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Physik vs. Politik – wie passt das zusammen?

An einem der letzten Sonntage ergab sich die Gelegenheit, den Ausführungen eines Vertreters der angewandten Wissenschaft zu folgen. Der Vortragende ist beruflich mit den Erkenntnissen der Naturwissenschaften und deren Auswirkungen auf die Grundlagen der Versicherungswirtschaft befasst. Seine Ausführungen waren hoch interessant und detailliert, aber für Insider nicht unbedingt überraschend.

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Besonders interessant fand ich seine Hinweise auf öffentlich zugängliche Informationen, die für die Versicherung von Investitionen, Anlagengüter in allen Branchen künftig von Wert entscheidender Bedeutung sein werden.

Es geht in der Versicherungswirtschaft um die Frage, können wir das geschaffene Vermögen hinreichend versichern oder führt die bestehende und künftig erwartbare Datenlage dazu, dass die Prämien ‚explodieren‘ bzw. eine positive Versicherungszusage aus wirtschaftlichen Gründen gar nicht mehr erfolgen kann. Die Versicherungswirtschaft kann sich nicht auf das Wirtschaftswachstum als Ausdruck einer merkwürdigen Statistik berufen. Sie hat ein konkretes finanzielles Risiko (mit einer Eintrittswahrscheinlichkeit) bezüglicher künftiger Ereignisse zu bewerten, um ihre grundsätzliche Zahlungsfähigkeit im Zeitpunkt des Schadenereignisses sicher stellen zu können.

Der Blick auf die Ahrtal-Überflutung kann vielleicht deutlich machen, wo sich Politik und Physik hinsichtlich ihrer Wahrnehmung unterscheiden. Das Ahrtal-Ereignis hat einen Gesamtschaden von rd. 40 Mrd. Euro ausgelöst. Davon sind etwa 12 Mrd. Euro unmittelbar Schäden, die von der Versicherungswirtschaft übernommen werden. Der Rest sind vermutlich persönliche Verluste bzw. Verluste der öffentlichen Hand im Rahmen der Infrastruktur.

Es wäre ein Akt der Vernunft, diesen Schaden auch in der Wahrnehmung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung als ein Schaden wahrzunehmen. Es sind Menschen umgekommen, sie haben große Teile ihres Vermögens verloren, aber die große politische Kennzahl, das Bruttoinlandsprodukt (BiP) als angeblichem Ausdruck für Wachstum und ‚Wohlstand‘, wird davon kaum berührt. Alle Rettungsmaßnahmen, die durchgeführt werden mussten, haben im Gegenteil Beiträge zum Bruttoinlandsprodukt ausgelöst und damit zusätzliches Wachstum geschaffen, also jene Kennzahl gepuscht, an der die Politik regelmäßig ihre ‚Erfolge‘ misst. Da läuft doch irgend etwas falsch!

Der Überschwemmung des Ahrtals hat beim BiP so gut wie keine Spuren hinterlassen. Der Wiederaufbau des Ahrtals wird durch öffentliche und privatwirtschaftliche Leistungen bezahlt und fließt damit als zusätzlicher Wachstumsbeschleuniger in das BiP ein. Wenn man diese Logik sarkastisch kommentieren möchte, so könnte es sein, dass das geringe Wachstum, das wir gegenwärtig auszuweisen haben, ausschließlich deshalb noch positiv ist, weil ein paar solcher Schadengroßereignisse zu verzeichnen sind. Noch gehässiger wäre die Vermutung, dass die Großschäden der Politik willkommener Anlass sind, weil ja dadurch richtige Wachstumsschübe auszulösen sind, die sonst in der Wucht nicht mehr erreicht werden. Dummerweise ist Wachstum jene Größe, die die Klimaschäden besonders begünstigt. Lässt sich da eine gewisse Systematik erkennen, die Wasser auf die Mühlen jenes Teils der Politik leitet, die im Klima-Bremserhäuschen sitzt?

Wenn Josef A. Schumpeter „kreative Disruption“ als Merkmal des Kapitalismus beschrieb, so übernimmt jetzt der Klimawandel stellvertretend diese Aufgabe, weil wir mit fehlerhaften bzw. fehlleitenden Kennzahlen arbeiten?

Es wurden innerhalb von 24 Stunden Volks- und Privatvermögen (i.w.S.) im Wert von 40 Mrd. Euro vernichtet und unser ‚Wohlstandsradar‘ ist nicht in der Lage, diesen Tatbestand angemessen zu registrieren, noch den Verlust als solchen darzustellen.

