Schlagwort-Archive: Gier

Börsengeflüster

Mein Freund, der Broker, ist schon lange nicht mehr unter uns. Zu seinen Lebzeiten haben wir heiße Diskussionen über die „richtige“ Kapitalanlage geführt. Wir haben auch die vielfältigen Broker-Ideologien und Börsenmärchen diskutiert und nicht nur das, wir haben das eine oder andere auch ausprobiert. Manches funktionierte, vieles war einfach nur „Bullshit“.

» weiterlesen

Mangels einer halbwegs gesicherten Theorie stellt man fest, dass vieles nur deshalb „geht“, weil sich der gerade gültigen Broker-‚Parole‘ viele Anleger stillschweigend anschließen und der Idee an der Börse damit temporär zum Durchbruch verhelfen. Mit dem in den 1990er Jahren verbreiteten „O’Higgins High Five“-Verfahren einen Börsen-Erfolg haben zu wollen, erscheint mir heute, ohne es versucht zu haben, als reine Glücksache.

Die Börsenwelt hat sich zweifellos seit damals verändert. Es gibt neue Produkte und damit auch andere Möglichkeiten. Von besseren Chancen will ich nicht reden: Börse bleibt Börse! Unsere damaligen Diskussionen kreisten oft um die Frage nach der besseren Strategie: Dividendenpapiere oder ein ausschließlich spekulationsgetriebener Ansatz. Diese Ansätze gibt es m.E. unverändert; sie sind nur durch andere Produkte (z.B. High Dividend ETFs) vielleicht einfacher und mit weniger Analysearbeit zu realisieren. Bleibt die Frage, was ist erfolgreicher? Und was ist vom Risiko her überschaubarer?

Mein Eindruck ist, dass viele Börsianer den spekulativen Ansatz favorisieren. Diese Ansicht wird vielfach auch durch die Art der Berichterstattung über die Portfolios unterstützt. Es ist m.E. bisher nicht möglich, den Gedanken einer Dividendenstrategie mit der Idee der Spekulation aussagekräftig zu verbinden und darzustellen.

Neben den Hard-Core-Zockern, die jeweils ihre ganz eigene Strategie verfolgen, gibt es statt einer Theorie das nette Bild von der ‚(Schaf)Herde‘ der Anleger, die über den Markt diffundiert und ständig auf der Suche nach ‚üppigen Weideflächen‘ ist. Die ‚Herde‘ ist vielfach geteilt (also nicht homogen) und verfügt jeweils über ‚Schafsböcke‘, die die Herden temporär, selten ständig, durch sogenannte Meinungsbildung führen. Ob die Meinungen richtig sind, spielt hierbei keine große Rolle – die Meinung müssen nur möglichst viele teilen.

Die Kunst der Spekulation besteht nun darin, frühzeitig zu erkennen, wohin die eine oder andere Herde zieht, um dann, bevor die Masse der ‚Herde‘ ankommt und einsteigt, schon ‚im Markt‘ zu sein. Die sich bildende Nachfrage hebt die Kurse u.U. kräftig an und wer zu spät kommt, hat Pech gehabt. Der ideale Spekulant nutzt die Kurssteigerung, um zu versuchen, auf der Höhe der Blase wieder auszusteigen, bevor die Herde (bei sinkenden Kursen) satt ist und nach ‚neuen Weideflächen‘ Ausschau hält. Es beginnt eine neue Runde nach dem gleichen Schema. Ich hoffe, dem Leser wird deutlich, dass hier zum Erfolg viel sachbezogene Aufmerksamkeit von Nöten ist, vom Risiko ganz zu schweigen.

Spekulative Werte gelten als hip und innovativ. Bei genauerer Betrachtung verfügen sie über eine gute Publicity, aber meist über wenig Substanz. Im Extremfall werden diese Werte in den nächsten Jahren keine Gewinne erzielen, sondern nur von spekulativen Wellen und der guten Hoffnung ihrer Anleger leben. Wir bewegen uns damit nicht mehr in einer Realwirtschaft, sondern in einer Finanzwirtschaft, in der die Werte ausschließlich auf einem (oft sehr dünnen) Vertrauensvorschuss beruhen.

Versuchen wir, die Spekulation konkreter zu fassen: Man muss sich erst mal darüber klar werden, welche Wertsteigerungen und -verluste an Börsen unter realistischen Bedingungen üblich sind. Alle höheren Ausschläge sind möglich, aber selten und sollten nicht die Erwartungsgrundlage für den Aufbau eines Vermögens sein. Hinzu kommt, dass der Anleger zwar manchmal hohe Spitzenwerte vorfindet, aber bis er dann reagiert hat, ist das schon wieder vorbei, abgesehen davon, dass jede Bewegung i.d.R. auch Kosten auslöst.

Wenn man einsteigt, löst das Kosten aus, die den Einstand natürlich erhöhen und die Kosten werden oft nicht erfasst und damit vergessen. Steigt der Kurs in geringem Umfang, bleibt der Anleger kühl und entspannt. Steigt der Kurs aber signifikant, tritt ein Dämon auf, den man gewöhnlich als Gier bezeichnet. Und die Gier geht immer von der Hoffnung aus, dass die Kursbewegung anhält. Hier kann es zweckmäßig sein, sich angesichts gewöhnlicher Kursteigerung ein Maximalziel zu setzen. Wird das erreicht, muss der Anleger die Stärke haben, das Engagement zu lösen und den erreichten Gewinn einzustreichen. Und dann entspannt zu bleiben, auch wenn der Kurs weiter steigt – den ‚Peak‘ erreichen zu wollen, ist eine Illusion, von der aber die Börse lebt.

