Bevor man sich mit Fragen rund ums Sondervermögens befasst, muss man sich doch fragen, was der Grund für die Schaffung eines Sondervermögens ist oder sein könnte. Also beginnen wir mit der Ausgangssituation. Sie beginnt mit der neoliberalen Denke, die vor etwa 40 Jahren zur Wirkung kommt und die davon ausgeht, dass möglichst viel Aktivitäten in den Händen von Privatleuten liegen sollen und man deshalb streng darauf achtet, dass der angebliche Gegenspieler der Privatleute, der Staat, möglichst wenig finanziellen Spielraum hat. Diese Vorstellung hat zur sogenannten Schuldenbremse geführt. Man hat die Schuldenaufnahme des Staates ziemlich rigoros beschnitten
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Dabei hat man nicht die neoliberale Denke (to starve the beast) als Auslöser in den Vordergrund geschoben, sondern sich die allgemeine Erkenntnis zu Nutzen gemacht, dass nicht nur Politiker, egal welcher Couleur, dazu neigen, mit fremdem Geld gerne großzügig umzugehen. Der Schuldendienst wird gerne in die Zukunft verschoben und belastet die kommenden Generationen und schränken insoweit deren künftigen finanziellen Spielräume ein. Man hat also versucht, dieses Moment der leichtfertigen „Schuldenproduktion“ systematisch einzudämmen. Das haben viele als sinnvoll eingesehen und haben dieser grundgesetzlich verankerten Schuldenbremse dann zugestimmt.
Die Fehlkonstruktion der Schuldenbremse liegt darin, dass sie einseitig nur die finanzielle Seite der Aktivitäten reguliert. Schulden machen ist in einem ‚gesunden‘ Staatsgebilde kein Problem, solange mit den Schulden konkrete Investitionen verbunden sind. Man darf sich hier durchaus eine Bilanz öffentlicher Leistungen vor Augen führen: Solange sich die Investitionen (das Volksvermögen) im Verhältnis zu den Schulden des Gemeinwesens die Waage halten, gibt es nur wenig Grund, wegen der Schulden Nervosität zu zeigen. Diese Sichtweise ist aber in Politikerkreisen verpönt, weil dann der Anspruch des Neoliberalismus, die Staatsausgaben so kurz als möglich zu halten, nicht mehr so richtig funktioniert.
Was ist das Ergebnis dieser Ideologie? Seit 35 Jahren ist die Nettoinvestitionsquote im Vergleich zum Bruttoinlandsprodukt (BiP) von etwa 10% p.a. auf nahezu Null gesunken. Gleichzeitig hat sich aufgrund der Schuldenbremse unsere Staatsverschuldung natürlich in Grenzen gehalten. Die Bundesregierungen waren immer stolz darauf, dass die BRD zuletzt nur einen Verschuldugsgrad von 63% aufwies. Das ist im Vergleich zu anderen europäischen Staaten komfortabel. Nun müssen wir aber diese beiden Gesichtspunkte zusammen sehen. Wir tun so, als wären wir die Größten bei der Zurückhaltung bei der Staatsverschuldung und schieben gleichzeitig aufgrund der geringen Nettoinvestitionsquote einen riesigen Berg an aufgestauten, vernachlässigten Infrastrukturinvestitionen vor uns her, der sich irgendwo in der Größenordnung von 500 – 600 Mrd. Euro beläuft. Das ist das Ergebnis des neoliberalen Denkens (to starve the beast) und der von diesem Denken beeinflussten Schuldenbremse.
Und hier stehen wir heute! Man hat den Eindruck – ziemlich ratlos! Denn wir haben nicht nur einen selbstverursachten Investitionsstau bei der Infrastruktur, sondern auch einen Bedarf an zusätzlicher Sicherheit, der nochmals mit 500 Mrd. Euro beziffert wird, und den wir der geopolitischen Lage zuschreiben müssen.
Manche Menschen denken in solchen Fällen an Schuld und fragen sich, wen man dafür verantwortlich machen kann. Das sollte man sich verkneifen, mitgefangen – mitgehangen! Aber es wäre sinnvoll, sich zu fragen, wie man diese Finanzierungslücke schließen kann. Es gibt Stimmen, die sind der Meinung, dass das Finanzierungspaket zu Lasten künftiger Generationen gehe. Das ist richtig – aber was ist die Alternative? Augen zu und weiter so – das war viel zu lange die Devise!
Man hätte in den letzten 40 Jahren eben nicht nur den Fokus auf die Finanzen legen, sondern auch die öffentliche Investitionstätigkeit im Auge behalten sollen. Dieser Zusammenhang wird aber in der Volkswirtschaftlehre kaum diskutiert. Der Sachverhalt reduziert sich in der Kameralistik (im öffentliche Rechnungswesen) auf die Ausgaben, weil die damit geschaffenen Wirtschaftsgüter ähnlich einer Einnahmen-Überschußrechnung dort gar nicht erfasst werden. Man kennt den Begriff des Volkseinkommens, aber die Größe des öffentlichen Volksvermögens in Relation zu seiner Finanzierung wird äußerst selten zur Beurteilung der wirtschaftlichen Lage einer Volkswirtschaft herangezogen. Die mir zugänglichen (alten) Lehrbücher, oft nahezu tausend Seiten dick, weisen (vorsichtig) auf die große Bedeutung der Infrastruktur für die Entwicklung einer Volkswirtschaft hin, wissen aber mit dem Begriff in der Theorie konkret nichts anzufangen. Ich vermute, das wird auch heute noch so sein.