Ein wesentlicher Grund für diese Diskrepanz könnte darin liegen, dass wir einerseits Wohlstand und Vermögen als solches erkennen und bewerten (siehe Vermögensverteilung). Das Bruttoinlandsprodukt (BiP) ist aber eine Zahl, die keinen ‚Bestand‘ darstellt, sondern Einkommensströme abbildet, die durch die Produktion und den Markt entstehen. Was mit der Produktion nach dem Verkauf passiert, wird als Externalität nicht dargestellt.

Wenn wir statt des Einkommensstroms die punktuellen Bestände darstellen wollten, müssten wir auch die vorhandenen Müllbestände (-berge) bewerten. Wir würden dann vermutlich feststellen können, dass der einzige, gigantisch wachsende Bestand jene „Güter“ erfasst, die wir aus unserer Betrachtung üblicherweise als Externalität ausklammern. Unser Verständnis von Ökonomie erfasst nur Währungsbeträge, während kg, t, Stückzahl, u.ä. Größen nicht erfasst werden, weil erst durch den Markt ein Preis entsteht. Was wir wegwerfen, hat mangels Markt keinen Preis mehr, es hat sich aber trotzdem nicht in Luft aufgelöst (siehe unsere Müllberge).

Im Rahmen einer (nationalen) Vermögensbetrachtung müssten wir bei Schadensereignissen konsequenterweise die Schäden von den Vermögensbeständen abziehen und sie beim Müllbestand hinzu buchen. Wenn wir bei der bestehenden Einkommensbetrachtung bleiben, wird der Unsinn offensichtlich: Je mehr Schadenereignisse auftreten, desto mehr Wachstum werden wir erzielen (vorausgesetzt, die Schäden sind nicht so groß, dass sie die Produktion blockieren). Mit anderen Worten: je mehr Schadenereignisse, desto mehr ‚Wohlstand‘ wird geschaffen?! Diese Sichtweise endet erst dann, wenn die Schäden aufgrund fehlender Ressourcen bzw. fehlender Produktionsstätten nicht mehr durch Wachstum kompensiert werden können. Dann ist aber ein planetarisches Zustand erreicht, bei dem die menschlichen Handlungsalternativen gegen Null laufen.

Wenn wir hier mit dem Begriff ‚Physik‘ ganz allgemein den Ansatz der Naturwissenschaften zur Problemlösung verstehen, dann wird vielleicht klar, warum ‚Politik‘ als Überbegriff gesellschaftlichen Handelns und die ‚Physik‘ nur schwer einen gemeinsamen Nenner finden können.

Die Naturwissenschaften waren in den letzten hundert (und mehr) Jahren der „Schlitten“ auf dem die „Politik“ ihr Narrativ vom Schlaraffenland transportieren konnte. Die Naturwissenschaften waren der Garant für „Fortschritt“ und „Technologie“, die den politisch vertretenden Zukunftsoptimismus unterstützten. Wir wissen zwar nicht wohin, aber aber wir sind eher da!?

Seit etwas 50 Jahren bekommt der „Schlitten“ Risse. Die Evidenz der Wissenschaften lässt erkennen, dass unsere gegenwärtige Vorstellung von einem ‚guten Leben‘ nicht nachhaltig ist. Ausgerechnet die naturwissenschaftliche Basis des politischen Narrativs bröckelt weg. Und die Politik muss ein Jahrhunderte altes Narrativ vom Schlaraffenland aufgeben bzw. durch ein neues Narrativ ersetzen, das es aber in der gewohnten Akzeptanz noch nicht gibt.

Das ist leider kein intellektuelles Problem, das verstandesmäßig bewältigt werden könnte. Es ist eine zutiefst emotionale Infragestellung von Gewohnheit und Bequemlichkeit gegen die sich viele wehren, weil sie die Zusammenhänge nicht verstehen und es niemanden gibt, der ihnen die Zusammenhänge in verdaulichen Häppchen so präsentiert, dass daraus eine neue, zukunftsträchtige Perspektive wird.

Dabei spaltet sich die Gesellschaft in mindestens zwei große Lager: in jene, die in der vermeintlich so glückliche Vergangenheit ihre emotionale Zuflucht nehmen wollen und die glauben, dass dabei autoritäres Auftreten eine Lösung sei und in jene, die die reellen Chancen für ein neues sinnvolleres Narrativ erkennen können, sich aber mit der vorherrschenden Masse der trägen Bequemlichkeit schwertun.

