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Transformation durch politische Gestaltung?

Wenn man sich mit Personen unterhält, die ein wenig politisches Interesse haben, kann man feststellen, dass den meisten klar ist, dass wir in oder zumindest vor einer gravierenden Veränderung unserer Gesellschafts – und Wirtschaftsstruktur stehen oder uns schon darin bewegen. Dabei ist eine große Unsicherheit festzustellen, weil auf der einen Seite erkannt wird, dass Veränderungen anstehen, aber andererseits überhaupt nicht klar ist, wohin die Reise gehen soll oder gehen könnte.

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Das politische Lager möchte Optimismus vermitteln, kann ihn aber nicht begründen. Dabei kommt der Verdacht auf, dass sich große Teile der  Politik nicht trauen, die „Wahrheit“ zum Ausdruck zu bringen. Seit über 50 Jahren wird es Schritt für Schritt immer deutlicher, dass unsere Wirtschaftsform – höflich ausgedrückt – nicht nachhaltig ist und uns in eine Situation führt, die Niko Paech wohl als „Desaster“ beschreiben würde.

Die anstehenden Veränderungen, ausgelöst durch den Klimawandel, werden Schritt für Schritt heftiger und die Reparaturkosten werden immer höher. Es stehen immer weniger finanzielle Ressourcen für das eigentliche Transformationsproblem des Klimawandels zur Verfügung. Die Ökonomie versteht die Welt nicht mehr, weil ihre Methodologie die systemischen Zusammenhänge nicht erkennt. Die Ökonomie war Jahrzehnte lang unsere Richtschnur für Verhalten und Handeln in Politik und Wirtschaft. Das „goldene Kalb“ war das Wachstum, gemessen als jährliche positive Veränderung des Bruttoinlandsproduktes (BiP).

Allmählich setzt sich die Auffassung durch, dass das Wachstum keine erfolgversprechende Alternative mehr ist. Aber die Ökonomie kann keine valide und ideologiefreie Aussage treffen, wie unser Wirtschaftssystem aussehen wird oder würde, wenn kein Wachstum mehr möglich ist.

Wachstum ist nicht mehr darstellbar. Wenn große Teile der Wissenschaft zu der Auffassung kommt, dass wir global 1,7 Planeten ‚verfeuern‘, dann sollte doch jeden nüchtern denkenden Menschen klar sein, dass Wachstum keine Option mehr ist. Was macht die Ökonomie und die Politik? Sie erzählen uns seit mindestens dreißig Jahren, dass das Wachstum vom Ressourcenverbrauch abgekoppelt werden könne. Und wenn dieses ‚Wunder‘ geschehe, könnten wir munter weiter Wachstum produzieren. Die Sache hat zwei Haken:

  1. Seit mindestens dreißig Jahren redet man von der Abkopplung und schürt damit falsche Hoffnungen bei der Politik (und den Bürgern), die natürlich hochgradig anfällig für diesen hohlen Optimismus sind. Man könnte sich ja das Handeln bzw. Gestalten „sparen“. Aber die Abkopplung funktioniert nicht!
  2. Solange man die Hoffnung auf Abkopplung nicht offiziell begräbt, werden sich große Teile der Wirtschaft und der Politik mit Hinweis auf die (höchst unwahrscheinliche) Abkopplung ihre Wachstumsziele zum Schaden der Allgemeinheit weiter verfolgen und damit den Planetenverbrauch systematisch in die falsche Richtung führen. Wir verlieren Zeit, die wir dringend benötigen, um die notwendigsten Schritte zu einer Verbesserung der Situation einzuleiten.

Die „Wahrheit“ tut weh. Dabei muss einfach Ernüchterung und auch eine gute Portion Gelassenheit eintreten. Niemand weiß genau, was in dieser komplexen Situation „richtig“ ist, aber der wahrscheinlichste Lösungsansatz ist jener, der die vorhandenen Tatbestände akzeptiert, sie wahrnimmt und zur Grundlage des Handelns macht. Wir wissen, dass wir global etwa 1,7 Planeten verbrauchen, aber nur über einen Planeten verfügen. Oder anders dargestellt: In Deutschland liegt der Fußabdruck des Einzelnen bei etwa 12 ha, anzustreben sind 1 ha pro Person. Die Differenzen zwischen ‚Soll‘ und ‚Ist‘ sind also gewaltig. Auf der Basis der ‚Planetenbetrachtung‘ sollten wir uns global von einem Verbrauch von 1,7 Planeten auf 1 Planeten reduzieren (ca. minus 40 Prozent). Diese Zahlen sind globale Durchschnittszahlen. Es könnte gut sein, dass minus 40 Prozent für Europa nicht ausreichen werden. Um es kurz zu machen: Wer hier dem Wachstum weiterhin die Stange hält, an dessen Geisteszustand muss man zweifeln dürfen. Es geht darum, durch eine klug angelegte Reduktion das Verhalten und das Handeln in unserer Gesellschaft in neue Bahnen zu lenken. Hier hat die politische Bühne bisher nur sehr wenig Neues oder Gestaltendes beigetragen.

