Schlagwort-Archive: Entropie

Physik vs. Ökonomie -wie passt das zusammen?

Die Physik steht hier eigentlich für die Naturwissenschaften. Das Weltbild der Physik und jenes der Ökonomie sollten die gleiche Welt beschreiben. kommen aber zu völlig unterschiedlichen Beurteilungen über deren Zustand. Die Naturwissenschaften versuchen die Welt zu verstehen und überprüfen ihre Erkenntnis an der Realität. Die Ökonomie versucht die Welt, ihre Welt, normativ zu formen, dabei gelingt es ihr selten, einen nachvollziehbaren Bezug zur Realität sicherzustellen.

» weiterlesen

Seit mehr als fünfzig Jahre versucht die Naturwissenschaft das notwendige Gehör zu finden, dass wir mit unserer Art zu Wirtschaften ein System aufgebaut haben und unterstützen, das unsere allgemeinen Lebensumstände aus naturwissenschaftlicher Sicht absehbar zerstören wird. Man würde erwarten, dass die Ökonomie auf diesen Vorwurf eine begründbare Antwort wüsste. Das scheint nicht der Fall zu sein, denn nach deren Weltverständnis ist der Einfluss des Klimawandels, gemessen am Bruttoinlandsprodukt als Basis ihrer Wachstumsideologie so gering, dass sie keinen Grund sieht, darauf zu reagieren. Wie kann das sein?

Das Bruttoinlandsprodukt

Das Bruttoinlandsprodukt ist die Grundlage dessen, was die Ökonomie als ‚Wachstum‘ verkauft. Das Bruttoinlandsprodukt erfasst alle Waren und Leistungen, die auf einem fiktiven Markt einen Preis erzielt. Dinge, die aus vielerlei Gründen keinen Preis haben, sind nicht Gegenstand des Bruttoinlandsproduktes. Diese Kennzahl zeichnet sich insbesondere dadurch aus, dass jede Katastrophe, die z.B. durch Klimawandel ausgelöst wird, die Kennzahl im positiven Sinne hochschnellen lässt, weil die weiträumige Schadensbeseitigung wiederum durch eingepreiste Waren und Leistungen erfolgen wird.

Die Beiträge einzelner Branchen zum Bruttoinlandsprodukt kann man isolieren. Dabei stellt sich heraus, dass die Grundstoffbereitstellung i.w.S. als wichtiger Bezugspunkt der Ökonomie zu unseren natürlichen Lebensgrundlagen nur einen recht kleinen Anteil am Bruttoinlands-‘Kuchen’ haben. Wenn also z.B. die Preise auf diesem Sektor aus Gründen des Klimawandels „explodieren“, so ist der statistische Einfluss auf das (insgesamt erwartete) Wachstum u.U. sehr gering. Daraus schließen die Mainstream-Ökonomen messerscharf, dass Klimawandel sie nicht zu interessieren hat. Der Einfluss auf das Bruttoinlandsprodukt erscheint ihnen zu gering. Damit gilt aus ihrer Sicht das Wachstum absehbar als gesichert und deshalb wird ein „Einfach weiter so“ verfolgt.

Diese Sichtweise greift natürlich zu kurz. Wenn die Ressource nicht mehr zur Verfügung steht, steht der „Laden“! Diese Erkenntnis umgehen die Ökonomen mit dem Institut der Substitution und der vagen Hoffnung: Es wird sich schon eine Ersatzressource oder eine neue Ersatztechnologie finden lassen.

Die Systemtheorie und Wachstum

Seit den fünfziger Jahren gibt es eine Systemtheorie, die aus der Biologie heraus entwickelt wurde und die erst in den letzten dreißig Jahren als eine Art Metatheorie vielfach Anwendung findet. Ihr Erkenntniswert liegt in der Behandlung von komplexen, dynamischen Systemen. Sie kann viele Verhaltensweisen dieser komplexen Systeme gut erklären und vorhersagen. Danach ist der Planet ein weitgehend geschlossenes, dynamisches System, d.h. alles, was auf dem Planeten geschieht, gelten als ‚innere‘ Prozesse, die weder nach außen dringen, noch „Nachschub“ von außerhalb erwarten können, mit Ausnahme der Sonnenenergie. Alle planetarischen Prozesse sind somit durch die Systemgrenzen eingeschränkt und auf den planetarischen Binnenraum begrenzt.

