Wo liegen die begrifflichen Unterschiede oder meinen beide Begriffe das gleiche? Den Begriff der Nachhaltigkeit strapazieren wir in der Öffentlichkeit vermutlich seit etwa 50 Jahren und es hat sich vergleichsweise nur wenig getan. Der Begriff der Klimaneutralität ist jüngst „in aller Munde“ und es wird dabei so getan als ob diese Begriffe und die dahinterstehenden Konzepte „nahezu“ identisch seien bzw. das gleiche Ziel verfolgen. Ich will versuchen, hier mehr Licht in die Zusammenhänge zu bringen.
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Die Nachhaltigkeit stammt nach meiner Kenntnis aus der Forstwirtschaft und wurde dort vor mehr als 200 Jahren entwickelt[1]. Forstwirtschaft befasst sich nur sehr beschränkt mit dem Wald als solchem, sie befasst sich mit dem Holz als Objekt der Begierde. Da Bäume in aller Regel nicht vor Ablauf von drei Generationen eine verwertbare Größe erreicht haben, ist der Begriff der Nachhaltigkeit in erster Linie Ausdruck einer langfristigen Perspektive.
Wenn die Forstwirtschaft heute einen gravierenden Fehler macht, so wirkt sich das in aller Regel erst in der dritten Generation aus. Ist der Eigentümer heute zu geschäftstüchtig und rücksichtslos im Holzeinschlag, kann das die übernächste Generation mit voller Wucht treffen. Kommt jetzt noch ein Risikoereignis wie die „Klimakrise“ hinzu, kann das für den Wald (und für den Eigentümer) schnell existenzgefährdend werden.
Die langfristige Perspektive in der Entwicklung des Waldes wurde versucht, künstlich abzukürzen. Man pflanzte schnell wachsende Fichten wie die Zinnsoldaten in Reih‘ und Glied und behauptete, das sei Wald. Es wurde versucht, “Massenholzhaltung“ durch Einheitskulturen hervorzubringen. Die Veränderungen dessen, was man Wald nennt, glaubte man in Kauf nehmen zu können. Der Borkenkäfer hat eine analoge Strategie angewendet. Massenhafte Monokultur beim Holz bedeutet massenhafte Forcierung einzelner Insektenarten. Eine gesunde Fichte hat einen Abwehrmechanismus, aber der bricht zusammen, wenn die Fichte durch Trockenheit Stress bekommt und die Zahl der Angreifer in den Monokulturen schlicht zu hoch wird.
Man hat nach ökonomischen Prinzipien Holz produzieren wollen und hat übersehen, dass das Biotop Wald nur in der Vielfalt der Arten in einem hinreichend stabilen Gleichgewicht gehalten werden kann. Gesunde Mischwälder können mit Trockenheit, Insektenbefall, Stürmen und ggfs. mit Feuer viel besser umgehen, als die Zinnsoldaten einer Baumart, die nur in bestimmten Höhenlagen heimisch ist und sich im Grunde für eine Massenholzhaltung auch nicht eignet. Alle diese Aspekte sind im Grunde langjährige Verstöße gegen die Nachhaltigkeit und den gesunden Menschenverstand. Letzter ist aber erst seit wenigen Jahren in der Lage, die Zusammenhänge auch so zu verstehen.
Der Brundtland-Report hat 1987 versucht, Nachhaltigkeit zu verallgemeinern und kommt sinngemäß auf folgende Formel: Die Menschheit hat die Fähigkeit die Entwicklung nachhaltig zu gestalten, indem sie sicherstellt, dass die Entwicklung die Bedürfnisse der gegenwärtigen Generation erfüllt ohne die Fähigkeit künftiger Generationen einzuschränken, ihrerseits ihre Bedürfnisse zu erfüllen. Ein ‚hervorragend‘ formulierter Satz, der so abstrakt ist, dass er im Grunde keine konkrete Aussage möglich macht. Das einzige, was man daraus erkennen kann, ist die Verpflichtung langfristiger (über Generationen hinaus) zu denken. Jede Bedürfnisbefriedigung sollte so gestaltet sein‚ dass sie ‚enkeltauglich‘ ist.