Machen Sie den Versuch, eine seriöse Statistik über die Höhe das öffentliche Netto-Vermögens in Deutschland zu finden. Es gibt sie offensichtlich nicht: Google findet nichts Verwertbares. Vergleichbares gilt für die KI. Wenn Sie etwas finden, lassen Sie es mich wissen und achten Sie darauf, dass dieses Vermögen nicht nur brutto erfasst wird, sondern auch altert – es müssen auch Abschreibungen darauf verrechnet werden (netto), sonst macht die schlichte Bruttozahl wenig Sinn.
Während des Wahlkampfs haben Geld oder Schulden bei keiner der Parteien eine Rolle gespielt. Die Union hat sich vehement für die Schuldenbremse eingesetzt. Dann war das Wahlergebnis da und am Tag darauf gab es einen ersten Ansatz für die Schaffung eines Sondervermögens, (ein Name für Schulden, der komplett irreführend ist) und das Bestreben, die mit Vehemenz verteidigte Schuldenbremse aufzulösen oder doch stark einzuschränken. Man ist innerhalb einer Nacht in der Realität angekommen und nach der Devise, „was juckt mich meine dummes Geschwätz von gestern“ vollzieht man nicht eine kleine Korrektur, sondern eine 180-Grad-Wende und behauptet jetzt das Gegenteil.
Die Aufregung in den politischen Kreisen ist groß, weil es eigentlich klar war, dass dieser Wandel irgendwann kommen musste, aber keiner wollte es wahr haben. Eine Alternative war nicht in Sichtweite. Die Union hat damit Christian Lindner, der 2021 – 2024 in der Ampel immer die Schuldenbremse wie ein Monstranz vor sich hertrug, aber die Zusammenhänge offensichtlich nicht erkannte, eine schallende Ohrfeige verabreicht, denn die Zusammenhänge waren wohl in Politikerkreisen schon länger bekannt und wurden in den Hinterzimmern auch diskutiert.
Was mich zudem besonders irritiert, ist die Haltung der Vertreter der Ökonomie. Wie blind sind diese Damen und Herren? Den Niedergang der Nettoinvestionsquote hat ein Abgeordneter der Linken in die Diskussion gebracht, m. W. kein Ökonom. Und die Tatsache, dass Finanzen immer nur ein Teil des Prozesses sind, hat sie auch nicht interessiert. Schuldenbremse hin oder her. Erst eine regelmäßige Gegenüberstellung des geschaffenen oder zu schaffenden Netto-Volksvermögens (in seinen unterschiedlichen Kategorien) und deren Finanzierung ergibt doch eine sinnvolle Beurteilungsgrundlage. Jeder BWL-Student muss das irgendwann lernen und kapieren. Jeder Unternehmer führt im Anlagevermögen akribisch Buch über seine getätigten Investitionen und überwacht diese hinsichtlich ihres qualitativen und quantitativen Zustandes, um Produktions- und Ausfallrisiken gering zu halten.
Wenn wir uns die Infrastruktur genauer ansehen, so wird diese Leistungsgattung vielfach über Steuern finanziert und steht den späteren Nutzern gewöhnlich ‚unentgeltlich‘ zur Verfügung. Man könnte bei Infrastruktur auch von Gemeingütern sprechen, die der Staat im Auftrag seiner Bürger produzieren lässt (soweit es sich um materielle Infrastruktur handelt). Für Infrastruktur gibt es i.d.R. auch keinen Markt. Häufig handelt es sich Einzelanfertigung. Skaleneffekte sind dort nicht zu erwarten. Also ist es fraglich, ob die Produktion von Infrastruktur marktwirtschaftlichen Regeln zu folgen hat. Infrastruktur, soweit sie materielle Güter betrifft, steht i.d.R. auch nicht zum Verkauf und sollte langlebig von nachhaltiger Qualität und zukunftsweisender Technologie sein und entzieht sich dem üblichen Kreislauf ‚produzieren – verkaufen -verbrauchen -wegschmeissen – neukaufen‘ (und das möglichst oft) durch offensichtliche Nachhaltigkeit.
All diese Anforderungen machen deutlich, dass hier der Staat nicht mit „Anreizen“ und „Subventionen“ oder ähnlichem arbeiten kann, sondern dass ist etwas, was man als „leistende Verwaltung“ beschreiben könnte. Man kann nicht den Markt ‚machen‘ lassen, weil sich mit der unentgeltlichen Nutzung der Infrastruktur letztlich keine Rendite erzielen lässt. Der Staat steht in der Funktion des Prinzipals mit allen Rechten und Pflichten. Ob unser Staatswesen nach 40 Jahren Neoliberalismus noch über Personal verfügt, das diese Aufgaben bewältigen kann, erscheint fraglich. Man hat 40 Jahre den Erfolg des Marktes gefeiert auf Kosten des Verschleißes der bis in die 1980er Jahre aufgebauten Infrastruktur. Von dann an ging’s bergab!
Ich kann die Bedenken vieler Bürger und mancher Politiker verstehen: Es bleibt die Sorge, ob Politik und Verwaltung mit einem solchen außergewöhnlich hohen Aufgabenberg nicht überfordert sind. Das ist m.E. der Punkt und nicht die Frage, von wem die Finanzierung künftig getilgt werden soll. Das Infrastruktur-Problem besteht, und das Problem müssen wir schnell lösen, um uns nicht die Zukunft durch eine falsche Priorität zu verbauen. Es sollte daraus vielleicht auch aus der Vergangenheit eine Lehre gezogen werden, dass es nichts umsonst gibt, auch nicht das Gemeingut Infrastruktur.
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