Schlagwort-Archive: Geschäftsmodell ohne Wachstum

Klimakrise und der Frust

In den letzten Monaten (vielleicht sind es auch schon Jahre) suche ich immer wieder nach Lösungsvorschlägen oder doch wenigstens Lösungsansätzen zur Klimakrise, wobei ich mich nicht auf Lösungen in einer Wissenssparte z.B. den Naturwissenschaften, der Ökonomie, der Systemtheorie oder den Sozialwissenschaften beschränken will, sondern versuche, die Breite der krisenhaften Herausforderungen im Blick zu behalten. Dabei muss ich darauf hinweisen, dass ich in den meisten Wissenssparten über den Status eines interessierten Laien nicht hinaus komme. Ich leiste es mir aber, Fragen zu stellen und die mir zugänglichen Antworten frustrieren mich.

» weiterlesen

Nachdem ich zahllose Beiträge gelesen, überflogen, verarbeitet oder über das Internet aufgenommen habe, bleibt bei mir das Gefühl: wir wissen das meiste, aber wir handeln nicht danach! Ein klassischer Fall: wir besitzen (inzwischen) auf den meisten Problemfeldern die Urteilsfähigkeit, es fehlt uns aber an der Urteilskraft, das Erkannte auch umzusetzen (frei nach Immanuel Kant). In meinem Frust kam ich auf die Idee, zwischen meinen eigenen Erfahrungen aus vergangenen Tagen als Wirtschaftsprüfer und Sanierungsberater und der gegenwärtigen globalen Klimakrise Vergleiche zu ziehen. Um es vorweg zu sagen, Sanieren von Unternehmen ist eine punktuelle Maßnahme in einem weitgehend bekannten Umfeld mit anerkannten Methoden. Die Klimakrise hat da eine deutlich komplexere Qualität. Der Vergleich hinkt also, aber das nehme ich in Kauf.

Unternehmenssanierungen sind wiederholte Einzelfälle, die Klimakrise ist ein globales Problem. Und das für mich erschreckende Moment ist die Erkenntnis, dass meine Profession (der Ökonomen) überhaupt keinen Beitrag zu leisten in der Lage ist. Alles ist dort auf Wachstum und Wettbewerb aufgebaut. Die Ökonomen kommen aus ihrer „ideologischen Schablone“ nicht heraus. Unsere globale Situation ist dadurch gekennzeichnet, dass genau jene Treiber unseres Wirtschaftssystems (Wachstum und Wettbewerb) von den Naturwissenschaften als künftige „No-Go-Area“ identifiziert wurden und das nicht erst seit gestern, nein – seit über 50 Jahren!

Im Falle der Unternehmenssanierung treten die Probleme für den Fachmann meist offen zu Tage und alle Beteiligten haben gewöhnlich erkannt, dass wir es mit einem Problem zu tun haben. Mit der Feststellung einer Sanierung ist auch allen klar, dass es jetzt „ans Eingemachte“ geht. Alle Beteiligten ziehen mehr oder weniger „am gleichen Strang“.

Für die ‚Sanierung‘ des Klimas liegen die Probleme zeitlich völlig anders: die Problem-Ursachen bauen sich oft über Jahre in der Vergangenheit auf und die Wirkungen ‚tropfen‘ so unregelmäßig in die Gegenwart und absehbare Zukunft, dass die meisten den Zusammenhang überhaupt nicht sehen und gegebenenfalls auch nicht verstehen (wollen). Und wenn sie sich der Realität dann wirklich stellen, dann kommt das Erschrecken, dass wir möglicherweise viele liebgewonnene und bequeme Verhaltensweisen werden aufgeben müssen. Und die „Leute“ sind verständlicherweise frustriert, weil sie die Not-wendigkeit aus eigener Anschauung nicht erkennen können.

Sanierungen umfassen gewöhnlich einen kleinen Bereich im ökonomischen Ganzen. Selbst wenn das Unternehmen die „Kur“ nicht übersteht, ist es bitter für die Betroffenen, aber für das Wirtschaftssystem keinesfalls existenzbedrohend. Die Klimakrise ist ein globales (und höchst komplexes) Phänomen und die Problemtreiber sind sehr heterogen verteilt. Vielfach wird oft zur psychologischen Entlastung vorgebracht, dass die Bundesrepublik nur mit einer einstelligen Prozentzahl an dem globalen Problem beteiligt sei. Konsequenterweise meinen deshalb einige, dass es völlig unwesentlich sei, wie wir uns verhalten. Das ist ein grandioser Trugschluss, der dann offensichtlich wird, wenn wir das Problem auf den Beitrag pro Kopf (per capita) umrechnen, dann erschrecken wir und es wird jedem klar, wir müssen in der Lösung vorangehen und können uns nicht auf die klein gerechnete Zahl unseres globalen Anteils zurückziehen.