In diesem System ‚Erde‘ hat nun die Ökonomie ein System entwickelt, das unendliches Wachstum anstrebt und das so gebaut ist, dass seine Überlebensfähigkeit auch wesentlich von diesem Wachstum abhängt. Unendliches Wachstum wird mathematisch durch eine Exponentialfunktion beschrieben. Deren Eigenschaft liegt darin, dass die Funktion in Abhängigkeit von der Zuwachsrate relativ schnell ins Unendliche ‚explodiert‘. Nun haben wir offensichtlich einen Widerspruch! Einerseits ist das System der Biosphäre im wesentlichen auf den Planeten begrenzt, auf der anderen Seite füttern wir ein System der Ökonomie auf diesem begrenzten Planeten, das funktional ins Unendliche strebt. Also ist die Wachstumsaussage auf eine Unmöglichkeit gerichtet!

Nach einem Beitrag von Crelis Rammelt1 „erfordert (unser Wirtschaftssystem) eine kontinuierliche Kapitalakkumulation und gerät ins Stocken, wenn es in diesem Prozess behindert wird. Die typische Reaktion auf die ökologische Krise besteht daher nicht darin, das Wirtschaftswachstum einzuschränken, sondern alle Hoffnung werden auf Effizienz, Kreislaufwirtschaft, Dematerialisierung, Dekarbonisierung und andere (und systembedingt natürlich) gewinnorientierte grüne Innovationen im Kapitalismus konzentriert.“

Cross-over-Betrachtung

Rammelt schreibt weiter, dass diese Hoffnung falsch ist und begründet die Auffassung mit Überlegungen, die nicht aus der Ökonomie stammen, sondern sich auf die Naturgesetze stützen. Derartige Cross-over-Beobachtung werden wir immer öfters feststellen können: wir verfügen nur über eine Welt, aber unser Denken in isolierten Kästchen ist so verbreitet, dass die Betreiber jedes Kästchens glauben, ihre oft eng begrenzten Erkenntnisse müssten sich ungeprüft auf das Ganze übertragen lassen. Im Kleinen betreiben wir dieses Spiel u.a. in der Medizin – ein kranker Mensch, und unzählige „Experten“ (Kardiologen, Endokrinologen, Orthopäden, Podologen, Urologen, Neurologen, Augenärzte, Hals-Nasen-Ohren, Zahnärzte, Proktologen, u.a.) und jeder stellt eine Diagnose, verschreibt Pillen und lässt oft einen ziemlich überforderten Patienten zurück. Für hilflose Patienten gibt es aber noch keinen Experten. (Ketzerische Aussagen gehen soweit, dass man von immer weniger Sachverhalten immer mehr weiß; wenn diese Strategie konsequent fortentwickelt wird, bedeutet es, dass man am Ende von Nichts alles weiß??)

In einer großen Dimension können wir dieses Phänomen auch bezüglich des Klimawandels feststellen. Solange wir uns im „Klein-klein“ bewegen, lassen sich viele Problemstellungen im Rahmen unseres Kästchen-Denkens lösen. Auf planetarischer Ebene wird die Problemlösung deutlich komplexer, weil die Grenzen der Sparten eher behindern als Beiträge zur Lösung leisten zu können.

Wir sehen diese Haltung auch an der Ökonomie: der Blick auf das Klima-Problem fokussiert sich auf den großen Treiber des Kapitalismus, das Wachstum, und nach dem Weltbild der Ökonomie wird diese Funktion offenbar nicht ernsthaft berührt. Also machen sie weiter wie zuvor. Dass durch den Klimawandel, der durch die Forcierung des Wachstums ständig befeuert wird, die Welt möglicherweise in wenigen Jahrzehnten so verändert sein wird, dass große Teile der Menschheit in vielen Regionen der Welt nicht mehr werden leben können, ist offensichtlich keine ökonomische Frage und gilt als unbeachtlich. Wenn aber eine so große Anzahl von Menschen (als Konsumenten bzw. billige Arbeitskräfte) ‚ausfallen‘, so könnte man meinen, wird das ein veritables ökonomisches Problem darstellt.

