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Nachhaltigkeit konkret – ein Versuch

Das Thema Nachhaltigkeit war im Rahmen dieses Blogs schon mehrfach ein wichtiges Thema. Zum einen unter der Überschrift „Nachhaltigkeit – geht es etwas präziser“ und auch als „Nachhaltigkeit oder Klimaneutralität“. In beiden Beiträgen wird deutlich angesprochen, dass der Begriff „Nachhaltigkeit“, den die Bruntland-Kommission aufgebracht hat, zwar verstanden wird (was politisch vielleicht wichtig ist), aber im Konkreten einer völlig beliebigen Verwendung Tür und Tor öffnet.

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Die Bruntland-Kommission hat Nachhaltigkeit aus der anthropozentrischen Perspektive definiert und dabei, vereinfacht gesprochen, die sogenannte „Enkeltauglichkeit“ (eine Perspektive der Langfristigkeit) gefordert. Herman E. Daly hat die Nachhaltigkeit aus der Sicht der Biosphäre bestimmt. Diese Definition ist fraglos härter und konkreter, aber immer noch sehr abstrakt:

  • Die Abbaurate einer Ressource darf ihre Regenerationsrate nicht übersteigen.
  • Das Emissionsniveau darf die Assimilationskapazität der Biosphäre nicht übersteigen.
  • Der Verbrauch nicht regenerierbarer Ressourcen ist durch eine entsprechende Erhöhung des Bestandes an regenerierbaren Ressourcen zu kompensieren.

Dann erschöpft sich die Diskussion mangels akzeptabler oder interessanter Vorschläge ziemlich schnell. Ein Grund liegt vermutlich auch darin, dass die Ökologie kein Ziel hat. Erhaltung der Biosphäre ist in meinen Augen kein Ziel, das ist nur eine untere Handlungsgrenze, unter die wir auf keinen Fall rutschen dürfen. Ökologie wird gerne mit Evolution verwechselt und für die Evolution halten viele den Zufall für zuständig. Aber Ökologie funktioniert nur dann, wenn gewisse Voraussetzungen erfüllt werden können: Artenvielfalt, ein Miteinander, Komplexe Strukturen, Systemdenken, Funktionalität u.a.m.. Leben ist m. E. ohne diese komplexen Strukturen nicht denkbar. Alles, was im Grunde schlicht, einfach, linear, direkt, zielgerichtet auftritt, hat mit „Leben“ wenig zu tun. Herman E. Daly hat in einem seiner letzten Essays (4. Parabel) 2022 versucht, diesem Gedanken eine Stimme zu geben.

Die konkreten Folgen dieser Problematik wurden mir dann vor kurzem bei einem Vortrag eines Architekten vor Augen geführt, bei dem es u.a. darum geht, „nachhaltiges Bauen“ zu bewerten.

Es ging um die Frage, ob Betonbau, Holzbau oder auch eine Hybridbauweise als nachhaltig eingestuft werden könnte. Grundlage der Darstellung war Bauen in Beton, dann auch in Holzfertigbau bzw. in einer Holzhybridbauweise.

Der vortragende Architekt hatte eine Vielzahl von Kriterien zusammengetragen. Die Mehrzahl seiner Kriterien waren technischer bzw. planerischer Natur, deren Zusammenhänge ich als Laie nur schwer abschließend beurteilen kann. Mein Interesse galt daher der Frage, wie sich diese Gesichtspunkte zu einem Begriff der Nachhaltigkeit verdichten lassen.

Die Betonbauweise gilt allgemein als nicht nachhaltig, weil die Zementherstellung große Mengen an Energie benötigt und viel CO2 ausstößt. Hinzu kommt, dass der Sand oder Kies, der für den Beton notwendig zur Verfügung stehen muss, inzwischen global als ein knappes Gut eingestuft wird. Schon diese beiden Punkte lassen den Betrachter an einer Nachhaltigkeit zweifeln. Betrachten wir die Lebensdauer der in Betonbauweise errichteten Gebäude, so können wir darin eine Variable erkennen, die die Nachhaltigkeit deutlich verbessern könnte. Wir bauen heute mit Investoren, die oftmals schon beim Neubau damit kalkulieren, dass das errichtete Gebäude in etwa 25 – 30 Jahren wieder abgerissen wird, damit auf dem Grund dann ein neues Gebäude errichtet werden kann. Es ist deshalb auch nicht ausgeschlossen, dass die Qualität des gegenwärtigen Neubaus durch die Erwartungen des (baldigen) Abrisses leidet. Die Lebensdauer eines in Betonbauweise errichteten Gebäudes liegt bei entsprechender Planung, guter Ausführung, ordentlicher Pflege und gegebenenfalls auch Teil-Sanierung bei mindestens 100 Jahren (etwa bei dem Vierfachen der aktuell angestrebten Lebensdauer, insbesondere bei gewerblichen Bauten), d.h. die unzureichende Ökobilanz könnte durch eine Steuerung der Aktivitäten pro Zeiteinheit deutlich verbessert werden.