Herman Daly unternahm einen Versuch, die zentralen und übergeordneten Elemente einer Nachhaltigkeit aus ökologischer Sicht auf den Punkt zu bringen, um einen etwas konkreteren Ansatz zu finden:
- Das Niveau der Abbaurate erneuerbarer Ressourcen darf ihre Regenerationsrate nicht übersteigen. (Nicht mehr verbrauchen als nachwächst)
- Das Niveau der Emissionen darf nicht höher liegen als die Assimilationskapazität (die Fähigkeit des Systems, diese Emissionen zu neutralisieren).
- Der Verbrauch nicht regenerierbarer Ressourcen muss durch eine entsprechende Erhöhung des Bestandes an regenerierbaren Ressourcen kompensiert werden. (Hardtke/Prehn 2001, S.58)
Daly’s Ansatz geht dabei (anders als die Ökonomie) nicht von den menschlichen Bedürfnissen der jetzigen und der künftigen Generationen aus, sondern zeigt die globalen Restriktionen auf, die uns die Natur für unsere weitere Entwicklung setzt.[2]
Wenn man noch konkreter werden will, sind wir gezwungen, ins Detail zu gehen. Um uns hier nicht zu verlieren, geht es darum, verhaltensleitende „Triggermerkmale“ zu finden, mit deren Umsetzung andere wesentliche Eigenschaften des Wirtschafts- und Gesellschaftssystem sich als konsequente Folge ergeben:
- Eine langfristige Denkweise muss durch einen gesetzlichen Rahmen gefördert werden.
- Als Folge müssen Gebrauchsgüter reparaturfähig konstruiert werden, Ersatzteile müssen längerfristig vorgehalten werden. Das ist u.a. durch eine deutlich verlängerte Gebrauchsgarantie zu erreichen.
- Ein konstruktiv einfaches Recycling muss bei der Produktplanung Pflicht sein.
- Die zu erwartende Lebensdauer von Wirtschaftsgütern ist zu verlängern. Was besteht bzw. existiert, hat einen gewissen automatischen Bestandsschutz, bevor es wegen einer Neuanschaffung abgerissen, zerstört und/oder entsorgt werden kann. Nicht das Neue gilt als ‚sexy‘, das Bewährte muss als Wert anerkannt werden.
- Die automatische Folge dieser Auffassung wird ein reduzierter Konsum sein, etwas, das das gegenwärtige Wirtschaftssystem möglicherweise an seine Grenzen führen wird.
- Die monetäre Sichtweise als einseitiges wirtschaftliches Entscheidungskriterium muss zu einem Konzeptansatz erweitert werden, der auch qualitative Gesichtspunkte einbezieht. Bei großen Projekten müssen auch die Perspektiven der durch die Maßnahme Betroffenen erfasst und realistisch bewertet werden. Dabei ist auch grundsätzlich eine vereinfachte Emissionsbilanz als Entscheidungsgrundlage darzustellen.
- Ideal wäre es, wenn es gelänge, für alle wesentlichen Güter, die uns die Natur unentgeltlich zur Verfügung stellt, realistische Preise zu definieren, die einen breiten Konsens finden können. So wie eine Tonne CO2 gegenwärtig (nur) 25 € kostet, so könnten Wasserentnahme, Feinstaubentwicklung, Lärmentwicklung, u.v.m. einen Preis bekommen, um dann feststellen zu können, ob gewisse Projekte nicht nur für den Investor sinnvoll erscheinen, sondern auch für die Gesellschaft verträglich sind.
Als Fazit könnte man feststellen, dass Nachhaltigkeit wenig allgemeine Operationalität besitzt. Nachhaltigkeit kann wohl nur für jeden Prozess gesondert ermittelt werden, was die Wahrnehmung als auch die Kontrolle des Sachverhalts in der täglichen Praxis erschwert.
