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Freiheit – mal anders

Als Grundsatz soll unverändert gelten: Die Freiheit eines Individuums endet dort, wo die Freiheit des nächsten beginnt. Dabei wird bewusst von einem Individuum gesprochen und nicht vom Menschen oder Bürger, weil wir gewohnt sind, Freiheit nur aus einer anthropozentrischen Haltung zu beurteilen. Diese Haltung möchte ich in Frage stellen.

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Mein Ausgangspunkt ist die Biosphäre. Dieser Begriff ist in etwa gleichbedeutend mit „Natur“. Aber „Natur“ ist vielfach durch emotionale Kategorien überfrachtet, weshalb ich den Begriff der Biosphäre vorziehe. Die Biosphäre ist die Grundlage allen Lebens, also auch der Menschen und aller ihrer sozialen Konstruktionen. Die Mitwelt1 ist von der Erhaltung einer gedeihlichen Biosphäre abhängig.

Wo kommt die Biosphäre her und wie lässt sich sich zweckmäßig beschreiben? Die Biosphäre, wie wir sie wahrnehmen, ist das Ergebnis einer sehr langen Evolution und die Wahrscheinlichkeit, dass sich dieser Entwicklungspfad auf einem Planeten des bekannten Kosmos wiederholt, wird als sehr gering eingeschätzt. Dabei ist einfaches Leben vermutlich auch unter schlechteren Bedingungen denkbar, aber intelligentes Leben, wie wir es auf unserem Planeten heute vorfinden, ist ziemlich einzigartig.

Wenn wir die Biosphäre beschreiben wollen, so gibt es in der Vergangenheit verschiedene Darstellungen, die in der Regel einen religiösen Ursprung haben und sich auf übernatürliche Kräfte beziehen. Das kann nicht mein Ansatz sein.

Für meine Zwecke erscheint es sinnvoller, die Biosphäre unter systemtheoretischen Aspekten mit einem dynamischen, komplexen, sich selbstregulierenden System zu vergleichen. Der dynamische Aspekt kommt dadurch zum Ausdruck, dass dieses System alles unternimmt, um die (Über-)Lebensfunktion des Systems zu erhalten. Komplex ist das System, weil es über Jahrtausende entwickelt wurde und inzwischen eine unglaubliche Vielfalt von Verhaltensformen hervorbringt, akzeptiert und oft auch toleriert. Die Selbststeuerung ist eine Folge der hohen Komplexität; wenn dem System eine Schieflage droht, so ist es innerhalb eines beachtlich weiten Toleranzbereiches selbst in der Lage, dieser Schieflage zu begegnen und im Sinne der Lebenserhaltung Maßnahmen zu ergreifen, die die Schieflage abwenden können. Reicht der Toleranzbereich nicht aus, die Schieflage zu beseitigen, können Subsysteme, die sich als dysfunktional erwiesen haben, „abgestoßen“ oder aufgelöst werden. Die Elemente der betroffenen Subsysteme haben u.U. eine Chance, sich einem anderen funktionalen Subsystem der Biosphäre anzugliedern oder werden aus der Biosphäre ausgeschlossen, die Funktion des betreffenden Subsystems wird damit endet.

Das System reagiert auf einen „Angriff“ auf seine Überlebensfunktion nicht durch rechtliche Schritte oder Schuldzuweisungen,oder gar „Krieg“, wie wir es unter humanen Gemeinschaften allzu oft erkennen müssen. Das System nutzt seine hohe Komplexität, und versucht im Rahmen seines Toleranzbereiches geschmeidig dem Angriff auszuweichen und entwickelt in seiner Struktur Gegenstrategien, um das System in seiner Funktion zu erhalten und zu stabilisieren. Um konkret zu werden: die Menschheit steigert durch den fortwährenden, überhöhten CO2-Ausstoss die Erwärmung des Planeten. Die Antwort des Systems ist keine direkte Reaktion, sondern sie liegt darin, dass das System versucht z.B. global einen Ausgleich durch heftige Klimaveränderungen zu schaffen. Dabei bleibt die Befindlichkeit der Spezies Mensch aber vollkommen unbeachtet. Das System ist nicht menschengemacht und damit auch nicht anthropozentrisch ausgerichtet. Die Biosphäre folgt bei der Antwort auf den „Angriff“ funktional den vielfältigen Möglichkeiten, die ihr die Komplexität des Systems seit Jahrtausenden bereit stellt.

