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Eine Zeitenwende?

Der gegenwärtige Tumult auf der großen politischen Bühne ist nur schwer bis gar nicht durchschaubar. Es bleibt als Alternative nur, sich in Gelassenheit zu üben und dabei die etwas längerfristige Entwicklung ins Auge zu fassen. Wir Kinder der unmittelbaren Nachkriegszeit haben das Glück, auf eine relativ lange Periode zurückschauen zu können, in der sich eine komplexe, aber durchaus regelbasierte Welt entwickelte, die einige autokratische Akteure jetzt versuchen, grundlegend und teilweise gewaltsam zu ändern. Dabei ist m.E. nicht die Tatsache der Veränderung das Problem, sondern die Art und Weise, wie die Veränderung aufgegriffen und realisiert werden soll. Scholz charakterisierte die Situation m.E. 2022 zu Recht mit dem Begriff einer Zeitenwende. Ist es wirklich nur eine?

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Im Nachkriegsdeutschland stand der Wiederaufbau an erster Stelle. In dieser Zeit war jeder bemüht sein Ziel von einer für ihn machbaren Form von Wohlstand zu erreichen. Die damit verbundenen Arbeiten hatten für die Mehrzahl der Bürger einen erkennbaren Sinn. Wirtschaftspolitisch folgte man den Vorschlägen von J. M. Keynes, der sinnvollerweise den Aufbau als eine Symbiose von öffentlicher Verwaltung und Wirtschaft propagierte. Diese Vorstellungen haben die Menschen bis etwa in die 1980er Jahre begleitet und die Vorgehensweise war unstreitig erfolgreich.

„Die Sichtweise auf die Beziehung zwischen Staat und Wirtschaft drehte sich (dann) um 180 Grad. Davor war man davon ausgegangen, dass ein funktionierendes Gemeinwesen die Voraussetzung für eine gut laufende Wirtschaft sei. Nun drehte sich das und die neoklassische Sichtweise setzte sich mit der Idee durch, dass alle Werte am Markt geschaffen werden und die arme Wirtschaft für den gierigen öffentlichen Sektor aufkommen müsse“ (Emma Holten über Zahlen, SZ, 12./13.4.2025, S. 46).

Schon in den 1970er Jahren wurde eine Ideologie geboren, die eng mit der Mont-Pelérin-Gesellschaft verknüpft ist. In Deutschland wurde die Idee von der ordoliberalen Freiburger Schule unterstützt und F. von Hayek und Wilhelm Röpke spielten eine wichtige Rolle. Die beiden haben zusammen mit anderen ihre differenzierte Idee vom Neoliberalismus systematisch durch Vorträge und den Aufbau von „Instituten“ in die Welt getragen. Unter Reagan (USA) und Thatcher (UK), gewann die Ideologie des Marktes und einer Marktgesellschaft insbesondere in den USA unter dem Verlust vieler seiner Differenzierungen politische Bedeutung.

In Europa war der Wiederaufbau etwa in den 1970er Jahren erfolgreich abgeschlossen und jetzt brauchte man neue Ziele. Bisher war Leistung die Kategorie, die zählte. Im Neoliberalismus verlor die Leistung an Bedeutung und statt ihrer wurde der Erfolg zum neuen Leitbild erkoren. Leistung ist individuell gestaltbar, Erfolg hat meist viele Väter, u.a. auch den Zufall. Es wurde offen das „Schneller, Höher, Weiter“ als intrinsisches Ziel des Kapitalismus propagiert, denn der Aufbau lag im Wesentlichen hinter uns. Der Wiederaufbau vermittelte den Menschen einen Sinn, aber mit „Schneller, Höher, Weiter“ kann man kaum einen tieferen Sinn vermitteln, es sei denn, man anerkennt Konsum als die schlichte Bemühung um die Aufrechterhaltung des Wirtschaftssystems und den Erwerb von Geld als Ersatz für den Sinn des Lebens.

Das „Schneller, Höher, Weiter“ der neuen Zeit verursacht weltweit gewaltige Schäden, die man in den ersten Jahren als lokale Phänomene übersehen konnte. 1972 kam dann das Buch „Die Grenzen des Wachstums“ (Meadows) heraus und konnte die verheerenden Folgen der neuen Ideologie systematisch aufzeigen. Das Buch wurde von weiten Teilen der Wirtschaftswissenschaftler in einem ersten Schritt belächelt.

