Sicherheit, die ich meine!

Wenn Politiker das Wort „Sicherheit“ in den Mund nehmen, stehen in Gedanken meist Polizisten oder Soldaten daneben. Das ist nicht grundsätzlich falsch, trifft aber unser gegenwärtiges Problem als staatliche Gemeinschaft überhaupt nicht. Die Entwicklung unseres Staatwesens hat eine Wendung genommen, die mit „Hau drauf“ und einer Verschärfung von Strafen nicht gelöst werden kann. Die Menschen sind verunsichert, weil sich vieles von dem, was als sicher galt, in Luft auflöst und offensichtlich keine Substanz mehr besitzt.

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Neben Corona findet auch ein Wandel in den Technologien statt. Alte Industrien drohen schneller zu ‚sterben‘ als der Prozess gesteuert werden kann.

Eine besonders unpassende Aussage ist die Anregung von Herrn Altmeier, wir müssten jetzt Bürokratie abbauen und die Ladenschlussgesetze aufheben, damit die gewerbliche Wirtschaft mehr Umsätze machen kann. Das ist doch ein bodenloser Bullshit: wenn „die Pferde nicht saufen wollen“, schaffen wir noch mehr Wassertröge herbei. Ist Herrn Altmeier noch nie der Gedanke gekommen, dass insbesondere Bürokratie auch ein Gefühl von Sicherheit schaffen kann, weil es eben schon immer so war. Das erste, für das Herr Altmeier zu sorgen hätte, wäre Sicherheit und dann  – wie von selbst – kommt auch wieder eine gewisse Stärkung der Kauflaune.

Alle Welt hat sich wieder den Ideen von Keynes‘schen Konjunkturprogrammen zugewandt, weil das einfach sinnvoller ist als sich auf die neoliberalen Marktkräfte zu verlassen, die voraussetzen, dass „die Gäule saufen“, was sie aber nicht tun. Erfolgreiche Ökonomie braucht notwendig Sicherheit. Sie kann aber dieses Gefühl nicht herbeiführen. Gefühle schaffen nun mal keine Renditen.

Die Unsicherheit auf breiter Front liegt natürlich auch in der Zweiteilung unserer Gesellschaft. Die eine Hälfte unserer Gesellschaft (rd. 40 Mio. Menschen), verteilt auf 5 Dezile, hat so gut wie kein (Netto-)Vermögen. Die fraglos vorhandene Vermögensmasse konzentriert sich auf die zweite Hälfte (ebenfalls rd. 40 Mio. Menschen). Diese zweite Hälfte verfügt über ca. 98% des Volksvermögens. Es braucht keinen Zahlenkünstler, um sich klarzumachen, dass zumindest bei der vermögenslosen ersten Hälfte der Gesellschaft die gegenwärtige Lage große Ängste und Unsicherheitsgefühle auslösen muss. Wenn 40 Mio. Bürger die Spendierhosen ausziehen und auf ‚Nummer Sicher‘ gehen, dann hat das heftige Folgen für die inländische Kaufkraft. Die Hoffnungen auf den Export als üblichen Problemlöser schwinden, wenn auch die europäischen Partnerländer mit ähnlichen Kaufkraft-Problemen kämpfen.

Sicherheit hat noch einen weiteren Gesichtspunkt, der sich aus der bürokratischen Struktur unseres Gemeinwesens ergibt. Wir haben zahllose Gesetze und wir neigen dazu, immer mehr zu verfassen. Gesetze allein nutzen wenig, weil es immer einen mehr oder weniger großen Anteil der Bevölkerung gibt, die den Sinn der Gesetze nicht verstehen oder nicht verstehen will. Solange das Menschen sind, die ihre Heimat in ersten Hälfte unseres Bevölkerungsaufbaus finden (müssen), sind die Regeln klar und werden oft unmissverständlich durchgesetzt. Wenn sich diese Auffassung des Nicht – Verstehen – Wollens auf Menschen bezieht, die in der zweiten (vermögenden) Hälfte der Bevölkerung angesiedelt sind, verschiebt sich die Klarheit und die kompromisslose Durchsetzung zugunsten einer letztlich korrupten Haltung: Man kann sich in vielen Fällen von der Last der Verfahrens und der Strafe freikaufen. Es wird darauf geachtet, dass den betroffenen Personen bei Straffälligkeit ein kleiner Denkzettel in Form der Bewährung ausgesprochen wird, aber die lebenslange Kennzeichnung als „vorbestraft“ tunlichst vermieden wird. Er oder sie muss ja angeblich noch ihren Geschäften nachgehen können. Das dann fällige Geld ist in diesen Kreisen genau jenes Mittel, über das sie am leichtesten und oft unbeschwert verfügen. Man kann sich des Eindruck nicht erwehren, dass hier mit zweierlei Maß gemessen wird.

