, wozu die Wertschöpfung? Und die Antwort sind natürliche Ressourcen, Materie/Energie mit niedriger Entropie – nicht Feenstaub oder (mythische) Froschhaare!

Entwicklung (mehr Wohlfahrt aus dem gleichen Durchsatz an Ressourcen herauspressen) ist eine gute Sache. Wachstum (mehr Ressourcen durch eine physisch größere Wirtschaft treiben) ist das Problem. Die Begrenzung des quantitativen Wachstums ist der Weg, um qualitative Entwicklung zu erzwingen.

3. Wenn Ressourcen aus dem Nichts geschaffen und Abfälle zu Nichts vernichtet werden könnten, dann könnten wir einen ständig wachsenden Ressourcendurchsatz haben, um das kontinuierliche Wachstum der Wirtschaft anzutreiben. Aber der erste Hauptsatz der Thermodynamik (der Physik) sagt NEIN.

Oder wenn wir einfach die gleiche Materie und Energie immer schneller durch die Wirtschaft recyceln könnten, könnten wir das Wachstum am Laufen halten. Das Kreislaufdiagramm aller wirtschaftswissenschaftlichen Grundlagentexte kommt dieser Behauptung leider sehr nahe. Aber der zweite Hauptsatz der Thermodynamik (der Physik) sagt NEIN.

Wenn wir uns also nicht aus allen Problemen ‚herauswachsen‘ können, sollten wir vielleicht die Logik und die Tugenden des Nichtwachstums, der Steady-State-Ökonomie, überdenken. Warum diese Weigerung neoklassischer Ökonomen, sich sowohl dem gesunden Menschenverstand zu stellen als auch die Ideen der frühen klassischen Ökonomen zu überdenken?

Ich glaube, die Antwort ist erschreckend einfach. Ohne Wachstum ist der einzige Weg, Armut zu heilen, das Teilen. Auf der Umverteilung liegt (als „Unwort“) ein „Kirchenbann“. Ohne Wachstum, das den erhofften demografischen Übergang vorantreibt, ist die einzige Möglichkeit, die Überbevölkerung zu heilen, die Bevölkerungskontrolle. Ein weiteres „Unwort“ mit „Kirchenbann“. Ohne Wachstum besteht die einzige Möglichkeit, die Mittel für Investitionen in die Umweltsanierung zu erhöhen, darin, den Energieverbrauch zu senken. Ein weiterer „Kirchenbann“ (für das „Unwort“) Nummer drei. Dreimal „Kirchenbann“ und du bist verdammt – fahr zur Hölle!

Und wie werden wir ohne Wachstum Arsenale aufbauen, um die Demokratie (und die verbleibenden Erdölreserven) zu schützen? Wie werden wir zum Mars und Saturn fliegen und den Weltraum „erobern“? Woher soll technischer Fortschritt kommen, wenn nicht aus unbeabsichtigten Ablegern des Militärs und der Weltraumforschung? Gnostische Techno-Fantasien, von der Erde in den Weltraum zu fliehen und Krankheit und Tod selbst abzuschaffen, nähren sich vom Mythos des ewigen Wachstums ohne Grenzen. „Tekkies“ mit digital gepoltem Gehirn, die noch nie vom Problem des Bösen gehört haben, sehen den Himmel auf Erden (ewiges Wachstum) gleich um die Ecke.

Ohne Wachstum müssen wir uns der schwierigen (quasi) religiösen Aufgabe stellen, einen anderen Gott zum Anbeten zu finden. Das ist zu beängstigend, sagen wir, (also) versuchen wir stattdessen, etwas mehr zu wachsen! Lassen Sie uns das BIP und den Dow-Jones ankurbeln! Bauen wir einen weiteren Turm zu Babel mit verwirrenden Fachbegriffen wie Subprime-Hypothek, Derivat, verbrieftes Anlagevehikel, Collateralized Debt Obligation, Credit Default Swap, „toxische“ Vermögenswerte und Insider-Slang wie „dead cat bounce“. (Wenn Sie eine tote Katze von einem ausreichend hohen Turm von Babel fallen lassen, wird sogar eine tote Katze genug Aufprall entwickeln, um einen Gewinn zu erzielen.)

Nun, lassen Sie uns das nicht tun. Lassen Sie uns den „Kirchenbann“ (schlicht) ignorieren und stattdessen darüber nachdenken, welche Maßnahmen erforderlich wären, um zu einer Steady-State-Wirtschaft überzugehen. Sie sind nach heutigen Maßstäben etwas radikal, aber nicht so wahnsinnig unrealistisch wie die drei eben besprochenen Alternativen zur Validierung des kontinuierlichen Wachstums.“ Seine Vorstellungen zur Steady-State-Economy (SSE) habe ich hier schon gekürzt in einem Beitrag „Der etwas andere Ansatz (II)“ aus Juli 2022 vorgestellt.


[1] Hermann E. Daly: Speech at American University, Washington: From a Failed Growth Economy to a Steady-State Economy, Washington D.C., 2009 (p. 2 – 4) (eigene Übersetzung)

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