Die Tatsache, dass die vielen lokalen Phänomene als ein globales System gesehen werden muss, war den „National“-Ökonomen nur schwer vermittelbar. Dieses Problem ist bis heute nicht überwunden. Daraus entwickelte sich die „grüne“ Idee, die schrittweise in die politische Agenda übernommen wurde. Damit hatte der Neoliberalismus sich einen immer mächtiger werdenden Gegner geschaffen. Und das Problem dabei ist, dass die Ökonomie darauf keine vernünftige Antwort zu geben weiß. Die „grüne“ Idee stellt letztlich das kapitalistische System nicht aus ideologischen Gründen in Frage, sondern durch knackige wissenschaftliche Erkenntnisse, die darin zusammen gefasst werden können, dass ‚ewiges‘ Wachstum in einem ‚endlichen‘ System Erde physikalisch nicht realisierbar ist. Ein „Weiter so“ fährt über kurz oder lang das „System“ (und damit auch die Ökonomie) gegen die Wand.

Der Neoliberalismus erfuhr dann in 2008 sein ideologisches „Canossa“. Die Finanzkrise hätte es, wenn die Ideologie „richtig“ gewesen wäre, gar nicht geben dürfen, denn der Markt hätte das verhindern müssen, wenn er so funktionieren würde, wie behauptet. Wobei die Fehlentwicklung im Rahmen des Finanzmarktes offen zutage trat, dessen hohes Maß an Deregulierung man als „Garantie“ verstand, dass dieser Markt im Sinne des Neoliberalismus „richtig“ funktioniert. Das ist in meinen Augen der Anfang vom Ende des Neoliberalismus.

Weil sich der Neoliberalismus ausschließlich auf den Markt konzentrierte, fand die Entwicklung der Infrastruktur unseres Gemeinwesens in den letzten dreißig Jahren keine Beachtung mehr. Man versuchte die Bundesbahn an die Börse zu bringen und hat politisch alle Register gezogen, um dieses Ziel zu erreichen, in der Hoffnung, dass die Bundesregierung den lästigen Schuldenproduzenten an die Börse durchreichen könnte. Das ist kläglich gescheitert – so doof ist der Markt nun auch wieder nicht.

Wir haben jetzt das zweifelhafte Glück, einen wesentlichen Teil unseres Mobilitätssystems über die nächsten 20 – 30 Jahre wieder hochzupäppeln, um eine sinnvolle und funktionierende Infrastruktur jenseits des Automobils zu erhalten.

Das Automobil wird uns noch Jahrzehnte (möglicherweise als E-mobil) begleiten, aber der Platzbedarf dieser Form von Mobilität verstopft als „ruhender Verkehr“ unsere Wohngebiete und als aktiver Verkehr unsere Verbindungsstraßen. Das Automobil ist gerade dabei, seinen Prestige-Status zumindest in den großen Städten zu verlieren. Bei einem gut ausgebauten öffentlichen Personennahverkehr wird das Auto in den städtischen Verdichtungen eher zu einem Hindernis, denn ein Mittel für Mobilität.

Die Fokussierung auf den Markt ließ einen neuen Gedanken Realität werden: die Globalisierung. Das regelbasierte Wirtschaftssystem, dem sich viele Wirtschaftsnationen verpflichtet fühlten, hat dazu geführt, dass die Lieferketten und die damit eng verbundene Skalierung der Produkte ausgebaut wurden. Man teilte die Produkte auf, skalierte sie und suchte für jedes Teil oder Teilsystem die billigsten Produktionsverhältnisse und verlagerte deren Produktion auf den Globus dorthin, weil der Transport (die sogenannte Lieferkette) so billig darzustellen war, dass sich diese Vorgehensweise trotz des unstreitig erhöhten Koordinationsbedarfs offensichtlich rechnete. Diese Idee hat eine ganz wichtige Voraussetzung: Auf dem Globus muss zumindest in wesentlichen Teilen Frieden und wechselseitig akzeptierter Freihandel (zumindest keine Zölle) herrschen und die Teilnehmer an der Globalisierung müssen sich dem wirtschaftlichen Diktat des kapitalistischen Wirtschaftsweise unterwerfen. Manche nennen diese Wirtschaftsform deshalb auch Wirtschaftskolonialismus.