Mit dem Bau des Beton-Gebäudes ist ein großer „Rucksack“ voll von ökologisch schädlichen Entwicklungen verbunden, ein Sack voller ‚externer Effekte‘, gemessen in Tonnen von Äquivalenten1. Durch eine bewusste Streckung der Lebensdauer ließe sich der erste ‚Rucksack‘ zwar nicht vermeiden, aber doch nachhaltiger verteilen. Wenn nach 25 Jahren das Gebäude, das eine Lebensdauer von 100 Jahren aufzuweisen hat, abgerissen wird, dann sind 75% des ‚Rucksacks‘ aufgrund der künstlich verkürzten Lebensdauer noch nicht verbraucht. Sie werden dann zu diesem Zeitpunkt bewertet und erhöhen die Kosten des künftigen Neubaus. Das wird rasch zu einer Verschiebung der Prioritäten bei Investoren führen. Wenn durch die Maßnahme die Schaffung von weiteren drei ‚Rucksäcken‘ vermieden werden könnte, so würden drei ‚Rucksäcke‘ erst gar nicht entstehen und das wäre ein großer Schritt in die richtige (ökologische) Richtung. Statt vier Rucksäcke voller externer Effekte werden wir nur einen Rucksack auf die angestrebten 100 Jahre verteilen müssen. Sanierung und Erhaltungsaufwand werden dagegen laufen, aber hier verstecken sich gewöhnlich viel weniger externe Effekte. Der ‚alte‘ Betonbau würde auf diese Weise ökologisch entlastet und der Drang nach Neubauten über den ‚goldenen Zügel‘ eingeschränkt.

Die Holzbauweise wird gegenwärtig als angeblich klimaneutrale Alternative propagiert. Wann immer in unserem Wirtschaftssystem, das sich der linearen Denkweise mit Haut und Haaren verschrieben hat, etwas als besonders nachhaltig verkauft wird, sollte größte Vorsicht geboten sein. Auf die technischen Vor- und Nachteile will und kann ich hier nicht eingehen. Glaubt man der Werbung, kann dieses Verfahren die CO2-Bilanz bis zu 90 Prozent verbessern, weil der Einsatz von Beton stark zurückgefahren wird. Das klingt im ersten Schritt recht gut. Wenn wir aber das lineare Denken beiseite schieben und uns das komplexere Gesamtbild betrachten, gibt es ein ganze Reihe von Fragen.

Holzbalken wachsen nicht auf der Wiese. Gehen wir davon aus, dass ein Baum im Querschnitt idealerweise kreisrund ist und Balken zu ihrer leichteren Weiterverarbeitung i.a.R. zu einem rechteckigen Querschnitt verarbeitet werden. Anders als im Fußball muss das „Eckige“ in das „Runde“. Und das Runde wird entlang des Baumes zur Spitze hin immer kleiner. Mit anderen Worten: es treten bei diesem Verwertungsverfahren immer Verluste auf. Der theoretische Verlust aufgrund der Tatsache, dass das Eckige aus dem Runden geschnitten werden muss, führt zu über 36 Prozent Holzmasseverlust, wenn keine Verjüngung des Baumes zur Spitze hin unterstellt wird.. Dieser Verlust enthält noch nicht die Verluste, die dadurch entstehen, dass der Baum sich zur Spitze hin verjüngt, dann noch Äste, organische Schwachstellen (Fäulnis) und manches andere mehr aufweist. Ich würde den realen Gesamtverlust auf etwa 50 Prozent schätzen. D.h. konkret, bevor ein Balken gesetzt werden kann, ist der halbe Baum schon „entsorgt“. Das Problem spricht für sich. Wer in Holz bauen will, sollte die Zahl der dafür einzusetzenden Bäume, grob gerechnet, etwa verdoppeln.