Sicherheit würde auch dadurch entstehen, wenn die Gesetze regelmäßige Überprüfungen vorsehen, die in den gesetzlichen Zeitabständen gründlich und ohne Wenn und Aber erfolgen. Das beginnt im Produktionsprozess (Emissionen, Schwarzarbeit, Umgang mit Giften, u.ä.), es geht weiter über die Gesundheitsdienste, Inhaltsdeklarationen u.ä.. Der Kunde will wissen, was er kauft und er muss in die Lage versetzt werden, seine im Politischen gerne artikulierte „Marktmacht“ auch ohne ein Chemie- oder Physikstudium wahrnehmen zu können. Manchmal fehlt auch einfach die Brille, um die klein gehaltenen Angaben zu entziffern.

Letztlich geht es um die Frage, ob die erzielten Gewinne auch angemessen und im Inland versteuert werden. Dazu braucht es eine Vielzahl von Spezialisten, die natürlich Geld kosten. Wenn diese Überprüfungen so verfügt würden, dass dann, wenn wesentliche Einwände erhoben werden, der Geprüfte neben der Pönale auch eine Kostennote erhält, in der die Kontroll-Leistungen sauber auf Stundenbasis abgerechnet werden. Wenn es keine wesentlichen Beanstandungen gibt, gibt es auch keine Kostennote. Und dann kommt der Kick: in einem nicht öffentlichen Register werden alle Beanstandungen zentral erfasst. Wenn es dann darum geht, Subventionen, Zuschüsse und andere Wohltaten des Staatswesens zu beantragen, sollten sich die Unternehmen nicht in dem Zentralregister finden lassen. Ihre Integrität und Zuverlässigkeit stünde dann doch begründet in Zweifel.

Zu Anfang meiner beruflichen Karriere gab es in Bayern Politiker, die den Unternehmern Balsam auf die Seele „schmierten“, in dem sie klarmachten, dass sie auf die Bundesgesetze keinen Einfluss hätten, aber auf die Personalpolitik des Landes. Man deutete damit an, dass z.B. in der bayerischen Betriebsprüfungsabteilungen das Personal ausgedünnt würde. Mit anderen Worten, man gab zu verstehen, dass die übliche Frist zwischen zwei Betriebsprüfungen sich stark verlängern wird, weil es in der Finanzverwaltung an kompetentem Personal mangelt. In meinen Augen zählt die pünktliche Wahrnehmung von gesetzlichen Prüfungen zu den Grundlagen von Sicherheit, zumal die zu prüfenden Vorgänge ja auch regelmäßig verjähren und damit einer legalen Untersuchung entzogen sind.

Sicherheit wäre es auch, wenn wir es schaffen würden, im Rahmen der Justiz zeitnah zu urteilen. Dazu müsste sich die Justiz erst einmal auf die digitale Mindesthöhe kommen und es aufgeben, noch mit den Mitteln der 70iger und 80ziger Jahre des letzten Jahrhunderts zu arbeiten. Jeder Rechtsanwalt kann heute seine Akten von jedem Punkt der Erde über Internet einsehen und ist deshalb in der Lage, von dort zu arbeiten. Lediglich der zeitnahe Kontakt zum Gericht ist davon ausgenommen. Elektronische Akten sind zweifelsohne nicht nur ideal und haben auch ihre Leistungsgrenzen, aber man darf doch erwarten, dass die Digitalisierung das Geschäft der Gerichte um den Faktor 5 bis 10 beschleunigen könnte.

Die Personaldecke der Justiz ist zu dünn und das was sich heute in der Justiz versammelt, ist nicht mehr erste Klasse. Die Ansprüche waren und sind hoch, aber die Arbeitsmethodik ist mehr als 20 Jahre zurück und ein effektives Arbeiten über einen gewaltigen Aufholprozess ist in absehbarer Zeit nicht zu erkennen. Die Einkommenssituation und die Qualitätserwartungen passen angesichts der Marktentwicklung nicht zusammen. Also reißen sich nur wenige um solch eine Aufgabe und ob das dann die richtigen sind, erscheint zumindest fraglich.