Die Pandemie hat dann trotz relativ friedlicher Umstände deutlich gemacht, dass die Idee der Globalisierung eine sehr fragile Konstruktion darstellt. Mit dem Angriff Putins auf die Ukraine in 2022 wurde für jedermann klar, dass die Voraussetzungen für eine weitere Globalisierung wohl nicht mehr vorliegen. Dann kommt 2025 Donald Trump an die Macht und meint, dass Zölle eine wunderbare Idee seien, um seine MAGA-Ideologie der Welt aufs Auge zu drücken. Erste Reaktionen zeigen, dass diese Vorstellungen auf heftigen Widerspruch stoßen. Dabei geht es nicht nur um verbale Reaktionen, sondern um die Reaktionen des Finanzmarktes. Sollte sich herausstellen, dass Trump bei diesem Verwirrspiel große finanzielle Gewinne erzielt hat, wird es eng für ihn. Er hätte dann eine heilige Kuh des amerikanischen Finanzsystems in Frage gestellt und diejenigen, die ihn großzügig unterstützen, werden sich absehbar (vorsichtig) zurückziehen.

Die veränderten geopolitischen Gegebenheiten haben schlagartig auch deutlich gemacht, dass unsere Infrastruktur nicht nur auf dem Felde der Mobilität und der Verteidigung völlig vernachlässigt wurde. Plötzlich rückt die Tatsache in den Fokus, dass wir zwar nach dem Kriege einen bemerkenswerten Wiederaufbau hingelegt haben, aber wir haben im Neoliberalismus vor lauter Markt „vergessen“, dass diese damals aufgebaute Infrastruktur auch systematisch erhalten und gegebenenfalls auch ausgebaut werden muss.

Wir haben im Rahmen der Ideologie des Neoliberalismus alles getan, um den angeblichen „Moloch“ unserer Bürokratie abzubauen, so die fehlerhafte Argumentation. Im Rahmen dieser Verschlankungen wurden Ämter geschlossen, Personal ausgedünnt, Dienstleistungen der Verwaltung ausgelagert, bis die heutige Verwaltung einen Zustand erreicht hat, bei der die infrastrukturellen Aufgaben nicht mehr ausreichend wahrgenommen werden können. Gleichzeitig hat aber die Flut von teilweise fragwürdigen Regulierungen ständig zugenommen und niemand hat die Schere, die sich dadurch auftat, erkennen wollen.

Heute ist wie schon vor Jahren die „Entbürokratisierung“ wieder ein riesiges Thema. Solange man hierbei immer nur die Verwaltung im Auge hat, wird es nichts werden. Der Fisch stinkt vom Kopf her – die Verwaltung ist an die Gesetze gebunden, also kann man nicht erwarten, dass die Verwaltung in der Lage ist, sich selbst zu entbürokratisieren. Das muss schon ein politisches Gremium machen. Das ist aber eine mühselige Arbeit, die vermutlich wenig Freude bringt, weil es schwer wird, aus dieser Konstellation als erfolgreicher „Sieger“ hervorzugehen. Das Feld war schon in der Vergangenheit mit ausreichend politischen Leichen gepflastert.

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Die plötzliche Einsicht

Der Wähler ist schon etwas verwirrt. Die Regel, „was juckt mich mein dummes Geschwätz von gestern“, hat wieder mal mit voller Wucht zugeschlagen. Von Geld war ja im Wahlkampf nie die Rede und jetzt wirft unsere künftige Regierung mit den Milliarden nur so um sich. Dabei finde ich die Entscheidung, diese Schulden (Sondervermögen) aufzulegen, von der Sache her ja gerechtfertigt. Aber die ‚Verarschung‘ (Entschuldigung!) der Wahler im Wahlkampf könnte großer nicht sein.

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In meinem letzten Beitrag vom Morgen des Wahlsonntags ging ich von der Erwartung aus, dass die Bereitstellung von Finanzmitteln insgesamt wohl 900 Mrd. Euro betragen müsse (Infrastruktur plus Sicherheit). Man könnte meinen, mein Beitrag wäre gelesen und erhört worden. Noch kämpfen die Auguren, wie sie diese Beträge verabschieden, aber deren Notwendigkeit ist m.E. inzwischen unumstritten. Es geht darum, wie bringen wir dieses große Projekt in hinreichend sichere Strukturen.