Was ist nun mit der Freiheit? Wenn wir anerkennen, dass eine intakte Biosphäre für unser Leben in den letzten ca. einhundert Jahren Schritt für Schritt immer unverzichtbarer wird, so müssen wir, ob wir wollen oder nicht, die ungeschriebenen Regeln der Biosphäre berücksichtigen. Oder anders ausgedrückt: Das System der Biosphäre ist eine lebenswichtige Institution, die nur dann ihren Überlebensbeitrag leisten kann, wenn wir ihr angemessenen Raum zu ihrer Entfaltung lassen. Die einfachste Lösung läge darin, dass wir die Biosphäre als eine lebenswichtige Institution auf Augenhöhe anerkennen und ihr einen naturgegebenen Anspruch auf ein „freie“ Entwicklung zubilligen. Die Freiheit des Einzelnen endet dort, wo die funktionsnotwendige Freiheit des Systems Biosphäre als Grundlage unseres Lebens beginnt.

Dazu sollten wir uns die Entwicklung in den letzten 300 Jahren vor Augen führen: vor ca. 300 Jahren wurden die ersten technologischen Erfindungen gemacht, die den Menschen in die Lage versetzten, erstmals in deutlichem Umfang Einfluss auf die Entwicklung des Planeten zu nehmen. Vor 300 Jahren war die Welt aber nur mit ca. 300 Mio. Menschen bevölkert. Die Menschen waren bis dahin Teil der Biosphäre ohne Einfluss auf deren Entwicklung oder Veränderung. Heute zählen wir ca. 8 Mrd. Menschen und haben einen technologischen Eingiffsapparat geschaffen, der in der Geschichte wohl einzigartig ist. Allein schon die schiere Zahl unserer Spezies verbunden mit unserem Raumanspruch und den technologischen Möglichkeiten engt – ob wir wollen oder nicht – den Spielraum der Biosphäre fortwährend ein.

Der uralte Satz: „Macht euch die Erde untertan!“ bekommt plötzlich eine ganz andere Wahrnehmung. Über zweitausend Jahre war das ein frommer Wunsch und plötzlich haben wir als Spezies die technologischen Voraussetzungen dafür geschaffen. Wir müssen gleichzeitig feststellen, dass unser menschliches Verhalten für die Biosphäre in einem Maße dysfunktional geworden ist, dass die lebenserhaltende Funktion des Systems mittelfristig in Frage steht. Wir haben uns, möglicherweise unbewusst, einen Gegner geschaffen, mit dem nicht zu verhandeln ist, weil er keine Repräsentanz besitzt. Die Biosphäre handelt nach archaischen Grundsätzen, die wir nur teilweise verstehen. Also wäre eine Lösung, der Biosphäre künftig wieder mehr Spielraum, mehr Freiraum zu geben, damit sie ihre lebenserhaltenden Strategien (auch in unserem ureigenen Interesse) besser umsetzen kann.

Wenn wir künftig von Freiheit sprechen, so kann das nicht nur den Freiheitsanspruch von uns Menschen umfassen, sondern es muss gleichberechtigt auch ein Anspruch auf die notwendige Freiheit der Institution „Biosphäre“ berücksichtigt werden. Das muss sich künftig in unserem Denken und Handeln niederschlagen. Stattdessen wird die Funktion der Biosphäre von einer Mehrzahl von Menschen schlicht als ein „Ressourcenpotenzial“ angesehen, das es wirtschaftlich gnadenlos auszubeuten gilt. Da die Biosphäre aber unserer Lebensgrundlage darstellt, ist dieser Ansatz in hohem Maße selbstzerstörerisch.

Immer dann, wenn wir glauben, unsere sogenannte Freiheit in vollen Zügen ungehemmt genießen zu können, sollte immer der unveräußerliche Freiheitsanspruch der Institution Biosphäre in Erinnerung gerufen werden, um zu vermeiden, dass wir in vollen Zügen unsere Lebensgrundlagen zerstören.