Je mehr man sich mit der Materie beschäftigt, desto größer werden die Problemberge. Trotzdem glaube ich, dass es auf dieser Basis eine Lösung geben kann, wenn viele das Problem verstehen und einen gewissen gesellschaftlichen Konsens finden können.
Damit möchte ich mich dem Ziel der Klimaneutralität zuwenden. Dieses Ziel ist noch relativ jung und klingt handlich und operabel. Wenn wir aber meinen, der Begriff der Klimaneutralität könne als Ersatz für die Nachhaltigkeit dienen, springen wir m.E. zu kurz. Klimaneutralität reduziert die Nachhaltigkeit ausschließlich auf den Aspekt der Emissionen (vgl. oben die Darstellung der drei Elemente von Herman Daly). Zwar ist in der Diskussionen um die Klimaneutralität vorgesehen, den Begriff breiter zu fassen, aber dann verliert der Begriff seine scheinbare Griffigkeit und wird wieder sperrig wie die Nachhaltigkeit. Zudem enthält die Nachhaltigkeit qualitative Elemente, die sich m.E. einer Quantifizierung weitgehend entziehen.
Gerade die Quantifizierung mit dem Anschein von Berechenbarkeit und Exaktheit macht den Charme der Klimaneutralität aus. Man nimmt den CO2-Ausstoß eines Landes, einer Region (in der Regel eine wackelige Schätzgröße, bei der eine Fehlergröße von mehreren Zehnerpotenzen nicht ungewöhnlich wäre) und stellt sie der ebenfalls geschätzten Assimilationskapazität der Wälder und Moore dieser Region gegenüber. Wenn die Schätzwerte sich im Wesentlichen ausgleichen, werden wir dann hoch erfreut von Klimaneutralität sprechen. Die Gesichtspunkte der Regenerationsraten und die Maßnahmen zur Kompensierung nicht-nachwachsender Ressourcen entfallen dabei ersatzlos (vgl. Herman Daly).
Die unangenehme Tatsache, dass wir gegenwärtig ausgerechnet beim Wald die Regenerationsrate aufgrund des Befalls der Monokulturen durch den Borkenkäfer missachten, führt natürlich dazu, dass die Assimilationskapazität des Waldes zur kritischen Größe wird. Wir verlieren täglich große Waldflächen, weil man zum Kahlschlag der Monokulturen keine Alternative sieht. Und wenn ich das richtig beurteilen kann, werden vielfach die Fichtenmonokulturen (so gut es geht) durch Monokulturen von Douglasien ersetzt anstatt konsequent dem Mischwald den Vorzug zu geben. Die Aufforstung vollzöge sich dann natürlich langsamer und finanziell aufwendiger, weil die Laubbäume i.d.R. längere Entwicklungszeiten benötigen.
Mit der Klimaneutralität hofft oder glaubt man einen Punkt in unserem Wirtschaftssystem gefunden zu haben, der als allgemeiner Erfolgsindikator den notwendigen Umbau begleiten kann. Die CO2-Bilanz gilt als zweckmäßiger Maßstab, um den Fortschritt des Umbaus begleiten und überwachen zu können. Dabei wird wohl hoffnungsfroh unterstellt, dass die CO2-Reduktion auch Einfluss auf die Abbaurate der erneuerbaren als auch auf die Reduktion des Verbrauchs nicht-erneuerbarer Ressourcen hat. Wenn wir die sogenannte Klimaneutralität tatsächlich erreichten sollten, dann ist vermutlich wirtschaftlich kein Stein mehr auf seinem heute gewohnten Platz. Deshalb ist es auch nicht sinnvoll, an allen möglichen „Knöpfen“ des angestrebten Wandels zu drehen, weil man die komplexen Überkreuzrelationen zwischen den Variablen heute in keiner Weise absehen kann.
[1] Hans Carl von Carlowitz (1645–1714), der 1713 den Gedanken zur Nachhaltigkeit in einem Buch veröffentlicht hat.
[2] Vgl. https://www.nachhaltigkeit.info/artikel/definitionen_1382.htm
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