Es ist auch interessant, zu beobachten, wie die Parteien darum kämpfen, dass mit dem Ansatz, der wirtschaftspolitisch durchaus den Vorstellungen des John Maynard Keynes zugerechnet werden kann, die notwendigen Inhalte transportiert werden. Die Konservativen wollen einen Zustand wiederherstellen, wie er sich angeblich vor 20 Jahren dargestellt hat. Das stimmt zwar nicht, aber es lässt sich in unsicheren Zeiten gut verkaufen. Dabei haben sie ihre neoliberale Marktstrategie innerhalb weniger Tage über den Haufen ‚geschmissen‘, weil sie erkennen müssen, dass der Markt keine Infrastruktur schaffen kann. Im Gegenteil: der Markt lebt ganz wesentlich von der Voraussetzung, dass eine funktionsfähige Infrastruktur zur Verfügung steht. Und die bestehende Restinfrastruktur ist einer Wirtschaft, die sich als modern versteht, nicht mehr würdig.

Die Sozialdemokraten wollen dem sozialen Aspekt eine ausreichende Berücksichtigung sicherstellen und die Grünen haben die sinnvolle und verständliche Forderung, dass bei diesem großen Projekt der Klimawandel angemessen Berücksichtigung finden sollte. Es wäre dumm und fatal, aus ideologische Gründen Tatsachen, die wir seit 50 Jahren wissen und regelmäßig bewusst negieren, nicht in diese „Runderneuerung“ unseres Gemeinwesens einzubeziehen. Die Erneuerung der Infrastruktur muss nach vorne schauen und die günstige Gelegenheit beim Schopfe ergreifen, um den Umbau der Wirtschaft zu befördern.

Die Union war seit ca. 40 Jahren der Marktideologie aufgesessen und hat die Strategie von einem ‚Wandel durch Handel‘ übernommen, denn auf dieser Maxime fußt letztlich der Neoliberalismus, der nur solange eine gewisse Funktionsfähigkeit entwickeln kann, solange die Welt der Idee des Handels folgt. Man unterstellte, dass Frieden in allen wesentlichen Teilen der Welt herrscht und man deshalb im neoliberalen Sinne ‚gute‘ globale Geschäfte machen kann. Die regelgebundene Welt ist mit Putins Einmarsch in der Ukraine weggewischt worden; Trump kann mit Regeln nichts anfangen, er lebt vom Tumult und liebt wie seine „Entourage“ die Regellosigkeit, die sie uns frech als Freiheit verkaufen wollen. Damit ist der Gedanke der Globalisierung an seinem Ende, weil die Funktion von Lieferketten durch kriegerische Aktivitäten und einseitige Regel- und Vertragsverletzungen in Frage gestellt werden müssen (Stichwort Zölle).

Es bleibt natürlich die Frage, ob unsere bürokratischen Strukturen überhaupt noch in der Lage sind, ein solches Projekt zu stemmen. Wir haben ja nicht nur in den letzten 35 Jahren als Folge des Neoliberalismus die öffentlichen Nettoinvestitionen heruntergefahren, sondern parallel auch teilweise die Strukturen zerschlagen, die unsere Verwaltungen in die Lage versetzen könnten, diesen Runderneuerungsprozess zu steuern und ein positives Ergebnis bei kontrolliertem Geldeinsatz erwarten lassen. Wir sehen wie schwer sich die Bahn tut, nach fünfundzwanzig Jahren politisch gewollter Demontage (w/ des geplanten Börsenganges) wieder in der Wirklichkeit Fuß zu fassen.

Aber auch die Politik muss sich fragen lassen, ob sie die Kraft und das Personal zur Führung solcher Prozesse hat. Die Entscheidung, diese Projekte mit einem großen finanziellen Aufwand umzusetzen, erfordert hochqualifiziertes Personal, eine präzise Ziel- und Aufgabendefinition und ein sehr enges Controlling. Wir kennen in den letzten Jahrzehnten aber nur ‚Politik als Dienstleistung‘, also die Politik als bereitwilliger Assistent der Wirtschaft. Mit dem von Friedrich Merz ins Leben gerufenen Projekt ist knallharte Führung von Nöten! Wer ist denn so naiv und glaubt, dass sich an dem Projekt nur die „Gutwilligen“ versuchen werden. Solche finanziellen „Chancen“ ziehen alle möglichen „Investoren“ und „Experten“ an, die ihre Chancen wittern, weil das Projekt deutlich nach viel Geld riecht oder vielleicht sogar stinkt. Schon jetzt kann man davon ausgehen, dass sich Allianzen bilden und formieren, um bei dem sich abzeichnenden Windhundrennen vorne dabei zu sein.

