Schlagwort-Archive: Chrematistik

Externe Effekte – ein unbekanntes Terrain?

„Als »externe Effekte« werden in der klassischen Ökonomie die Auswirkungen der Handlungen oder Unterlassungen von wirtschaftlichen Akteuren auf Dritte bezeichnet. Das Vorhandensein externer Effekte impliziert, dass es fast unmöglich ist, über das System der Marktpreise zu so genannten »effizienten Marktlösungen« zu kommen, denn diese Preise spiegeln nur die privaten Grenzkosten wider, nicht aber die sozialen oder ökologischen Kosten, die infolge der externen Effekte entstehen.1

» weiterlesen

Als externen Effekt bezeichnet man in der Wirtschaftslehre die Handlungen2, die vom Handelnden durch keine Gegenleistung ausgeglichen werden. Der fehlende Ausgleich gegenüber den eventuell Betroffenen wird wirtschaftlich damit begründet, dass keine über einen Preis- oder Marktmechanismus vermittelte Beziehung besteht. Damit wird der Vorgang im Wirtschaftssystem nicht erfasst bzw. als irrelevant eliminiert.

Der Handelnde eignet sich zwar etwas an, was ihm nicht gehört und nutzt es für seine Zwecke. Die Aneignung bleibt i.d.R. folgenlos, weil der mögliche ‚Eigentümer‘ im Sinne des Rechts als nicht bestimmbar gilt und er deshalb seine Eigentumsrechte nicht wahrnehmen kann oder will oder der mögliche ‚Eigentümer‘ hat das ihm zustehende Eigentumsrecht als solches noch gar nicht erkannt.

Das klingt recht abstrakt, ist aber im Grunde ganz einfach: unser Wirtschaftssystem versteht unter dem Begriff des ‚Wirtschaftens‘ ausschließlich solche Güter und Handlungen, für die ein Markt und deshalb auch meist ein Preis bestimmbar ist. Alles andere ist definitionsgemäß nicht Teil des Systems. Was heißt das im Klartext?: Wir wirtschaften schon viele Jahrtausende mit dem Ziel, die Menschen mit ihrem Bedürfnissen umfassend zu versorgen. Seit der Dominanz des Kapitals wurde der Begriff enger gefasst, weil es nicht mehr primär um die Versorgung ging, sondern um die Chrematistik (um die Lehre des Reichwerdens). Solange das im kleineren Rahmen (gewissermaßen beiläufig) stattfindet, sollte das kein Problem sein, wenn sich aber das System in seiner Priorität der Chrematistik zuwendet, wird der Versorgungsgedanke unterdrückt und zur Dienstbarkeit der Chrematistik.

Versorgung erfolgt von altersher nach menschlichem Maß. Die Bestimmung, wer als versorgt gilt, liegt beim zu versorgenden Individuum. Wenn aber die Chrematistik dominiert, wird erfolgreiche Versorgung nur aus der Perspektive des Produzenten betrachtet. Erst, wenn beim Produzenten die Grenzkosten den Grenzertrag erreichen, dann lässt sich mit den verkauften Gütern keine Marge mehr machen und der Chrematist verliert das Interesse an einer weiteren „Versorgungsmehrung“ und wendet sich i.d.R. einem ertragreicheren Betätigungsfeld zu.

Eine Folge der Dominanz der Chrematistik drückt sich in der systematischen Kurzfristigkeit des Handelns aus. Die Lebensdauer von Gütern darf nicht zu lange währen, man will ja neue Ware verkaufen. Als Folge produziert man so, dass die Produkte relativ schnell ihre Funktion bzw. ihren Wert verlieren, (die neue Produktgeneration macht Druck, wartet schon), und sie müssen i.d.R. billig, zumindest günstig sein, damit der Wechsel von „Alt“ zu „Neu“ dem Kunden nicht zu schwerfällt. Wenn das als Motivation nicht ausreicht, kommt das Marketing ins Spiel, das uns jeden Tag von neuem erklärt, dass das Alte Uralt ist und schon „die Nachbarn darüber tuscheln“ oder aber das Neue technologisch in Meilenstiefeln voranschreitet, obwohl i.d.R. nur das Design geändert und ein paar Knöpfe versetzt wurden. Und echte Inventionen sind selten (im einprozentigen Bereich).

Streng genommen sind wir zeitlich gar nicht mehr in der Lage, die Vielzahl der sich ständig ändernden Produkte sinnvoll zu nutzen – wir werfen sie mit kräftiger Unterstützung einer fehlleitenden Marketingorgie einfach weg, weil die zur Verfügung gestellten Nutzungen von uns gar nicht mehr verarbeitet werden können – der Tag hat nur 24 Stunden. Um alles einigermaßen sinnvoll nutzen zu können, sollten wir den Tag eventuell auf 36 Stunden ‚aufbohren‘ – einige ‚Irre‘ versuchen es, indem sie ‚schneller leben‘ wollen – bis sie als Konsumjunkies psychisch ihren Zusammenbruch erleben. Das moderne Wirtschaften „will den Menschen eben von vornherein nicht als lebendes Wesen begreifen, sondern als einen Algorithmus der Optimierung3

Das ist aber nur die eine Seite der Medaille: Was ist mit den Dienstleistungen, die keinem Markt und keiner Preisfindungsmaschine unterliegen? (Haushalt führen, Kindererziehung u. -beaufsichtigung, Sozialmaßnahmen in der Familie, Ehrenamt i.w. S.), und was ist mit jenen Gütern unseres täglichen Gebrauchs, die nicht als Wirtschaftsgüter verstanden werden, sondern allgemein unter dem Begriff der Gemeingüter erfasst werden?