Der Ansatz der Physik

Die Physik hat da einen deutlich differenzierten Blick auf die Vorgänge. Sie unterscheidet im Rahmen der Thermodynamik zwischen reversiblen und irreversiblen Prozessen. Der Klimawandel und auch die Ökonomie zählen zu den irreversiblen Vorgängen, d.h. der Prozess ist nicht umkehrbar, der Ausgangszustand ist nicht wieder herstellbar. Der angeregte Prozess verliert ständig etwas, was ihm die „Rückabwicklung“ verbaut. Dieser Prozessverlust wird u.a. als ‚Entropie‘ erfasst.

Rammelt versucht, diese Aussage bildhaft verständlich darzustellen: „ Im Herzen eines Waldes findet ein Affe konzentrierte chemische Energie in Form einer Banane. Der Affe wandelt die Banane schnell in nutzbare Energie um, um seine körperliche Verfassung aufrechtzuerhalten, auf Bäume zu klettern, Feinde zu bekämpfen, u.s.w.. Der erste Hauptsatz der Thermodynamik besagt, dass Energie ihre Form ändern, aber nicht erzeugt oder zerstört werden kann. Die anfängliche chemische Energie, die in der Banane enthalten ist, wandelt sich (also) um in chemische Energie, die die Zellen im Körper des Affen regeneriert, kinetische Energie, die seine körperlichen Aktivitäten antreibt, und thermische Energie, die als Körperwärme abgestrahlt wird.2“ Die einmalige Energiezufuhr, die der Affe aus der Biosphäre erhält, wird bei ihm auf verschieden Formen von Energie verteilt. „Energie verändert seine Form, verschwindet aber nie.3

Rammelt stellt dann die Frage, warum wir in eine Energiekrise geraten, wenn Energie doch unzerstörbar ist? Hier kommt der zweite Hauptsatz der Thermodynamik, auch Entropiegesetz genannt, ins Spiel. Energie lässt sich nicht festhalten oder fixieren. Wo immer Energie auftritt, hat sie die Eigenschaft, sich in Richtung der energieärmeren Sektoren auszudehnen bis sie gleichmäßig verteilt ist. „ An diesem Punkt erreicht die Entropie, ein Maß für die Energiestreuung, ihr Maximum. Gemäß dem Entropiegesetz fließt Wärmeenergie spontan von einem heißeren Körper zu einem kälteren, niemals umgekehrt. (…) Nach dem Entropiegesetz neigen daher sowohl Energie als auch Materie dazu, sich (zunehmend kleinteiliger) zu verteilen, wodurch die Gesamtentropie zunimmt.4

Energie ist zwar unzerstörbar, aber Energie als auch Materie (als eine Form von gebundener Energie) hat die Eigenschaft, sich mehr oder weniger gleichmäßig zu verteilen. Energie existiert uneingeschränkt, kann aber aufgrund ihres Entropiebestrebens ab einem gewissen Verteilungsgrad wirtschaftlich nicht mehr genutzt werden. Ein Beispiel: Fels ist Materie mit einer geringen Entropie, wenn der Fels über einen langen Zeitraum zu Sand zerfallem sein wird, hat die gleiche Menge an Materie eine hohe Entropie angesammelt. Nach den thermodynamischen Hauptsätzen ist klar, dass sich unsere Umgebung durch die Entropie nicht nur laufend verändert, sondern sehr langfristig einem Zustand maximaler Entropie zustrebt, den man nicht mehr als lebensförderlich beschreiben kann.