Ist der künftigen Projektleitung (deren Mitglieder vermutlich von ihrem Glück noch gar nichts wissen) klar, dass mit der Direktive „Auf- und Ausbau der Infrastruktur“, wie sie vermutlich groß über dem Infrastrukturprojekt stehen wird, noch lange nicht klar ist, was im einzelnen denn unter dem Begriff der Infrastruktur gemeint sein könnte. Eine offizielle Mängelliste wird es wohl gegenwärtig nicht geben, aber wenn nicht klar ist, was und wo das Ziel ist, kann man nicht erwarten, dass das Projekt erfolgreich abgeschlossen werden kann.

Ein wichtiger Gesichtspunkt ist auch die Frage, wie kommt das Geld dahin,wo es wirklich benötigt wird? Was könnte ein angemessener Maßstab sein? Das Volumen von 500 Mrd. Euro übersteigt unser Vorstellungsvermögen. Also müssen wir dies Zahl mit einfachen Mitteln plausibilisieren.

Unser Gemeinwesen besteht grob gesprochen aus Bund, Ländern, Landkreisen und Kommunen. Der Bund und die Länder verfügen über Zugang zum Steueraufkommen und weisen schwerpunktmäßig Gelder den Landkreisen und Kommunen zu, mit der Folge, dass die Aufgaben auf den unteren Ebenen ständig zunehmen, aber die Finanzmittel hierfür oft nicht in gleichem Umfang zur Verfügung gestellt werden. Das ist m.E. mit ein wesentlicher Grund für den schlechten Zustand unserer Infrastruktur. Also müssen die „Verteilungsgesetze“ für die 500 Milliarden einmal grundsätzlich anders laufen: Der Gesamtbetrag des Sondervermögens wird durch die Zahl der Einwohner dividiert. Das sind rd. 6 T-Euro pro Einwohner. Das ist die Grundlage. Dann wird festgestellt, dass Bund und Land im Vergleich von Landkreisen und Kommunen nur wenig leistende Aufgaben wahrnehmen:

Also wird der Gesamtbetrag z.B. im Verhältnis 30 (für Bund und Länder) zu 70 (für Landkreise und Kommunen) aufgeteilt. Konkret bedeutet das, dass Bund und Länder 1.800 Euro pro Einwohner zugewiesen erhalten und die Landkreise und Kommunen einen Anspruch von bis zu 4.200 Euro geltend machen können. Von dem Gesamttopf von 500 Mrd. Euro können der Bund und die Länder über einen Verwendungsrahmen von 150 Mrd. Euro und die Landkreise und Kommunen über 350 Mrd. Euro erwarten. Durch diese sehr simple, aber nachvollziehbare Aufteilung könnte sicher gestellt werden, dass die Finanzmittel dahin laufen, wo sie gebraucht werden. Jede Kommune kann sich jetzt überlegen, welche Maßnahmen und Projekte sie in ihrem Rahmen für die nächsten Jahre ins Auge fassen und zur Finanzierung beantragen möchte. Es gilt auch die deutliche Ansage, dass die Grenze von Einwohnerzahl x 4,2 T€ als absolute Obergrenze im Rahmen des Sondervermögens für künftige Infrastrukturmaßnahmen für Landkreis und Kommune einzuhalten ist. Was eine Infrastrukturmaßnahme im Sinne des Gemeinwesens ist, bleibt dabei aber noch unbestimmt.

Es wurden zur Vorbeugung von Korruption je nach Größe der Projekte unterschiedliche öffentliche Ausschreibungsverfahren installiert. Die Qualität der Ausschreibungen haben für die investierende öffentliche Instanz juristische Konsequenzen. Aufgrund dessen werden die Ausschreibungen i.d.R. von Beratern aufgesetzt. Es ist noch nichts konkretes passiert, und schon werden die ersten Kosten fällig. Wenn sich herausstellt, dass das Teilprojekt aus einer fehlerhaften Aufteilung entstanden ist, muss bei Korrektur der ganze Rattenschwanz neu aufgesetzt werden. Auch daraus wird deutlich, wie wichtig eine öffentlich abgesegnete Mängelliste für den Erfolg des Projektes ist.