Sanierungen lösen in einem Unternehmen regelmäßig große Hektik aus, weil – wie es so schön heißt – alles auf den Prüfstand muss. Alle eingefahrenen Routinen werden hinterfragt, jeder Leistungsbeitrag und jede Kostenkategorie wird (hoffentlich neutral) im Licht der Sanierungsaufgabe neu bewertet. Dabei ist das Ziel klar – Rückgewinnung der Profitabilität des Unternehmens! Also Rückgewinnung einer Chance auf Zukunft in einem weitgehend als bekannt geltenden wirtschaftlichen Umfeld!

Wie sieht die Zielvorstellung für eine „Sanierung“ im Rahmen der Klimaproblematik aus? Ich wüsste hier keine vernünftige Antwort, die ins ‚Schwarze‘ träfe. Klar ist, dass es keinen Weg im Sinne von „zurück zur Natur“ gibt. Es gibt auch keinen Weg zurück zu einer landwirtschaftlich geprägten Handwerkerstruktur, die vor dem Beginn der Industrialisierung für eine Reihe von vergangenen Jahrhunderten auch kein Wachstum und keinen ausgeprägten Wettbewerb kannte. Wenn uns nun die Naturwissenschaft und die Regeln der Mathematik klar machen, dass Wachstum auf einem endlichen Planeten sehr rasch sein Ende finden wird, dann fehlen mir Kategorien und Begriffe, mit denen ich auch nur im Umriss eine Zukunft beschreiben könnte.

Das heißt nicht, dass es keine Zukunft gibt, es heißt nur, dass mir die Begriffe fehlen, um mir eine hinreichend solide Beschreibung des künftigen Zustands vorstellen zu können. Ich sehe mich in der Lage, eine negative Abgrenzung zu formulieren (siehe oben), aber ich sehe mich nicht in der Lage, ein positives Bild der konkreten Struktur einer wünschenswerten Zukunft zu umreißen. Und ich glaube, da bin ich nicht allein.

Das macht das Problem der Ökonomen erklärbar. Alle Geschäftsmodelle, die mir geläufig sind, bauen direkt oder indirekt auf dem noch allgegenwärtigen Wachstum auf. Dort gibt es keine Grenzen und wenn ja, dann erfand die „Nationalökonomie“ (wie sie früher hieß) den Weg der Substitution: Wenn eine Ressource wegfällt, dann nehmen wir eben einen Ersatz! Dass es dann keinen Ersatz mehr geben könnte, wird erst bei einer globalen Betrachtung deutlich. Was machen wir dann? Wir ändern die Technologie, bis dann auch die neue Ressource endet? Das ist ein Wettlauf zwischen „Igel und Hase“. Das ist schlicht eine ideologische Sackgasse.

Also behaupte ich, wir kennen das Problem, aber wir sehen uns nicht in der Lage, ein ‚Geschäftsmodell‘ für eine neue Gesellschafts- oder Wirtschaftsstruktur zu formulieren, in der Wachstum keine wesentliche Rolle mehr spielen kann.

In der Unternehmenssanierung gibt es solche Fälle ganz selten, aber sie sind denkbar, wenn die Phantasie der Unternehmensführung nicht ausreicht, sich zu entscheiden oder die Geschäftsführung in der Entscheidung wie der Esel zwischen zwei Heuhaufen schwankt . (Am Ende ist der Esel verhungert). Man kann niemanden zu seinem Glück zwingen. Gibt es im Rahmen eines Unternehmens dann noch einen dritten Weg? Prinzipiell ja, aber er gilt nicht als der Königsweg. Wenn man sich über das Ziel nicht einig wird und die Sanierungslage dem Unternehmen auch noch etwas Zeit lässt, kann man die Zielsuche zurückstellen und versuchen, die Unternehmensprozesse im wirtschaftlichen Sinne zu ‚optimieren‘: Das gleiche Ergebnis z.B. mit weniger Einsatz zu erzielen.