Dieser offensichtlich unvermeidlichen Entwicklung stellt sich ein Gegengewicht in den Weg. Im Rahmen der Evolution haben sich in der Biosphäre Strategien entwickelt, die der Entropie entgegenarbeiten. Sie können die Entropie zwar nicht aufheben, durch die Gegenmaßnahmen wird die Entropie aber deutlich verlangsamt. Die Biosphäre kann „dieses Defizit durch die unerschöpfliche Energie der Sonne aus(gleichen). Die Biosphäre nutzt die Sonnenenergie, um „nützliche Arbeit“ zu leisten, nämlich die Konzentration verteilter Energie und Materie in Form von neuen Bananen (wie im ersten Untergesetz des Entropiegesetzes vorgeschrieben) zu schaffen. Eine gesunde und gut funktionierende Biosphäre ist somit die einzige Kraft auf der Erde, die in der Lage ist, den Anstieg der Entropie auszugleichen.5

Wie funktioniert das? „(…) Wie konzentriert sich Energie, wenn sie, dem Gesetz der Entropie folgend, sich doch spontan zerstreut? Die Antwort liegt in einem Untergesetz des Entropiegesetzes: Wärme kann nur von einem kalten Körper zu einem warmen Körper fließen, indem sie im physikalischen Sinne „Arbeit verrichtet“. Dies bedeutet, dass zusätzliche Energie erforderlich ist, um Energie von einem dispersen auf einen konzentrierten Zustand rückzuführen. (…) Eine Energiekonzentration erfordert zusätzliche Energie.“ Diese kommt in der Biosphäre aus anderen Energiequellen (z.B. aus fossilen Speichern) und ganz wesentlich von der Sonne.

Ein zweiter Untersatz des Entropiegesetzes besagt, dass keine Energieübertragung in Nutzarbeit zu 100 % effizient ist. Die Arbeit gilt als „nützlich“, wenn sie die Entropie verringert.6“ Es entstehen unvermeidlich Verluste, weshalb die Prozesse als irrersibel gelten.

Die Rolle unseres Wirtschaftssystems

Rammelt beschreibt unser Wirtschaftssystem als „ein gefräßiges Tier, (das) alle 20 Monate das Äquivalent der Ressourcen eines gesamten Mount Everest (verschlingt). Es beschleunigt auch seinen Stoffwechsel und verkürzt diesen Zeitrahmen innerhalb der nächsten zwei Jahrzehnte auf nur 10 Monate. Während es seinen Bauch füllt, erschöpft das Biest seine Umwelt und belastet sie mit Abfall, wodurch natürliche Systeme zur Ressourcenerneuerung und Abfallbewirtschaftung gestört werden. Letztendlich vernichtet es seinen eigenen Lebensraum.7“ Diese Vorgehensweise ist nur möglich, indem die fossilen, gebundenen Energievorräte massiv eingesetzt werden. Dabei werden Energiemengen frei, die u.U. Jahrmillionen im Erdreich gebunden schlummerten.

„(Die) Ökosysteme haben sich über Millionen von Jahren entwickelt, um den Energieverbrauch in ökologischen Nahrungsnetzen zu optimieren und die Entropie (wie oben versucht darzustellen) durch Biodiversität zu verzögern und zu reduzieren. Tragischerweise bewirken wachstumsorientierte Volkswirtschaften genau das Gegenteil, indem sie gegen diese natürliche Ordnung vorgehen und die Entropie mit verheerender Geschwindigkeit erhöhen.

(…) Wenn die Natur Grenzen setzt, sucht der Kapitalismus aktiv nach Wegen, diese zu umgehen, was unweigerlich zu neuen Grenzen führt. (…) Leider hat dieses (Handlungs-)Muster schwerwiegende Folgen, wie die anhaltende Klimakrise und der Rückgang der Artenvielfalt zeigen. Der Kapitalismus schadet in seinem Streben nach unaufhörlichem Wachstum der Biosphäre, auf die er angewiesen ist, um seine entropieverstärkenden Aktivitäten abzuschwächen.“

Die Ökonomie pflegt seit etwa 30 Jahren das Narrativ der Entkoppelung und der Effizienz ohne entsprechende Erfolge aufweisen zu können. „Auf den ersten Blick mag es scheinen, dass noch ein enormes Potenzial für Kreislaufwirtschaft und Effizienz besteht, wenn man bedenkt, dass die Weltwirtschaft weniger als 10 % des Abfallmaterials zurückgewinnt und nach der Umwandlung nur 28 % des weltweiten Primärenergieverbrauchs zurückerhält. (…) Das Potenzial für Zirkularität ist auf lediglich 29 % des Gesamtdurchsatzes beschränkt. Der verbleibende Teil umfasst Nahrungsmittel und Energie, die irreversiblem Abbau unterliegen, sowie Nettozugänge bei Gebäuden und Infrastrukturen, die nicht für das Recycling zur Verfügung stehen.“