Wenn die zahlreichen Projektangebote von „ganz billig“ bis „unbezahlbar“ vorliegen, müssen die Angebote „validiert“ werden. Ich hoffe, dass diese Aufgabe nicht der Politik zufallen wird. Die Validierung ist nur auf rein fachlicher Ebene begründ- und darstellbar. Dieser Service wird nicht pro bono erfolgen können. Man kann schon an diesen wenigen Ausführungen erkennen, dass die Abwicklung komplex sein wird, und dass alleine die Administration der Projekte über einen Zeitraum von ca. 10 Jahren vorsichtig geschätzt etwa 10% des Projektvolumens verschlingen wird (ca. 50 Milliarden!). Das Geld könnte man natürlich auch anderweitig einsetzen, erhöht dann aber das Risiko, dass das Gesamtprojekt in den Graben fährt.

Darf ich hier an die wenig rühmliche „Übernahme“ oder „Annexion“ der DDR-Wirtschaft erinnern? Alle erfahrenen Manager waren im Westen in Lohn und Brot. Plötzlich sollten die Wirtschaftsunternehmen der künftigen neuen Bundesländer „bewertet“ und umgebaut werden. Die Treuhandanstalt, der diese Aufgabe zufiel, konnte im Wesentlichen nur junges mit dem kapitalistischen Lehrbuchwissen gefüttertes und von jeder Wirtschafts- und Lebenserfahrung unbelecktes Personal für diese Aufgabe gewinnen, denen folglich jedes Augenmaß fehlte. Die politischen Folgen dieser unsensiblen Vorgehensweise können wir heute noch in Teilen an den Wahlerfolgen der AfD ablesen.

Das genannte Projekt braucht also zusätzliche Manpower. Und wir sollten nicht die gleichen Fehler wie in den 1990er Jahren machen. Der Bedarf besteht nicht nur auf der Leitungsebene, sondern erst recht im Rahmen der Umsetzung. Das Handwerk sucht händeringend nach adäquatem Personal, um seine „täglichen“ Aufgaben wahrnehmen zu können. Nun wird mal fix ein Milliardenprojekt aufgelegt, das sich sicherlich über einen Zeitraum von 10 – 15 Jahren (und darüber hinaus) erstrecken wird. Gehen wir bei dem Projekt vereinfacht davon aus, dass geschätzt etwa 30% des Projektvolumens auf Personalkosten entfallen werden, dann ergeben sich bei einem jährlichen Durchschnittsaufwand pro Person von 50 T€ ein zu erwartender Bedarf von bis zu 3 Mio. Mitarbeiter. Wenn wir diese Zahl von Mitarbeitern auf 10 Jahre strecken, bleibt immer noch ein Bedarf von etwa 300.000 Fachkräften. Wo sollen die Arbeitskräfte herkommen? Und ohne, dass andere Arbeiten liegen bleiben. Ob man hierfür schon eine Lösung gefunden hat oder finden wird? Ich habe meine Zweifel.

Dann sind wir wieder bei der Migration, die im Wahlkampf rauf und runter dekliniert wurde und die Emotionen hoch- und den Verstand weichgekocht hat. Ohne Zuwanderung wird es mittelfristig nicht gehen. Dazu müssten aber die größten Integrationshemmnisse der Migration abgebaut werden. Schaut nach Kanada! Warum klappt es dort? Jeder willige und fähige Migrant macht um unser Land einen großen Bogen, weil die Bedingungen nicht stimmen und unsere Bürokratie jedes “Pflänzchen“ im Keime erstickt. Wir haben seit der Zuwanderung der italienischen „Gastarbeiter“ vor gut zwei Generationen in Bezug auf Integrationsbemühungen wenig bis nichts dazu gelernt. Und auch hier spricht man üblicherweise ja von Infrastruktur!

Damit möchte ich schließen. Es stört mich, dass ich hier wenig Positives beitragen konnte, aber die Erfahrungen auf diesem Gebiet kann man nicht einfach ignorieren. Offensichtlich gilt der Satz: Man trifft mindestens zweimal im Leben auf eine ähnliche Situation – man muss nur alt genug werden und sich ein gewisses Maß an Erinnerungsvermögen erhalten.

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Effizienz“ – ein Wesenszug unseres Systems?