Der Fehler der autoritären Haltung liegt darin, dass die Autokraten auch nicht wissen, wo die Lösung liegt, aber so tun, als hätte sie die ‚Erleuchtung‘ geküsst. Sie schneiden sich bewusst von einer, zugegeben mühsamen, gemeinsamen demokratischen Problemlösung ab, um die Unsicherheiten zu nutzen, schnell ihre Taschen und die Machtbedürfnisse ihrer Klientel zu (er)füllen. Dabei wird der Nationalismus meist als emotional geprägter „Schlitten“ benutzt, auf dem sie ihre meist fehlerbehafteten, ‚löcherigen‘ Visionen aufbereiten. Die Mahnungen der evidenzbasierten Naturwissenschaften werden mangels Urteilsfähigkeit in den Wind geschrieben. Erst die folgenden, hoffentlich nur kleineren Desaster werden die Unfähigkeit dieser Haltung entlarven und dann sind wir wieder am gleichen Ausgangspunkt wie heute angelangt, nur sind dann wertvolle Jahre vergangen, viele der zu erwartenden Kipp-Punkte werden eingetreten sein und die Wahl der Maßnahmen wird durch das sogenannte ‚Desaster‘ diktiert werden.

Warum tut sich die demokratisch orientierte Politik so schwer, die Mahnungen der Wissenschaft aufzugreifen und umzusetzen? Gegenwärtig treiben NGOs über den Hebel der deutschen und europäischen Justiz die demokratischen Regierungen vor sich her, weil die Maßnahmen der Politik ihren eigenen Gesetzen nicht genügen oder gar widersprechen. Der Grund kann darin gesehen werden, dass Naturwissenschaft und die politischen Versprechen auf eine verheißungsvolle Zukunft bisher relativ leicht zusammengingen. Fortschritt war das große Zauberwort. Die neuen Erkenntnisse der Wissenschaft machen aber deutlich, dass dieser linear orientierten Fortschrittsgläubigkeit eindeutig globale Grenzen gesetzt sind und die Zahl der Spezies homo sapiens so schnell wächst, dass die Versorgung der Biosphäre absehbar in Frage stehen könnte.

Thomas Malthus (1766 – 1834) lässt grüßen – seine Grundaussage bleibt richtig, nur die Randbedingungen haben sich geändert. Malthus unterstellte seinerzeit, dass das exponentiell erwartete Bevölkerungswachstum die eher lineare Nahrungsmittelentwicklung übersteigen wird und es dadurch zwangsläufig zu einer Hungersnot käme. Das exponentielle Wachstum der Bevölkerung haben wir inzwischen erreicht und die Nahrungsmittelproduktion wurde zwar gewaltig gesteigert, der Hunger ist global ein Problem geblieben.

Malthus sah zu seiner Zeit keinen Anlass, anzunehmen, dass aufgrund des Klimawandels und des weltweiten Wohlstands- und Bevölkerungsanstiegs die landwirtschaftlichen Anbauflächen knapp werden könnten. Malthus hat zu seiner Zeit auch nicht über die Erkenntnis verfügt, dass die globalen Wetterveränderungen die künftige Höhe der Ernteerträge in Frage stellt. Unser heutiger Fleischkonsum setzt durch die globale Landnutzung für Viehhaltung die Effizienz der globalen Nahrungsmittelproduktion deutlich herab. Von dem ‚Flächenfraß‘ durch die fortschreitende Urbanisierung der Menschheit ganz zu schweigen.

Alle die hier angesprochenen groben Entwicklungsalternativen geschehen nicht morgen, sondern sind längerfristige Perspektiven. Und hier scheint mir das Problem mit der Politik erkennbar zu sein: Die politischen Strukturen, die wir unterhalten, sind wesentlich kurzfristig orientiert. Viele Politiker denken in Legislaturperioden von max. vier oder fünf Jahren. Und in dieser Zeit muss der demokratisch gewählte Politiker so etwas wie „Erfolg“ vorweisen können, sonst schmelzen seine künftigen Wahlchancen wie Eis in der Sonne. Neben der Wissenschaft, die sich im wesentlichen auf der langfristigen Schiene bewegt, gibt es noch die Wirtschaft, deren Grundannahmen und sogenannten ‚Axiome‘ sich mit Haut und Haaren auf die Kurzfristigkeit aller ihrer Handlungsalternativen konzentriert. In diesem Spannungsfeld von vollkommen gegensätzlichen Weltbildern sollte die Politik vermitteln, kann dieser Aufgabe aber nur unzulänglich gerecht werden, weil sie selbst Vertreter von relativer Kurzfristigkeit ein Weltbild vertritt, dass mit den Perspektiven der Wissenschaft überfordert ist. Wir stehen m.E. vor dem Problem, dass sich die auf die Kurzfristigkeit konzentrierten Konfliktparteien eher kurzschließen (Politik u. Wirtschaft) und einen trügerischen Konsens finden werden, als dass sie sich dem politischen und wirtschaftlichen Risiko aussetzen, notwendig erkannte längerfristige Perspektiven zu vertreten. Es droht m.E. eine fatale Entwicklung.