Rammert schreibt weiter: „Wie erläutert, erfordert die erneute Verdichtung disperser Materialien Energieinvestitionen und geht mit unvermeidlichen Übertragungsverlusten einher, die die Gesamtentropie erhöhen. Der Energieverbrauch nimmt mit steigenden Recyclingquoten zu und Energie selbst kann nicht recycelt werden. Und selbst wenn wir Zugang zu unerschöpflichen erneuerbaren Energiequellen hätten, würden geschlossene Kreisläufe für Agrochemikalien, Beschichtungen, Schmierstoffe, Klebstoffe, Tinten und andere komplexe Materialien nicht entstehen können, weil es für sie keine Recyclingtechnologie gibt.“

Was ist die Alternative?

„Unsere vermeintliche Herrschaft über die Natur ist eine Illusion. So clever technische Innovationen auch erscheinen mögen, sie unterliegen weiterhin den Gesetzen der Thermodynamik. Folglich ist eine wachstumsorientierte kapitalistische Wirtschaft in vergeblichen Versuchen gefangen, sich vollständig von der Natur abzukoppeln – mit dem Ziel einer 100 % kreislauforientierten, dienstleistungsorientierten und abfallfreien Existenz. Diese Besessenheit rührt von der Unfähigkeit her, sich eine Wirtschaft vorzustellen, die nicht wächst und deren Stoffwechsel sowohl quantitativ als auch qualitativ innerhalb sicherer ökologischer und planetarischer Grenzen bleibt. Daher müssen wir nach radikal anderen Wegen suchen (…).8

Rammert sieht eine Lösung im „Degrowth“(= Postwachstumsökonomie). „Im weitesten Sinne stellt Degrowth eine angestrebte sozioökonomische Transformation dar, eine Reduzierung und Umverteilung von Material- und Energieflüssen mit dem Ziel, die Grenzen des Planeten zu respektieren und soziale Gerechtigkeit zu fördern.“ Der Anspruch ist hoch! Und viele werden die Notwendigkeit einer Veränderung gar nicht verstehen wollen. Man könnte dieses Verhalten auch als Vogel-Strauss-Politik (den Kopf in den Sand stecken) bezeichnen.

Nachtrag:
Vergleichbare Gedanken zu diesem Thema hat auch Andreas Weber in seinem Buch „Biokapital“ (Berlin, 2008) auf den Seiten 79 – 86 verständlich und anschaulich dargestellt.

…………………………………………………………………………………………………..

1Crelis Rammelt, How entropy drives us towards degroth, in: Real-World-Economics No. 107 (2024), p.2 (Übersetzung durch VF + Google)
2Rammelt, a.a.O., S. p.2f
3Rammelt, a.a.O., p. 3
4Rammelt, a.a.O., p. 3
5Rammelt, a.a.O., p. 4
6Rammert, a.a.O., p. 4
7Rammert, a.a.O., p. 2
8Rammert, a.a.O., p 6

» weniger zeigen

















Effizienz“ – ein Wesenszug unseres Systems?

Wenn das bestehende Wirtschaftssystem zur Diskussion steht, erscheint Effizienz als eine treffende Systemeigenschaft. Die Konnotation des Begriffs von Effizienz wird in aller Regel positiv aufgefasst. Wenn aber Jeremy Rifkin1 den Begriff der Effizienz aufgreift, hat er anderes im Sinn.

» weiterlesen

Als Kritiker des Wirtschaftssystems greift er diesen das System prägenden Begriff heraus, um das Gespräch einzuleiten und seine misstrauischen Gesprächspartner positiv zu stimmen und für eine ganz andere Sichtweise Schritt für Schritt auf das System einzustimmen, ohne die Katze gleich aus dem Sack zu lassen. Mit Effizienz können sich vermutlich alle Beteiligten mehr oder weniger gut identifizieren.