Wenn das bestehende Wirtschaftssystem zur Diskussion steht, erscheint Effizienz als eine treffende Systemeigenschaft. Die Konnotation des Begriffs von Effizienz wird in aller Regel positiv aufgefasst. Wenn aber Jeremy Rifkin1 den Begriff der Effizienz aufgreift, hat er anderes im Sinn.

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Als Kritiker des Wirtschaftssystems greift er diesen das System prägenden Begriff heraus, um das Gespräch einzuleiten und seine misstrauischen Gesprächspartner positiv zu stimmen und für eine ganz andere Sichtweise Schritt für Schritt auf das System einzustimmen, ohne die Katze gleich aus dem Sack zu lassen. Mit Effizienz können sich vermutlich alle Beteiligten mehr oder weniger gut identifizieren.

Effizienz gilt m. E. als ein technischer Begriff, der weit davon entfernt ist, moralische oder ethische Gesichtspunkte zu vermitteln. Und trotzdem gelingt es Rifkin, Schritt für Schritt die Effizienz als eine Denk- und Handlungsweise darzustellen, die aus seiner Sicht die Grundlage für unsere komplizierte Weltlage darstellt, die unter dem Begriff der Klimakrise segelt.

Von Effizienz spricht man gewöhnlich, wenn es gelingt, aus vorhandenem Material bei optimalem Einsatz ein Produkt oder ein angestrebtes Produkt mit dem geringst möglichen Materialeinsatz herzustellen. Die Ökonomie übernimmt die Idee gleich am Anfang ihrer Entwicklung, indem sie die Effizienz in Geld bewertet. Ökonomische Effizienz liegt dann vor, wenn die Kosten (dargestellt als Menge x Preis) optimiert werden. In Wettbewerbssituationen reicht das Optimum oft nicht – es gilt dann, die Kosten systematisch zu minimieren.

Wenn unser Wirtschaftssystem dem Gedanken der Gewinnmaximierung unter der Voraussetzung folgt, dass Preise anonym am Markt festgelegt werden, so ist dieses ökonomische Verständnis von Effizienz eine der Voraussetzungen, die das System zum Erfolg geführt hat, weil Gewinnmaximierung bei einem gegebenen Marktpreis nur erzielt werden kann, wenn eine konsequente Kostenminimierung wahrgenommen wird.

Diesem Grundsatz wurden alle ergänzenden Maßnahmen untergeordnet. Alle produktiven Aktivitäten, bei denen wir in unserem nationalen System im Vergleich der globalen Möglichkeiten keine Kostenminimierung darstellen können, wurden skaliert (in Arbeitsschritte zerlegt) und jeweils dorthin verbracht, wo nach Auffassung der Unternehmen eine Chance besteht, die Idee der Kostenminimierung zu realisieren.

Das schien wunderbar zu klappen, solange man darauf vertraute, dass die Lieferketten zum beiderseitigen Nutzen funktionieren. Keiner wollte sich vorstellen, dass wir eine weltweite Pandemie bekommen könnten oder dass es in der Vorstellung des globalen Handelsnetzes Teilnehmer geben könnte, die die Vorstellung „Wandel durch Handel“ nicht teilen wollen. Das Auftreten elementarer und einseitiger Abhängigkeiten lassen die Naivität der globalen Vision unter Vernachlässigung von Machtgesichtspunkten deutlich zu Tage treten.

Diese Verengung der Perspektive auf die Effizienz als ein anderes Wort zur Beschreibung von wirtschaftlicher Gewinnmaximierung oder systematischer Verherrlichung der Gier hat uns dazu geführt, mit einer einseitigen (linearen) Zielverfolgung, blind für die Wirklichkeit, gewaltige externe Effekte aufzutürmen (ich nenne sie Kollateralschäden). Die Klimakrise ist u.a. ein Ergebnis dieses Verhaltens.

Rifkin2 zitiert dabei William Galston (Wall Street Journal, 10.3.2020): „Was wäre, wenn das unermüdliche Effizienzdenken, das seit Jahrzehnten das unternehmerische Denken beherrscht, das globale Wirtschaftssystem anfällig für Erschütterungen gemacht hat?“ und Rifkin fährt fort: „Galston legte dar, dass der Erfolg der Globalisierung darauf beruht, die Produktion von alltäglichen Gütern und Dienstleistungen in diejenigen Weltregionen zu verlagern, in denen sich durch niedrige Lohnkosten und nicht vorhandene Umweltschutzgesetze effiziente Skaleneffekte erzielen lassen.3