Es bleibt die Frage, ob nicht schon andere Autoren diese oder ähnliche Gedanken vorgestellt haben? In „Biokapital“ weist Andreas Weber (Berlin 2008) darauf hin, dass sowohl der bekannte amerikanische Wirtschaftskritiker und Unternehmer, Peter Barnes, in seinem Buch „Kapitalismus 3.0“ (2006) als auch der Ökonom Herman Daly (ohne konkreten Hinweis) vergleichbare Ideen entwickelt haben. Die Ideen dieser Autoren gehen dahin, die gesamten Gemeingüter (das sind jene Güter, die uns allen anteilig gemeinsam gehören, weil sie uns von der Biosphäre ohne ein ökonomisches Interesse zur Verfügung stellt werden) in Institutionen (wie gemeinnützige Stiftungen oder „Trusts“) einzubringen, die frei (unabhängig) von Markt, Großkonzernen und Politik handeln können und dabei ausschließlich die Interessen des Systems Biosphäre vertreten und den Ge- bzw. Verbrauch der Gemeingüter des System Biosphäre überwachen, untersagen bzw. durch Preisimpulse die Verbrauchsmenge steuern. Der Ge – und Verbrauch von Gemeingütern bekommt einen Preis, der nicht von einem Markt bestimmt wird, sondern von der zu schaffenden gemeinnützigen Institution. Der Preis für die Nutzung des jeweiligen Gemeingutes spiegelt den zu erwartenden Einfluss auf den langfristigen Zustand des Biosphärensystems und seines Überlebenszieles wider. Dabei geht es nicht, wie auf einem Markt, um Profit, sondern um Ausgleich und Erhaltung.

Immer, wenn die Rede sich auf Preise konzentriert, fließt in Folge Geld in irgendwelche Taschen. Die Stiftungsinstitutionen werden mit der Entwicklung von Preisansätzen für die Nutzung von Gemeineigentum weltweit gewaltige Summen zusammentragen. Was damit geschehen soll, wird ungern offen diskutiert, weil dabei enorme Begehrlichkeiten entstehen werden. In unserem Wirtschaftssystem ist Geld eng mit Macht verbunden. Geld kann aber keine verlorene Biosphäre wiederherstellen. Das ist m.E. ein wichtiger, aber offener Punkt in der künftigen Gestaltung.

Die Ideen haben zweifelsohne ihren Reiz. Die Umsetzung erfordert aber großes Geschick, weil wir kaum noch über freies Gemeineigentum verfügen. Wie ist das zu verstehen? Ursprünglich bestand für jede Spezies die Möglichkeit, ungefragt den Nutzen der Biosphäre ohne Einschränkung in Anspruch zu nehmen. Indigene Gemeinschaften leben heute noch so, wobei ihnen eine oft moralische Einschränkung gelehrt hat, mit den Gemeingütern umsichtig und zurückhaltend umzugehen.

Unsere Kultur und unser Wirtschaftssystem hat stattdessen vor einigen Jahrhunderten angefangen, das Institut des Eigentums zu entwickeln. Unsere Altvorderen haben sich gewisse wirtschaftlich interessanten Teile des Gemeineigentum (oft unter Anwendung von Gewalt) einfach angeeignet. (vgl. Th. Piketty, Kapital und Ideologie, München, 2020, 4./5. Kapitel) Daraus hat P. J. Proudhon um 1850 die harte Aussage abgeleitet: „Eigentum ist Diebstahl“. Die Entwicklung war mit der Aussage nicht aufzuhalten. Heute ist Eigentum eine wesentliche Komponente dessen, was wir unter Freiheit verstehen, weil wir andere (auch die Biosphäre) von der Nutzung des Eigentums legal ausschließen können. Aber wir müssen uns im Klaren sein, dass diese Entwicklung auch fatale Spuren in unserem System der Biosphäre hinterlassen hat. Schritt für Schritt wurde die Biosphäre für einseitig rein menschliche Zwecke zurückgedrängt und vielfach zerstört. Grundlage der Biosphäre war ursprünglich das Gemeineigentum – es gehörte allen Lebewesen, nicht nur der Spezies der Hominiden. Das lässt sich heute nicht mehr erkennen. Und deshalb müssen wir darüber nachdenken, wie wir die Folgen dieses „Diebstahls“ so abfangen können, dass unsere Biosphäre mit uns gemeinsam eine erfolgreiche Zukunft hat.
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1Umwelt ist ein anthropozentrischer Begriff (wir und die anderen). Mitwelt versucht die „anderen“ auf Augenhöhe mit ihren Rechten, Freiheiten und Pflichten zu akzeptieren.

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