Die amerikanische Justiz hat vor einigen Monaten fünf VW – Manager zur weltweiten Fahndung ausgeschrieben. Im gleichen Atemzug berichteten die Zeitungen, dass eine Auslieferung durch Deutschland nicht in Frage komme. In etwas kleineren Lettern wird darauf hingewiesen, dass auch die deutsche Justiz sich mit Fragen des Abgasskandals und ihrer rechtlichen Aufarbeitung befasst.
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Da unser System der Aufarbeitung durch Staatsanwälte immer von dem guten Willen der Politik abhängig ist (die Staatsanwaltschaft ist weisungsgebunden und nur die eigentliche Justiz repräsentiert die dritte Säule unseres Staatsaufbaus), muss sich bei jeder brisanten Erkenntnis die Staatsanwaltschaft rückversichern, ob der Vorgang auch politisch getragen wird. Je weniger aber von dem Verfahren an die Öffentlichkeit dringt, desto leichter kann die Politik Einfluss auf das Verfahren nehmen. Dieser Weg ist beim amerikanischen Vorgehen durch die massiv hergestellte Öffentlichkeit schwieriger oder sogar verschlossen. Es bleibt abzuwarten, wie sich die deutsche Justiz in den nächsten zwanzig Jahren um die Sache kümmert.
Solche Betrachtungen haben auch immer mehrere Seiten. Die Politik hat zur Bewertung von der umwelttechnischen Fahrzeugabgasqualität Grenzwerte eingeführt. Die sollten eigentlich für alle gelten. Was macht die Autoindustrie? Sie schließt sich mehrheitlich zusammen und entwickelt keine Motoren, die die Grenzwerte einhalten, sondern entwickeln ein Verfahren, wie man unter günstigsten Bedingungen die Abgaswerte so misst, dass sie scheinbar eingehalten werden und verkauft diese Vorgehensweise den staatlichen Stellen als Standard. Und die staatlichen Einrichtungen machen sich zum Büttel der Industrie und übernehmen stillschweigend die Vorgehensweise und verraten damit das Vertrauen des Verbrauchers und des Wählers.
Die Automobilindustrie sieht darin eine quasi öffentliche Zustimmung zum Verfahren, um mit den so ermittelten Werten ihre Automobile besser verkaufen zu können, von denen sie weiß, dass sie im täglichen Gebrauch nie die Grenzwerte eingehalten werden. Wie darf man das nun nennen? Betrug oder organisiertes Verbrechen oder Bildung einer kriminellen Vereinigung? Was ist mit dem volkswirtschaftlichen Schaden, der durch diese Vorgehensweise der Gesellschaft entstanden ist? Die USA haben sich diesen Schaden von VW mit immerhin rd. 20 Mrd. Euro abgelten lassen. In Deutschland (und in der EU) ist man sich noch nicht so recht schlüssig, ob man nicht (wie so oft) Arbeitsplätze gegen Schadenersatz aufrechnen soll. Ethisch vertretbar ist ein solches Vorgehen nicht – es ist eine systematische Unaufrichtigkeit, ja ein Rechtsbruch und eine Missachtung der rechtlich gleichen Behandlung.
Frontal21, eine Fernsehsendung des ZDF, hat sich die Frage gestellt, ob und inwieweit die öffentlichen Stellen in diesem Abgasskandal verwickelt sind. Die dort veröffentlichten Dokumente und das Verhalten der betroffenen Politiker und Verwaltungsmitglieder lassen wenig Spielraum, davon auszugehen, hier wäre alles mit rechten Dingen zugegangen. Es ist nur überaus schwierig, einen weisungsgebundenen Staatsanwalt zu motivieren, die Exekutive oder gar die Politik auf den rechtlichen Prüfstand zu stellen. Dazu braucht es einen ‚alten‘ Staatsanwalt, der seine Karriere schon hinter sich hat und der vielleicht noch eine Rechnung mit seinem Arbeitgeber und/oder der Politik offen hat; der es sich also leisten kann, diesen Fall ohne Karrierebruch zu überstehen. Das Problem wäre nur die Zeit – ein ‚alter‘ Staatsanwalt hat selten noch 10 Dienstjahre, um diesen Fall über alle Hürden zur Anklage zu bringen.
Man spricht in politischen Kreisen gerne über Wachstum und seine gesellschaftlich-ökonomischen Bedeutung. Das durch den Abgasskandal ausgelöste ‚negative‘ Wachstum (durch den Wertverlust der davon betroffenen verkauften Automobile) weltweit taucht in keiner Diskussion auf – aber es ist ein Faktum. Das Wachstum, eine der heiligsten Kühe unserer Politik, für die wir viele, meist überflüssige Opfer bringen, wird durch das Verhalten eines Teils der Industrie massiv in Frage gestellt und die Politik traut sich nicht, dass öffentlich und klar zu sagen. Von einem notwendigen ‚Handeln‘ ist keine Spur zu entdecken.
Verschiedene Fernseh-Berichte machen jetzt deutlich, dass dort, wo sich die hehre Automobilindustrie nicht in der Lage sieht, die Grenzwerte einzuhalten, steigen nun flexible, relativ kleine Unternehmen ein, um zu einem Preis von etwa 1.500 Euro eine marktfähige Lösung des Problems zu präsentieren. Die Frage ist nur, wer zahlt diese Summe? Das Problem liegt natürlich in der Höhe der zu veranschlagenden Gesamt-Summe. Die 20 Mrd. Euro, die durch VW in USA abgedrückt wurden, decken bei Umstellungskosten von 1500 Euro pro Diesel-PKW nur rd. 13.333 PKW. Und das reicht wohl nicht für den europäischen Markt. Es ist auch nicht ausgeschlossen, dass die US-amerikanische Vereinbarung eine Nachforderungsklausel enthält, die dann zum Zuge kommen würde, wenn die Europäer besser gestellt werden würden. Eine solche (nicht belegbare) Vertragsklausel würde zumindest mit der gegenwärtig besonders offensiv vertretenen Haltung „America first“ gut harmonieren.
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