Effizienz gilt m. E. als ein technischer Begriff, der weit davon entfernt ist, moralische oder ethische Gesichtspunkte zu vermitteln. Und trotzdem gelingt es Rifkin, Schritt für Schritt die Effizienz als eine Denk- und Handlungsweise darzustellen, die aus seiner Sicht die Grundlage für unsere komplizierte Weltlage darstellt, die unter dem Begriff der Klimakrise segelt.

Von Effizienz spricht man gewöhnlich, wenn es gelingt, aus vorhandenem Material bei optimalem Einsatz ein Produkt oder ein angestrebtes Produkt mit dem geringst möglichen Materialeinsatz herzustellen. Die Ökonomie übernimmt die Idee gleich am Anfang ihrer Entwicklung, indem sie die Effizienz in Geld bewertet. Ökonomische Effizienz liegt dann vor, wenn die Kosten (dargestellt als Menge x Preis) optimiert werden. In Wettbewerbssituationen reicht das Optimum oft nicht – es gilt dann, die Kosten systematisch zu minimieren.

Wenn unser Wirtschaftssystem dem Gedanken der Gewinnmaximierung unter der Voraussetzung folgt, dass Preise anonym am Markt festgelegt werden, so ist dieses ökonomische Verständnis von Effizienz eine der Voraussetzungen, die das System zum Erfolg geführt hat, weil Gewinnmaximierung bei einem gegebenen Marktpreis nur erzielt werden kann, wenn eine konsequente Kostenminimierung wahrgenommen wird.

Diesem Grundsatz wurden alle ergänzenden Maßnahmen untergeordnet. Alle produktiven Aktivitäten, bei denen wir in unserem nationalen System im Vergleich der globalen Möglichkeiten keine Kostenminimierung darstellen können, wurden skaliert (in Arbeitsschritte zerlegt) und jeweils dorthin verbracht, wo nach Auffassung der Unternehmen eine Chance besteht, die Idee der Kostenminimierung zu realisieren.

Das schien wunderbar zu klappen, solange man darauf vertraute, dass die Lieferketten zum beiderseitigen Nutzen funktionieren. Keiner wollte sich vorstellen, dass wir eine weltweite Pandemie bekommen könnten oder dass es in der Vorstellung des globalen Handelsnetzes Teilnehmer geben könnte, die die Vorstellung „Wandel durch Handel“ nicht teilen wollen. Das Auftreten elementarer und einseitiger Abhängigkeiten lassen die Naivität der globalen Vision unter Vernachlässigung von Machtgesichtspunkten deutlich zu Tage treten.

Diese Verengung der Perspektive auf die Effizienz als ein anderes Wort zur Beschreibung von wirtschaftlicher Gewinnmaximierung oder systematischer Verherrlichung der Gier hat uns dazu geführt, mit einer einseitigen (linearen) Zielverfolgung, blind für die Wirklichkeit, gewaltige externe Effekte aufzutürmen (ich nenne sie Kollateralschäden). Die Klimakrise ist u.a. ein Ergebnis dieses Verhaltens.

Rifkin2 zitiert dabei William Galston (Wall Street Journal, 10.3.2020): „Was wäre, wenn das unermüdliche Effizienzdenken, das seit Jahrzehnten das unternehmerische Denken beherrscht, das globale Wirtschaftssystem anfällig für Erschütterungen gemacht hat?“ und Rifkin fährt fort: „Galston legte dar, dass der Erfolg der Globalisierung darauf beruht, die Produktion von alltäglichen Gütern und Dienstleistungen in diejenigen Weltregionen zu verlagern, in denen sich durch niedrige Lohnkosten und nicht vorhandene Umweltschutzgesetze effiziente Skaleneffekte erzielen lassen.3