Nun kommt die Frage der Nachhaltigkeit. Und zwar nicht die anthropozentrische CO2 Bilanz, sondern jetzt greife ich auf die Nachhaltigkeit im Rahmen der Biosphäre (siehe oben) zurück. Die Abbaurate für Bäume muss kleiner sein als die Regenerationsrate des Waldes. Diese Frage lässt sich für einen Laien nur durch unterstützende Angaben der Forstbehörden beantworten. Dort wird die Zahl von 98 Prozent angeführt (2018), wobei es nicht klar ist, wie hier die Einschläge behandelt werden, die in der jüngsten Vergangenheit aufgrund der „Borkenkäfer-Offensive“ bei Fichten-Monobeständen in tieferen Lagen ausgelöst wurden.

Bisher wurde üblicherweise in Stahlbeton (oft gewerblich) und mit Ziegeln (privat) gebaut. Wenn sich das Interesse an einer Holzbauweise verstärkt, so haben wir gegenwärtig vermutlich aufgrund der menschengemachten Borkenkäferplage relativ viel eingelagerte Holzvorräte. Diese Vorräte werden sehr rasch zusammenschmelzen, wenn sich daraus ein Holzbauboom entwickeln sollte. Dann verfügen wir nicht mehr über Vorräte, sondern müssen den kommenden Einschlag organisieren. Das wird bei einer Einschlagquote von 98 Prozent der Regenerationsrate aber schwierig bis unmöglich, ohne die Bedingung zu verletzen, dass die Abbaurate kleiner als die Regenerationsrate sein soll. Bei 98 Prozent und den üblich zu erwartenden kleineren Messfehlern können wir davon ausgehen, dass diese Bedingung in ganz kurzer Zeit gerissen wird. Ab diesem Zeitpunkt wäre es offensichtlich grob fahrlässig, diese Holzbauweise noch als klimafreundlich oder gar CO2-neutral zu bezeichnen.

Die Ökonomie findet hier i.d.R. einen einfachen Ausweg: Wenn wir schon am Limit sind, lasst uns doch das heimische Holz durch importiertes Holz ‚substituieren‘. Die Tatsache, dass dieses Holz oft schwarz eingeschlagen wird, stört die Ökonomie wenig. Hauptsache, die Substitution bietet die Möglichkeit, die mengenmäßige regionale Einschränkung zu umgehen. Dass die Nachhaltigkeitsregeln global gelten, wird vermutlich vielerorts in Geld aufgewogen oder muss man sagen: substituiert.

Die favorisierte Holzbauweise hat noch einen zweiten Schwachpunkt, der sich aus der Forderung ergibt, dass das Emissionsniveau die Assimilationskapazität der Biosphäre nicht übersteigen darf. Wenn wir also mehr mit Holz bauen, und wir wollen nicht den üblichen Raubbau im Kolonialstil verfolgen, so müssen wir dafür sorgen, dass wir vor unserer eigenen Haustüre kehren. Mit der Holzbauweise können wir kaum die grüne Lunge darstellen, die wir dringend benötigen, um unseren Emissionshaushalt im Zaum zu halten. Daly’s Nachhaltigkeitskonzept gilt global. Im Prinzip müssten wir den Einschlag aufgrund der Langfristigkeit der Waldentwicklung auf vielleicht 90 Prozent o.weniger reduzieren, weil wir global Zuwächse in der Waldfläche benötigen, um einen nennenswerten Beitrag leisten zu können, die Emissionen auf natürliche Weise zu absorbieren.

Als Fazit lässt sich feststellen, dass die herkömmliche Bauweise für sich betrachtet, zwar CO2-intensiv ist, aber nicht der Bösewicht ist, den wir gerne darin sehen wollen. Der wahre Grund für die mangelnde Nachhaltigkeit liegt in dem von uns gewollten, Geld getriebenen Kurzfristigkeit-denken, die den wahren Kern des Problems offenlegt. Hier gilt es anzusetzen. Die „Rucksack-Methode“ als Kompensation der wesentlichen externen Effekte wäre bei Bauinvestitionen ein guter Anfang. Eine Übertragung auf andere Großinvestitionen erscheint dabei nicht ausgeschlossen.

Die Holzbauweise ist im Einzelfall eine Lösung. Sobald dieses Verfahren zur Massenanwendung kommt, wird es, ähnlich wie bei Pellets, an der Nachhaltigkeit scheitern. Wir können keine Verfahren mehr in der Masse tolerieren, die auf einem Raubbau der Biosphäre beruht. Wir werden uns auf den Verbrauch besinnen müssen, der uns regional zur Verfügung steht und dieses Material sparsam und technisch so effizient wie möglich einsetzen.

1Der „Rucksack“ wird nach Fertigstellung festgestellt und beim Grundbuchamt angemeldet und dort verwaltet. Er ist damit öffentlich einsehbar und geht auf den neuen Eigentümer über. Er beeinflusst indirekt auch die Grundstückspreise.

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