Wenn man die zahlreichen Fälle der White-Collar-Kriminalität der letzten Jahre Revue passieren lässt, so gewinnt man den Eindruck, dass unser Rechtssystem als Ausdruck eines Sicherheitssystems sich primär auf Diebe, Betrüger, Terroristen und Kleinkriminelle spezialisiert hat. Es drängt sich der Eindruck auf, dass man „die Kleinen hängt“ und die Großen nicht beachtet. Wenn das Wegschauen dann nicht mehr geht, dann wird jahrelang (meist bis kurz vor Eintritt der Verjährung) ermittelt, um dann endlich Anklage zu erheben. Die Sache hat sich dann i.d.R. totgelaufen und die damit verbundene Gerechtigkeitsfrage hat das öffentliche Interesse schon lange aus den Augen verloren. Der „Erziehungseffekt“ solcher Prozesse ist gleich Null, weil die Öffentlichkeit und der potenzielle Täter emotional keine Beziehung zwischen Tat und Verurteilung mehr herstellen können. Aber die emotionale Sicherheit der Bürger wird doch gerade dadurch hergestellt, dass es für jeden nachvollziehbar bleibt muss: hier die Tat und dort die konsequente Ahndung.

Das gilt weniger für die Kapitalverbrechen, aber gilt das auch für die Übergriffe der White-Collars? Sie dürfen sich durch Kaution von der Untersuchungshaft freikaufen, sie sind umgeben von einer Entourage der besten verfügbaren Rechtsanwälte, und wenn es dann zur Verurteilung kommt, wird darauf geachtet, dass kein bleibender Schaden (z.B. Vorstrafe) entsteht und die Höhe der Strafen ist trotz erwiesenen Fehlverhaltens teilweise einfach lächerlich, weil das Verhältnis von Strafe und Einkommen in einem krassen Missverhältnis steht. (Ecclestone: 100.000 Euro Strafe bei einem Mann, der gewohnt ist zwischen 5 und 7 Mrd. Euro jährlich umzusetzen – die Strafe zahlt er doch aus der Kaffeekasse seiner Sekretärin).

Denken Sie an den Fall Cum-Ex. Schon in den Jahren 20xx war das Cum-Ex-Verfahren Gesprächsstoff in steuerlichen Fachkreisen. 2010 soll eine Liste schwarzer Schafe verfügbar gewesen sein. Diese Liste soll dem Ministerien zugeführt worden sein und die kann man heute nicht mehr finden. Das betrügerische Spiel hat den Steuerzahler etwa 54 Mrd. Euro allein in Deutschland gekostet. Die ganze prozessuale Aufarbeitung geht unendlich langsam und der Rückgriff droht zu versacken, weil natürlich erst die Schuld und die Schuldigen feststehen müssen, ehe man den Regress aufrollen kann.

Vor diesem Hintergrund brauchen wir nicht mehr Polizeikräfte und Soldaten, sondern wir benötigen u.a. eine zivile kompetente hochspezialisierte, digital gut ausgerüstete Fahndungsgruppe des Bundes zum Thema Wirtschaftskriminalität, die ständig dort, wo massenhaft Geld umgesetzt wird, ihre verdeckten Fühler im Spiel hat und ggfs. zugreifen kann, solange der Fall noch „warm“ ist und künftige Großschäden abgewendet werden können.

White-Collar als Kriminalitätskategorie muss den Ermittlungsdruck ständig spüren. Heute werden manche der „White-Collars“ als clevere „Unternehmer“ gefeiert, anstatt erst mal deren Geschäftsmodell kritisch zu durchleuchten, wer denn die Zeche für das Image des „erfolgreichen Unternehmers“ bezahlen muss. Dabei spielt nicht nur kriminelles Handeln eine Rolle, sondern auch die teilweise fragwürdigen Umstände, unter denen der Begriff „Erfolg“ jeweils verkauft wird (Tönnies). Hätte man sich die Mühe gemacht, bei manchen Riesenunternehmen das Geschäftsmodell zu durchleuchten, wäre die Überraschung nicht ganz so groß gewesen: Nicht nur wegen Corona, sondern wegen der Zulässigkeit der Vertragsgestaltungen und ihrer sozialen Folgen, die einfach Grenzen eines zivilisierten, humanen Arbeitsmarktes überschreiten. Diese Fahndungsgruppe sollte dann regelmäßig dem Wirtschaftsausschuss und dem Rechtsausschuss des Bundestages über ihre Arbeit Rede und Antwort stehen, damit die Politik nicht nur die „tollen“ Geschichten der Lobbyisten hört, sondern auch über eigenes Personal aus der Mitte des wirklichen Lebens informiert wird.

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