Um es klar zu sagen, Effizienz ist nicht des Teufels, aber wie so oft, führt die obsessive Anwendung von Effizienz zu einer grandiosen Einseitigkeit, die insbesondere in der Biosphäre zu Entwicklungen führt, die den grundlegenden Gesetzen unserer Biosphäre widersprechen. Dies wurde erstmals klar und unmissverständlich ausgesprochen, als Joseph Stieglitz als ehemaliger Chefökonom der Weltbank in den 90iger Jahren des letzten Jahrhunderts darauf hinwies, dass wir im Rahmen des Planeten Erde wirtschaften, dass also nicht die Wirtschaft das übergeordnete System repräsentiert, sondern der Biosphäre absolute Priorität zukommt. Dieses Statement löste große Aufregung unter den Wirtschaftsvertretern und den Wirtschaftswissenschaftlern aus, weil sie ihren uneingeschränkten politischen Einfluss zu Recht schwinden sahen. Stieglitz erhielt in diesem Zeitraum dann den ‚Nobelpreis‘ für Wirtschaftswissenschaften.

Aus den Ausführungen wird auch deutlich, dass wir durch die kontinuierliche Anwendung von Effizienz viel von unserer Widerstandskraft (Resilienz) gegenüber unvorhergesehenen Einflüssen verloren haben. Die Natur setzt dabei nicht auf Effektivität, sondern auf Redundanz bzw. Vielfältigkeit, weil dadurch die „Response Diverity“ (die Reaktionsdiversität) die Bandbreite möglicher Reaktionen erhöht.

„Biologische Systeme funktionieren ganz anders.Sie zeichnen sich nicht durch Effizienz aus, sondern durch Anpassungsfähigkeit. Und ihre Leistung wird nicht anhand der Produktivität gemessen, sondern anhand ihrer Erneuerbarkeit.“ 4 Die Anpassungsfähigkeit als auch die Erneuerbarkeit sind Teilaspekte der Resilienz. Verglichen mit dem Begriff der Effektivität ist Resilienz ein weitaus komplexerer Sachverhalt. Prozesse können effektiv sein. Das ist eine ziemlich eindimensionale Aussage. Resilienz beschreibt einen Zustand, der seine Eigenschaften aus vielen Quellen schöpft, u.a. aus der Anpassungsfähigkeit und der Erneuerbarkeit.

Es tut sich m.E. ein gewaltiger Dissens auf zwischen dem Verständnis der Welt im Rahmen der Ökonomie und der wirklichen Welt. Rifkin erklärt diese Diskrepanz als eine Folge der wissenschaftlichen Entwicklung. Es erinnert mich an die Diskussionen in den 1980iger Jahren, als Fritjof Capra seinen Bestseller „Wendezeit“ herausbrachte und deutlich machte, dass zwischen der Newton’schen Physik und der „modernen“ Physik eine Quantensprung stattgefunden hatte.

Das Problem Capras war die Erkenntnis, dass diesen Quantensprung der Physik viele andere Wissenschaftszweige noch nicht realisiert hatten. So auch die Ökonomie. Ihr Theorie-Gebäude entspricht noch dem Niveau der zeitlosen Newton’schen Physik. Die Mathematisierung der Ökonomie hat nichts wesentliches dazu beigetragen. Die Sätze der Thermodynamik sind ihr fremd. Entropie ist kein Begriff, der Platz in der Ökonomie finden könnte.

Die Biologie war lange im Grunde eine Klassifikationswissenschaft (Fliegenbeinzählen) und hat sich dann, so Rifkin, mit Ernst Haeckel zu einer Ökologie und m. E. mit Ludwig von Bertalanffy zu einer systemischen Form entwickelt und spielt damit heute in den Diskussionen eine wesentliche Rolle.

Nach meinem Eindruck von der Ökonomie verliert sie ihre Deutungshoheit, weil sie zu den anstehenden ökologisch-wirtschaftlichen Fragestellungen keinen Beitrag zu leisten vermag. Ihrem Theoriegebäude fehlen einfach die Werkzeuge, um in komplexen Situation mehr als nur rückwärtsgewandte Konzepte einbringen zu können.

1Rifkin, Jeremy, Das Zeitalter der Resilienz, Frankfurt, 2022

2Vgl. Rifkin, 2022, S. 24

3Rfkin, 2022, S. 25

4Rifkin, 2022, S. 29

» weniger zeigen