Auch hier braucht es natürlich Ziele, aber man kann sich mit Zwischenzielen behelfen: Es wird versucht dann, in dem Sanierungsunternehmen möglichst alle Einsparungspotenziale zu identifizieren und die Potenziale zu realisieren. Wenn man nicht weiß wohin, kann man ja das, was man gegenwärtig produziert oder bereitstellt, so gestalten, dass vielleicht nicht der Gewinn wächst, aber der Cashflow des Unternehmens zunimmt, damit dann, wenn ein Handlungsziel gefunden ist, z.B. eine Liquiditätspolster zur Verfügung steht. Man geht also mangels Ziel nicht nach außen auf die Märkte, sondern man spart ein und versucht die „Sanierungskasse“ zu füllen, um dann von Fall zu Fall handlungsfähig zu sein.

Eine solche „Kur“ deckt oft ungeahnte Ressourcen auf. Jede Organisation hat immer auch einen Anteil selbststeuernder Prozesse und es können sich neue Perspektiven auftun, die vorher gar nicht in Erwägung gezogen wurden. Man kann diese Kur auch als Maßnahme der Suffizienz betrachten, als Versuch durch deutlich weniger Aufwand ein zumindest interessantes Niveau zu erreichen.

Was bedeutet diese Betrachtung für unser Verständnis der Klimakrise? Wir haben oben festgestellt, es gibt m.E. keine robuste Zielvorstellung:

  • Es gibt die Brundtland’sche Nachhaltigkeitsforderung. Aber keiner weiß so richtig, was Nachhaltigkeit eigentlich bedeutet. Die Wirtschaft hat diese Unklarheit mit dem sogenannten ‚Greenwashing‘ schamlos und kontraproduktiv ausgenutzt.
  • Es gibt das Ziel der Pariser Klimakonferenz, dass der Temperaturanstieg 1,5 Grad nicht übersteigen soll. Es gibt für diese Erklärung des guten Willens etwas über 190 zustimmende Unterschriften der beteiligten Staaten.
  • Es gibt sogar 17 Teilziele (Stratigic Developement Goals), die das Ganze nochmals im Detail unterstreichen und aufgliedern.

Aber wo sind die Maßnahmen? Wenn man sich nicht traut, vorwärts zu gehen, bleibt immer noch der Weg, Fehlentwicklungen zu korrigieren. Z. B. Maßnahmen, die zu ein Abbau von fehlleitenden Anreizen (wie Subventionsabbau) führen, um hier nur ein Beispiel zu nennen? Der europäische CO2-Zertifikatehandel beginnt erstmals in diesem Jahr (2024) seine lenkende Wirkung zu entfalten, es gibt ihn aber schon seit mehreren Jahren. Die geplante und gewollte Preiserhöhung bei der Verwendung fossiler Energie führt beim Bürger zu erhöhten Energiekosten. Das sogenannte ‚Klimageld‘ (die Rückgewähr von erhöhten Energiekosten) steckt aber noch irgendwo in den Mühlen der Bürokratie.

Bleiben wir dabei: Es gibt so etwas wie Ziele, aber sie sind nicht geeignet, um konkrete Maßnahmen auszulösen. Auf politischer Ebene hantiert man gerne mit solchen Zielen. Sie haben meist kaum reale Konsequenzen. Aber sie klingen gut und gelten als Beweis politischer Aktivität. Das ist angesichts der Klimakrise und ihrer möglichen Folgen kein Gewinn. Darauf lässt sich m.E. eine ‚Sanierung‘ unserer Lebensumstände im Sinne der Klimakrise nicht aufbauen.

So gesehen haben wir einen gewissen Vergleich mit dem Fall einer Unternehmenssanierung ohne klare Zielentwicklung. Wir können nun warten, bis nach einem komplexen Meinungsbildungsprozess (eventuell) praktikable Ziele verfügbar sein werden. Dem steht entgegen, dass wir uns im Interesse unserer künftigen Generationen diesen Zeitbedarf nicht leisten können.