Um es klar zu sagen, Effizienz ist nicht des Teufels, aber wie so oft, führt die obsessive Anwendung von Effizienz zu einer grandiosen Einseitigkeit, die insbesondere in der Biosphäre zu Entwicklungen führt, die den grundlegenden Gesetzen unserer Biosphäre widersprechen. Dies wurde erstmals klar und unmissverständlich ausgesprochen, als Joseph Stieglitz als ehemaliger Chefökonom der Weltbank in den 90iger Jahren des letzten Jahrhunderts darauf hinwies, dass wir im Rahmen des Planeten Erde wirtschaften, dass also nicht die Wirtschaft das übergeordnete System repräsentiert, sondern der Biosphäre absolute Priorität zukommt. Dieses Statement löste große Aufregung unter den Wirtschaftsvertretern und den Wirtschaftswissenschaftlern aus, weil sie ihren uneingeschränkten politischen Einfluss zu Recht schwinden sahen. Stieglitz erhielt in diesem Zeitraum dann den ‚Nobelpreis‘ für Wirtschaftswissenschaften.

Aus den Ausführungen wird auch deutlich, dass wir durch die kontinuierliche Anwendung von Effizienz viel von unserer Widerstandskraft (Resilienz) gegenüber unvorhergesehenen Einflüssen verloren haben. Die Natur setzt dabei nicht auf Effektivität, sondern auf Redundanz bzw. Vielfältigkeit, weil dadurch die „Response Diverity“ (die Reaktionsdiversität) die Bandbreite möglicher Reaktionen erhöht.

„Biologische Systeme funktionieren ganz anders.Sie zeichnen sich nicht durch Effizienz aus, sondern durch Anpassungsfähigkeit. Und ihre Leistung wird nicht anhand der Produktivität gemessen, sondern anhand ihrer Erneuerbarkeit.“ 4 Die Anpassungsfähigkeit als auch die Erneuerbarkeit sind Teilaspekte der Resilienz. Verglichen mit dem Begriff der Effektivität ist Resilienz ein weitaus komplexerer Sachverhalt. Prozesse können effektiv sein. Das ist eine ziemlich eindimensionale Aussage. Resilienz beschreibt einen Zustand, der seine Eigenschaften aus vielen Quellen schöpft, u.a. aus der Anpassungsfähigkeit und der Erneuerbarkeit.

Es tut sich m.E. ein gewaltiger Dissens auf zwischen dem Verständnis der Welt im Rahmen der Ökonomie und der wirklichen Welt. Rifkin erklärt diese Diskrepanz als eine Folge der wissenschaftlichen Entwicklung. Es erinnert mich an die Diskussionen in den 1980iger Jahren, als Fritjof Capra seinen Bestseller „Wendezeit“ herausbrachte und deutlich machte, dass zwischen der Newton’schen Physik und der „modernen“ Physik eine Quantensprung stattgefunden hatte.

Das Problem Capras war die Erkenntnis, dass diesen Quantensprung der Physik viele andere Wissenschaftszweige noch nicht realisiert hatten. So auch die Ökonomie. Ihr Theorie-Gebäude entspricht noch dem Niveau der zeitlosen Newton’schen Physik. Die Mathematisierung der Ökonomie hat nichts wesentliches dazu beigetragen. Die Sätze der Thermodynamik sind ihr fremd. Entropie ist kein Begriff, der Platz in der Ökonomie finden könnte.

Die Biologie war lange im Grunde eine Klassifikationswissenschaft (Fliegenbeinzählen) und hat sich dann, so Rifkin, mit Ernst Haeckel zu einer Ökologie und m. E. mit Ludwig von Bertalanffy zu einer systemischen Form entwickelt und spielt damit heute in den Diskussionen eine wesentliche Rolle.

Nach meinem Eindruck von der Ökonomie verliert sie ihre Deutungshoheit, weil sie zu den anstehenden ökologisch-wirtschaftlichen Fragestellungen keinen Beitrag zu leisten vermag. Ihrem Theoriegebäude fehlen einfach die Werkzeuge, um in komplexen Situation mehr als nur rückwärtsgewandte Konzepte einbringen zu können.

1Rifkin, Jeremy, Das Zeitalter der Resilienz, Frankfurt, 2022

2Vgl. Rifkin, 2022, S. 24

3Rfkin, 2022, S. 25

4Rifkin, 2022, S. 29

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