So wie der Anleger im positiven Fall sich ein Maximalziel definiert, so muss er auch im Voraus den zu tolerierenden Maximalverlust für sich definieren. Dabei ist darauf zu achten, dass ab einer gewissen Höhe des Verlustes oftmals eine Haltung Platz greift, dass es jetzt eh zu spät sei und man hofft, den Verlust aussitzen zu können. Es ist besser, es erst gar nicht dazu kommen zu lassen. Deshalb ist der maximal tolerierbare Verlust zu definieren. Und der gilt immer, nicht nur vom Einstand weg: Wenn bei einem Kursgewinn von fünfzehn Prozent der Wert ins Negative dreht, wird z.B. die Verlustgrenze von zehn Prozent an den erreichten 115% der Punkt gemessen , bei der der Anleger dann aussteigen sollte. Das ist oft nicht einfach, denn die Hoffnung stirbt zuletzt. Aber diese Disziplin ist unumgänglich. Wer sie nicht aufbringt, soll die Finger von der Spekulation lassen.

Die Erwartung, dass Spekulation zu einer echten Vermögensmehrung führt, ist trügerisch. Vermögen entsteht i.d.R. dadurch, dass man die Vermögensbasis verbreitet. Spekulation verbreitert nicht, sondern nährt sich nur von der Wertsteigerung des Einsatzes. Ein eventueller Vermögensaufbau erfolgt nur dann, wenn die Spekulation durch Realisation zu mehr Finanzmitteln führt, die zur Vermögensmehrung dann wieder sinnvoll investiert werden müssen. Das Vermögen ist in der Spekulation immer im Risiko. Gibt es da nicht noch einen anderen Weg?

Die Alternative hat den Nachteil, dass sie so gar nicht „hip“ ist. Sie hat aber den Vorteil, dass sie systematisch vorgeht. Es gibt ein eindeutiges Rechenmodell, das diese Vorgehensweise unterstützt. Grundlage der Vorgehensweise ist eine Exponentialgleichung (ähnlich dem Zinseszins). Der Nachteil liegt darin, dass die Ergebnisse sich i.d.R. langsamer entwickeln, dafür aber deutlich risikoärmer. Es handelt sich um Industrieobligationen oder um relativ hoch rentierliche Aktiendividenden. Obligationen sind im Grunde Schuldscheindarlehen mit einer i.d.R. festen Verzinsung, wobei man gerne die Kurzläufer nimmt, die innerhalb von 3 – 5 Jahren fällig werden, um dann nach Ablauf eine neue Entscheidungsmöglichkeit zu haben. Die sogenannten „high dividend“ Aktien werden heute international als Exchange Traded Funds (ETF) angeboten.

Die Branche der Börsenmakler blickt auf den „High Dividend“-Ansatz etwas herab. Hohe Dividenden entziehen dem Unternehmen angeblich Finanzmittel und die Spekulations-Fraktion ist wohl mehrheitlich der Auffassung, dass das Management das Geld lieber in das Wachstum (sprich Kurspflege) des Unternehmens stecken sollte. Diese Vorstellung halte ich für naiv: Wenn das Management eines eingeführten Unternehmens den für die Dividendenzahlung vorgesehenen Finanzmittel einbehalten könnte, so wird folgendes passieren: ein kleiner Teil wird für Wachstum und die Kurspflege bereitgestellt und der größere Teil wird in Boni, Gratifikationen, Tantiemen und Sonderzulagen des Managements fließen. Hier sind der Phantasie des Management keine Grenzen gesetzt. Das Geschäftsmodell und die Marktsituation der „High Dividends“ sind so beschaffen, dass Dividenden finanziert werden können, also führt eine Umleitung dieser Finanzströme auf das Management zu keiner erkennbaren Steigerung der Produktivität des Unternehmens. Hohe Dividenden können sich nur etablierte Unternehmen leisten, die gute Gewinne erwirtschaften und absehbar eine erfolgreiche Entwicklung durchlaufen werden. Diese Unternehmen verfügen wahrscheinlich über keine hohen Innovationsraten; das regeln diese Unternehmen dadurch, dass sie ggfs. innovative Unternehmen aufkaufen.

Aktien mit einer hohen Dividende haben einen anderen Fokus als hoch innovative Unternehmen, bei denen es oft (noch) am Gewinn mangelt und deren Strukturen oft in einem Entwicklungsstadium sind. So wie die „High Dividends“ von ihrer Beständigkeit und ihrer Dividendenpolitik leben, leben viele innovativen Unternehmen von einem interessanten Narrativ (einer netten Erzählung) und ganz viel Hoffnung und leben damit von einer Spekulation auf die Zukunft. Bei Aktien mit einer hohen Dividende kann man nachts ruhig schlafen, bekommt jedes Jahr neues Geld, das man wieder anlegen kann (aber nicht muss) und kann in einem geringeren Maß auch an der Börsenentwicklung teilnehmen.

» weniger zeigen