Was insbesondere fehlt, ist die systematische Aufklärung der Bevölkerung über die verfügbaren Optionen. Es braucht ein neues Narrativ, das die Köpfe und die Emotionen der Bürgerschaft erreicht und ihnen Gelassenheit und ein positives Grundverständnis der Problematik vermittelt. Stattdessen wird so getan als ob man alles im Griff hätte. Aber es glaubt keiner mehr daran.

Die Wissenschaft hat mit Maja Göpel (Prof. für Politökonomie,), Harald Welzer (Prof. für Soziologe), Niko Paech (Prof. für Postwachstumsökonomik) und mehr allgemein Richard David Precht (Prof. für Philosophie) ein paar Leuchtturmprojekte geschaffen, um mögliche Ansätze neuer Narrative in hinreichend verständlicher Form unter die Leute zu bringen. (Die Aufzählung ist sicherlich nicht vollständig.) Dabei gehen Göpel, Welzer und Precht einen etwas anderen Weg als Niko Paech. Die drei Genannten sind keine klassischen Ökonomen und kommen im weitesten Sinne aus der Sozialwissenschaft und nutzen die Methodologie dieses Fachbereichs, um eine friedliche Transformation des Gesellschaftssystems vermitteln und umsetzen zu können.

Niko Paech als klassischer Ökonom, so mein Eindruck, hat erkannt, dass die Ökonomie bisher nichts Grundlegendes zu der anstehenden Veränderung unseres Wirtschaftssystems beizutragen weiß und hat sich der Frage einer Postwachstumsökonomik zugewandt. Er stellt sich als Ökonom nicht die Frage, wie das bestehende System verändert werden kann oder soll, sondern versucht eine Ökonomie ohne Wachstum zu beschreiben. Er ist der Einzige dieser ‚Leuchttürme‘, der offensiv eine dezidierte Suffizienzstrategie (eine Reduktion des Verbrauchs) verfolgt. Als Ökonom anerkennt er die ökologischen Probleme und gibt der Veränderung zwei Eckpunkte des Handelns: Der Wandel erfolgt im positiven Sinne by design, im negativen Fall by desaster, aber der Wandel selbst ist unausweichlich. In seiner Postwachstumsökonomik zeichnet er ein durch Reduktion bestimmtes Bild von Wirtschaft und Gesellschaft, das aber durchaus nachvollziehbar positive (optimistische) Gesichtspunkte der Gestaltung bereithält.

Was könnte das für die Politik bedeuten? Große Teile der Politik sind noch vollkommen in der Wachstumsideologie gefangen und sie tun sich extrem schwer, sich aus den Fängen der wachstumsverliebten Lobbyisten zu befreien. Wir brauchen aber in der Politik ein anderes Narrativ, das die Übernutzung als unzulässig geißelt und ggfs. die Sinnfrage des Wirtschaftens neu beantwortet. Wirtschaft darf nicht auf Geldverdienen reduziert werden, sondern ist primär Versorgung der Gesellschaft. Der letztere Gesichtspunkt ist in den vergangenen Jahrzenten völlig aus dem gemeinsamen Blickfeld verschwunden. Die Pandemie hat klar gemacht, was fehlende Versorgung bedeuten kann.

Die gegenwärtige Situation verunsichert viele Menschen und die Politik scheint nicht in der Lage zu sein, durch eine sinnvolle Gestaltung Regeln zu entwickeln, die die Verunsicherung reduzieren. Eine Mehrzahl von BürgerInnen (man spricht in manchen Studien von bis zu 80%) wünschen sich hier mehr Gestaltung, Klarheit und Sicherheit.

Als Beispiel möchte ich den Vorschlag der Sektion München und Oberland des Deutschen Alpenvereins (1,4 Mio. Mitglieder) aufgreifen. Deren „Strategie gegen den Klimawandel“ setzt ein beispielhaftes Zeichen, das die Politik übernehmen könnte: Vermeiden (ggfs. erst gar nicht beginnen) – Reduzieren (wenn durchführen, dann auf das Minimum reduzieren) – Kompensieren (etwas anderes weglassen oder finanziell ausgleichen)! Jedes Mitglied des Vereins sollte sich diese drei Schritte bei allen Aktivitäten vor Augen halten und eigenverantwortlich beantworten.