Oder wir gehen den Weg, den Karl Popper vor vielen Jahren als die Strategie der Stückwerkstechnik (piecemeal approach) bezeichnet hat. Diese Politik der kleinen Schritte ist selten streng zielorientiert, eher sucht sich der Prozess seine jeweiligen temporären Ziele im Nahbereich mit einem nur losen Bezug zum ‚großen Ziel‘. Auch dieser Ansatz hat aber nach meiner Einschätzung ein paar harte Voraussetzungen:

  • Den Betroffenen muss klar sein, dass eine Situation vorliegt, deren „Not gewendet“ werden muss – die Veränderung muss als notwendig erkannt werden (können). Das scheint gegenwärtig nicht (ausreichend) der Fall zu sein.
  • Es muss ein Narrativ bestehen oder entstehen, das die großen Ziele beschreibt und deren Sinnhaftigkeit einer Mehrheit so vermittelt, dass bei jedem größeren Prozessschritt eine grobe Abstimmung mit dem übergeordneten (großen) Ziel möglich wird. Die Bürger wollen die kommenden Schritte ohne theoretischen Ballst ‚verstehen‘ können. Dazu braucht es eine Vision, eine Vorstellung, wie Wirtschaften als Funktion einer zweckmäßigen Güterversorgung ablaufen könnte. Das wird künftig der eigentliche Kern des Wirtschaftens sein.
  • Die Anwendung der Wachstumsstrategie muss absehbar ein Ende haben. Nicht sofort, aber sagen wir innerhalb der kommenden 20 Jahre. An dieser Entscheidung kann sich die Politik nicht vorbei mogeln, indem sie sich die scheinbar einfachere Strategie der Anreize zu eigen macht. Die Wirtschaft muss sich auf den künftigen Wegfall des Wachstums verlässlich einstellen können. (vgl. A. Levermann, Die Faltung der Welt, 2023)
  • Dem Wachstum muss durch begleitende Maßnahmen in dem verbleibenden Zeitraum die vordergründige „Attraktivität“ durch Eingrenzung der Unternehmensgröße, durch Eingrenzung der extrem hohen Einkommen und Aufteilung der großen Vermögen im Falle der Vererbung genommen werden (vgl. auch hier die Vorschläge von A. Levermann, siehe oben). Diese Entwicklungen sind für den Normalbürger uninteressant, weil sie nur eine sehr kleine, aber einflußreiche Bevölkerungsgruppe tangieren.
  • Dieser Entzug der Attraktivität ist ein länger dauernder und deshalb in Grenzen steuerbarer Prozess. Wenn wir nicht mehr auf Wachstum (als Zunahme an Größe und finanzieller Macht, oder als oft sinnleere Erhöhung der ‚Drehzahl‘ und des Durchsatzes) vertrauen können, werden wir uns von den großen bürokratisch dominierten Einheiten und Konglomeraten trennen müssen und versuchen, daraus eine agile Struktur kleinerer, aber kreativer Einheiten zu schaffen ohne das allgemein hohe Versorgungsniveau durch die Wirtschaft aufgeben zu müssen.
  • Die Wirtschaftsleistung muss dadurch nicht zwangsläufig sinken, nur weil die wirtschaftlichen Entscheidungen schrittweise auf kleinere Einheiten umverteilt werden. Die Abwicklung große Projekte wird auch heute nicht nur durch „Jumbos“ (Großunternehmen) getragen, sondern auch durch erfolgreiche Kooperationen von kleineren Partnern.
  • Ein wesentlicher Punkt bleibt die Tatsache, dass wir nicht auf einer Insel leben, sondern in ständigem Austausch mit anderen Ländern, die möglicherweise unsere Vorstellungen nicht oder nur begrenzt teilen. Dabei kann die Fragwürdigkeit des Wirtschaftswachstums kein neuerlicher Diskussionspunkt sein. Die Physik gilt global und es ist nicht sinnvoll, zu versuchen mit ihr zu diskutieren. Die Frage kann nur sein, ob die hier angesprochenen Maßnahmen zweckmäßig oder dem Problem angemessen sind. Es fehlt an einer Initialzündung, weil in der Politik offensichtlich das Mikado-Spiel die Regeln definiert: Wer sich zuerst bewegt, hat verloren! Ein deutlich konstruktiveres Bild vermittelt die Aussage: Hahnemann, geh Du voran! Wenn einer wirklich Ernst macht, folgen viele andere dem Beispiel und die Vielfalt der Alternativen wird sprunghaft ansteigen. Es setzt aber Mut zum Handeln voraus.

    » weniger zeigen