Ein Wirtschaftsgut hat einen Markt und einen Preis. Voraussetzung für ein Wirtschaftsgut ist das Eigentumsrecht an dem Gut. Erst dann, wenn gewährleistet ist, dass die Nutzung bzw. der Besitz des Gutes anderen legal vorenthalten werden kann, hat das Gut die Chance, als knappes Wirtschaftsgut verstanden zu werden und einen Preis zu erzielen. Erst dann kann man es verkaufen oder vermieten.

Gemeingütern fehlt i.d.R diese Eigenschaft. Sie sind u.U. allgegenwärtig wie z.B. die Luft und deswegen gibt es keinen „Eigentümer“, der andere von der Nutzung ausschließen könnte; Luft ist lebensnotwendig und gehört strenggenommen allen oder niemandem. Wasser ist ein ähnlicher Fall. Es gibt natürliche Reserven, auf die wir über eine öffentliche Infrastruktur zugreifen. Erst in den letzten Jahren setzt sich zunehmend die Erkenntnis durch, dass Wasservorräte endlich sind, weil unser gegenwärtige Verbrauch zu hoch und der Niederschlag aufgrund der Klimakrise zu gering ist. Der Kreislauf ist durch einen übermäßigen Verbrauch absehbar überlastet.

Gemeingüter haben keinen offiziellen Preis. Wenn Gemeingüter billig für industrielle Zwecke abgegeben werden, müssen wir von einer Subvention sprechen. Die öffentliche Hand verlangt meist einen Preis, der mit ihren ‚Gestehungskosten‘ korreliert statt sich zu fragen, ob der Preis, abhängig vom jeweiligen Geschäftsmodell, nicht prozentual von dem Verkaufspreis des Endproduktes abhängig sein sollte. Limonade besteht z. B. zu 98% aus Wasser. Der Anteil der Wasserkosten am Marktpreis der Limonade liegt aber im einstelligen Prozentbereich. Da stimmen die Relationen nicht. Hier findet eine Subvention einzelner auf Kosten der Allgemeinheit statt.

Nachtrag: Lt. Süddeutsche Zeitung vom 3.Mai 2023, R10, wird in Bayern , Hessen und Thüringen für das Gewerbe kein Wassercent erhoben, d.h. das Wasser kann im Rahmen von Entnahmevereinbarungen über die Menge kostenfrei entnommen werden. Der private Nutzer hat pro Kubikmeter Trinkwasser regional unterschiedlich, z.B. in Treuchtlingen 2,84 Euro /qm, zu entrichten. Da ist wohl mit dem Verständnis von Gemeingut etwas aus dem Ruder gelaufen!

Die Gemeingüter (Commons, oder auch Allmende) leiden immer noch unter der unsinnigen. rein theoretischen Analyse von Garrett Hardin aus dem Jahr 19684, dass Gemeingüter keine Chance zu einer sinnvollen Nutzung hätten, weil der Egoismus der Beteiligten dazu führe, dass das Gemeingut übernutzt und damit zerstört wird. Jeder suche ohne Rücksicht seinen individuellen Vorteil. Diese Ansicht hat Elinor Ostrom empirisch widerlegt, weil sie darlegte, dass die Kommunikationsfähigkeit der Beteiligten dazu führt, dass meist Regeln gefunden werden, die die Nutzung der zahlreichen Gemeingüter vor einer Übernutzung schützt. Der Fehler von G. Hardin liegt darin, dass er das Verhalten des homo oeconomicus als reales Verhalten einstufte und aufgrund dessen egoistischer Zentrierung und Gier die Möglichkeit der wechselseitigen Kommunikation ausschloss. Das ist beim theoretischen Konstrukt des homo oeconomicus leider immer zu erwarten und disqualifiziert deshalb diese Konstruktion für reale Aussagen über die Wirklichkeit.