Auf die Politik übertragen, hieße das, dem Wachstumsgedanken eine klare Grenze zu setzen. Das Denken in Wachstum ist absehbar keine Option mehr: also kein „höher, schneller, weiter“, sondern die Frage beantworten: ist die Maßnahme unvermeidbar?, wie lässt sich der Durchführungsumfang reduzieren?, was sollten wir dafür aufgeben?. Wir müssen wieder die Sinnfrage des Wirtschaftens in den Mittelpunkt stellen. Wir müssen die Wachstumsideologie aufbrechen, indem wir den BürgerInnen in dieser Frage klare Vorgaben machen, Leitplanken schaffen. Dazu gehört, zu erkennen, dass dieser Bruch mit dem jahrzehntelang Vertrauten nicht einfach wird, aber nur so werden unsere folgenden Generationen noch eine Erde vorfinden können, die hoffentlich lebenswert ist.

Die Zeitungen verweisen am 13.September auf Verlautbarungen der Wirtschaftsinstitute, dass angeblich neben der beobachteten Preissteigerung (andere sprechen von Inflation) eine Rezession drohe. Der Begriff ‚Rezession‘ fußt auf dem Verständnis der Wachstumsökonomie, die bei zwei oder drei auf einanderfolgenden negativen Quartalsergebnissen der BiP-Entwicklung von einer Rezession spricht. Wenn wir uns vor Augen halten, dass wir 1,7 Planeten verheizen und unseren Verbrauch auf einen Planeten reduzieren müssen, hat diese Aussage m.E. keine wirkliche Bedeutung. Wenn wir die Suffizienzstrategie als grundsätzlich richtig ansehen, weil sie mittelfristig das ‚Soll‘ und das ‚Ist‘ zusammen bringt, malt die Feststellung einer „Rezession“ ein Bild, das in dem längerfristigen Rahmen in keiner Weise eine sinnvolle Aussage macht.

Vermeiden, reduzieren und kompensieren sind Verhaltensweisen, die der Einzelne annehmen muss. Wenn diese Vorstellung politisch in die Tat umgesetzt werden soll, muss das politisch-wirtschaftliche  Narrativ neu geschrieben werden und muss eine entsprechend breite  Zustimmung erfahren. Hierzu muss man diese Einstellung positiv bewerben, und genauso schamlos wie das Marketing vorgehen. Dort beflügelt offensichtlich das Wecken von  Neid oder die Betonung der sozialen Differenzierung den gewünschten Erfolg.

Wir alle kennen den Begriff des geplanten Verschleißes, den die Industrie regelmäßig weit von sich weist. Aber die Lebensdauer vieler Güter wird laufend kürzer. Die „Geiz ist geil“-Mentalität verlangt immer günstigere Verkaufspreise. Dabei bleibt notwendig die Qualität der Güter und Dienstleistungen auf der Strecke. Die damit verbundene Ausbeutung in den Lieferketten will ich gar nicht ansprechen. Wenn Wachstum nicht mehr das ‚goldene Kalb‘ darstellen kann, um das alle tanzen, wäre es sinnvoll zu überlegen, ob nicht „Qualität ist geil“ der sinnvollere Slogan für die kommenden Generationen darstellt.

Auch hierzu muss die Politik ein passendes Narrativ entwickeln oder entwickeln lassen. Das Narrativ ist dann durch längere Gewährleistungspflichten für Gebrauchsgegenstände und eine grundsätzlich leichtere Reparaturfähigkeit bei ausreichendem Ersatzteilbestand per Gesetz zu unterstützen.

Durch das „Geiz ist geil“-Verhalten und die Erwartungen von billigem Ramsch haben wir mutwillig ein gewaltiges Müllproblem geschaffen. Konsumieren muss wieder primär der Versorgung dienen und nicht der Überbrückung von Langeweile, aus der heraus viel zu oft überflüssige, aber niederpreisige Dinge (man spricht dann gerne von „Schnäppchen“) erworben werden. Es handelt sich dabei im Grunde um systematische Müllproduktion. Auch hier hilft vielleicht das Motto: „Vermeiden, reduzieren, oder kompensieren“.

Gegenwärtig ersticken wir in ‚wohlsortierten‘ Müllbergen, die aber zum größten Teil (etwa zu 80%) nicht im eigentlichen Sinne recycelt werden können. Also sind wir diesbezüglich von der Vorstellung einer Kreislaufwirtschaft, die in diesem Zusammenhang oft strapaziert wird, meilenweit entfernt. Die „Pflege“ bzw. Verwaltung dieser Müllberge kostet uns Milliarden. Hier und da werden Müllpakete im beachtlichen Umfang ‚exportiert‘, damit auch Afrika und Fernost, gewissermaßen global, an unserem ‚Müllüberfluss‘ partizipieren können.

Das sind leider nur ein paar Ideen. Das Gesamtproblem werden sie nicht lösen. Da müssen wir noch „ein bisschen“(!) daran arbeiten.

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