Was könnte helfen, diese strukturelle Verkrustung aufzubrechen? Bestimmt nicht noch mehr Struktur (oder deutlicher gesagt: Bürokratie), sondern eine gezielte Einführung von Elementen einer direkten Demokratie, um die starren Strukturen zu bezwingen. Wer nicht gewählt werden muss, wer keine strukturell definierten Positionen innehat und sie verlieren könnte, ist bei ausreichender Information eher geneigt, längerfristig zu denken.

Dabei gibt es genug Ansätze (u.a.):

  • Die meisten kennen den Artikel des Grundgesetzes (Art. 38, I), dass die Abgeordneten nur ihrem Gewissen zu folgen hätten und an Weisungen und Aufträge nicht gebunden sind. Dieser Artikel wird durch den Fraktionszwang unterlaufen, der automatisch gilt, wenn er nicht ausdrücklich mit einfacher Mehrheit aufgehoben wird. Ich denke, es müsste gerade umgekehrt geregelt sein: ein Fraktionszwang gilt nur dann, wenn er ausdrücklich für den zu entscheidenden Sachverhalt mit Mehrheit beschlossen wird. Einer Änderung stehen die Interessen der Parteien entgegen, die mit der Änderung ein starkes Instrument der Disziplinierung ihrer Abgeordneten verlieren würden.
  • Politiker unterliegen einem dichten Netz von Lobbyisten, die sich ihrem Einfluss auf das Parlament damit erkauft, dass sie wohlformulierte Vorlagen bereitstellen bzw. gewisse Unterstützungen für die Parlamentsarbeit liefern. Diesen Einfluss abzuwehren ist nicht einfach. Der Ausbau von Bürgerräten (wird teilweise schon realisiert) könnten auf allen politischen Ebenen (das ist leider noch offen) die Sicht der Bürger und deren unmittelbare Interessen in die Entscheidungen einfließen lassen. Der Bürgerrat wird durch Los bestimmt, wobei der Bürgerrat i.d.R. die gesellschaftliche Schichtung unseres Landes weit besser darzustellen vermag, als unser Parlament, das hochgradig einseitig (durch Akademiker und Beamte) besetzt ist. Bürgerräte werden aufgrund von freiwilliger Mitarbeit berufen, erhalten einen Auftrag und eine Einführung in die sachliche Problematik und beginnen dann unmittelbar mit ihrer sachbezogenen Arbeit. Ist das Projekt beendet und liegt der Bericht vor, löst sich der Bürgerrat wieder auf und gibt den Lobbyisten auf diese Weise wenig Chancen, hier Einfluss zu nehmen.
  • Die Politik vermeidet Verbote wie der Teufel das Weihwasser. Verbote haben mindestens einen Fehler – sie müssen überwacht werden, sonst sind sie nicht das Papier wert, auf dem sie fixiert sind. Aber ohne klare Grenzen wird es nicht gehen. Grenzen auf der Ebene des Konsums anzusetzen, ist Unsinn. Grenzen müssen bei der Entstehung (Produktion) gesetzt werden. Die Grenzen können dann auf wenige Grundtatbestände (Materialien, Verfahren) beschränkt werden und können nicht durch kleine rechtliche „Hintertreppen“ umgangen werden. Ihre geringe Zahl bleibt auch mit wenig Aufwand kontrollierbar. Bei der Atomkraft haben wir diese Grenze nach zahllosen Irrungen mühsam gefunden und laborieren seit mehr als 25 Jahren immer noch an der Endlagerung des bisher angefallenen Atommülls herum ohne Aussicht auf eine vernünftige Lösung! Die „Asse“ lässt grüßen!

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