„(…) Durch externe Effekte entstehen Kosten, die nicht von den Käufern und Verkäufern getragen, sondern stattdessen auf die Allgemeinheit abgewälzt werden. So ist es gemeinhin billiger für ein Unternehmen, Schadstoffe in die Atmosphäre und radioaktive Abfälle in die Erde zu befördern, als sie zu entsorgen (oder die Kosten zu »internalisieren«). Diese externen Effekte sind nicht ausgewiesene Kosten wirtschaftlicher Aktivitäten, die üblicherweise von uns allen getragen werden.1

Es fällt auf, dass die Gemeingüter (Commons) in der Mainstream-Ökonomie nahezu keine Rolle spielen. Weder in den Zeitungen, noch in den Beiträgen der sonstigen Medien lassen sich Hinweise auf Gemeineigentum und dessen Bedeutung bzw. Management finden. Es gibt ‚Exoten‘, die sich darum bemühen, das Verständnis für Gemeineigentum zu wecken und deutlich zu machen, dass hier ein Problembereich ruht, der mit der Tatsache der Endlichkeit unserer Ressourcen und der zunehmenden Erkenntnis, dass quantitatives Wachstum sein Ende finden wird, eine völlig andere Bedeutung erhält.

„Wie sind Gemeingüter oder – anders gesagt – Gemeinressourcen zu managen, damit sie als Gemeingüter erhalten bleiben? Die Antwort hängt stark vom Charakter der gemeinsam genutzten Ressource und der jeweiligen (Nutzungs-) Gemeinschaft ab. Eine wichtige Determinante ist, ob eine Ressource von vielen Leuten genutzt werden kann, ohne dadurch zerstört zu werden. Wenn in einem Wald zu viele Bäume gefällt werden, wird das den Wald langfristig zerstören. Wenn sich jedoch viele Programmierer einer Open-Source-Software-Community anschließen und viele Nutzer gleichzeitig dieselbe Software benutzen, mindert oder schmälert das die Gemeinressource nicht, sondern es steigert sogar den Wert des gemeinsamen Quelltextbestandes. Ein Wald kann »aufgebraucht« werden, eine »Software-Allmende« wird dagegen durch mehr Beteiligung erweitert.2

„Ein wichtiger Aspekt hinsichtlich des Managements einer Gemeinressource ist daher, ob sie endlich ist oder nicht. Natürliche Ressourcen sind meistens endlich, während Informationen und Kultur nicht verbraucht werden können, schon gar nicht im Zeitalter des Internets und billiger digitaler Reproduktion. Deshalb gewinnt die Informationsallmende an Wert, je mehr Menschen sich daran beteiligen (…).

Ein weiterer wichtiger Faktor ist, ob eine Ressource ausschließend oder rivalisierend ist. Es lässt sich kaum verhindern, dass Menschen von Ressourcen wie Leuchtturmsignalen oder Sonnenuntergängen profitieren, die jedermann frei zugänglich sind. Außerdem wird dadurch, dass ich an diesen Ressourcen teilhabe, niemand anderes Teilhabe beeinträchtigt, d. h. sie sind nicht rivalisierend. Solche nicht ausschließenden, nicht rivalisierenden Ressourcen nennt man »öffentliche Güter«. Man kann nicht einfach andere Menschen davon abhalten, Gewinn (Nutzen) aus ihnen zu ziehen.3

Das Problem der Gemeingüter werden wir hier nicht lösen können, aber wir haben m.E. in diesem Rahmen noch ein viel größeres Problem: In den Lehrbüchern der Ökonomie taucht der Begriff der Gemeingüter nicht auf und wenn, dann wird die Sache mal kurz gestreift. Was ist mit Abfall? Oder sagen wir es deutlicher: was ist mit Müll? Er ist allgegenwärtig, findet aber in der Lehre keine Erwähnung ähnlich wie der Ausgangspunkt aller Aktivitäten. Ob Müll unter die externen Effekte erfasst werden muss oder kann, ist unklar, in der Wirtschaftstheorie selbst spielt er aber keine Rolle, obwohl alle „Extraktionen“ und alle Produktionen irgendwann zu Müll werden. Müll ist im Grunde die allumfassenste Branche in unserem Wirtschaftssystem – und das Merkwürdige ist, wir ersticken fast daran und kaum ein Ökonom hat das bisher so richtig bemerkt.

……………………………..

1Silke Helfrich u. Heinrich Böll Stiftung, Wem gehört die Welt?, München 2009, S.33

2Die meisten Wirtschaftsdefinitionen stellen statt auf die Handlung auf die Entscheidung ab. Der Weg von der Entscheidung zur Handlung kann aber lang sein. Erst die Handlung löst aber das Problem aus.

3Andreas Weber, Biokapital, Berlin 2008, S. 143

4Die Analyse ging unter dem Begriff der „Tragik der Allmende“ in die Wirtschaftsliteratur ein. Garret Hardin ist jedoch Biologe – man hat die Ausführungen mit Wonne in die Wirtschaftswissenschaften aufgenommen bis Ostrom den Unsinn aufdeckte und dafür wohl den Wirtschafts-Nobelpreis erhielt.

5 Silke Helfrich u. Heinrich Böll Stiftung, Wem gehört Welt?, München 2009, S. 33

6 Silke Helfrich u. Heinrich Böll Stiftung, Wem gehört Welt?, München 2009, S. 33 f.

7 Silke Helfrich et al., S. 34

» weniger zeigen